I. Zivilsenat des BGH sieht mit Revisionsurteil vom 16.11.2006 – I ZR 257/03 – in der Belastung mit einer Verbindlichkeit einen auszugleichenden Schaden.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,

in unserem letzten Beitrag von heute Morgen hatten wir ein BGH-Urteil zu der Belastung mit einer Zahlungsverpflichtung zitiert, das wir Euch bisher noch nicht vorgestellt hatten. Deshalb erfolgt heute Nachmittag die Nachholung. Lest selbst das BGH-Urteil vom 16.11.2006 und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.

Viele Grüße und noch ein schönes Wochende (möglichst ohne Schnee auf den Straßen!)
Willi Wacker

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

I ZR 257/03                                                                         Verkündet am: 16. November 2006

in dem Rechtsstreit

Ein Schadensersatzanspruch auf Befreiung von einer Verbindlichkeit setzt voraus, dass der Anspruchsteller tatsächlich mit dieser Verbindlichkeit beschwert ist. Solange der Anspruchsteller die Forderung, von der er Befreiung verlangt, selbst mit einem Rechtsbehelf bekämpft, hat er kein berechtigtes Interesse daran, von seinem Schuldner bereits Zahlung zu verlangen. In einem solchen Fall ist grundsätzlich die Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht der richtige Weg.

BGH, Urt. v. 16. November 2006 – I ZR 257/03 – OLG Stuttgart
.                                                                                 LG Stuttgart

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 16. November 2006 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Pokrant, Dr. Schaffert und Gröning

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 19. November 2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin, die einen Verlag betreibt, nimmt das beklagte Paketdienstunternehmen auf Freistellung von Schadensersatzansprüchen in Anspruch, die der Berufsfotograf Andreas S. wegen des Verlustes von 351 Diapositiven gegen sie geltend macht.

Die Klägerin steht mit der Beklagten in laufender Geschäftsbeziehung.
Die Parteien haben am 13. Juli 2001 eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen. Nach § 1 Abs. 3 dieser Vereinbarung liegen den Vertragsverhältnissen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten zugrunde. Diese enthalten u.a. folgende Regelungen:

3. Beförderungsausschluss

3.1 Von der speditionellen Behandlung im Paketdienst sind ausgeschlossen:

3.1.2 Güter von besonderem Wert, insbesondere Edelmetalle, echter Schmuck, Edelsteine, echte Perlen, Antiquitäten, Kunstgegenstände;

3.1.5   sonstige Güter, sofern sie einen höheren Wert als 13.000 € besitzen.

3.3      D. ist berechtigt, die Übernahme oder Weiterbeförderung zu verweigern, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass das Paket von der speditionellen Behandlung gemäß Ziffer 3.1 ausgeschlossen ist.

3.4      Die Übernahme von gemäß Ziffer 3.1 ausgeschlossenen Gütern stellt keinen Verzicht auf den Beförderungsausschluss dar.

4. Leistungsumfang

4.1      Die speditionelle Leistung umfasst:

4.1.2   Bei Nichtantreffen einen zweiten und falls notwendig einen dritten Zustellungsversuch.

4.1.3   Die Aushändigung an den Empfänger oder eine andere erwachsene Person, die unter der Zustelladresse angetroffen wird und die Sendung entgegennimmt, wobei keine Verpflichtung besteht, eine Empfangsberechtigung zu überprüfen.

6. Haftung

6.1      Auftragnehmer haftet für Schäden, die zwischen der Übernahme und der Ablieferung des Paketes eingetreten sind, bei speditioneller Behandlung nach Maßgabe der ADSp – neueste Fassung;

6.2      Die Haftung für Verlust oder Beschädigung von Paketen ist neben den gesetzlich geregelten Fällen ausgeschlossen, wenn deren Beförderung gemäß Ziffer 3.1 ausgeschlossen ist.

