Der IV. Zivilsenat des BGH entscheidet zu einem Vollkaskoschaden, der durch eigene Fahrzeugteile entstanden ist mit Beschluss vom 15.5.2013 – IV ZR 62/12 -.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leser,

hier als Wochenendlektüre geben wir Euch noch einen BGH-Beschluss zum Vollkaskoschaden bekannt. Betroffen war zwar ein landwirtschaftlicher Traktor, bei dem ein sogenanntes Ballastgewicht, das an der Front angebracht war, abgefallen war und an dem Traktor einen nicht unerheblichen Schaden verursachte. Das Ganze kann aber auf jedes Kraftfahrzeug übertragen werden, sofern nicht die Ladung, sondern zum Fahrzeug gehörende Teile betroffen sind. Nur von außen einwirkende Schäden sind als Kaskoschäden anzusehen. Lest den Beschluss des BGH selbst und gebt bitte Eure Kommentare ab.  

Viele Grüße und ein schönes Wochenende
Willi Wacker

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

IV ZR 62/12

vom

15. Mai 2013

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richter Wendt, Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt und den Richter Dr. Karczewski

am 15. Mai 2013

beschlossen:

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 8. Februar 2012 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Streitwert: 61.601,09 €.

Gründe:

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zurückzuweisen, weil es auf die von ihr angesprochenen Rechtsfragen im Ergebnis nicht ankommt, soweit sie sich dagegen wendet, dass das Berufungsgericht dem Kläger eine Versicherungsleistung wegen Unfalls versagt hat. Im Übrigen zeigt sie nicht auf, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Auch die Gehörsrüge (Art. 103 Abs. 1 GG), die der Senat geprüft hat, greift nicht durch.

Der Kläger verlangt Leistungen aus einer bei der Beklagten gehaltenen Kfz-Kaskoversicherung für Schäden, die beim Überfahren eines Frontballastgewichtes entstanden sind, das sich während der Fahrt vom versicherten Traktor gelöst hatte.

Der – hier allein in Rede stehende – Leistungsanspruch wegen Unfalls aus A.2.3.2 der vereinbarten Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeugversicherung (AKB 2008 Stand 1. Oktober 2009) scheitert bereits daran, dass das versicherte Fahrzeug keiner bedingungsgemäßen Einwirkung mechanischer Gewalt von außen ausgesetzt war, sondern durch ein eigenes Fahrzeugteil beschädigt wurde, was einen versicherten Unfall ausschließt.

Die Voraussetzung „von außen“ verdeutlicht dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer, auf dessen Verständnis es insoweit ankommt, dass der Gegenstand, von dem die auf das versicherte Fahrzeug wirkende mechanische Gewalt ausgehen muss, nicht Teil des Fahrzeuges selbst sein darf (vgl. dazu schon BGH, Urteile vom 6. Februar 1954 – II ZR 65/53, VersR 1954, 113, 114; vom 2. Juli 1969 – IV ZR 625/68, VersR 1969, 940). Das Ballastgewicht war Teil des versicherten Fahrzeugs. Es sollte die Traktion der Vorderräder verbessern und wurde demnach nicht mitgeführt, um es – wie etwa Ladung – von einem Ort zum nächsten zu befördern. Vielmehr diente das Gewicht dem bestimmungsgemäßen Gebrauch des Fahrzeugs und war zudem – wie insbesondere die spezielle Fronthebe- und Halterungsvorrichtung belegt – eigens dafür konstruiert.

Auch wenn das Gewicht unmittelbar nach seiner Ablösung zum Hindernis für das versicherte Fahrzeug wurde, blieb es weiterhin Fahrzeugteil. Wie lange ein solches noch nicht als von außen auf das Fahrzeug wirkender, fahrzeugfremder Gegenstand anzusehen ist, wird -für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar – nach der Verkehrsanschauung des täglichen Lebens bestimmt. Dabei ist ein Vorgang, bei dem sich ein Fahrzeugteil während der Fahrt löst, als einheitlicher Lebensvorgang anzusehen, der zumindest noch andauert, soweit das Fahrzeug unmittelbar im Anschluss an die Ablösung des Teils von diesem getroffen und beschädigt wird (vgl. dazu auch die Urteile AG Nürnberg r+s 2008, 13; AG Düren, r+s 2008, 12). Bei einer so schnellen Abfolge der Ereignisse verliert der vom Fahrzeug abgelöste Gegenstand noch nicht seine Fahrzeugteil-Eigenschaft.

Aus den vom Beschwerdeführer benannten Entscheidungen (Senatsurteile vom 2. Juli 1969 – IV ZR 625/68, VersR 1969, 940; vom 6. März 1996 – IV ZR 275/95, VersR 1996, 622; RGZ 112, 371 ff.; OLG Hamm VersR 1976, 626; OLG Stuttgart VersR 2007, 1121 und OLG Koblenz VersR 2012, 175) ergibt sich nichts anderes. Ihnen liegen sämtlich Unfallschäden zugrunde, die erst durch die Kollision des versicherten Fahrzeuges mit äußeren Hindernissen (wie dem Boden, anderen Fahrzeugen, einem Baum oder Baumstumpf, einem Stein oder einer Bordsteinkante) entstanden waren.

Scheidet ein versicherter Unfall bereits aus diesem Grunde aus, kommt es auf die weiteren – rein erläuternden – Einschränkungen des Unfallbegriffs in A.2.3.2 AKB 2008 und insbesondere die Auslegung und Transparenz des Begriffs des nicht versicherten „Betriebsvorgangs“ nicht mehr an.

Das angefochtene Berufungsurteil, dessen Begründung der Senat insoweit nicht folgt, erweist sich nach allem als jedenfalls im Ergebnis zutreffend.

Mayen                                            Wendt                                      Felsch

.                  Harsdorf-Gebhardt                     Dr. Karczewski

Vorinstanzen:

LG Braunschweig, Entscheidung vom 26.07.2011 – 7 O 2875/10 -OLG Braunschweig, Entscheidung vom 08.02.2012 – 3 U 166/11 –

Und jetzt bitte Eure Kommentare.

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8 Antworten zu Der IV. Zivilsenat des BGH entscheidet zu einem Vollkaskoschaden, der durch eigene Fahrzeugteile entstanden ist mit Beschluss vom 15.5.2013 – IV ZR 62/12 -.

  1. Dipl.-Ing. Harald Rasche sagt:

    Hallo, Willi Wacker,

    ein interessanter Fall, weil nicht alltäglich, und ich bin jetzt schon auf die Kommentare der Kasko-Experten gespannt. Da kann man ggf. noch etwas hinzulernen. Mich interessiert die Antwort auf die Frage: Würde bei einer weniger schnellen Abfolge der Ereignisse der vom Fahrzeug abgelöste Gegenstand denn seine Fahrzeugteil-Eigenschaft verlieren ?

    Mit freundlichen Gruessen
    aus Bochum & Tangendorf
    Dipl.-Ing. Harald Rasche

  2. Willi Wacker sagt:

    Hall Herr Dipl-Ing. Harald Rasche,
    eine langsamere Abfolge der Ereignisse sind m.E. in einem solchen Kasko-Fall nicht denkbar. Das Teil, das den Schaden verursacht, muss vom eigenen Fahrzeug kommen. Da das Fahrzeug in der Vorwärtbewegung grundsätzlich fährt, können sich lösende Ersatzteile bzw. Fahrzeugteile nur im Fromntbereich liegen, wie z.B. Stoßstange oder ähnliches, wie Kühlergrill. Wenn ein solches Teil abfällt, erfolgt in der nächsten Sekunde das Überfahren dieses Teils, das dann zum Schaden am versicherten Fahrzeug führt.
    Mit freundl. Grüßen nach Bochum und Tangendorf
    Willi Wacker

  3. SV F. Hiltscher sagt:

    Da stellt sich die Frage der Erstattungsfähigkeit von sich öffnenden Motorhauben und deren Folgeschäden, von zerplatzten Reifen und deren Folgeschäden an der Karosserie, oder evtl. Brandschäden.
    Wenn ich den Kaskoschaden beurteilen müsste, gäbe es für das evtl. beschädigte Frontgewicht nebst der evtl. beschädigten Halterung dazu keine Entschädigung, weil hier ein Betriebschaden vorliegt.
    Für den Anstoß auf das Frontgewicht ist die Definition des Unfalls gegeben ohne wenn u. aber.
    Der Kollege Rasche hat das schon angedeutet, was wäre denn wenn der Traktor auf das abgebaute u. abgestellte Frontgewicht aufgefahren wäre? Keine Entschädigung, weil es ein Fahrzeugteil von dem Traktor ist?
    Beispiel :
    Wenn bei einer Beladung mit einem Fahrzeugkran dieser überladen wurde und der Kranausleger abknickt und zu Boden stürzt gilt der Schaden an der Knickstelle als Betriebsschaden. Der evtl. beschädigte Rollenkopf des Kranauslegers durch den Aufschlag am Boden (Unfalldefinition) ist aber kaskoversichert.
    Faustregel übernommen von dem Kaskoexperten Prof. Dr. Theda = das auslösende Bauteil am Objekt ist nicht versichert – die Folgen daraus, am Objekt sofern sich der Unfallbegriff ableiten lässt schon.
    Es kommt demnach nicht darauf an woher die Teile stammen, sondern was für ein Teil / was für eine Sache war auslösend für den darauf folgenden „Unfall“.
    Ich persönlich finde das Urteil nicht korrekt.

  4. G.v.H. sagt:

    Sehr geehrter Herr Kollege Hiltscher,
    Sie haben meine Frage zutreffend gedeutet und in der Auslegung stimme ich mit Ihnen überein.
    Ja, und was es noch anzumerken gäbe: Die Gespräche und Seminare mit Herrn Professor Theda waren doch meistens sehr interessant und lehrreich.
    Danke für Ihren Kommentar.-

    Mit freundlichen Grüßen

    G.v.H.

  5. J. Schulze sagt:

    Sehr geehrte Herren,
    könnten Sie mir bitte die Kontaktdaten von Herrn Prof. Dr. Theda mitteilen? Das erwähnte Beispiel mit dem abgeknickten Kranausleger würde ich gerne erörtern wollen. Zurzeit beschäftige ich mich mit einem Fall, in dem sich eine Tür eines Luftfahrzeuges gelöst hat, gegen den Rumpf geschlagen und danach verschollen ist. Vermutlich wurde sie beim Aufprall zerstört. Folgt man der o.a. Theorie, wäre die Beschädigung der Tür beim Aufprall versichert? Und wie grenzt sich der unmittelbare vom mittelbaren Betriebsschaden ab?
    Mit freundlichen Grüßen
    J. Schulze

  6. Pitbull sagt:

    J. Schulze says:
    11. Februar 2014 at 21:37
    „Sehr geehrte Herren,
    könnten Sie mir bitte die Kontaktdaten von Herrn Prof. Dr. Theda mitteilen? “

    Hi Herr Schulze,
    Herr Prof. Dr. Theda ist leider vor einigen Jahren verstorben.

  7. J. Schulze sagt:

    Hallo Pitbull,
    hab´vielen Dank für Deine Information. Das ist sehr schade.
    Gibt es Publikationen (Schriften, Schulungsunterlagen mit verweisen auf Urteile etc.) von Herrn Prof. Dr. Theda, in dem die vom SV Hilscher dargelegte Theorie mit der Abgrenzung zwischen auslösendem Bauteil (Primär- oder unmittelbarer Schaden) und dem sekundären/mittelbaren Folgeschäden behandelt werden?
    Viele Grüße
    Jan Schulze

  8. Andreas Scharbatke sagt:

    Im vorliegenden Fall keine überraschende Gerichtsentscheidung.

    Beschäftige mich gerade mit einem ähnlich gelagerten Fall, in dem es um die Frage geht, ob ein „Unfall“ i.S. der Wassersportkaskobedingungen auch dann vorliegt, wenn der Versicherungsnehmer auf seinem eigenen Sportboot ungewollt ausrutscht und durch den Aufprall seines Körpers mit dem Boot fest verbundene Aurüstungsgegenstände erheblich beschädigt. Plötzlich – ja, mit mechanischer Gewalt (menschlicher Körper gegen versichertes Boot) – ja, aber nach dem Verständnis der Kaskobedingungen auch „von außen“?

    Möchte jemand seinen Kommentar „hierzu“ abgeben? ;-))

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