AG Halle (Saale) verurteilt Direct Line zur Erstattung der außergerichtlich gekürzten Sachverständigenkosten, verweigert jedoch die weitergehenden Schadensersatzforderungen bei der fiktiven Abrechnung und zum Schmerzensgeld (97 C 608/13 vom 09.12.2014)

Mit Entscheidung vom 09.12.2014 (97 C 608/13) wurde die Direct Line Versicherung AG durch das Amtsgericht Halle an der Saale zur Erstattung der außergerichtlich (rechtswidrig) gekürzten Sachverständigenkosten in Höhe von 349,81 € verurteilt.

Die weitergehende Forderung zur fiktiven Abrechnung wurde leider abgewiesen. Der Gerichtsgutachter war (wieder einmal) vollumfänglich auf Linie der Versicherung. Er war der Auffassung, dass man das Fahrzeug auch ohne Neuteile „zusammenflicken“ kann. Dies entgegen den Ausführungen des außergerichtlichen Sachverständigen. UPE-Aufschläge und Verbringungskosten seien natürlich auch nicht nötig. Die Gleichwertigkeit von freien Werkstätten nebst Beweislast des Schädigers – Grundsatz 1 der BGH-Rechtsprechung – wurde nicht einmal erwähnt.

Somit verwundert es auch nicht, dass die geforderte Wertminderung und weiteres Schmerzensgeld abgewiesen wurden. Letzteres auf Grundlage der freien tatrichterlichen Schätzung. Klar doch! Jeder Richter ist natürlich von Haus auch ein medizinischer Sachverständiger und kennt sich bestens aus im Bereich der Schmerzdiagnose sowie der daraus bestehenden Belastungen für den Betroffenen. Gehört bestimmt zur juristischen Grundausbildung eines Richters? Nach meinem Dafürhalten hat ein Betrag von 87,50 € / Tag Schmerzensgeld schon etwas von Menschenverachtung, oder? Wobei man sich außerdem fragen muss, warum Richter zum Thema SV-Kosten im Schadensersatzprozess gerne mal ein teures (unnötiges) Gutachten einholen – oder wie hier, zum Fahrzeugschaden – und bei Körperschäden, Kraft der eigenen Wassersuppe, oftmals nur wild aus der Hüfte (daneben) feuern?

Die Botschaft aus diesem Urteil kann man wie folgt zusammenfassen:

Sei stets zufrieden mit dem, was die Versicherung Dir gnädigerweise anbietet und belästige bitte nicht die Gerichte mit Deinen rechtmäßigen Schadensersatzforderungen. Schon gar nicht auf Grundlage von § 249 BGB. Recht und Gesetz war gestern – es lebe die Willkür.

Alles in allem also leider nur ein „Schrotturteil“ mit einem kleinen SV-Honorar-Bonbon.

Amtsgericht
Halle (Saale)

97 C 608/13                                                                                Verkündet am 09.12.2014

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

der Frau …

Klägerin

gegen

Direct Line Versicherung AG, vertr. d. d. Geschäftsführer, Rheinstraße 7 a, 14513 Teltow

Beklagte

wegen                         Schadensersatz aus Verkehrsunfall

hat das Amtsgericht Halle (Saale) auf die mündliche Verhandlung vom 19.08.2014 und sodann im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO durch den Richter am Amtsgericht K.

für Recht erkannt:

1.    Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin hinsichtlich der Kosten für die Erstellung des Sachverständigengutachtens des Kfz-Sachverständigenbüros … , über einen Betrag in Höhe von 349,81 € freizustellen.

2.    Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche nicht anrechenbare Rechtsanwaltskosten in Höhe von 55,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.03.2013 zu zahlen.

3.    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4.    Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 9/10 und die Beklagte 1/10.

5.    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten um restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall, für den die Beklagte als Kfz-Haftpflichtversicherung zu 100 % einstandspflichtig ist.

Bei dem verunfallten Pkw handelt es sich um einen 47 Monate alten VW Golf 5 mit einer Laufleistung von ca. 30.000 km.

Aufgrund des außergerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens begehrte die Klägerin Reparaturkosten in Höhe von 4.489,52 €, worauf die Beklagte 2.068,15 € gezahlt hat. Der Restbetrag in Höhe von 2.421,37 € macht die Klägerin mit der Klage geltend.

Des Weiteren begehrt die Klägerin merkantilen Minderwert von noch 325,00 €, nachdem auf ihre Forderung von 575,00 € durch die Beklagte 250,00 € gezahlt worden sind.

Im Hinblick auf die außergerichtlichen Sachverständigenkosten in Höhe von 849,81 € hat die Beklagte 500,00 € gezahlt, weshalb die Klägerin mit der Klage Freistellung von dem noch offenen Differenzbetrag von 349,81 € begehrt.

