Der VI. Zivilsenat des BGH entscheidet mit Urteil vom 23.5.2017 – VI ZR 9/17 – im Falle einer fiktiven Ersatzbeschaffung bei einem wirtschaftlich totalbeschädigten Taxifahrzeug mit fiktiver Umrüstung (Wiederbeschaffungswert plus Umrüstkosten über 130%).

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,

heute veröffentlichen wir für Euch hier noch ein BGH-Urteil zur fiktiven Schadensabrechnung bei einem Totalschaden an einem Taxifahrzeug. Strittig waren hierbei die Umbaukosten der Taxiausrüstung. Diese Umrüstkosten wurden durch den VI. Zivilsenat des BGH  – übrigens ohne Mitwirkung des Bundesrichters Wellner – bejaht, auch wenn der Wiederbeschaffungswert deutlich überschritten werden sollte. Der Hinweis auf Neu für Alt ist unseres Erachtens jedoch falsch, da ja in der Regel die (alten) Bauteile aus dem Unfallfahrzeug in das Ersatzfahrzeug eingebaut werden. Es fallen also regelmäßig nur die tatsächlichen Umbaukosten an. Anders verhält es sich vielleicht beim Einbau neuer Teile. Dazu gibt der Sachverhalt des Urteils jedoch nichts her. Interessant sind auch die Ausführungen zur Naturalresititution. Auch der letzte Satz ist besonders bemerkenswert:

Wie der Geschädigte tatsächlich mit dem Geldbetrag verfährt, „geht den Schä­diger nichts an“.

Wie wahr, wie wahr! So eine klare Kante gab es beim VI. Zivilsenat des BGH schon lange nicht mehr, wie wir meinen. Lest daher selbst das BGH-Urteil und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.

Viele Grüße
Willi Wacker

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

VI ZR 9/17                                                                                     Verkündet am:    23. Mai 2017

in dem Rechtsstreit

Wählt der Eigentümer eines durch einen Verkehrsunfalls beschädigten Taxis den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, sind, wenn ein Markt für die Er­satzbeschaffung eines Gebrauchtwagens mit Taxiausrüstung nicht existiert, die Umrüstung eines im Übrigen gleichwertigen Gebrauchtwagens zu einem Taxi jedoch mit verhältnismäßigem Aufwand möglich ist, die (fiktiven) Umrüstungs­kosten als zusätzlicher Rechnungsposten in die Ermittlung des Wiederbeschaf­fungswerts einzustellen und damit im Rahmen des Anspruchs des Geschädig­ten auf Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB) ersatzfähig.

BGH, Urteil vom 23. Mai 2017 – VI ZR 9/17 – LG Wuppertal
.                                                                     AG Remscheid

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. Mai 2017 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richterinnen Dr. Oehler, Dr. Roloff und Müller und den Richter Dr. Klein

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal – 9. Zivilkammer – vom 15. Dezember 2016 im Kosten­ausspruch und insoweit aufgehoben, als die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen worden ist.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger, seinerzeit Taxiunternehmer in Nordrhein-Westfalen, nimmt die Beklagte zu 1 sowie deren Haftpflichtversicherer, die Beklagte zu 2, auf Er­satz restlichen Sachschadens aus einem Verkehrsunfall vom 5. August 2013 in Anspruch. Bei dem Unfall erlitt das Taxi Mercedes Benz E 200 des Klägers mit einer Erstzulassung aus dem Jahr 1999 und einer Gesamtlaufleistung von knapp 280.000 km einen Schaden im Frontbereich. Die volle Haftung der Be­klagten für den Unfallschaden steht dem Grunde nach außer Streit.