Die Klägerin übergab der Beklagten am 13. März 2002 vier Pakete zur Beförderung zu dem in München wohnhaften Fotografen S. Dieser hatte der Klägerin im Mai 2001 insgesamt 383 Diapositive zur Auswahl für geplante Vogelbücher zur Verfügung gestellt. Nach dem Vortrag der Klägerin befanden sich in den vier der Beklagten übergebenen Paketen 351 Dias, die nicht für eine Veröffentlichung ausgewählt worden waren. Die Klägerin hat behauptet, die von ihr versandten Diapositive hätten den Fotografen S. nicht erreicht. Diesem sei dadurch ein Schaden in Höhe von 175.500 € (500 € je Diapositiv) entstanden. Der Fotograf S. hat diesen Betrag mit einem Mahnbescheid gegenüber der Klägerin geltend gemacht, die dagegen Widerspruch eingelegt hat.

Die Klägerin hat behauptet, der Auslieferungsfahrer habe die Sendung unterschlagen oder entsorgt und durch Fälschung der Empfangsquittung die Ablieferung der Pakete vorgespiegelt. Für diese vorsätzliche Pflichtverletzung ihres Erfüllungsgehilfen müsse die Beklagte einstehen. Da sie, die Klägerin, gegenüber dem Fotografen S. für den Verlust der Diapositive hafte, habe die Beklagte sie von dieser Verpflichtung freizustellen. Wegen der vorsätzlichen Pflichtverletzung des Auslieferungsfahrers erstrecke sich die Haftung der Beklagten auf den vollen Schaden. Die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten enthaltenen Beförderungs- und Haftungsausschlüsse stünden einer Inanspruchnahme der Beklagten nicht entgegen, weil insbesondere die in Ziffer 3.1.5 vorgesehene Wertgrenze von 13.000 € pro Paket nicht erreicht sei.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von allen Ansprüchen des Herrn Andreas S. (es folgt die genaue Anschrift) freizustellen, die dieser wegen des Verlustes der mit den Paketen Nr. 17154821341, Nr. 17154821342, Nr. 17154821343 und Nr. 17154821344 vom 14. März 2002 verschickten 351 Dias gegen die Klägerin geltend macht.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat den Inhalt der Pakete bestritten. Ferner hat sie behauptet, der Auslieferungsfahrer habe die Pakete an einen zur Entgegennahme bereiten Nachbarn des Adressaten S. übergeben, der die Pakete anschließend vor die Haustür des Empfängers gestellt habe. Das Anwesen befinde sich in einer ruhigen, überschaubaren, gut bürgerlichen Wohngegend und sei mit einem Tor versehen. Bei dieser Sachlage habe sich der Auslieferungsfahrer nicht leichtfertig i.S. von § 435 HGB verhalten.

Die von dem Fotografen S. geltend gemachte Schadensersatzforderung sei zudem weit überhöht. Die Klägerin zahle – ebenso wie andere Verlage – für die Veröffentlichung eines Bildes lediglich ein Honorar von 31 €. Falls die Wertangaben des Fotografen S. zutreffen sollten, stünden einer Haftung die in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen Beförderungs- und Haftungsausschlüsse entgegen. Zumindest sei ein Mitverschulden der Klägerin wegen unterlassener Wertdeklaration gegeben, das zu einem vollständigen Haftungsausschluss führe.

Das Landgericht hat der Klage mit der Maßgabe stattgegeben, dass sich die Freistellungsverpflichtung der Beklagten nur auf Ansprüche erstreckt, die der Fotograf S. berechtigterweise gegen die Klägerin geltend macht. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben (OLG Stuttgart NJW-RR 2004, 610).

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat das von der Klägerin geltend gemachte Freistellungsbegehren in dem vom Landgericht zuerkannten Umfang für begründet erachtet. Dazu hat es ausgeführt:

Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin der Beklagten am 13. März 2002 vier Pakete mit insgesamt 351 Diapositiven ohne Wertangabe übergeben habe. Der von dem Empfänger der Sendung behauptete Wert der Diapositive sei der Klägerin nicht bekannt gewesen. Die Ablieferung der Pakete habe der Auslieferungsfahrer selbst in der vom Empfänger zu unterzeichnenden Empfangsbestätigung mit unleserlicher Unterschrift quittiert. Eine Person, die die Pakete entgegengenommen habe, sei nicht aufzufinden.

