Das AG Bochum spricht auch bei einer Schadenshöhe von EUR 572,43 das Sachverständigenhonorar zu (65 C 388/09 vom 30.12.2009)

Mit Entscheidung vom 30.12.2009 (65 C 388/09) wurde die Haftpflichtgemeinschaft Deutscher Nahverkehrs- u. Versorgungsunternehmen Allgemein WaG durch das Amtsgericht Bochum zur Zahlung des Sachverständigenhonorars verurteilt. Strittig war, ob bei einem kalkulierten Fahrzeugschaden von EUR 572,43 ein Anspruch auf ein Gutachten besteht bzw. die Kosten für die Bearbeitung durch einen Sachverständigen zum erforderlichen Aufwand gehören. Der Sachverständige klagte aus abgetretenem Recht.

Aus den Gründen:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 138,04 EUR (in Worten: einhundertachtunddreißig Euro und vier Cent) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.09.2009 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Ohne Tatbestand (gemäß § 313 a Abs. 1 ZPO).

Entscheidungsgründe:

Der Kläger kann aus abgetretenem Recht anlässlich des Verkehrsunfalls vom 13.05.2009 in Bochum von der Beklagten Ausgleich des Sachverständigenhonorars in Höhe von 138,04 € verlangen.

Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gem. § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist.

Für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit ist auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen. Es kommt darauf an, ob ein verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines Sachverständigen für geboten erachten durfte. Für die Frage, ob der Schädiger die Kosten eines Gutachtens zu ersetzen hat, ist nicht allein darauf abzustellen, ob die durch die Begutachtung ermittelte Schadenshöhe einen bestimmten Betrag überschreitet oder in einem bestimmten Verhältnis zu den Sachverständigenkosten steht, denn zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters ist dem Geschädigten diese Höhe gerade nicht bekannt. Allerdings kann der später ermittelte Schadensumfang im Rahmen tatrichterlicher Würdigung nach § 287 ZPO oft ein Gesichtspunkt für die Beurteilung sein, ob eine Begutachtung tatsächlich erforderlich war oder nicht möglicherweise, kostengünstigere Schätzungen wie beispielsweise ein Kostenvoranschlag eines Reparaturbetriebs ausgereicht hätten, vgl. BGH NJW 2005, 356.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze durfte der Geschädigte die Beauftragung des Klägers für geboten erachten. Die vom Kläger ermittelten Reparaturkosten beliefen sich auf brutto 572,43 €. Dieser Betrag liegt zwar unter der sogenannten Bagatellgrenze. Dies war entgegen der Ansicht der Beklagtenseite für den Geschädigten aber nicht ohne weiteres erkennbar. Denn angesichts des Unfallhergangs, nämlich einem streifenden Zusammenstoß mit einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Bus, war für einen technischen Laien nicht ohne weiteres erkennbar, dass sich die Beschädigungen tatsächlich auf die äußerlich sichtbaren Schadensspuren beschränkten. Bei der Masse eines Busses und der hiervon ggfs. auf das Fahrzeug des Geschädigten einwirkenden Energie kann ein Laie berechtigter Weise davon ausgehen, dass weitere, nicht sichtbare Schäden vorhanden sind und damit ein erheblicher Unfallschaden vorliegt, der die Einholung eines Sachverständigengutachtens rechtfertigt.

Hinzu kommt, dass der Kläger, als sich im Zuge der Besichtigung ein relativ geringer Schaden herausstellte, von der Erstattung eines normalen Schadensgutachtens abgesehen hat und sich auf eine einfache Schadenskalkulation beschränkt hat. Die hierfür berechneten und in vorliegendem Verfahren geltend gemachten Kosten liegen aber nicht wesentlich über den Kosten, die auch von Kfz-Werkstätten für die Erstellung eines Kostenvoranschlags berechnen werden.

Insgesamt stellt daher das geltend gemachte Sachverständigenhonorar einen im Rahmen des § 249 BGB erstattungsfähigen Schaden dar.

Der Zinsanspruch in gesetzlicher Höhe folgt aus dem Gesichtspunkt des Verzuges.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 713 ZPO.

Urteilsliste “SV-Honorar” zum Download >>>>>

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4 Antworten zu Das AG Bochum spricht auch bei einer Schadenshöhe von EUR 572,43 das Sachverständigenhonorar zu (65 C 388/09 vom 30.12.2009)

  1. Willi Wacker sagt:

    Hallo Hans Dampf,
    ein klasse Urteil aus dem Ruhrgebiet. Der Amtsrichter des AG Bochum hat sauber darauf hingewiesen, dass es auf den Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen ankommt. Hat der Geschädigte im Zeitpunkt der Beauftragung die Einholung eines Sachverständigengutachtens für erforderlich und zweckmäßig angesehen? Das ist die entscheidende Frage.

    Die vom Amtsgericht angenommene Bagatellschadensgrenze gibt es so nicht. Der BGH hat lediglich bei reinen Lackschäden einen Bagatellschaden angenommen. Durch die Versicherer wurde dann immer wieder ein bestimmter Geldbetrag, bis zu dem kein Gutachten in Auftrag gegeben werden dürfe, genannt. Dies ist schlicht falsch. Es gibt keine Bagatellschadengrenze, die konkret auf einen Betrag festgemacht werden kann.

    Insgesamt wieder einmal ein erfreuliches SV-Kosten-Urteil.

    Mit freundlichen Grüßen
    Willi Wacker

  2. Werkstatt-Freund sagt:

    Hallo Hans Dampf, hallo Willi Wacker,

    der erste Teil des Urteils überzeugt absolut, in dem das AG Bochum fast wortwörtlich das BGH-Urteil vom 30.11.2004 – VI ZR 365/03 -, abgedruckt unter anderem in der NJW 2005, 356, übernommen hat. Richtiger als die BGH-Richter kann es der Amtsrichter auch nicht. Deshalb ist es besonders hervorzuheben, dass er sich an der BGH-Rechtsprechung orientiert hat und dabei auch genau das grundlegende Urteil des BGH herangezogen hat. Prima Arbeit!

    Schöne Grüße aus dem verschneiten
    Rurhrgebiet (Kulturhauptstadt 2010)

  3. Friedhelm S. sagt:

    Bravo,
    ein Amtsrichter, der die Vorgaben des BGH richtig umgesetzt hat. So muss es gehen. Solche Richter braucht das Land.
    MfG
    Friedhelm S.

  4. Willi Wacker sagt:

    Hallo Hans Dampf,
    die Schriftleitung der Neuen Juristischen Wochenschrift teilt mit, dass beabsichtigt ist, das obige tatsächlich interessante Urteil des AG Bochum in der NJW oder anderen Zeitschriften des C.H.Beck-Verlages zu veröffentlichen. Ich glaube, dass die von der Redaktion dereinst eingefädelte Verbindung mit dem C.H.Beck-Verlag für beide Seiten Vorteile bringt. Der C.H.Beck-Verlag, als wohl bekanntester juristischer Fachverlag, erhält über C.H. interessante Urteile. Andererseits profitieren auch die Sachverständigen, indem „ihre“ Urteile einer breiten juristischen Leserschaft vermittelt werden. Je mehr positive Urteile veröffentlicht sind, um so weniger „Ausreißer“ wie im Fall des Regensburger Amtsrichters wird es geben.
    Mit freundlichen Grüßen
    und noch einen schönen Abend
    Willi Wacker

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