Der Kläger rechnete mit der Beklagten zu 2 auf Gutachtenbasis in Höhe der fiktiven Ersatzbeschaffungskosten ab. Nach dem vom Kläger eingeholten Sachverständigengutachten betragen – bei geschätzten Reparaturkosten von 4.590,18 € – der Wiederbeschaffungswert eines vergleichbaren Fahrzeugs ohne Taxiausrüstung 2.800 € brutto, die Kosten für die Umrüstung als Taxi zusätzlich 1.835,08 €. Die Parteien streiten nur noch über die Frage, ob der Kläger diese fiktiven Umrüstungskosten erstattet verlangen kann. Der Kläger hat sein Taxi­unternehmen zwischenzeitlich aufgegeben und das Unfallfahrzeug am 28. Feb­ruar 2014 veräußert.

Das Amtsgericht hat die Klage hinsichtlich der Umrüstungskosten abge­wiesen, im Übrigen hat es der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das amtsgerichtliche Urteil abge­ändert und die Zahlungsforderung um einzelne, für das Revisionsverfahren nicht relevante Positionen gekürzt; die Anschlussberufung des Klägers hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Re­vision begehrt der Kläger über den vom Amtsgericht zuerkannten Betrag hinaus weiterhin die Zahlung von 1.835,08 € Umrüstungskosten.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat die fiktiven Umrüstungskosten für nicht ersatz­fähig gehalten. Der Kläger könne bei dem anzunehmenden wirtschaftlichen To­talschaden nicht mehr als den ermittelten Wiederbeschaffungswert (abzüglich des Restwerts) ersetzt verlangen. Einen Gebrauchtwagenmarkt für eine Ersatzbeschaffung mit Taxiausstattung gebe es nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Senatsurteil vom 2. März 2010 – VI ZR 144/09, VersR 2010, 785 Rn. 6 ff.) sei bei Unmöglichkeit der Wiederherstellung der Wiederbeschaffungswert ein geeigneter Maßstab für die zu leistende Entschä­digung. Die Erstattung zusätzlicher Umrüstungskosten führte demgegenüber bei fiktiver Abrechnung dazu, dass in Fällen eines wirtschaftlichen Totalscha­dens über den Umweg des § 251 Abs. 2 BGB fiktiv Reparaturkosten von mehr als 130 % des Wiederbeschaffungswerts abgerechnet werden könnten. Die Ausstattung des klägerischen Fahrzeugs als Taxi sei nur dann und insoweit zu berücksichtigen, als durch diese der Wiederbeschaffungswert an sich erhöht werde. Dies sei im Streitfall in Anbetracht des Alters und der Laufzeit des kläge­rischen Fahrzeugs nicht gegeben. Die Umrüstungskosten seien vielmehr nach allgemeiner Lebenserfahrung als abgeschrieben anzusehen.

II.

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass der streit­gegenständliche Ersatzanspruch des Klägers bei – wie hier – fiktiver Ersatzbe­schaffung auf die Wiederbeschaffungskosten beschränkt ist. Dabei hat es je­doch dem Begriff des Wiederbeschaffungswertes eine falsche Bedeutung bei­gemessen.

1. Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ist der Geschädigte, der es nach ei­nem Sachschaden selbst in die Hand nimmt, den früheren Zustand herzustel­len, berechtigt, vom Schädiger den dazu erforderlichen Geldbetrag zu verlan­gen. Der Schädiger kann ihn auf eine Entschädigung in Geld für den erlittenen Wertverlust nur dann verweisen, wenn und soweit die Herstellung nicht möglich oder zur Entschädigung nicht genügend ist (§ 251 Abs. 1 BGB) oder unverhältnismäßige Aufwendungen erfordert (§ 251 Abs. 2 Satz 1 BGB). Erst die Unverhältnismäßigkeit bildet also bei möglicher Naturalrestitution die Grenze, ab wel­cher der Ersatzanspruch des Geschädigten sich nicht mehr auf Herstellung (Naturalrestitution), sondern allein noch auf Wertausgleich des Verlustes in der Vermögensbilanz (Kompensation) richtet. Insoweit hat Naturalrestitution Vor­rang vor Kompensation (Senatsurteile vom 15. Oktober 1991 – VI ZR 314/90, BGHZ 115, 364, 367; vom 15. Februar 2005 – VI ZR 70/04, BGHZ 162, 161, 163 f.).

