OLG Karlsruhe verweist mit zutreffender Begründung den Schädiger beim Schadensersatz auf den Vorteilsausgleich mit Urteil vom 22.12.2015 – 14 U 63/15 -.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserschaft,

hier stellen wir Euch zum Wochenende ein Berufungsurteil des OLG Karlsruhe zu den konkreten Reparaturkosten vor. Obwohl die Werkstatt offensichtlich fehlerhaft abgerechnet hatte, wurden dem Geschädigten die Reparaturkosten in voller Höhe zugesprochen und die Versicherung auf den Vorteilsausgleich verwiesen (Auswahlverschulden, Einfluss- Erkenntnismöglichkeiten, Prognoserisiko…). Das Gleiche gilt logischerweise auch entsprechend für konkret angefallene Abschleppkosten, Mietwagenkosten, Sachverständigenkosten usw.. Im Schadensersatzprozess hat das Gericht demzufolge nicht irgendwelche überhöhte oder vermeintlich überhöhte Schadenspositionen unter Rechtsmissbrauch des § 287 ZPO willkürlich zu kürzen, wie es der Bundesrichter Wellner den Seminarteilnehmern seiner Seminare glaubhaft machen will und dies auch in den von ihm mitgetragenen Entscheidungen festlegt. Richtigerweise hat das erkennende Gericht bei einem konkret dargestellten Schaden den Schädiger auf den Vorteilsausgleich zu verweisen (vgl. dazu: Imhof / Wortmann DS 2011, 149 ff.; Ullenboom NJW 2017, 849, 852; ders. SVR 2016, 321). Wir halten das Urteil des OLG Karlsruhe daher für eine prima Entscheidung, die das Schadensersatzrecht wieder auf den Punkt gebracht hat. Leider werden auch in dieser Entscheidung wieder die konkret angefallenen Kosten unter Hinweis auf § 249 Abs. 2 BGB geprüft.

Viele Grüße und ein schönes Wochenende
Willi Wacker

Aktenzeichen:
14 U 63/15
2 O 114/13 LG Freiburg im Breisgau

Oberlandesgericht Karlsruhe
ZIVILSENATE IN FREIBURG
14. ZIVILSENAT

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

– Klägerin und Berufungsbeklagte –

gegen

– Beklagte und Berufungsklägerin –

wegen Schadensersatzes –
hat das Oberlandesgericht Karlsruhe – 14. Zivilsenat – durch den Richter am Oberlandesgericht … als Einzelrichter auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 08.12.2015 für Recht erkannt:

1.        Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 16.04.2015 (2 O 114/13) wird zurückgewiesen.

2.        Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3.        Das Urteil des Landgerichts und das Berufungsurteil sind vorläufig vollstreckbar.

4.        Die Revision wird nicht zugelassen.

5.        Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 3.706,93 €.

Entscheidungsgründe

A.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen. Mit der Berufung verfolgt die Beklagte insoweit weiter die Abweisung der Klage, als mit dem erstinstanzlichen Urteil der Klägerin Reparaturkosten in Höhe von 3.706,93 € zugesprochen wurden. Die Beklagte ist der Auffassung, der Schadensersatzanspruch der Klägerin beschränke sich auf den Betrag, der zum einen nach den Feststellungen des Sachverständigen zur Schadensbehebung objektiv erforderlich war, zum anderen aber auch dem Wert der tatsächlich erbrachten Reparaturleistungen entspricht. Der Geschädigte habe nur in den Fällen das Werkstatt- und Prognoserisiko nicht zu tragen, in denen die Werkstatt Arbeiten ausgeführt und berechnet habe, die objektiv nicht erforderlich sind. Im vorliegenden Fall habe es gar keine tatsächlichen Mehraufwendungen gegeben; daher sei die Rechtsprechung, die sich auf unnötigen Mehraufwand beziehe, nicht anwendbar. Faktisch sei nicht damit zu rechnen, dass die reparierende Werkstatt trotz des Ergebnisses der Beweisaufnahme die Kosten für die ausgeführten und nicht notwendigen Reparaturen durchsetzen würde.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 16.04.2015, Aktenzeichen: 2 O 114/13, teilweise aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit die Beklagte dazu verurteilt wird, mehr als 2.618,45 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.02.2013 sowie mehr als 61,88 € vorgerichtliche Vergütung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie verweist darauf, dass sie vorprozessual die gesamte Reparaturrechnung bezahlt hat. Sie habe zu keinem Zeitpunkt erkennen können, dass mit der Rechnung Arbeiten abgerechnet worden seien, die tatsächlich nicht durchgeführt wurden. Dieses habe sie erst durch die durchgeführte Beweisaufnahme erfahren. Sie habe auch keinen Anlass gehabt, an der Höhe der Rechnung zu zweifeln, da sich diese im Rahmen der vom Sachverständigen … kalkulierten Reparaturkosten bewegte.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der Schriftsätze in beiden Rechtszügen Bezug genommen.

B.

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

Das Landgericht hat der Klägerin auch in Höhe von weiteren 3.706,93 € zu Recht Schadensersatz gemäß §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG zugesprochen. Der erforderliche Herstellungsaufwand im Sinne von § 249 Abs. 2 S. 1 BGB umfasst auch diesen Betrag.

