Der XI. Zivilsenat des BGH entscheidet zum § 287 ZPO – Beweiserleichterung für den Kläger – mit Urteil vom 19.3.2002 – XI ZR 183/01 -.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,

wieder einmal hat die Redaktion dieses Blogs keine Mühen und Zeitaufwand gescheut, um der geneigten Leserschaft nunmehr auch das Urteil des XI. Zivilsenates des BGH zu § 287 ZPO vorzustellen. Seitens des VI. Zivilsenates des BGH, der insbesondere für Schadensersatz aus Verkehrsunfällen zuständig ist, wird immer betont, dass der Tatrichter im Rahmen des § 287 ZPO besonders freigestellt sei. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte bereits zur Stellung des § 287 ZPO entschieden. Das Urteil des BVerfG hatten wir am 17.3.2016 hier im Blog veröffentlicht. Im Nachgang zu dieser Entscheidung des BVerfG veröffentlichen wir heute das Urteil des XI. Zivilsenates des BGH zum Thema des § 287 ZPO. Entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG ist der § 287 ZPO nicht zu Lasten des Geschädigten anzuwenden. Nimmt man es deshalb genau, so sind die Entscheidungen zu den Kürzungen zu den Mietwagenkosten gem. § 287 ZPO auf der Basis von Fraunhofer oder Fracke rechtswidrig. Das Gleiche gilt für die Kürzungen bei den Sachverständigenkosten, bei der fiktiven Schadensabrechnung  und so weiter …. Die Gerichte haben den § 287 ZPO zu Gunsten des Geschädigten anzuwenden und nicht umgekehrt, wie vielfach heute praktiziert. Demzufolge sind auch OLG-Entscheidungen, wie z.B. in München oder in Köln, völlig rechtswidrig. Der Tatrichter ist demnach doch nicht so freigestellt, wie es vielleicht Herr Bundesrichter Wellner vom VI. Zivilsenat des BGH gerne hätte? Vielmehr sollte der besonders freigestellte Tatrichter zu Gunsten des Geschädigten die Schadenshöhe, wie es im § 287 ZPO steht, schätzen, wenn keine andere Möglichkeit zur Schadenshöhenfeststellung besteht. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel die Indizwirkung der Rechnungshöhe. Auf keinen Fall kann das Gericht über § 287 ZPO einzelne Posizionen einer Rechnung im Rahmen des § 287 ZPO schätzen, wie es zum Beispiel die 13 S -Berufungskammer des LG Saarbrücken (rechtswidrig) macht. Aber der VI. Zivilsenat wird in dem laufenden Revisionsverfahren, in dem jetzt im April 2016 eine mündliche Verhandlung ansteht, Gelegenheit haben, nunmehr auch zu dieser Frage höchstrichterlich Stellung zu nehmen. Lest selbst das Urteil des BGH und gebt dann – hoffentlich vielzählig – Eure Kommentare ab. 

Viele Grüße
Willi Wacker

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

VERSÄUMNISURTEIL

XI ZR 183/01                                                                                         Verkündet am:
.                                                                                                            19. März 2002

in dem Rechtsstreit

Der Beweisantritt zu einer Haupttatsache darf nicht aufgrund der Würdigung von Indiztatsachen übergangen werden.

BGH, Versäumnis-Urteil vom 19. März 2002 – XI ZR 183/01 – OLG Düsseldorf
.                                                                                               LG Düsseldorf

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 19. März 2002 durch den Vorsitzenden Richter Nobbe, die Richter Dr. Siol, Dr. Bungeroth, Dr. Joeres und die Richterin Mayen

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 26. April 2001 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 16. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung eines Aktiengeschäfts in Anspruch. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Im Juni 1999 orderte der Rechtsanwalt Dr. B., der seine Ansprüche gegen die Beklagte inzwischen an die Klägerin abgetreten hat (im folgenden: Zedent), bei der Beklagten insgesamt 30.000 frei handelbare Inhaberaktien der amerikanischen S. Inc. zum Stückpreis von 4,02 DM. Nach Zahlung des Gesamtbetrages von 120.600 DM erhielt er eine auf ihn ausgestellte Urkunde über 30.000 Namensaktien aus einer nur beschränkt handelbaren Regulation-S-Emission des genannten Unternehmens. Daraus entwickelte sich ein Schriftwechsel, in dem der Zedent der Beklagten Täuschung beim Abschluß der Verträge vorwarf und Schadensersatzforderungen ankündigte.