Bei einem Schaden an einem Kraftfahrzeug kann der Geschädigte grundsätzlich auf zweierlei Weise Naturalrestitution erreichen: Er kann die Kos­ten für die Reparatur oder für die Anschaffung eines (gleichwertigen) Ersatz­fahrzeugs verlangen. Auch die letztere Art der Schadensbeseitigung ist, wie der Senat wiederholt ausgesprochen hat und woran er weiter festhält, eine Form der Naturalrestitution (Senatsurteile vom 15. Oktober 1991 – VI ZR 67/91, BGHZ 115, 375, 378 mwN; vom 29. April 2003 – VI ZR 393/02, BGHZ 154, 395, 397). Denn das Ziel der Restitution beschränkt sich nicht auf eine (Wieder-) Herstellung der beschädigten Sache; es besteht in umfassenderer Weise ge­mäß § 249 Abs. 1 BGB darin, den Zustand herzustellen, der, wirtschaftlich ge­sehen, der ohne das Schadensereignis bestehenden Lage entspricht (Senats­urteile vom 15. Oktober 1991 – VI ZR 314/90, BGHZ 115, 364, 368; vom 15. Februar 2005 – VI ZR 70/04, BGHZ 162, 161, 164; vom 6. März 2007 – VI ZR 120/06, BGHZ 171, 287 Rn. 6). Der Geschädigte ist aufgrund seiner nach anerkannten schadensrechtlichen Grundsätzen bestehenden Dispositi­onsfreiheit auch in der Verwendung der Mittel frei, die er vom Schädiger zum Schadensausgleich beanspruchen kann. Er ist daher weder dazu verpflichtet, sein Fahrzeug reparieren zu lassen noch tatsächlich eine Ersatzbeschaffung vorzunehmen (vgl. Senatsurteile vom 5. März 1985 – VI ZR 204/83, NJW 1985, 2469; vom 29. April 2003  – VI ZR 393/02, BGHZ 154, 395, 398; vom 15. Februar 2005 – VI ZR 70/04, BGHZ 162, 161, 165 f.; vom 9. Juni 2009 – VI ZR 110/08, BGHZ 181, 242 Rn. 13).

2. Entscheidet sich der Geschädigte – wie hier – für eine Abrechnung auf Gutachtenbasis in Höhe der Kosten einer fiktiven Ersatzbeschaffung, bemisst sich sein Ersatzanspruch nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats auf den Wiederbeschaffungsaufwand, d.h. auf die Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert des Unfallwagens in unbeschädigtem Zustand und dem Restwert des beschädigten Fahrzeugs (vgl. Senatsurteile vom 5. März 1985 – VI ZR 204/83, NJW 1985, 2469, 2470; vom 15. Oktober 1991 – VI ZR 314/90, BGHZ 115, 364, 371 ff.; vom 30. November 1999 – VI ZR 219/98, BGHZ 143, 189, 193; vom 6. März 2007 – VI ZR 120/06, BGHZ 171, 287 Rn. 6). Maßgebliche Bezugsgröße der Schadensberechnung ist mithin der Wiederbeschaffungswert. Dies ist der nach den Verhältnissen auf dem Gebrauchtwagenmarkt zu ermittelnde Preis eines gebrauchten Kraftfahrzeugs, den der Ge­schädigte aufwenden muss, um von einem seriösen Händler einen dem Unfall­fahrzeug entsprechenden Ersatzwagen zu erwerben (Senatsurteil vom 7. März 1978 – VI ZR 237/76, NJW 1978, 1373). Dabei kommt es allein auf eine wirt­schaftliche Gleichwertigkeit der Ersatzbeschaffung unter objektiven Gesichts­punkten an. Entscheidend ist daher nicht, wie gerade der Geschädigte den Wert seines alten und den Wert eines Ersatzfahrzeugs ansetzt, sondern ob eine Schätzung unter objektiven Wertmaßstäben zur Feststellung einer wirtschaftli­chen Gleichwertigkeit führt (Senatsurteil vom 17. Mai 1966 – VI ZR 252/64, NJW 1966, 1454, 1455). Auf bestimmte Ausstattungsmerkmale und Sonderfunktio­nen kann es daher grundsätzlich nur ankommen, soweit sie auf dem Markt ob­jektiv werterhöhend wirken. Auf der anderen Seite ist gerade eine wirtschaftli­che Gleichwertigkeit im Rahmen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung nur gegeben, wenn das Ersatzfahrzeug das beschädigte Fahrzeug in seiner konkreten, ihm vom Geschädigten in objektiv nachvollziehbarer Weise zuge­dachten und wirtschaftlich relevanten Funktion ersetzen kann.