Ein Feststellungsinteresse für das von der Klägerin geltend gemachte Freistellungsbegehren sei gegeben.

Der Anspruch der Klägerin sei auch begründet. Die Parteien hätten – zumindest konkludent – einen Frachtvertrag i.S. von § 407 HGB abgeschlossen. Die Beklagte habe den Transport der ihr übergebenen Pakete übernommen, hierfür Beförderungsentgelt erhalten und das Transportgut ihren eigenen Angaben zufolge an eine – wenn auch nicht feststellbare – Person ausgeliefert. Die Klauseln in Ziffer 3.1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten stünden der Annahme eines Vertragsschlusses nicht entgegen. Die Beklagte hafte nach § 425 HGB für den Verlust der Diapositive, weil davon auszugehen sei, dass die Sendung den Adressaten S. nicht erreicht habe. Sie habe für den Verlust der Sendung in vollem Umfang ohne Haftungsbegrenzung einzustehen. Denn der Auslieferungsfahrer, dessen Verhalten sich die Beklagte zurechnen lassen müsse, habe die ihm obliegenden Pflichten vorsätzlich nach § 435 HGB verletzt und dadurch den Verlust herbeigeführt. Auf die in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen Beförderungs- und Haftungsausschlüsse könne sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen, weil diese wegen Verstoßes gegen § 449 Abs. 2 i.V. mit § 449 Abs. 1 HGB unwirksam seien.

Ein Mitverschulden der Klägerin wegen der unterlassenen Angabe des Wertes der Sendung sei nicht gegeben. Dies treffe auch dann zu, wenn der von dem Fotografen S. geltend gemachte Schaden der Höhe nach richtig wäre. Es stehe fest, dass die Klägerin den nunmehr behaupteten Wert der Diapositive nicht gekannt habe. Sie habe auch keine Veranlassung gehabt, sich über deren Wert kundig zu machen, da sie die Diapositive auf dem Postweg von dem Fotografen übersandt erhalten habe. Auf den wirklichen Wert der in Verlust geratenen Diapositive komme es im vorliegenden Rechtsstreit nicht an. Dieser sei vielmehr in dem Verfahren zwischen dem Fotografen S. und der Klägerin zu klären.

II. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Revision nur insoweit nicht stand, als das Berufungsgericht ein Mitverschulden der Klägerin bei der Entstehung des Schadens verneint hat

1. Das Berufungsgericht ist mit Recht von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen. Die Revision rügt ohne Erfolg, für den von der Klägerin erhobenen Klageanspruch fehle es an einem Feststellungs- und Rechtsschutzinteresse.

a) Entgegen der Auffassung der Revision braucht sich die Klägerin nicht darauf verweisen zu lassen, dass sie einen dem Eigentümer durch den Verlust der Diapositive entstandenen Schaden von der Beklagten im Wege der Drittschadensliquidation hätte ersetzt verlangen können. Denn der Klägerin steht aus dem mit der Beklagten geschlossenen Beförderungsvertrag ein eigener vertraglicher Schadensersatzanspruch zu, der gegenwärtig noch nicht beziffert werden kann.

b) Das Feststellungs- und Rechtsschutzinteresse für den geltend gemachten Feststellungsantrag entfällt auch nicht deshalb, weil die Klägerin auf Freistellung und damit auf Leistung klagen könnte.