Im August 1999 räumte die Beklagte ein, daß die Lieferung der Regulation-S-Aktien auf einem Fehler beruhte, und erklärte sich bereit, dem Zedenten im Austausch gegen die genannte Urkunde 30.000 frei handelbare S.-Aktien zur Verfügung zu stellen. Darauf reichte der Ze-dent die Urkunde an die Beklagte zurück. Diese nahm jedoch ein erneutes Schreiben des Klägers mit schweren Vorwürfen gegen sie zum Anlaß, die verabredete Lieferung der 30.000 frei handelbaren Aktien zu verweigern, und zahlte dem Zedenten den Kaufpreis von 120.600 DM zuzüglich 773,16 DM Zinsen zurück. Der Zedent setzte der Beklagten eine Nachfrist bis zum 26. August 1999, 14 Uhr, für die Lieferung der Aktien, die die Beklagte jedoch verstreichen ließ.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten 79.231,44 DM nebst Zinsen. Diese Forderung stützt sie in erster Linie – unter Anrechnung des an den Zedenten zurückgeflossenen Kaufpreises nebst Zinsen – auf die Behauptung, daß der Zedent am 26. August 1999 und in den folgenden zweieinhalb Wochen insgesamt 200.604,60 DM hätte aufwenden müssen, wenn er die von der Beklagten geschuldeten Aktien anderweitig erworben hätte. Hilfsweise macht die Klägerin ihre Forderung als entgangenen Gewinn geltend und behauptet, der Zedent habe die Aktien wegen des zwischenzeitlichen Kursanstiegs schnellstmöglich verkaufen wollen und hätte dabei im Falle ordnungsgemäßer Vertragserfüllung durch die Beklagte den oben genannten Betrag realisieren können.

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Da die Beklagte in der mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Ladung zum Termin nicht vertreten war, war über die Revision der Klägerin durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil ist jedoch keine Folge der Säumnis, sondern beruht auf einer Sachprüfung (vgl. BGHZ 37, 79, 81).

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Die Beklagte habe zwar mit der Verweigerung der Lieferung der Inhaberaktien gegen ihre Vertragspflichten verstoßen, weil etwaige unberechtigte Vorwürfe und unbegründete Forderungen des Zedenten ihr kein Recht verschafft hätten, sich einseitig von den getroffenen Vereinbarungen zu lösen. Gleichwohl bestehe kein Schadensersatzanspruch, weil die Klägerin einen ersatzfähigen Schaden nicht dargetan habe.

Die von der Klägerin in erster Linie vertretene Schadensberechnung auf der Grundlage eines hypothetischen Deckungskaufs sei bereits im Ansatz verfehlt. Die Klägerin könne den Schaden nur konkret berechnen und lediglich die tatsächlich erlittenen Vermögenseinbußen liquidieren. Die Kosten eines Deckungskaufs seien daher nur dann maßgeblich, wenn er tatsächlich durchgeführt worden sei.
Dem hilfsweise geltend gemachten entgangenen Gewinn liege zwar eine konkrete Schadensberechnung zugrunde. Die Darstellung der Klägerin, der Zedent habe die Aktien schnellstmöglich veräußern wollen und hätte dabei im Zeitraum vom 26. August bis 13. September 1999 einen Überschuß in Höhe der Klageforderung erzielt, werde jedoch durch das vorgerichtliche Verhalten des Zedenten und das eigene Vorgehen der Klägerin im Rechtsstreit widerlegt. Ihren Beweisantritten zu der nicht nachvollziehbaren, unschlüssigen und bereits widerlegten Behauptung einer alsbaldigen Aktienveräußerung sei daher nicht nachzugehen.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung im entscheidenden Punkt nicht stand.

1. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß die Beklagte mit ihrer Weigerung, die Inhaberaktien zu liefern, ihre Vertragspflichten gegenüber dem Zedenten verletzt hat (§ 326 Abs. 1 BGB a.F.). Sollten die Vorwürfe und Forderungen, die der Zedent gegenüber der Beklagten erhoben hatte, unberechtigt und unbegründet gewesen sein, so stand es der Beklagten frei, sie zurückzuweisen. Ein Recht der Beklagten zur einseitigen Lösung von den seitens des Zedenten bereits voll erfüllten Vereinbarungen konnten diese Vorgänge jedoch nicht begründen, weil ein Kauf- oder Vermittlungsvertrag über Aktien kein besonderes Vertrauensverhältnis voraussetzt, dessen Erschütterung die Durchführung des Geschäfts unzumutbar erscheinen lassen könnte.