Maßgebend ist nach all dem und im Unterschied zur bloßen Wertkom­pensation nach § 251 BGB weder der Abschreibungswert noch der Preis, den der Geschädigte beim Verkauf des Unfallfahrzeugs in unbeschädigtem Zustand erzielt hätte (Zeit- oder Veräußerungswert), sondern der – bei Fehlen eines funktionierenden Marktes unter Umständen höhere – Preis, den der Geschädig­te beim Kauf eines gleichwertigen Fahrzeugs aufwenden müsste (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., § 249 Rn. 16; Ekkenga/Kuntz, in: Soergel, BGB, 13. Aufl., § 249 Rn. 134).

3. Nach diesen Grundsätzen wären die auf dem Gebrauchtwagenmarkt zu zahlenden Mehrkosten für ein Fahrzeug mit Taxiausrüstung gegenüber ei­nem vergleichbaren Fahrzeug ohne Taxiausrüstung ohne weiteres vom Wie­derbeschaffungswert umfasst und damit ersatzfähig. Nichts anderes kann gel­ten, wenn – wie hier vom Berufungsgericht festgestellt – ein Markt für die Be­schaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs mit Taxiausrüstung nicht exis­tiert. Die notwendigen Kosten für die Umrüstung des Ersatzfahrzeugs zu einem Taxi sind dann – im Unterschied zu dem vom Berufungsgericht herangezogenen Fall der Umrüstung eines Oldtimer-Unikats (Senatsurteil vom 2. März 2010 – VI ZR 144/09, VersR 2010, 785 Rn. 9) – als zusätzlicher Rechnungsposten in die Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts einzustellen. Bei der Umrüstung eines Gebrauchtwagens zu einem Taxi handelt es sich nämlich nicht um die bloße Übertragung individueller Ausstattungsmerkmale ohne objektivierbaren wirtschaftlichen Wert, sondern um den Einbau von durch Rechtsverordnung (§§ 25 ff. Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personen­verkehr [BOKraft] vom 21. Juni 1975, BGBl. I 1573, zuletzt geändert durch Art. 483 Zehnte Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 31. August 2015, BGBl. I 1474) vorgeschriebenen besonderen Ausrüstungs- (§ 25 Abs. 2 BOKraft: Alarmanlage, § 28 BOKraft: Fahrpreisanzeiger) und Beschaffenheit­selementen (§ 26 Abs. 1 BOKraft: hell-elfenbein-farbiger Anstrich, Taxischild). Ohne diese Elemente könnte das (fiktive) Ersatzfahrzeug das Unfallfahrzeug in dessen wesentlicher, gerade erwerbswirtschaftlich bedeutsamen Funktion nicht ersetzen, nachdem das für den Kläger maßgebliche Land Nordrhein-Westfalen von der Möglichkeit einer allgemeinen Ausnahme (§ 43 Abs. 1 BOKraft) von diesen Vorgaben keinen Gebrauch gemacht hat. Die Umrüstung macht die Naturalrestitution damit überhaupt erst möglich. Darauf, dass der Geschädigte bei Veräußerung seines Taxis keinen Preisaufschlag wegen der Taxiausrüstung hätte erzielen können und dass die Taxiausrüstung gegebenenfalls bereits ab­geschrieben war, in der Vermögensbilanz des Geschädigten folglich keine Rolle spielte, kommt es jedenfalls in diesem Zusammenhang entgegen der Auffas­sung des Berufungsgerichts nicht an.