Im Hinblick auf die durch das Unfallgeschehen erlittenen Körperbeschwerden hält die Klägerin ein Schmerzensgeld von 700,00 € für angemessen. Die Beklagte hat ein Schmerzensgeld in Höhe von 350,00 € gezahlt.

Soweit die Klägerin mit der Klage auch einen Verdienstausfall in Höhe von 77,67 € geltend gemacht hat, ist dieser Betrag gezahlt worden und beide Parteien haben den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt.

Die Klägerin beantragt,

1.   die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.827,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. April 2012 zu zahlen,

2.   die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin hinsichtlich der Kosten für die Erstattung des Sachverständigengutachtens des Kfz-Sachverständigenbüros … , über einen Betrag in Höhe von 349,81 € freizustellen,

3.   die Beklagte zu verurteilen, ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von weiteren 350,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. April 2012 zu zahlen,

4.   die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 209,31 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Über die streitige Frage der Höhe der Reparaturkosten und des merkantilen Minderwertes wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt. Es wird insoweit auf das Gutachten des öffentlich bestellten und beeidigten Sachverständigen, Herrn Dipl. … , vom 7. April 2014 (Blatt 180 ff., Band I der Akten) Bezug genommen. Gleichsam auf die Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 19.08.2014.

Im Hinblick auf die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin wird auf die informatorische Anhörung aus der mündlichen Verhandlung vom 19.08.2014 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist im Wesentlichen unbegründet.

1.
Im Hinblick auf die Reparaturkosten hat der Sachverständige die Kosten für die Reparatur in einer nicht markengebundenen freien Reparaturwerkstatt ohne Mehrwertsteuer mit 1.844,22 € bemessen. Der Sachverständige hat diese Kalkulation in seinem Ergänzungsgutachten vom 13. August 2014 nach entsprechenden Fragen der Klägerin bestätigt. Im Hinblick auf die Differenz zwischen dem außergerichtlichen eingeholten Sachverständigengutachten und dem gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten war dieses im Wesentlichen dadurch begründet, dass der außergerichtliche Sachverständige eine Erneuerung der beschädigten Kfz-Teile berechnet hat, während durch den gerichtlich beauftragten Gutachter im Wesentliche eine Behebung der Schäden durch Ausbesserung gesehen wurde. Dass eine derartige Schadensbehebung (Ausbesserung) nicht sach- und fachgerecht sein könnte, war nicht ersichtlich, so dass der Entscheidung die gutachterlichen Feststellungen des gerichtlichen Gutachters zugrunde zu legen waren. Im Übrigen hat der Gutachter auch in seiner ergänzenden Anhörung bekundet, dass es in den hiesigen freien Werkstätten unüblich sei UPE-Zuschläge und Verbringungskosten zu berechnen. Auch hierin lag ein erheblicher Unterschied zum außergerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten, welches hierzu die entsprechenden Zuschläge berechnet hat. Da auf fiktiver Grundlage abgerechnet wird, war auch keine Mehrwertsteuer in Ansatz zu bringen. Mithin ist festzustellen, dass die Beklagte mit dem bereits gezahlten Betrag von 2.068,15 € fiktive Reparaturkosten sogar überzahlt hat.

Im Hinblick auf den merkantilen Minderwert kam der Sachverständige auf einen Betrag von 160,00 bis 170,00 €. Dies gemessen an den tatsächlichen Kosten einer Reparatur. Insoweit begründet sich die Differenz zwischen der klägerseits angesetzten merkantilen Minderbewertung und der anerkannten Minderbewertung aus der erheblichen Differenz der Reparaturkosten. Da die Beklagte hier 250,00 € gezahlt hat, ist auch hier der merkantile Minderwert ausgeglichen.

Soweit die Klägerin über das bereits gezahlte Schmerzensgeld in Höhe von 350,00 € weitere 350,00 € begehrt, hält das Gericht dies nicht für angemessen. Die Klägerin hat in ihrer informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 19.08.2014 zu ihren Beschwerden vorgetragen, dass diese sich auf die Halswirbelsäule und die Brust als andauernder Schmerz, in Besonderen bei Bewegung, auf 4 Tage ausgedehnt haben. Den sich daraus ergebenden täglichen Betrag von 87,50 € hält das Gericht zur Abgeltung der Beschwerden für angemessen. Demzufolge konnte ein weiteres Schmerzensgeld nicht zugesprochen werden.