2.  Dem Berufungsgericht ist auch insoweit zuzustimmen, als es eine Schadensermittlung auf der Grundlage eines für Ende August/Anfang September 1999 fingierten Deckungskaufs abgelehnt hat. Da ein solcher Deckungskauf unstreitig nicht durchgeführt wurde, sind dem Zedenten die geltend gemachten Aufwendungen nicht entstanden. Sie können daher nicht als Schadensersatz geltend gemacht werden.

3.  Die Begründung, mit der das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch auf entgangenen Gewinn verneint hat, ist dagegen, wie die Revision mit Recht rügt, von Rechtsfehlern beeinflußt. Das Gericht hätte der Klägerin diesen Anspruch nicht versagen dürfen, ohne den angebotenen Zeugenbeweis für die Absicht des Zedenten, die fraglichen Aktien im Falle ihrer Lieferung durch die Beklagte schnellstmöglich zu verkaufen, erhoben und gewürdigt zu haben.

a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin vorgetragen, der Zedent habe die von der Beklagten zu Unrecht nicht gelieferten Aktien schnellstmöglich veräußern wollen und hätte dabei im Zeitraum vom 26. August bis 13. September 1999 einen Überschuß in Höhe der Klageforderung erzielt. Dieser Vortrag ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts schlüssig, weil er, wenn er der Wahrheit entspricht, geeignet ist, den geltend gemachten Schadensersatzanspruch zu begründen. Davon, daß die Behauptung der Klägerin über die Veräußerungsabsicht des Zedenten, wie das Berufungsgericht meint, nicht nachvollziehbar wäre, kann keine Rede sein.

b) Die Indizien gegen eine Absicht des Zedenten zur kurzfristigen Aktienveräußerung, die das Berufungsgericht dem vorprozessualen Verhalten des Zedenten sowie dem Prozeßvortrag der Klägerin entnehmen zu können glaubt, stehen dem nicht entgegen.

In diesem Zusammenhang bedarf es keiner ins einzelne gehenden Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Berufungsgerichts zum vorprozessualen Verhalten des Zedenten. Diese Ausführungen können allenfalls Zweifel am Wahrheitsgehalt der Behauptung der Klägerin über die Verkaufsabsicht des Zedenten begründen, nicht dagegen die Schlüssigkeit der Behauptung oder ihre Nachvollziehbarkeit in Frage stellen. Der Senat beschränkt sich daher auf den Hinweis, daß das Schreiben des Zedenten vom 24. August 1999, in dem er ausdrücklich die Lieferung der Inhaberaktien und nur alternativ deren aktuellen Kurswert verlangt hat, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht gegen die Absicht des Zedenten spricht, die Aktien im Falle der Lieferung sogleich wieder zu veräußern. Der Inhalt des Schreibens erklärt sich vielmehr zwanglos aus dem Umstand, daß der vertragliche Anspruch des Zedenten auf Aktienlieferung gerichtet war und eine Geldzahlung daher nur als der Gegenseite zur Wahl zu stellende Alternative in Betracht kam.

Auch der Prozeßvortrag der Klägerin macht ihre Behauptung über die Absicht des Zedenten zur alsbaldigen Veräußerung der Aktien im Falle der Lieferung durch die Beklagte entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts weder unschlüssig noch nicht nachvollziehbar. Daß die Klägerin ihren Schadensersatzanspruch in erster Linie auf einen hypothetischen Deckungskauf gestützt hat, von dem sie jedoch nicht behauptet hat, daß er tatsächlich beabsichtigt gewesen sei, läßt nur auf eine unrichtige Rechtsansicht schließen, enthält aber keinen Widerspruch zu ihrer Tatsachenbehauptung über die Veräußerungsabsicht des Zedenten. Der Vortrag der Klägerin über die mittel- und langfristigen Erwartungen, die der Zedent mit dem Kauf der streitgegenständlichen Aktien ursprünglich verknüpft haben soll, steht nicht in unüberbrückbarem Widerspruch zu der für einen späteren Zeitpunkt behaupteten kurzfristigen Verkaufsabsicht, weil es nicht ungewöhnlich ist, daß Anleger längerfristig geplante Aktienengagements später unter dem Eindruck aktueller Kurssteigerungen kurzfristig mit Gewinn beenden. Schließlich entnimmt das Berufungsgericht den wiederholten Behauptungen der Klägerin darüber, zu welchen Konditionen der Zedent die Aktien zum fraglichen Zeitpunkt hätte „verkaufen können“, zu Unrecht einen Hinweis darauf, daß es an einer tatsächlichen Verkaufsabsicht gefehlt habe. Da ein Verkauf der von der Beklagten nicht gelieferten Aktien nicht stattgefunden hat, konnte die Klägerin von vornherein nur dazu vortragen, was der Zedent im Falle vertragstreuen Verhaltens der Beklagten hätte tun können.