Im Ergebnis sind, wenn ein Markt für die Ersatzbeschaffung eines Gebrauchtwagens mit Taxiausrüstung nicht existiert, die Umrüstung eines im Übri­gen gleichwertigen Gebrauchtwagens zu einem Taxi jedoch mit verhältnismäßi­gem Aufwand möglich ist, die (fiktiven) Umrüstungskosten als zusätzlicher Rechnungsposten in die Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts einzustellen und damit im Rahmen des Anspruchs des Geschädigten auf Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB) ersatzfähig (vgl. OLG Karlsruhe, NZV 1994, 393, 394; OLG Hamm, NZV 1996, 113; OLG Düsseldorf, NZV 1997, 355, 357; KG, Urteil vom 26. Juli 2001 – 12 U 1529/00, juris Rn. 3 ff.; Palandt/Grüneberg, aaO, § 249 Rn. 14; Freymann/Rüßmann, in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 2016, § 249 Rn. 104; Geigel/Knerr, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 3 Rn. 41; Becker, SVR 2010, 130, 131; im Ergebnis auch LG Düsseldorf, NJW-RR 2011, 1052; a.A. OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 1986, 657, 658; Gre­ger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 23 Rn. 27; Klimke, VersR 1974, 832, 837). An die vom Sachverständigen verwendete begriffliche Unterscheidung zwischen Wiederbeschaffungswert einerseits und Umrüstungs­kosten andererseits, die Ausgangspunkt für die angegriffene Entscheidung war, ist das Berufungsgericht dabei nicht gebunden.

III.

1. Der Senat ist an einer Entscheidung in der Sache gehindert. Das Be­rufungsgericht hat – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder zur Erforderlichkeit der vom Kläger im Einzelnen geltend gemachten Umrüstungs­kosten noch zur etwaigen Notwendigkeit eines diesbezüglichen Vorteilsaus­gleichs unter dem Gesichtspunkt „neu für alt“ Feststellungen getroffen.

Damit fehlt es zugleich an ausreichenden Feststellungen für eine Abwä­gung nach § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB. Auch wenn durch die Umrüstung eines Gebrauchtwagens ein zulassungsfähiges Taxi hergestellt werden kann, das dem beschädigten Taxi technisch wie wirtschaftlich-funktional gleichwertig ist, und somit grundsätzlich die Möglichkeit zur Naturalrestitution besteht, kann der Geschädigte gemäß § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB vom Schädiger dann keine Zah­lung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB verlangen, wenn die Herstellung unverhält­nismäßige Aufwendungen erfordern würde. Der als Zahlungsanspruch ausge­kleidete besondere Herstellungsanspruch aus § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB unter­liegt nämlich der Zumutbarkeitsschranke des § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB (vgl. Senatsurteile vom 3. Dezember 1974 – VI ZR 1/74, BGHZ 63, 295, 297; vom 13. Mai 1975 – VI ZR 85/74, NJW 1975, 2061). Die Frage, ob die Vorausset­zungen dieser zu einem bloßen Wertausgleich führenden Vorschrift erfüllt sind, ist im Einzelfall aufgrund einer Gegenüberstellung des für die Restitution erfor­derlichen Aufwandes und des Verkehrswertes (Zeitwertes) der zu ersetzenden Sache zu beantworten. Dabei ist, wenn die (Wieder-)Herstellung auf Seiten des Geschädigten zu einer Wertsteigerung und damit über einen Abzug „neu für alt“ zu einer entsprechenden Verringerung seines Zahlungsanspruches aus § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB führt, nur dieser verkürzte Anspruch gegenüber dem Ver­kehrswert auf die Waagschale zu legen (vgl. Senatsurteil vom 8. Dezember 1987 – VI ZR 53/87, BGHZ 102, 322, 330).

2. Das angefochtene Urteil war daher im Umfang der Anfechtung aufzu­heben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die Beklagten mit ihrem Einwand, der Kläger habe wegen der zwischenzeitli­chen Aufgabe seines Taxiunternehmens kein schützenswertes Interesse mehr an einer Umrüstung, grundsätzlich nicht gehört werden können. Wie unter II.1 bereits ausgeführt steht es dem Geschädigten bei fiktiver Schadensabrechnung im Rahmen seiner Dispositionsfreiheit grundsätzlich frei, ob er den zur Wieder­herstellung erforderlichen Betrag wirklich diesem Zweck zuführt oder anderwei­tig verwendet. Deshalb kann der Wille des Geschädigten zur Wiederherstellung (ein praktisch kaum nachprüfbarer innerer Tatbestand) nicht zur Voraussetzung für den Anspruch auf Zahlung des hierzu erforderlichen Geldbetrags erhoben werden (Senatsurteil vom 23. März 1976 – VI ZR 41/74, BGHZ 66, 239, 241).

Wie der Geschädigte tatsächlich mit dem Geldbetrag verfährt, „geht den Schä­diger nichts an“ (vgl. Senatsurteile vom 23. März 1976 – VI ZR 41/74, BGHZ 66, 239, 246; vom 7. Juni 2005 – VI ZR 192/04, BGHZ 163, 180, 185).

Galke                                                 Oehler                                                Roloff

.                             Müller                                                     Klein

Vorinstanzen:
AG Remscheid, Entscheidung vom 10.11.2015 – 8a C 85/14 –
LG Wuppertal, Entscheidung vom 15.12.2016 – 9 S 281/15 –

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  1. Kai sagt:

    Das ist ein Urteil, das es so mit Wellner vermutlich nicht gegeben hätte, aber absolut richtig ist.

    „Denn das Ziel der Restitution beschränkt sich nicht auf eine (Wieder-) Herstellung der beschädigten Sache; es besteht in umfassenderer Weise ge­mäß § 249 Abs. 1 BGB darin, den Zustand herzustellen, der, wirtschaftlich ge­sehen, der ohne das Schadensereignis bestehenden Lage entspricht.“

    Das ist der wichtige und richtige Satz.

    „Wie der Geschädigte tatsächlich mit dem Geldbetrag verfährt, „geht den Schä­diger nichts an““

    Das ist das i-Tüpfelchen!

    Viele Grüße

    Kai

  2. RA. Westfalen sagt:

    Hallo Kai,
    und genauso ist es mit den Sachverständigenkosten. Auch diese dienen der (Wieder-)Herstellung des vor dem Unfall bestehenden Zustandes, indem nämlich der Sachverständige beweissichernd den Schadensumfang und die Schadenshöhe und ggf. den Reparaturweg feststellt. Nicht umsonst hat der BGH mit Urteil vom 23.1.2007 die Kosten des Sachverständigengutachtens zu den mit dem Unfallschaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 I BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen gezählt, wenn die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (BGH DS 2007, 144 m. zust. Anm. Wortmann).
    Auch ich glaube, dass es dieses Revisionsurteil mit Bundesrichter Wellner so nicht gegeben hätte. Der hätte mit Sicherheit § 249 II 1 BGB mit dem erforderlichen Geldbetrag unter Schätzung des besonders freigestellten Tatrichters im Sinne des § 287 ZPO entschieden.