3.
Soweit die Klägerin die Freistellung von weiteren Kosten des außergerichtlichen Sachverständigen beantragt hat, war die Klage begründet. Auch wenn beklagtenseits die Höhe der Honorarforderung des außergerichtlichen Sachverständigen als „überzogen“ betrachtet wird, kann sie dies nicht im Verhältnis zur Geschädigten (also der Klägerin) geltend machen. Denn grundsätzlich ist der Geschädigte nicht verpflichtet, vor Beauftragung eines Gutachters sogenannte Marktforschung zu betreiben, um den günstigsten Sachverständigen zu ermitteln. In aller Regel wird ein Unfallgeschädigter überhaupt keine Kenntnis darüber haben, dass die einzelnen Gutachter unterschiedliche Honorare verlangen (können). Darüber hinaus ist im Hinblick auf den vom außergerichtlichen Gutachter ermittelten Schaden in Höhe von 4.489,52 € die angesetzte Honorarforderung in einem noch üblichen Rahmen. Allein durch die Reduzierung der Reparaturkosten hat sich auch der gewöhnlich anzusetzende Honorarrahmen geändert. Vorliegend hat die Beklagte selbst bei einem von ihr angesetzten Schadensbetrag von 2.068,15 € Gutachterkosten von 500,00 € durch Zahlung anerkannt. In diesem Verhältnis liegt auch das Honorar des außergerichtlichen Sachverständigen im Verhältnis. Dass der außergerichtlich beauftragte Sachverständige einen kostenintensiveren Reparaturweg bei seiner Begutachtung gewählt hat, kann nicht der Geschädigten zur Last fallen. Schließlich braucht sie nicht sachverständiger zu sein, als der Sachverständige. Demzufolge hat die Beklagte die Klägerin von den noch diesbezüglich offenen Forderungen des Sachverständigen freizustellen.

Die Kostenentscheidung begründet sich aus dem teilweisen Obsiegen und Unterliegen der Parteien.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit begründet sich aus §§ 704, 708 Nr. 11, 713 ZPO.

Urteilsliste “Fiktive Abrechnung u. SV-Honorar” zum Download >>>>>

Dieser Beitrag wurde unter Direct Line, Ersatzteilzuschläge, Fiktive Abrechnung, Haftpflichtschaden, Lohnkürzungen, Personenschäden, Sachverständigenhonorar, UPE-Zuschläge, Urteile, Verbringungskosten, Verti Versicherung, Wertminderung abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu AG Halle (Saale) verurteilt Direct Line zur Erstattung der außergerichtlich gekürzten Sachverständigenkosten, verweigert jedoch die weitergehenden Schadensersatzforderungen bei der fiktiven Abrechnung und zum Schmerzensgeld (97 C 608/13 vom 09.12.2014)

  1. Ulrike sagt:

    Hallo, Hans Dampf,

    ich lese in den Urteilsgründen:

    „Im Hinblick auf den merkantilen Minderwert kam der Sachverständige auf einen Betrag von 160,00 bis 170,00 €. Dies gemessen an den tatsächlichen Kosten einer Reparatur. Insoweit begründet sich die Differenz zwischen der klägerseits angesetzten merkantilen Minderbewertung und der anerkannten Minderbewertung aus der erheblichen Differenz der Reparaturkosten. Da die Beklagte hier 250,00 € gezahlt hat, ist auch hier der merkantile Minderwert ausgeglichen.“

    Da fällt der Eber von der Bache und grunzt empört: „Dass ich nicht lache.“ Es ist in der Tat saublöd, solche Beträge ins Gutachten zu schreiben und als Begründung auf eine anerkannte Minderbewertung zu verweisen, was immer das sein soll. Ein Betrag zwischen 160,00 € und 170,00 € ist schlichweg hirnrissig und zeugt nicht von der Qualifikation eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen und Dipl.-Ingenieurs. Das hätte vielleicht auch der Richter leicht herausfinden können und fragen sollen, wer den durch was die Minderbewertung anerkannt hat ? Möglicherweise hat aber der privat beauftragte Sachverständige den Dingen auch einfach ihren Lauf gelassen. Kann ausgeschlossen werden, dass der durch das Gericht beauftragte Sachverständige für die Beklagte sogar auch arbeitet ? Das müsste doch herauszufinden sein, zumal der Verdacht sehr nahe liegt. Bei einer Sparreparatur nach den Vorstellungen des Gerichtssachverständigen hätte möglicherweise eine Technische Wertminderung berücksichtigt werden müssen. Ich wette, dass der Gerichtssachverständige einen solchen Umstand dem Gericht verschwiegen hat und das wahrscheinlich deshalb, weil er die spezielle Materie nur oberflächlich kennt oder aber die Vorstellungen der Beklagten bedienen wollte.

    Ulrike

  2. Iven Hanske sagt:

    Ich habe keine Ahnung vom Hiesigen, freue mich aber dass auch Andere Ihr Recht suchen, doch bitte qualifiziert (gerade bei Richter…….. und seinen BGH fremden Ansichten)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert