Urteil des I. Zivilsenates des BGH zur Sachverständigenqualifikation ( Urteil vom 6.2.1997 – I ZR 234/94 -).

Hallo verehrte Captain-Huk-Leser,

nachfolgend gebe ich Euch  noch das vom Hanseatischen OLG Hamburg vom 29.03.2012 (15 U 16/12) zitierte BGH-Urteil des I. Zivilsenates zur Sachverständigenqualifikation bekannt. Mit diesem Hintergrund wird dann auch die Entscheidung aus Hamburg noch deutlicher. Die Redaktion hat also auch am Sonnabend keine Mühen gescheut und auch das schon etwas ältere, aber dafür nicht unwichtige, Urteil des BGH hervorgekramt und zur Veröffentlichung hier vorbereitet.

Mit freundlichen Grüßen und den besten Wünsche zum Wochenende

Euer Willi Wacker

  BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

I ZR 234/94                                                                   Verkündet am:
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BGH, Urt. vom 06. Februar 1997 – OLG München
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Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 29. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 20. Oktober 1994 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand:

Der im Jahre 1947 geborene Beklagte meldete 1984 die Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit als Kraftfahrzeug-Sachverständiger (Schadensbegutachtung und Kfz.-Bewertung) bei der zuständigen Gewerbebehörde an und begann mit der Erstattung von Schadensgutachten. Diese Tätigkeit übt er seit 1986 ausschließlich aus. Er hatte zuvor eine Lehre als Karosseriebauer begonnen, die er nicht beendete, und war bis 1986 noch als Taxiunternehmer tätig gewesen.

In Anzeigen im Branchen-Telefonbuch und im Branchen-Buch hat der Beklagte für seine Tätigkeit mit der Bezeichnung „Sachverständigenbüro für Kfz.-Unfallschäden und Fahrzeugbewertung“ und „Kfz.-Sachverständigenbüro“ geworben. In einem von ihm benutzten Briefkopf bezeichnet er sich als „Neutraler und unabhängiger Sachverständiger für Karosserieschäden und Bewertung“.

Die Klägerin, die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, hat die von dem Beklagten für seine Tätigkeit verwendete Bezeichnung „Sachverständiger“ als irreführend beanstandet und den Beklagten auf Unterlassung und Zahlung vorgerichtlicher Aufwendungen in Höhe von 267,50 DM in Anspruch genommen. Die angesprochenen Verkehrskreise erwarteten von einem Sachverständigen, daß er über einen besonderen, überdurchschnittlichen Sachverstand auf dem Gebiet des Kfz.-Wesens und über eine Vorbildung verfüge, die der eines Leiters eines Reparaturbetriebs, also eines Kraftfahrzeug-Meisters entspreche, weil er Kosten für Arbeiten schätzen müsse, die in einem von einem Kraftfahrzeug-Meister geführten Reparaturbetrieb ausgeführt werden. Diesen Anforderungen genüge der Beklagte nach seiner Ausbildung nicht.

Der Beklagte ist dem entgegengetreten. Er hat vorgetragen, er verfüge über die vom Verkehr erwartete Sachkunde. Er habe etwa 6.000 Gutachten gefertigt; Beanstandungen habe es in weniger als einem Prozent der Fälle gegeben. Die erforderlichen Kenntnisse aktualisiere er laufend. Durch den Besuch von Seminaren und Kursen informiere er sich über den jeweiligen Stand der Technik. Zur Erstattung der Gutachten bediene er sich eines anerkannten Datenverarbeitungssystems.

Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt.

Das Berufungsgericht (OLG München WRP 1995, 57) hat unter Abweisung eines – in der Revisionsinstanz nicht mehr verfolgten – weiteren Unterlassungsbegehrens den Beklagten unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel verurteilt,

es zu unterlassen, sich im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs in Bezug auf die Bewertung von Unfallschäden und/oder die Bewertung von Fahrzeugen als Sachverständiger zu bezeichnen und/oder seinen Gewerbebetrieb als Kfz.-Sachverständigenbüro und/oder Sachverständigenbüro für Kfz.-Unfallschäden und Fahrzeugbewertung zu bezeichnen und/oder bezeichnen zu lassen.