  3. virus sagt:

    Zum Sachverhalt ist hier – beck aktuell – https://rsw.beck.de/aktuell/meldung/bgh-fiktive-umruestungskosten-fuer-ein-taxi-als-naturalrestitution nachzulesen:

    „Anmerkung von
    Rechtsanwalt Ottheinz Kääb, LL.M., Fachanwalt für Verkehrsrecht und für Versicherungsrecht,
    Rechtsanwälte Kääb Bürner Kiener & Kollegen, München
    Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 13/2017 vom 06.07.2017

    Der Wiederbeschaffungswert beträgt brutto 2.800 EUR. Die Reparaturkosten betragen nach Gutachten rund 4.600 EUR und die Umbaukosten, bevor ein «normaler» Pkw als Taxi zugelassen werden kann, belaufen sich auf 1.835,08 EUR. Diese Kosten will der Kläger im Zuge fiktiver Ersatzbeschaffungskosten von der Beklagten haben. Im Febuar 2014 gab der Kläger sein Taxiunternehmen auf und veräußerte auch das Unfallfahrzeug.“

    Da es sich um einen Haftpflichtschaden handelt, wurde die Entscheidung zurück verwiesen, da noch zu prüfen sei, ob das Fahrzeug aufgrund des Umbaus von einem normalen PKW in ein gesetzeskonformes Taxi eine Wertsteigerung erfahren würde, die der Geschädigte sich als Vorteilsausgleich (was nicht mit Kasko – Neu für Alt gleichzusetzen ist) anrechnen lassen muß. Siehe dazu: Vorteilsausgleich – http://ruessmann.jura.uni-sb.de/bvr2003/Vorlesung/Vorteilsausgleich.htm

  4. Bösewicht sagt:

    Das wird dem Herrn Bundesrichter Wellner wieder die Zornesröte ins Gesicht treiben. Während er beim MWV wieder von der Versicherungswirtschaft bezahlte Seminare gibt, wird ohne ihn korrekt entschieden … 😉

  5. KfzMeister sagt:

    Ich frage mich, wann endlich der BGH Urteile zur Deutung und Bestimmung des Vorteilsausgleiches spricht!
    Wenn ich mir anschaue, wie SV und Versicherer bei alten Gebrauchtwagen 50% oder 100% Kostenteile streichen und dieses dann zu 50% Wertverbesserung des eigentlichen Fahrzeuges beitragen soll, wird mir schlecht.

  6. HJS sagt:

    Na da haben die in Ihrer tatrichterlichen Erkenntnis freigestellten Kollegen dann mal ohne Herrn Wellner richtig geurteilt.
    Oder anders ausgedrückt: „… die haben den Knall (Shitstorm“) doch gehört!
    Was wiederum beweist, warum gerade dieses Korrektiv „Captain HuK“ einen so wertvollen und wichtigen Beitrag hier leistet.

    BG

  7. Juri sagt:

    Eigentlich nur merkwürdig. Da bringt der BGH nichts weiter als ein überwiegend korrektes Urteil – bis auf den „nfa -Unsinn“ – in die Welt und alle jubeln laut Hosianna. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit und sonst gar nichts.

  8. Iven Hanske sagt:

    Gilt § 249 Abs. 1 BGB auch für die Wiederherstellung in Verbindung mit den Vermögensnachteilen des Geschädigten zu den Gutachterkosten?
    Noch können Richter Galke, die Richterinnen Dr. Oehler, Dr. Roloff und Müller und der Richter Dr. Klein für Klarstellung und richtiges Fahrwasser sorgen, wenn Sie den Wellnermißbrauchsunsinn mit den besonders freigestellten Schätzungsdiktatrichter nur bei Abtretung erfüllungsstatt (ohne Vermögensnachteile des Geschädigten) erklären und bei Vermögensnachteilen die hiesigen Entscheidungsgründe darstellen, oder?

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