c) Der Umstand, daß das Berufungsgericht die Behauptung der Klägerin über die Absicht des Zedenten zur alsbaldigen Aktienveräußerung als „bereits widerlegt“ angesehen hat, vermag die Nichterhebung der angebotenen Beweise ebenfalls nicht zu rechtfertigen.

Es spricht viel dafür, daß die genannte Ansicht des Berufungsgerichts aus den gleichen – oben dargelegten – Gründen, aus denen seine Einschätzung des Vortrags der Klägerin als unschlüssig und nicht nachvollziehbar sich als unzutreffend erweist, auf denkfehlerhaften Erwägungen beruht und schon deshalb den Angriffen der Revision nicht standhält. Darauf kommt es jedoch nicht entscheidend an; denn auf keinen Fall durfte das Berufungsgericht die Erhebung der von der Klägerin für ihre Behauptung angetretenen Beweise mit der Begründung ablehnen, das Gegenteil sei bereits erwiesen. Die Ablehnung einer Beweisaufnahme mit dieser Begründung ist eine verbotene vorweggenommene Würdigung des nicht erhobenen Beweises (BGHZ 53, 245, 260 m.w.Nachw.).

Daran ändert es nichts, daß die Frage der Veräußerungsabsicht des Zedenten den Ursachenzusammenhang zwischen der Verletzung von Vertragspflichten der Beklagten und dem Eintritt eines daraus möglicherweise entstandenen Schadens und damit die sogenannte haftungsausfüllende Kausalität betrifft. Für deren Nachweis gilt zwar § 287 ZPO, der den Tatrichter freier stellt als die Regelvorschrift des § 286 ZPO (BGH, Urteil vom 30. März 2000 – IX ZR 53/99, WM 2000, 1351, 1352 m.w.Nachw.) und damit auch § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO, der die Bindung des Richters an Beweisanträge lockert und die Durchführung einer beantragten Beweisaufnahme grundsätzlich in sein Ermessen stellt. Es würde jedoch dem Sinn und Zweck des § 287 ZPO, der dem von einer rechtswidrigen Handlung Betroffenen die Darlegung und den Nachweis seines Schadens erleichtern soll (BGH, Urteile vom 23. Oktober 1991 – XII ZR 144/90, WM 1992, 36, 37; vom 2. Juli 1992 – IX ZR 256/91, WM 1992, 2020, 2022; vom 5. November 1992 – IX ZR 12/92, WM 1993, 382; vom 28. September 1995 – IX ZR 158/94, WM 1995, 2075, 2079; vom 30. März 2000 – IX ZR 53/99, WM 2000, 1351, 1352) zuwiderlaufen, wenn die Vorschrift dazu dienen könnte, dem Betroffenen einen Nachweis seines Schadens abzuschneiden, der ihm nach allgemeinen Regeln offenstünde.

III.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a.F.) und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F.). Dabei hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO a.F. Gebrauch gemacht.

Nobbe                                              Siol                                               Bungeroth
.                           Joeres                                           Mayen

Siehe auch:

CH-Beitrag vom 06.11.2014

CH Beitrag vom 17.08.2014

Urteilsliste “§ 287 ZPO – Beweiserleichterung” zum Download >>>>>

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4 Antworten zu Der XI. Zivilsenat des BGH entscheidet zum § 287 ZPO – Beweiserleichterung für den Kläger – mit Urteil vom 19.3.2002 – XI ZR 183/01 -.

  1. Karle sagt:

    „Nimmt man es deshalb genau, so sind die Entscheidungen zu den Kürzungen zu den Mietwagenkosten gem. § 287 ZPO auf der Basis von Fraunhofer oder Fracke rechtswidrig. Das Gleiche gilt für die Kürzungen bei den Sachverständigenkosten, bei der fiktiven Schadensabrechnung und so weiter ….“

    Genau so ist es!!

    Nachdem der BGH die Schwackeliste als SCHÄTZUNGSGRUNDLAGE zugelassen hat, ist jede KÜRZUNG auf Werte unterhalb der Schwackeliste UNZULÄSSIG. In keinem der BGH-Urteile zu den Mietwagenkosten steht, dass das Tatgericht berechtigt sei, die Mietwagenkosten auf Grundlage von Fracke oder Fraunhofer zu KÜRZEN. Das alles haben sich die Instanzrichter, unter tatkräftiger Beihilfe der Versicherer, zusammen gereimt.

    Aber auch höhere Kosten als Schwacke können erforderlich sein. Woher sollte der Geschädigte wissen, dass die obere Messlatte Schwacke sein soll? Muss ein Geschädigter, der vielleicht einmal in 10 oder 20 Jahren einen Unfall hat, die gesamte BGH-Rechtsprechung zum Schadensersatzrecht kennen? Und selbst wenn, ist ein Nichtjurist überhaupt in der Lage, die juristischen Feinheiten zu verstehen? Ich glaube kaum! Dazu sind ja oftmals nicht einmal Richter und ein Großteil der Rechtsanwälte in der Lage, wie sich immer wieder zeigt. Außerdem handelt es sich bei den Werten der Schackeliste ja auch nur um einen Mittelwert zusammengetragener Mietwagentarife. Darin enthalten sind demnach auch höhere und niedrigere Mietwagenkosten, je nach Betriebskalkulation des jeweiligen Unternehmens. Schwacke ist somit auch nur der Mittelwert einer Bandbreite mit Abweichungen nach unten oder oben.

    Letztendlich gilt der Grundsatz, dass die Mietwagenkosten vollständig zu ersetzen sind, sofern der Geschädigte eine mögliche Überhöhung nicht erkennen konnte. Die ex-ante Sichtweite des Geschädigten ist die Messlatte und nicht die ex-post Willküransicht des Gerichts.

    Und schon gar nicht irgend eine Liste, die von der Versicherungswirtschaft zielgerichtet bestellt und bezahlt wurde.

    Es ist einfach unerträglich, wie den Geschädigten, unter dem Deckmantel des § 287 ZPO, permanent rechtmäßig zustehender Schadensersatz abgeschnitten wird, obwohl der § 287 ZPO ZUGUNSTEN DES GESCHÄDIGTEN angewendet werden muss. Und das nicht nur bei den Mietwagenkosten, sondern bei allen Schadenspositionen.

    Sobald der Geschädigte eine Rechnung vorlegt, die FÜR DEN LAIEN ERKENNBAR nicht überhöht ist, dann hat er seine Nachweispflicht erfüllt. Jegliches Herummäkeln des Gerichts an der Rechnung oder gar Kürzung von Einzelpositionen IM SCHADENSERSATZPROZESS ist UNZULÄSSIG !!!

    Siehe auch Kommentar vom 05.04.2016

  2. D.M. sagt:

    Hallo, Willi Wacker,

    Du warst schneller in Deiner Kommentierung, was die Anwendung des § 287 ZPO betrifft, so dass ich auf eine damit übereinstimmende Kommentierung meinerseits verzichten kann, gern aber das von Dir schon Geschriebene noch einmal als überdenkenswert wie folgt wiederhole:

    „Seitens des VI. Zivilsenates des BGH, der insbesondere für Schadensersatz aus Verkehrsunfällen zuständig ist, wird immer betont, dass der Tatrichter im Rahmen des § 287 ZPO besonders freigestellt sei. Das ist aber nur die halbe Wahrheit.

    Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte bereits zur Stellung des § 287 ZPO entschieden. Das Urteil des BVerfG hatten wir am 17.3.2016 hier im Blog veröffentlicht. Im Nachgang zu dieser Entscheidung des BVerfG veröffentlichen wir heute das Urteil des XI. Zivilsenates des BGH zum Thema des § 287 ZPO.

    Entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG ist der § 287 ZPO nicht zu Lasten des Geschädigten anzuwenden. Nimmt man es deshalb genau, so sind die Entscheidungen zu den Kürzungen zu den Mietwagenkosten gem. § 287 ZPO auf der Basis von Fraunhofer oder Fracke rechtswidrig. Das Gleiche gilt für die Kürzungen bei den Sachverständigenkosten, bei der fiktiven Schadensabrechnung und so weiter ….
    Die Gerichte haben den § 287 ZPO zu Gunsten des Geschädigten anzuwenden und nicht umgekehrt, wie vielfach heute praktiziert. Demzufolge sind auch OLG-Entscheidungen, wie z.B. in München oder in Köln, völlig rechtswidrig.

    Der Tatrichter ist demnach doch nicht so freigestellt, wie es vielleicht Herr Bundesrichter Wellner vom VI. Zivilsenat des BGH gerne hätte? Vielmehr sollte der besonders freigestellte Tatrichter zu Gunsten des Geschädigten die Schadenshöhe, wie es im § 287 ZPO steht, schätzen, wenn keine andere Möglichkeit zur Schadenshöhenfeststellung besteht. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel die Indizwirkung der Rechnungshöhe.

    Auf keinen Fall kann das Gericht über § 287 ZPO einzelne Positionen einer Rechnung im Rahmen des § 287 ZPO schätzen, wie es zum Beispiel die 13 S -Berufungskammer des LG Saarbrücken (rechtswidrig) macht.“

    Mit freundlichen Grüßen
    D.M.

  3. kritischer BGH-Urteilsleser sagt:

    Man muss wieder auf den Grundgedanken des Schadensersatzrechtes zurückkommen. Danach soll nämlich der Geschädigte so gestellt werden, als ob das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Mithin ist dem Geschädigten – bei voller Haftung des Schuldners – vollständiger Ersatz seines Schadens zu leisten. Das bedeutet, dass der Schuldner des Schadensersatzanspruchs, nämlich der Schädiger, das zur Wiederherstellung Erforderliche zu leisten hat. Was erforderlich ist, ist aus der Ex-ante-Sicht des Geschädigten zu bestimmen. Wahrt der Geschädigte den Rahmen des zur Wiederherstellung Erforderlichen, so sind weder Schädiger noch das Gericht im Schadensersatzprozess berechtigt, eine Kontrolle der Preise durchzuführen (BGH VersR 2004, 1189, 1190 f.; BGH NJW 2007, 1450 ff = DS 2007, 144). Wenn der Schädiger der Ansicht ist, die angegebenen Preise seien überhöht, so bleibt ihm der Weg des Vorteilsausgleichs. Er ist also nicht rechtlos, wenn er zunächst den geltend gemachten und durch Urkunden (Rechnung oder Gutachten) belegten – die Darlegungs- und Beweislast liegt insofern bei dem Geschädigten – Schadensersatzbetrag leistet (vgl. Imhof/Wortmann DS 2011, 149 ff; vgl. hierzu auch bei angeblich überhöhter Rechnung der Werkstatt BGHZ 63, 182).

    Wenn so vorgegangen wird, erübrigt sich in den meisten Fällen eine Schadenshöhenschätzung durch das Gericht. Im Übrigen ist § 287 ZPO eine Darlegungserleichterungsnorm zugunsten des Geschädigten. Insoweit ist – entgegen der Ansicht des BGH-Richters Wellner – der Tatrichter nicht ganz so freigestellt, wie es häifig in den letzten Enrtscheidungen des VI. Zivilsenates des BGH hervortritt. Eine Schadenshöhenschätzung ist nur dann vorzunehmen, wenn andere Beweismöglichkeiten ausscheiden oder aus prozessökonomischen Gründen, wie kostspieliges und langwieriges Beweisverfahren durch schriftliche Gutachten, Ortstermine, Vernehmung ausländischer Zeugen etc., von der Durchführung von Beweisaufnahmen abgesehen werden soll.
    Dann soll und kann der Tatrichter den vom Kläger geltend gemachten und schlüssig dargelegten Schadensbetrag schätzen können, wenn ihm entsprechende Sachkenntnis zur Seite steht.

    Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze scheint das Schadensersatzrecht vor Gerichten zur Zeit – aufgrund der in die falsche Richtung laufenden Rechtsprechung – nicht mehr mit Recht und Gesetz , insbesondere §§ 249 ff, 278 ZPO, vereinbar. Das ist ein Armutszeugnis für die deutsche Justiz.

  4. Samuel L. sagt:

    Preisvorgaben, z.B. wie nach der BVSK-Honorarbefragung 2015 im NEBENKOSTENBEREICH, gehen einher mit einer den Verfassern bewussten aktiven Behinderung in der Berufsausübung und blockieren somit auch die Verpflichtung zur unabhängigen und qualifizierten Gutachtenerstattung.
    Sie fördern u.a. gerade nicht den erwünschten Leistungswettbewerb, sondern einen pervertierten Preisunterbietungswettbewerb mit der offensichtlichen Zielsetzung, den BVSK-Mitgliedern hierdurch am Markt Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.
    Samuel L.

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