Mit der Revision verfolgt der Beklagte den Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat die Verwendung der Bezeichnung „Sachverständiger“ durch den Beklagten als irreführend im Sinne des § 3 UWG angesehen. Es hat dazu ausgeführt: Obwohl der Beruf des Sachverständigen für Kfz.-Schäden und Kfz.-Bewertung ohne gesetzlich normierte Voraussetzungen frei zugänglich sei, könne die Verwendung der Bezeichnung im Einzelfall irreführend sein. Der Beklagte wende sich mit seinem Angebot an breiteste Verkehrskreise, nämlich die Halter von Kraftfahrzeugen, insbesondere von Personenkraftwagen, die nach einem Verkehrsunfall eine zuverlässige Schätzung der zur Reparatur des Fahrzeugs notwendigen Kosten benötigten, oder diejenigen, die für den Kauf oder Verkauf eine zuverlässige Schätzung des Verkehrswerts eines Fahrzeugs vornehmen lassen wollten. Diese erwarteten, daß derjenige, der sich selbst als Sachverständiger bezeichne, über den zur kompetenten, zutreffenden und schriftlich begründeten Beantwortung der gestellten Fragen erforderlichen Sachverstand verfüge.

Zumindest erhebliche Teile des Verkehrs erwarteten von den sich als Sachverständige bezeichnenden Personen darüber hinaus, daß sie sich diese Sachkunde nicht nur auf nicht überprüfbare Weise autodidaktisch angeeignet hätten, sondern daß sie die für jede Berufsausübung in mehr oder weniger hohem Maße erforderliche Berufsausbildung durchlaufen und diese überprüfbar abgeschlossen hätten. Von einem Sachverständigen für Kraftfahrzeugschäden werde erwartet, daß er über die – in der Regel durch die Meisterprüfung oder einen vergleichbaren Abschluß, insbesondere die Prüfung als Diplomingenieur nachweisbare – Befähigung zur verantwortlichen Leitung einer Kraftfahrzeug-Reparaturwerkstatt verfüge. Wer sich für Kraftfahrzeugbewertungen erbiete, von dem werde erwartet, daß er zumindest über berufliche Erfahrung im Handel mit gebrauchten Kraftfahrzeugen verfüge.

Diesen Anforderungen genüge der Beklagte nicht. Es könne unterstellt werden, daß die begonnene Ausbildung im Falle ihres Abschlusses genügend gewesen wäre, um die erforderliche und vom Verkehr erwartete Sachkunde zu vermitteln. Die vom Beklagten bisher ausgeübten Tätigkeiten hätten ihm diese nicht vermittelt. Es entspreche auch nicht den Erwartungen des Verkehrs, daß sich jemand nur auf der Grundlage einer nicht abgeschlossenen Berufsausbildung und mehrjähriger praktischer Erfahrung in der Erstattung von Gutachten als Sachverständiger bezeichne. Ein seriöser Auftraggeber hätte den Beklagten in Kenntnis seines Werdegangs als Sachverständiger nicht mit der Erstattung eines Gutachtens in einem durchschnittlichen Kraftfahrzeug-Schadensfall beauftragt.

Bei der Verurteilung habe es des vom Landgericht ausgesprochenen Zusatzes „ohne wenigstens die Meisterprüfung in einem Kfz.-Beruf bestanden zu haben oder Diplomingenieur zu sein“ nicht bedurft, da nicht festgestellt werden könne, daß das Bestehen einer dieser Prüfungen die einzig denkbare Voraussetzung für den Erwerb der den Erwartungen des Verkehrs entsprechenden Kenntnis sei.

II.