aa) Die Klägerin wird von dem Eigentümer der abhanden gekommenen Diapositive selbst auf Leistung von Schadensersatz in Anspruch genommen. Dieser Anspruch kann – wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat – dem Grunde nach gerechtfertigt sein. Der Fotograf S. hatte der Klägerin aufgrund eines Leihvertrags im Mai 2001 insgesamt 383 Diapositive überlassen. Aus diesem Vertragsverhältnis bestand für die Klägerin die Verpflichtung zur Rückgabe der nicht für eine Veröffentlichung ausgewählten Aufnahmen. Der Leistungsort für die Rückgabeverpflichtung der Klägerin war bei der hier gegebenen Fallgestaltung der Sitz des Eigentümers in München (BGH, Urt. v. 19.9.2001 – I ZR 343/98, TranspR 2002, 365, 367 = GRUR 2002, 282 – Bildagentur). Dies hat zur Folge, dass die Klägerin für ein Verschulden des Transportunternehmens nach § 278 BGB haftet und sich bei einem Verlust der Diapositive insofern gemäß § 280 Abs. 1 BGB entlasten muss (vgl. BGH TranspR 2002, 365, 367), was nach den unangegriffen gebliebenen Feststellungen des Berufungsgerichts bislang nicht geschehen ist. Danach kommt ein Schadensersatzanspruch des Eigentümers der in Verlust geratenen Diapositive gegen die Klägerin dem Grunde nach ernsthaft in Betracht.

bb) Der von der Klägerin geltend gemachte Schaden besteht allein in ihrer Belastung mit einer Verbindlichkeit. Der zunächst auf Befreiung von dieser Schuld gerichtete Anspruch geht gemäß § 250 Satz 2 BGB zwar in einen Zahlungsanspruch über, wenn der Schädiger – wie im Streitfall – die Leistung ernsthaft und endgültig abgelehnt hat (Hervorhebung durch Fettschrift durch den Autor!) (BGH, Urt. v. 10.12.1992 – IX ZR 54/92, NJW 1993, 1137, 1138 m.w.N.). Das setzt aber voraus, dass die Klägerin tatsächlich mit einer Verbindlichkeit beschwert ist, die Schadensersatzforderung des Eigentümers der verlorengegangenen Diapositive also erfüllen muss (vgl. BGH, Urt. v. 11.6.1986 – VIII ZR 153/85, NJW-RR 1987, 43, 44; Urt. v. 9.11.1988 – VIII ZR 310/87, NJW 1989, 1215, 1216). Im vorliegenden Fall hat die Klägerin gegen den von dem Fotografen S. erwirkten Mahnbescheid Widerspruch eingelegt. Wer die Forderung, von der er Befreiung verlangt, selbst mit einem Rechtsbehelf bekämpft, bringt dadurch grundsätzlich zum Ausdruck, dass er deren Beseitigung noch für möglich, den Anspruch des Dritten also für nicht endgültig gesichert hält. Solange die Klägerin gegen die von dem Eigentümer der abhanden gekommenen Diapositive erhobene Schadensersatzforderung vorgeht, hat sie kein berechtigtes Interesse daran, von ihrem Schuldner bereits Zahlung zu erhalten. In einem solchen Fall ist grundsätzlich die Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht des in Anspruch genommenen Schädigers der richtige Weg (vgl. BGHZ 79, 76, 78; BGH NJW 1993, 1137, 1139 m.w.N.). Im Übrigen kann, solange die Höhe der Verbindlichkeit, von der Befreiung verlangt wird, nicht feststeht, nicht auf Leistung, sondern nur auf Feststellung geklagt werden (vgl. MünchKomm.ZPO/Lüke, 2. Aufl., § 253 Rdn. 146; Musielak/Foerste, ZPO, 5. Aufl., § 256 Rdn. 29).