Maßgeblich ist der Aufwand, der vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheint; dabei ist auf die Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten abzustellen (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Urteil vom 15.09.2015 – VI ZR 475/14 -; BGH, Urteil vom 29.10.1974 – VI ZR 42/73 -; BGH, Urteil vom 15.10.1991 – VI ZR 314/90 -, Juris). Solange dem Geschädigten nicht ausnahmsweise bezüglich des beauftragten Sachverständigen oder der beauftragten Werkstatt ein Auswahlverschulden zur Last fällt, sind ihm die Kosten zu erstatten, die er aufgrund des Gutachtens als notwendig ansehen darf und von denen er nach erfolgter Reparatur aufgrund der gestellten Werkstattrechnung annehmen darf, dass er sie als Auftraggeber schuldet. Der Unfallgeschädigte darf sowohl auf die Sachkunde des Gutachters vertrauen, als auch darauf, dass die Werkstatt nicht betrügerisch Werkleistungen in Rechnung stellt, die gar nicht erbracht wurden. Die Möglichkeit, das Gutachten aus eigener Kenntnis zu überprüfen oder die Durchführung der Reparaturen selbst zu kontrollieren, hat der Geschädigte nur in besonderen Fällen. Dass ein solcher Ausnahmefall vorliegt, hat die Beklagte selbst nicht vorgetragen.

Im Hinblick auf den Schadensbegriff des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB macht es keinen Unterschied, ob der objektiv zu hohe Betrag, der vom Geschädigten gefordert wird, auf tatsächlich durchgeführte, überflüssige Arbeiten oder auf nicht erbrachte, betrügerisch abgerechnete Aufwendungen zurückzuführen ist. Maßgeblich ist, ob der Geschädigte im Rahmen seiner subjektiven Einfluss- und Erkenntnismöglichkeiten den überflüssigen Mehraufwand oder die Täuschung über den tatsächlichen Umfang der Arbeiten vermeiden konnte. Im Fall der Klägerin steht fest, dass sie aufgrund der Schadensermittlung eines sorgfältig ausgewählten Sachverständigen den geltend gemachten Rechnungsbetrag als erforderlich ansehen durfte; erst die gerichtlich veranlasste Begutachtung hat ergeben, welche Arbeiten überflüssig bzw. nicht ausgeführt worden waren.

Auf den Gesichtspunkt, dass die Werkstatt angesichts des Beweisergebnisses die Forderung voraussichtlich nicht durchsetzen würde, kommt es vorliegend nicht an. Der Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung erster Instanz, dass die Werkstattrechnung in voller Höhe bezahlt worden sei, wurde ausweislich des Protokolls von der Beklagten nicht bestritten.

Auf die Frage, ob sich der Anspruch der Geschädigten unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 BGB verringert bzw. teilweise erledigt, wenn sich im Laufe des Schadensersatzprozesses mit der Versicherung herausstellt, dass eine noch nicht ausgeglichene Forderung der Werkstatt überhöht ist, kommt es daher nicht an. Keinesfalls ist die Geschädigte verpflichtet, den zuviel gezahlten Betrag auf eigenes Risiko gegenüber der Werkstatt geltend zu machen; die Beklagte kann im Rahmen der Vorteilsausgleichung von der Klägerin die Abtretung von Rückforderungsansprüchen verlangen. Die Belange der Beklagten sind insofern hinreichend gewahrt.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Eine Veranlassung zur Zulassung der Revision besteht nicht. Der Rechtstreit wirft keine Fragen auf, die nicht bereits in der höchstrichterlichen Rechtsprechung hinreichend geklärt wären (§ 543 Abs. 2 ZPO). Insbesondere ist die Rechtsprechung, soweit sie sich auf die subjektive Schadensbetrachtung und die Zuweisung des Prognose- und Werkstattrisikos bezieht, vollkommen einheitlich. Ob das Verschulden der Werkstatt darin liegt, dass sie überflüssige Arbeiten ausführt und in Rechnung stellt, oder ob sie betrügerisch nicht durchgeführte Rechnungen abrechnet, ist lediglich ein Unterschied im tatsächlichen Bereich, der die rechtliche Würdigung des Schadensersatzanspruchs zwischen Schädiger und Geschädigten nicht berührt.


Richter am Oberlandesgericht

Verkündet am 22.12.2015

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2 Antworten zu OLG Karlsruhe verweist mit zutreffender Begründung den Schädiger beim Schadensersatz auf den Vorteilsausgleich mit Urteil vom 22.12.2015 – 14 U 63/15 -.

  1. R-REPORT-AKTUELL sagt:

    Das OLG Karlsruhe zeigt dem VI. Zivilsenat des BGH einmal mehr, wie einfach und übersichtlich eine Schadenersatzverpflichtung abgehandelt werden kann und was dieser Zivilsenat bei seinen Interpretationen in jüngeren Entscheidungen alles ignoriert, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen. Ein mutiger, aber auch selbstbewusster Schritt.

    R-REPORT-AKTUELL

  2. H.J.S. sagt:

    Es häufen sich die OLG Urteile, die mit den ganzen (Ver-) Irrungen endlich aufräumen.
    Vielleicht ist ja doch der ein oder andere Richter dabei, der diesem Blog hier regelmäßig folgt und damit dann in der Urteilsfindung leichtes Spiel hat. Jedenfalls liest sich das Urteil, genau wie die Tenorierung der Kommentare der CH Redaktion, zumindest sehr, sehr ähnlich.
    Weiter so, besten Dank!

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