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Die gegen die Prozeßführungsbefugnis der Klägerin vorgebrachten Bedenken der Revision sind allerdings unbegründet. Der Senat hat die Klägerin auch nach der Neufassung des § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG in ständiger Rechtsprechung in umfassendem Umfang als prozeßführungsbefugt angesehen. Das Erfordernis der „erheblichen Zahl von Gewerbetreibenden, die Waren oder gewerbliche Leistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben“ erfüllt die Klägerin schon deshalb, weil ihr sämtliche Industrie- und Handelskammern, der Deutsche Handwerkskammertag und viele örtliche Handwerkskammern angehören (vgl. BGH, Urt. v. 29.9.1994 – I ZR 138/92, GRUR 1995, 122 = WRP 1995, 104 – Laienwerbung für Augenoptiker; Urt. v. 7.11.1996 – I ZR 183/94, GRUR 1997, 227, 228 = WRP 1997, 182 – Aussehen mit Brille). Die durch diese Institutionen vermittelte mittelbare Mitgliedschaft, die den Anforderungen genügt, erstreckt sich auch auf den hier maßgebenden Bereich des Gutachterwesens (vgl. auch OLG Dresden WRP 1996, 1168, 1170).

2. Dagegen hält die Annahme des Berufungsgerichts, die beanstandete Sachverständigenbezeichnung sei irreführend im Sinne des § 3 UWG, der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen läßt sich nicht abschließend beurteilen, ob der Klägerin der mit der Klage geltend gemachte Unterlassungsanspruch zusteht.

a) Der Anwendung des § 3 UWG steht nicht entgegen, daß die Bezeichnung „Sachverständiger“ – anders als die Bezeichnung „öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger“ – gesetzlich nicht geschützt ist. Der von einer privaten Organisation anerkannte Sachverständige begegnete daher grundsätzlich ebensowenig Bedenken wie der Sachverständige kraft Selbstbezeichnung, der sogen. selbsternannte Sachverständige. Allerdings darf die Bezeichnung nicht in einer gegen das UWG verstoßenden Weise unlauter verwendet werden. Die freie Berufsausübung wird durch ein solches Verbot nicht in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise beschränkt. Das UWG enthält eine aus der Sicht des Grundgesetzes unbedenkliche Regelung der Berufsausübung im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 32, 311, 317 – Grabsteinaufträge; BVerfG GRUR 1996, 899 = WRP 1996, 1087 – Werbeverbot für Apotheker). Die vorliegend betroffene Freiheit der Berufsausübung, zu deren Schutzbereich auch die Führung von Berufsbezeichnungen gehört, ist daher durch das Verbot irreführender Werbung des § 3 UWG beschränkt. Täuschende Berufsangaben genießen grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Schutz (vgl. BGH, Urt. v. 25.1.1990 – I ZR 182/88, NJW-RR 1990, 678 – Buchführungshelfer).

b) Zum Verkehrsverständnis hat das Berufungsgericht zunächst rechtsfehlerfrei festgestellt, die angesprochenen Verkehrskreise erwarteten von einem selbsternannten Sachverständigen auf den hier in Rede stehenden Fachgebieten, daß er über die für die ordnungsgemäße Erstattung von Kfz.-Schadens- und Kfz.-Bewertungs-Gutachten erforderliche Sachkunde verfügt, die der eigenen überlegen ist. Auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts ist nicht zu beanstanden, die Verkehrserwartung werde durch die allgemeine Kenntnis beeinflußt, daß es auf vielen Fachgebieten öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige gibt, an deren Sachkunde und Unabhängigkeit hohe Anforderungen gestellt werden. Der Verkehr erwartet daher auch von einem schlichten Sachverständigen uneingeschränkt fundiertes Fach- und Erfahrungswissen (Großkomm/Lindacher § 3 UWG Rdn. 430).