2. Die Klage ist dem Grunde nach auch gerechtfertigt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann aber ein Mitverschulden der Klägerin in Betracht kommen.

a) Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht die Voraussetzungen für eine vertragliche Haftung der Beklagten nach den §§ 407, 425 Abs. 1 HGB bejaht hat.

aa) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Frachtvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten durch die Übernahme und die Beförderung der ihrem Inhalt nach nicht erkennbaren Sendung durch schlüssiges Verhalten zustande gekommen ist. Die Verbotsgutklauseln unter Ziffer 3.1 der AGB der Beklagten stehen dem nicht entgegen. Dabei kann offen bleiben, ob diese Klauseln gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstoßen und deshalb unwirksam sind. Denn bereits die vorrangige Auslegung (§§ 133, 157 BGB) der AGB aus der Sicht eines verständigen Versenders ergibt, dass die Beklagte ungeachtet des Wortlauts der Klauseln unter Ziffer 3.1 einen Vertrag schließen wollte (vgl. BGH, Urt. v. 30.3.2006 – I ZR 123/03, TranspR 2006, 254, 255, zur Veröffentlichung in BGHZ 167, 64 vorgesehen).

bb) Die Auslegung der über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus verwendeten AGB der Beklagten unterliegt in vollem Umfang revisionsrechtlicher Überprüfung (st. Rspr.; vgl. BGHZ 151, 337, 346 f.; BGH, Urt. v. 13.7.2006 – I ZR 245/03, Tz 17).

cc) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und nach ihrem typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreise verstanden werden. Bei der insoweit gebotenen objektiven Auslegung ist daher zu prüfen, wie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von dem angesprochenen Kundenkreis vernünftigerweise aufgefasst werden durften. Ausgangspunkt der Auslegung ist in erster Linie der Wortlaut der verwendeten Bestimmung. Daneben kommt es aber auch auf den Sinn und Zweck und die systematische Stellung der fraglichen Klausel innerhalb des Gesamtwerks an, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Kunden maßgeblich sind (BGHZ 151, 337, 348; BGH TranspR 2006, 254, 255). Diese Grundsätze gelten auch für leistungsbeschreibende Klauseln (vgl. Staudinger/Schlosser, BGB [1998], § 5 AGBG Rdn. 2; MünchKomm.BGB/Basedow, 4. Aufl., Band 2a § 307 Rdn. 19).

dd) Die Beklagte will nach dem Wortlaut von Ziffer 3.1.2 ihrer AGB bei Gütern mit besonderem Wert, insbesondere Edelmetallen, echtem Schmuck, Edelsteinen, echten Perlen, Antiquitäten und Kunstgegenständen, keinerlei vertragliche Verpflichtung eingehen. Gleiches gilt gemäß Ziffer 3.1.5 der AGB für sonstige Güter, sofern sie einen höheren Wert als 13.000 € besitzen. Diese Regelungen sind jedoch nicht isoliert zu betrachten, sondern im systematischen Zusammenhang mit Ziffer 3.3, 3.4 und Ziffer 6 (Haftung) der AGB zu beurteilen, die auf sie Bezug nehmen. Nach Ziffer 3.3 der AGB ist die Beklagte berechtigt, die Übernahme oder Weiterbeförderung zu verweigern, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass das Paket von der speditionellen Behandlung gemäß Ziffer 3.1 der AGB ausgeschlossen ist. In Ziffer 6 der AGB ist unter anderem die Haftung der Beklagten bei verbotenen Gütern geregelt.

Diese Regelungen ergeben aus der Sicht eines verständigen Versenders nur dann einen Sinn, wenn vom Zustandekommen eines Vertrags ausgegangen wird. Nach dem Gesamtzusammenhang der AGB kann aus den Regelungen in Ziffer 3.1 daher nicht entnommen werden, dass die Beklagte – handelnd durch ihre Mitarbeiter – das Zustandekommen von Beförderungsverträgen über verbotene Güter von vornherein für alle Fälle ausschließen wollte. Vielmehr bringt sie insoweit zum Ausdruck, dass sie sich nach dem Abschluss eines Beförderungsvertrags über so genannte ausgeschlossene Sendungen ihr weiteres Vorgehen vorbehalten will (vgl. BGH TranspR 2006, 254, 255 f.).

