BGH urteilt zu der Belastung mit einer Zahlungsverpflichtung als Schaden mit Urteil vom 29.6.1972 – II ZR 123/71 -.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,

in den jüngsten Entscheidungen des VI. Zivilsenates des BGH – unter anderem auch in dem aktuellen Urteil vom 28.2.2017 – VI ZR 76/16 – unter Randnote 13 – wird immer wieder auf die vom „Geschädigten beglichene“ Sachverständigenkostenrechnung als Indiz abgestellt (vgl. auch BGH VI ZR 357/13 und VI ZR 50/15). Dabei steht die Belastung mit einer Zahlungsverpflichtung der Bezahlung gleich. In dem Fall der Bezahlung ist das Vermögen bereits gemindert und im Fall der Belastung mit der Zahlungsverpflichtung steht die Vermögensminderung kurz bevor, weil der Schuldner demnächst zahlen muss. Nachfolgend stellen wir Euch hier ein Urteil des BGH zur Belastung mit einer Verbindlichkeit vor, das zeigt, dass die jüngste Rechtsprechung des VI. Zivilsenates – unter Mitwirkung des Bundesrichters Wellner – zur Indizwirkung einer bezahlten Rechnung mehr als kritisch betrachtet werden muss. Der II. Zivilsenat des BGH geht sogar noch eine Stufe weiter, indem er nicht nur die bezahlte Rechnung mit der Belastung der Zahlungsverpflichtung gleich stellt, sondern er nimmt auch an, dass ein völlig überschuldeter Schuldner noch mit einer zusätzlichen Verbindlichkeit belastet sein kann und daher einen Vermögensnachteil erleidet. Lest selbst die BGH Entscheidung zur Belastung mit einer Zahlungsverpflichtung und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.

Viele Grüße
Willi Wacker

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

II ZR 123/71                                                                                    Verkündet am: 29. Juni 1972

Die Belastung mit einer Schadenersatzpflicht ist auch für einen vermögenslosen Verein ein Schaden; ihm steht darum gegen das Vorstandsmitglied, das ihm gegenüber die Entstehung der Verbindlichkeit zu verantworten hat, ein Freistellungsanspruch zu (Abweichung von RGZ 146, 360; 147, 248).

In dem Rechtsstreit

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. Juni 1972 unter Mitwirkung des Senatspräsidenten Stimpel und der Bundesrichter Liesecke, Dr. Schulze, Dr. Bauer und Dr. Tidow

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 8. Juni 1971 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin hatte im Jahre 1961 der Filmarbeitsgemeinschaft – Rednerdienst für Jugend und Volksbildung – B. e. V. (im folgenden: FAG) Filme und anderes Informationsmaterial verliehen. Nach ihrer Darstellung hat sie sieben Filme nicht zurückerhalten. Die Zwangsvollstreckung aus dem von ihr erwirkten Vollstreckungsbefehl auf Leistung von Schadensersatz in Höhe von 2.302,50 DM scheiterte an der Vermögenslosigkeit der FAG. Die FAG ist, nachdem Anfang 1966 die Eröffnung des Konkursverfahrens über ihr Vermögen mangels Masse abgelehnt worden war, am 13. Dezember 1966 im Vereinsregister gelöscht worden.

Die Klägerin hat nunmehr die angeblichen Ansprüche des Landes Nordrhein-Westfalen als Rechtsnachfolger der gelöschten FAG gegen den Beklagten, den früheren ersten Vorsitzenden der FAG, „aus Schadensersatz wegen nicht zurückgegebener leihweise zur Verfügung gestellter Filme und Stehbildreihen“ pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen. Sie sieht den Beklagten als ersatzpflichtig gegenüber der FAG an, weil er den Verbleib der von ihm entgegengenommenen Filme nicht genügend überwacht habe, und hat beantragt,

ihn zur Zahlung von 2.302,50 DM nebst Zinsen zu verurteilen.

Der Beklagte hat den Empfang der Filme bestritten und behauptet, ein anderes Vereinsmitglied sei dafür und für die Aufbewahrung von Filmen verantwortlich gewesen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Antrag weiter.

Der Beklagte beantragt,

die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

1. Das Berufungsgericht weist die Klage ab, weil es meint, selbst wenn die von der Klägerin gegen den Beklagten erhobenen Vorwürfe berechtigt seien, habe der FAG kein Freistellungsanspruch gegen ihn zugestanden. Ein solcher Anspruch würde voraussetzen, daß die Belastung mit der Ersatzpflicht für sie einen Schaden bedeutet habe. Hieran fehle es. Ein Freistellungsanspruch der FAG habe erst in dem Zeitpunkt entstehen können, in dem deren Ersatzpflicht gegenüber der Klägerin festgestellt worden sei, also frühestens mit dem Erlaß des Vollstreckungsbefehls am 19. September 1966. Zu jener Zeit sei die FAG aber ohne jede Aussicht auf eine Änderung völlig vermögenslos gewesen. Sie habe praktisch schon nicht mehr existiert. Es sei hier anders als bei natürlichen Personen, bei denen eine Besserung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse nie ganz ausgeschlossen werden könne. Die Pfändung sei daher ins Leere gegangen.

Dieser Auffassung kann aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden. Dabei ist es allerdings unerheblich, daß der Freistellungsanspruch – anders als das Berufungsgericht meint – unabhängig von dem Erlaß des Vollstreckungsbefehls entstand, sobald die FAG der Klägerin aus Gründen ersatzpflichtig wurde, die ihr gegenüber der Beklagte zu vertreten hatte. Ob die Ersatzpflicht der FAG im Jahre 1966 oder früher eingetreten ist, braucht nicht aufgeklärt zu werden, weil es für einen Freistellungsanspruch gegen den Beklagten nicht auf ihre damalige Vermögenslage ankommt.

Das Reichsgericht hat zwar in ständiger Rechtsprechung den Rechtsgedanken vertreten, die Ersatzpflicht des Schädigers reiche nicht weiter als tatsächlich für den mit der Verbindlichkeit Belasteten ein Schaden entstanden sei; dieser Vermögensschaden sei regelmäßig nicht höher zu schätzen als derjenige Betrag, den der Geschädigte aus seinen Mitteln zur Tilgung der Schuld, mit der er belastet worden sei, aufwenden könne (zuletzt RGZ 147, 248, 251 m.w.N.). Der Senat vermag sich jedoch dieser Auffassung nicht anzuschließen. Sie ist auch im Schrifttum auf Widerspruch gestoßen (vgl. u.a. Esser, Lehrbuch des Schuldrechts, Allgemeiner Teil 4. Aufl. § 41 II 6 c; Staudinger/Werner, BGB 11. Aufl. Vorbem. 9 vor § 249 m.w.N.; offengelassen in BGH VersR 1960, 273, 275) und vom Reichsgericht selbst auf den ähnlichen Fall der Haftung eines Aufsichtsratsmitglieds wegen verspäteter Konkursanmeldung bei einer zwar nicht vermögenslosen, aber weit überschuldeten Kapitalgesellschaft nicht übertragen worden (RGZ 161, 129, 142/143).

Die Ansicht, es liege kein „Schaden im Rechtssinne“ vor, wenn eine zusätzliche Verbindlichkeit einen vermögenslosen Schuldner treffe, kann nur auf die rein begriffliche Vorstellung zurückgeführt werden, in seinem Vermögen werde gar nicht weiter geschädigt, wer bereits vorher hoffnungslos überschuldet und vermögenslos gewesen sei; unter solchen Umständen „beschwere“ ihn die hinzutretende Schuld nicht, er habe vorher nichts besessen, und weniger als „nichts“ könne niemand haben. Diese Betrachtungsweise wird der Bedeutung der Schadensersatzpflicht nicht gerecht. Jede neue Verbindlichkeit erhöht die Summe der Passiven des Schuldners und führt zu einer Differenz zwischen der früheren und der späteren Vermögenslage. Dieser rechnerische Schaden „beschwert“ den Schuldner auch dann, wenn für ihn keine Aussicht besteht, daß er jemals den Gläubiger aus eigener Kraft befriedigen kann. Denn gemessen an den Maßstäben des redlichen Geschäftsverkehrs kann auch dem Vermögenslosen das berechtigte Interesse nicht abgesprochen werden, von dritter Seite nicht erneut belastet zu werden und nicht noch einem weiteren Gläubiger etwas zu schulden. Jede zusätzliche Passivschuld ist deshalb auch bei ihm ein nach § 249 BGB zu ersetzender Schaden; und ebenso wie der vermögende Schuldner muß auch er in der Lage sein, zur Erfüllung dieser Schuld von einem in Betracht kommenden Befreiungsanspruch Gebrauch zu machen.

Das allein wird auch im übrigen der Sach- und Interessenlage gerecht. Das Reichsgericht hat zwar zur Verteidigung seiner gegenteiligen Ansicht gemeint, der Gläubiger des Vermögenslosen würde, wenn ihm an Stelle des zahlungsunfähigen Schuldners ein leistungsfähiger Dritter als Ersatzpflichtiger zugeführt werde, einen ungerechtfertigten Vorteil erhalten (RGZ 147, 252). Auch dem ist jedoch nicht zu folgen. In allen anderen Fällen steht dem wegen eines Schadensersatzanspruchs vollstreckenden Gläubiger ein etwaiger Befreiungsanspruch seines Schuldners als Vollstreckungsgegenstand im Schuldnervermögen zur Verfügung. Für ihn ist es daher im Vergleich zu den Regelfällen kein „Vorteil“, wenn das bei dem vermögenslosen Schuldner ebenso ist. Gegenüber anderen Gläubigern wird er nicht ungerechtfertigt bevorzugt, weil ihnen ein Schuldbefreiungsanspruch ohnehin als Vollstreckungsobjekt nicht dienen kann (§ 399 BGB, § 851 ZPO). Schließlich gibt es keinen Grund, den für den Schaden letzten Endes verantwortlichen Dritten je nach der Vermögenslage des Schuldners unterschiedlich zu behandeln. Hat der Dritte für den Schaden einzustehen, wenn der Schuldner Vermögen hat, dann ist nicht einzusehen, warum er bei gleichem pflichtwidrigem Handeln aus der Vermögenslosigkeit des Schuldners Nutzen ziehen und in diesem Falle haftungsfrei sein soll. Auf die jeweilige Vermögenslage des Schuldners kommt es nach alledem für die Frage nicht an, ob dieser durch die Belastung mit einer Verbindlichkeit einen Schaden erlitten und gegen einen Dritten einen – von seinem Gläubiger pfändbaren – Anspruch auf Befreiung hiervon erworben hat.

2. Der sich auf die Haftung des Beklagten nach § 27 Abs. 3 BGB stützende Anspruch der Klägerin hängt danach insbesondere davon ab, ob die von ihr erhobenen Vorwürfe, nach denen der Beklagte für den Verlust der Filme verantwortlich gewesen sein soll, berechtigt sind. Da dies bisher noch nicht geprüft worden ist, muß das angefochtene Urteil auf die Revision hin aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

Stimpel                                                      Liesecke                                        Dr. Schulze
.                               Dr. Bauer                                            Dr. Tidow

Vorinstsnzen:
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 08.06.1971
LG Düsseldorf

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3 Antworten zu BGH urteilt zu der Belastung mit einer Zahlungsverpflichtung als Schaden mit Urteil vom 29.6.1972 – II ZR 123/71 -.

  1. RA. Niederrhein sagt:

    Dieses Urteil zeigt, dass zumindest seit 1972 feststeht, dass auch die Belastung mit einer Verbindlichkeit ein Schaden ist. Sinn und Zweck des Schadensersatzrechtes, insbesondere des § 249 BGB ist es, bei vollständiger Haftung des Schuldners dem Gläubiger möglichst vollständigen Schadensersatz zu gewähren. Damit sind nicht nur bezahlte Beträge zu erstatten, sondern auch die sich aus der Belastung mit einer Verbindlichkeit ergebenden (Saldo-) Beträge.

    Dass der VI. Zivilsenat diese Gesichtspunkte – rechtsirrig, wie ich meine – außer Acht läßt, ist schon bedenklich und läßt kein gutes Licht auf den VI. Zivilsenat leuchten. So langsam wird die Rechtsprechung des VI. Zivilsenates fragwürdig.

  2. HR sagt:

    @ RA. Niederrhein
    Warum so ein „gebremster“ Kommentar? Warum ein „möglichst vollständiger“ Schadenausgleich? Nein, ein vollständiger Schadenausgleich wäre nach dem Gesetz eindeutig und unmissverständlich zutreffender.
    „So langsam wird die Rechtsprechung des VI. Zivilsenates fragwürdig?“
    Keineswegs „so langsam“, sondern mit auffällig schneller Abfolge.
    Trotzdem ein willkommener Beitrag, der auch das Bundesjustizministerium wachrütteln sollte. Danke.-
    HR

  3. RA. Niederrhein sagt:

    @ HR

    Der Wortlaut, dass „dem Geschädigten bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommen soll“, stammt nicht von mir, sondern vom BGH in seinem Urteil vom 11.2.2014 – VI ZR 225/13 – Rn. 7 (unter Hinweis auf Steffen NZV 1991, 1,2; derselbe NJW 1995, 2057, 262).

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