Das Berufungsgericht hat weiter festgestellt, nicht unerhebliche Teile des Verkehrs erwarteten darüber hinaus, daß derjenige, der als Sachverständiger auftritt, sich die erforderliche Sachkunde nicht autodidaktisch angeeignet, sondern auf nachprüfbare Weise erworben hat, nämlich durch eine mit einer Prüfung abgeschlossene Berufsausbildung. Dabei werde, soweit es um den Sachverständigen für Kfz.-Schäden gehe, ein Abschluß erwartet, der zur verantwortlichen Leitung einer Kfz.-Reparaturwerkstatt befähige, also in der Regel die Meisterprüfung oder ein vergleichbarer Abschluß, wie insbesondere die Prüfung als Diplom-Ingenieur. Von demjenigen, der als Sachverständiger für Kfz.-Bewertung auftrete, werde erwartet, daß er zumindest über berufliche Erfahrung im Handel mit gebrauchten Kraftfahrzeugen verfüge.

Die festgestellte Verkehrserwartung, die erforderliche Fachkompetenz setze einen Ausbildungsgang mit förmlicher Abschlußprüfung voraus, bezieht sich allerdings nur auf den Regelfall und schließt Ausnahmen nicht aus. So hat das Berufungsgericht denn auch in anderem Zusammenhang zutreffend ausgeführt, ein entsprechender Werdegang werde zwar regelmäßig zur Führung der Bezeichnung „Sachverständiger“ berechtigen, dies sei jedoch nicht die einzige denkbare Voraussetzung für den Erwerb der den Verkehrserwartungen entsprechenden Sachkunde. Denkbar wäre z.B. ausnahmsweise der Erwerb der erforderlichen Sachkunde durch eine langjährige Mitarbeit bei einem anerkannten Sachverständigen, der die Anforderungen erfüllt und beurteilen kann, ob der Mitarbeiter sich diese auch angeeignet hat. Nicht völlig auszuschließen ist allerdings der Erwerb der nötigen Fachkompetenz, die derjenigen der anderen auf dem Fachgebiet tätigen Sachverständigen entspricht, auch auf autodidaktischem Wege und einer langjährigen ordnungsgemäßen Gutachtertätigkeit. An den Nachweis sind insoweit allerdings nicht geringe Anforderungen zu stellen (vgl. nachfolgend unter c).

Eine andere Betrachtung, die – weil möglicherweise nicht unerhebliche Teile des Verkehrs dies erwarten – auch für die Führung einer an sich freien Berufsbezeichnung generell einen vom Gesetz nicht vorgeschriebenen formalen Zulassungsnachweis (Meisterprüfung, Diplom u.ä.) verlangt, könnte die Freiheit der Berufsausübung im Einzelfall unverhältnismäßig einschränken und durch die Abwägung der beteiligten Interessen nicht geboten sein. Das Allgemeininteresse, vor falschen Sachverständigengutachten geschützt zu werden, erfordert nicht zwingend ein uneingeschränktes Verbot der Bezeichnung „Sachverständiger“, wenn der Betroffene ausnahmsweise auch ohne Abschluß einer – jedenfalls grundsätzlich für erforderlich gehaltenen – Ausbildung einen vergleichbaren Kenntnis- und Erfahrungsstand erlangt hat, der ihm eine ordnungsgemäße Begutachtung ermöglicht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber bisher keinen Anlaß gesehen hat, Zugangsvoraussetzungen zu dem Sachverständigenberuf durch Nachweis einer besonderen Ausbildung und Prüfung festzulegen. Auf seiten des Betroffenen ist der Freiheitsgehalt des hier berührten Rechts der freien Berufsausübung zu beachten. Zwar wird durch ein Verbot der Verwendung der angegriffenen Berufsbezeichnung der Ausübung des Sachverständigenberufs weder rechtlich noch wirtschaftlich die Grundlage entzogen; denn der selbsternannte Sachverständige könnte auch auf andere Bezeichnungen ausweichen, wie Kfz.-Schadensschätzer, Kfz.-Bewerter, Kfz.-Gutachter u.ä. Andererseits kann ihm ein Interesse an einer gleichen Wettbewerbschance durch Benutzung einer werbewirksamen Berufsbezeichnung jedenfalls dann nicht ohne weiteres abgesprochen werden, wenn eine – hier unterstellt – gleiche Befähigung gegeben ist und es sich um eine an sich freie Berufsbezeichnung handelt. Eine etwaige Fehlvorstellung von Teilen des Verkehrs über das Vorhandensein einer mit Prüfung abgeschlossenen Berufsausbildung wäre daher nicht zwingend schutzwürdig. Zu den Aufgaben des Lauterkeitsrechts gehört es nicht, den Verkehr vor jedweder Fehlvorstellung zu bewahren. Das Verbot irreführender Werbung dient vielmehr allein dazu, schützenswerte Interessen der Abnehmer und Mitbewerber zu wahren (vgl. BGH, Urt. v. 10.11.1994 – I ZR 201/92, GRUR 1995, 125, 126 = WRP 1995, 183 – Editorial I, m.w.N.).