ee) Die vorstehende Beurteilung der Klauseln entspricht im Übrigen auch der herrschenden Auffassung zur Auslegung der insoweit vergleichbaren Bestimmungen der § 54 EVO a.F., § 8 KVO a.F. und Art. 4 CIM (vgl. zu § 54 EVO a.F.: Czerwenka/Heidersdorf/Schönbeck, Eisenbahn-Beförderungsrecht, 4. Aufl., Lieferung 1/97, § 54 EVO Anm. 1b; zu § 8 KVO a.F.: Koller, Transportrecht, 2. Aufl., § 8 KVO Rdn. 1; zu Art. 4 CIM: Koller, Transportrecht, 5. Aufl., Art. 4 CIM Rdn. 5).

ff) Die Ansprüche aus dem Frachtvertrag sind entgegen der Ansicht der Revision nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin ihrerseits der Beklagten gegenüber nach den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsschluss haftete. Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Fällen schuldhafter Irreführung sowie bei Falschangaben vor oder bei Vertragsschluss über § 311 Abs. 2, §§ 280, 249 Abs. 1 BGB eine Lösung von dem abgeschlossenen Vertrag in Betracht kommen (vgl. BGH, Urt. v. 31.1.1962 – VIII ZR 120/60, NJW 1962, 1196, 1197; Urt. v. 26.9.1997 – V ZR 29/96, NJW 1998, 302, 303 f.; Urt. v. 6.4.2001 – V ZR 394/99, NJW 2001, 2875 ff.). Im Streitfall führte eine von der Klägerin etwa verletzte Aufklärungspflicht über den Wert der Sendung aber nicht zu einem Recht der Beklagten, die Aufhebung des Vertrags zu verlangen. Es ist anerkannt, dass der Verstoß gegen eine Rechtspflicht nur zum Ersatz desjenigen Schadens verpflichtet, dessen Eintritt durch die Einhaltung der Pflicht verhindert werden sollte (vgl. BGHZ 116, 209, 212 m.w.N.). Dadurch, dass die AGB-Regelungen auch auf den Fall zutreffen, dass entgegen Ziffer 3.1 ein Beförderungsvertrag über Verbotsgut abgeschlossen wird, machen sie deutlich, dass die Verletzung der Aufklärungspflicht über den Wert des Transportguts den Vertragsschluss nicht als solchen unterbinden soll (vgl. oben Ziffer 2 a dd). Der Vertragsschluss selbst ist daher auch nicht als Schaden der Beklagten anzusehen (vgl. BGH TranspR 2006, 254, 256).

b) Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht auch rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Beklagte für einen der Klägerin entstandenen Schaden nach § 435 HGB unbeschränkt haftet.

aa) Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, dass der Auslieferungsfahrer, für dessen Handlungen die Beklagte gemäß § 428 HGB einzustehen hat, die ihm obliegenden Pflichten vorsätzlich nach § 435 HGB verletzt und dadurch den streitgegenständlichen Verlust herbeigeführt hat. Der Auslieferungsfahrer durfte das Transportgut nach den Zustellvorschriften der Beklagten (Ziffer 4.1.3 AGB) nur an den Empfänger oder eine andere erwachsene Person, die unter der Zustelladresse angetroffen wurde, aushändigen. Gegen diese Bestimmung, die der Sicherung des Transportgutes dient, hat der Auslieferungsfahrer, dem die Zustellvorschriften bekannt sein mussten, unstreitig verstoßen. Denn nach den unangegriffen gebliebenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Auslieferungsfahrer die in Verlust geratenen Pakete weder dem Empfänger selbst noch einer unter der Zustelladresse angetroffenen erwachsenen Person übergeben. Das behauptet die Beklagte auch selbst nicht. Sie trägt vielmehr vor, die Pakete seien einem Nachbarn des Empfängers übergeben worden. Das stellt einen vorsätzlichen Verstoß gegen die vertraglichen Pflichten der Beklagten dar.

Diese vorsätzliche Pflichtverletzung rechtfertigt für sich allein schon die Annahme eines qualifizierten Verschuldens gemäß § 435 HGB (vgl. BGH, Urt. v. 20.1.2005 – I ZR 95/01, TranspR 2005, 311, 314 = VersR 2006, 814). Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass § 435 HGB ein qualifiziertes Verschulden nur in Bezug auf den die Haftung begründenden Tatbestand voraussetzt (vgl. BGH, Urt. v. 16.7.1998 – I ZR 44/96, TranspR 1999, 19, 22 = VersR 1999, 254; BGH TranspR 2005, 311, 314). Ist danach von einem qualifizierten Verschulden i.S. von § 435 HGB auszugehen, das seiner Art nach als Schadensursache ernsthaft in Betracht kommt, so obliegt es der Beklagten, im Prozess solche Umstände vorzutragen und zu beweisen, die gegen die Kausalität des festgestellten Sorgfaltsverstoßes sprechen (vgl. BGH TranspR 1999, 19, 22 f.; TranspR 2005, 311, 314). Bei einem bewussten Verstoß gegen eine der Sicherung des Transportgutes dienende Bestimmung spricht eine Vermutung dafür, dass die Pflichtverletzung kausal für den eingetretenen Verlust gewesen ist und dass dem Handelnden dies auch bewusst sein musste. In einem solchen Fall ist es Sache des Frachtführers, Umstände vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, die gegen die Kausalität des Fehlverhaltens sprechen (vgl. BGH TranspR 1999, 19, 22 f.; TranspR 2005, 311, 314). Solche die Beklagte entlastenden Umstände hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und werden von der Revision auch nicht aufgezeigt.

bb) Einer unbeschränkten Haftung der Beklagten steht nicht entgegen, dass sie nach Ziffer 6.2 AGB für den Verlust einer gemäß Ziffer 3.1 AGB von der Beförderung ausgeschlossenen Sendung nicht haften will. Bei Ziffer 6.2 AGB handelt es sich nicht um eine der Inhaltskontrolle entzogene Bestimmung oder Klarstellung der vertraglichen Leistungspflicht der Beklagten (vgl. BGH, Urt. v. 1.12.2005 – I ZR 103/04, TranspR 2006, 169, 170 f. = NJW-RR 2006, 758 m.w.N.), sondern um einen Haftungsausschluss. Die Klausel schränkt nach ihrem eindeutigen Wortlaut die ohne sie nach dem Gesetz bestehende Haftung ein (vgl. BGH TranspR 2006, 254, 256). Das Berufungsgericht hat mit zutreffender Begründung angenommen, dass die in Rede stehende Klausel gegen § 449 Abs. 2 HGB verstößt und damit unwirksam ist. Die Besonderheiten des postalischen Massenverkehrs, denen § 449 Abs. 1 Satz 1 HGB Rechnung trägt, sind entgegen der Ansicht der Revision im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da der zwischen den Parteien geschlossene Frachtvertrag nicht die Beförderung von Briefen oder briefähnlichen Sendungen zum Gegenstand hatte.

c) Mit Erfolg wendet sich die Revision aber dagegen, dass das Berufungsgericht ein Mitverschulden der Klägerin verneint hat.

aa) Für die Beurteilung der Frage des Mitverschuldens ist seit dem Inkrafttreten des Transportrechtsreformgesetzes die Bestimmung des § 425 Abs. 2 HGB maßgeblich. Die Vorschrift greift jedoch den Rechtsgedanken des § 254 BGB auf und fasst alle Fälle mitwirkenden Verhaltens des Ersatzberechtigten in einer Vorschrift zusammen (Begründung zum Regierungsentwurf des Transportrechtsreformgesetzes, BT-Drucks. 13/8454, S. 60). Auf die zur Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Transportrechtsreformgesetzes am 1. Juli 1998 zu § 254 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BGB ergangenen Entscheidungen kann daher ohne weiteres zurückgegriffen werden (BGH, Urt. v. 1.12.2005 – I ZR 46/04, TranspR 2006, 205, 206).

bb) Das Berufungsgericht ist im rechtlichen Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass ein Versender in einen nach § 425 Abs. 2 HGB beachtlichen Selbstwiderspruch geraten kann, wenn er trotz Kenntnis, dass der Frachtführer die Sendung bei zutreffender Wertangabe mit größerer Sorgfalt behandelt, von einer Wertdeklaration absieht und gleichwohl vollen Schadensersatz beansprucht (BGHZ 149, 337, 353; BGH, Urt. v. 17.6.2004 – I ZR 263/01, TranspR 2004, 399, 401 = VersR 2006, 570). Hätte der Versender die sorgfältigere Behandlung von Wertpaketen durch den Spediteur kennen müssen, kann auch das für ein zu berücksichtigendes Mitverschulden ausreichen. Denn gemäß § 254 Abs. 1 BGB ist ein Mitverschulden bereits dann anzunehmen, wenn diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen wird, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eines eigenen Schadens anzuwenden pflegt (BGH, Urt. v. 19.1.2006 – I ZR 80/03, TranspR 2006, 121, 122 = VersR 2006, 953; Koller, Transportrecht, 5. Aufl., § 425 HGB Rdn. 74; Soergel/Mertens, BGB, 12. Aufl., § 254 Rdn. 23).

cc) Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen zum Wert der abhanden gekommenen Diapositive getroffen. In der Revisionsinstanz ist daher von dem von dem Fotografen S. behaupteten Wert (500 € je Einzelstück) auszugehen.

Das Berufungsgericht hat ein Mitverschulden der Klägerin an der Entstehung des Schadens verneint, weil feststehe, dass sie den von dem Fotografen S. behaupteten Wert der Diapositive nicht gekannt habe. Die Klägerin habe auch keine Veranlassung gehabt, sich vor der Versendung über den Wert der Diapositive zu informieren, da sie diese von dem Fotografen zuvor auf dem Postweg erhalten habe.

Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Bei der Klägerin handelt es sich um einen Fachverlag, der häufig mit Aufnahmen von Berufsfotografen befasst ist. Der Klägerin musste daher bewusst sein, dass ein Diapositiv, wenn es sich um ein Unikat handelt, für den Fotografen nicht nur den Wert verkörpert, der als Vergütung für die Nutzung der Aufnahme zu entrichten ist. Sie hätte sich somit bei dem Fotografen zumindest darüber vergewissern müssen, ob es sich bei den ihr überlassenen Diapositiven um Unikate gehandelt hat. Auch wenn der Klägerin die Aufnahmen nicht mit einem Wertpaket übersandt worden waren, hätte sie in Betracht ziehen müssen, dass die Diapositive für den Eigentümer einen die einzelne Nutzungsvergütung erheblich übersteigenden Wert haben könnten und deshalb eine Versendung mittels Wertpaket erfolgen musste. Das Berufungsgericht durfte danach den Wert der von der Klägerin an den Fotografen S. übersandten Diapositive nicht offenlassen.

dd) Die von der Klägerin unterlassene Wertangabe kann auch für den
Schadenseintritt mitursächlich gewesen sein. Dies setzt zwar grundsätzlich voraus, dass das Transportunternehmen bei zutreffender Inhalts- und Wertangabe seine Sorgfaltspflichten besser erfüllt hätte (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2003 – I ZR 234/00, TranspR 2003, 467, 471 = NJW 2003, 3626). Dazu hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Jedoch liegt im Streitfall die Besonderheit vor, dass die Beklagte bei einer korrekten Wertangabe der Klägerin jedenfalls die Möglichkeit gehabt hätte, die Beförderung im einfachen Paketdienst zu verweigern (Ziffer 3.1 AGB).

III. Danach war das angefochtene Urteil auf die Revision der Beklagten
aufzuheben. Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Bornkamm                                 v. Ungern-Sternberg                                   Pokrant

.                            Schaffert                                                         Gröning

Vorinstanzen:
LG Stuttgart, Entscheidung vom 24.04.2003 – 36 O 171/02 KfH –
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 19.11.2003 – 3 U 137/03 –

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