c) Die Frage, ob die Qualifikation des Beklagten den genannten Mindestanforderungen genügt, läßt sich auf der Grundlage der bislang vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend beantworten.

Unstreitig hatte der Beklagte zum Zeitpunkt der Aufnahme seiner Kfz.-Sachverständigentätigkeit vor über 10 Jahren nicht mehr aufzuweisen, als eine abgebrochene Karosseriebauerlehre sowie eine Tätigkeit als Taxifahrer. Er hatte damit nur einen unzureichenden Kenntnisstand, über den auch viele Kfz.-interessierte Laien verfügen. Seine Berufung auf eine anschließende langjährige ordnungsgemäße Sachverständigentätigkeit hat das Berufungsgericht nicht gelten lassen. Es hat dazu ausgeführt, es entspreche allgemeiner Lebenserfahrung, daß es in der Regel nicht möglich sei, sich die für die Ausübung eines Berufes erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten ohne Unterstützung Dritter, insbesondere ohne eine geeignete Ausbildung, selbst autodidaktisch anzueignen; dabei könnten die vom Beklagten erwähnten Seminare und Kurse, die notwendigerweise nur Grundlagenkenntnisse und keine praktische Erfahrung vermitteln könnten, außer Betracht bleiben.

Die Revision beanstandet zu Recht, daß es einen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach die für die Ausübung eines Berufs erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht durch Selbstunterrichtung erlangt werden können, nicht gibt. Es entspricht vielmehr der Lebenserfahrung, daß in vielen Bereichen der Wirtschaft Personen tätig sind, die sich die fachliche Befähigung autodidaktisch angeeignet haben. Dies gilt besonders für die Bereiche, in denen kein herkömmlicher Ausbildungsberuf und keine geschützten Berufsbezeichnungen bestehen. Es kann daher auch nicht von vorneherein ausgeschlossen werden, daß die für die Schadensschätzung und die Bewertung von Kraftfahrzeugen erforderliche Sachkunde durch Selbstunterrichtung erworben werden kann.

Außerdem hat das Berufungsgericht, wie die Revision zu Recht rügt, das Beklagtenvorbringen nicht hinreichend ausgeschöpft. Allein der Hinweis des Beklagten darauf, er habe seine Gutachtertätigkeit nahezu beanstandungsfrei ausgeübt, besagt allerdings nicht viel. Denn beanstandungsfrei kann auch etwas bleiben, was falsch ist; zumal derjenige, der einen Sachverständigen hinzuzieht, dies oft nicht selbst beurteilen kann. Indessen hat der Beklagte, worauf sich die Revision beruft, mehr vorgetragen. Er hat unter Beweisantritt vorgebracht, allein bis zum Jahre 1993 ca. 6.800 Gutachten erstattet zu haben, von denen durch die beteiligten Versicherungen oder Kfz.-Sachverständigen, denen die Gutachten zur Prüfung vorgelegt worden seien, weniger als 1 % abgeändert worden seien. Er hat sich dazu u.a. auf das Zeugnis des Inhabers einer B. -Vertretung, für die er einen Großteil der Haftpflicht- und Kasko-Schadensgutachten erstellt habe, sowie mehrerer Kfz.-Sachverständiger berufen, mit denen er häufig zusammengearbeitet habe und die sämtlich entweder Kfz.-Meister oder Diplom-Ingenieure seien. In das Wissen dieser Zeugen hat er zudem gestellt, kontinuierlich an Weiterbildungskursen teilgenommen und sich bei seiner Fortbildung der auf dem freien Markt zugänglichen Hilfsmittel für Sachverständige und des Erfahrungsaustauschs bei Fortbildungsveranstaltungen bedient zu haben. Schließlich hat er auch durch anwaltliches Zeugnis unter Beweis gestellt, daß seine Gutachten sowohl bei außergerichtlichen Schadensregulierungen als auch bei gerichtlichen Auseinandersetzungen nicht beanstandet worden seien und daß auch die Reparaturkalkulationen des Beklagten in Einzelfällen, in denen die Versicherung das Gutachten eigenen Sachverständigen zur internen Überprüfung vorgelegt habe, regelmäßig übernommen worden seien.

Erweist sich das Beklagtenvorbringen als zutreffend, so könnte es zum Nachweis genügen, daß der Beklagte über die für die Begutachtung von Unfallschäden und Fahrzeugbewertungen erforderliche Sachkunde verfügt, die auch bei anderen auf diesem Fachgebiet tätigen Sachverständigen vorhanden ist und die es rechtfertigt, die Bezeichnung „Sachverständiger“ zu führen, so daß eine relevante Irreführung ausscheidet. Das Berufungsgericht wird daher insoweit dem beiderseitigen Parteivorbringen nachzugehen und dabei zu berücksichtigen haben, daß die Klägerin dem Beklagtenvorbringen entgegengetreten ist und ihrerseits beispielhaft Fälle angeführt hat, in denen die Schätzung des Beklagten deutlich fehlerhaft gewesen sei. Dabei wird das Berufungsgericht zu beachten haben, daß zwar grundsätzlich dem Kläger die Darlegungs- und Beweislast für alle die Irreführung belegenden Umstände obliegt. Ungeachtet dessen kommen dem Kläger aber Darlegungs- und Beweiserleichterungen zugute, wenn es um die Aufklärung von Tatsachen geht, die in den Verantwortungsbereich des Beklagten fallen, und diesen deshalb nach dem Gebot redlicher Prozeßführung (§ 242 BGB) eine prozessuale Erklärungspflicht trifft (st. Rspr.; vgl. BGHZ 120, 320, 327 f. – Tariflohnunterschreitung m.w.N.; Köhler/Piper, UWG, § 3 Rdn. 379). Das ist hier der Fall. Der berufliche Werdegang des Beklagten und seine Tätigkeit, aus denen er die erforderliche Sachkunde ableitet, sind Gegebenheiten, die ausschließlich in seiner Sphäre liegen, so daß er deren vorliegen dartun muß.

3. Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangen, der Beklagte verfüge nicht über die erforderliche Sachkunde, wäre der Verstoß gegen § 3 UWG auch – entgegen der Auffassung der Revision – geeignet, den Wettbewerb auf dem hier einschlägigen Markt im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG wesentlich zu beeinträchtigen. Im Blick auf die wirtschaftliche Bedeutung, die Gutachten gerade in dem Bereich haben, in dem der Beklagte seine Dienste anbietet, besteht sowohl aus der Sicht des einzelnen Auftraggebers als auch aus der der Allgemeinheit ein erhebliches Interesse daran, daß die Bezeichnung „Sachverständiger“ nur von denjenigen geführt wird, die über die erforderliche Sachkunde verfügen.

III.

Danach war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Erdmann                            Mees                        v. Ungern-Sternberg

.                        Ullmann                     Pokrant

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1 Antwort zu Urteil des I. Zivilsenates des BGH zur Sachverständigenqualifikation ( Urteil vom 6.2.1997 – I ZR 234/94 -).

  1. hans olg sagt:

    und wie ging die Sache danach weiter bzw aus?

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