AG Hannover verurteilt Hannoversche Direktversicherung AG zur Zahlung weiterer Mietwagenkosten auf Schwacke-Basis (408 C 5564/14 vom 02.10.2014)

Mit Urteil vom 02.10.2014 (408 C 5564/14) hat das AG Hannover die Hannoversche Direktversicherung AG zur Zahlung weiterer Mietwagenkosten 316,84 € zzgl. Zinsen verurteilt. Bemerkenswert an diesem Urteil ist, dass das Gericht sich der Tendenz der Gerichte (auch des OLG Celle), nach einem arithmetischen Mittel aus den bekannten Schätzungsgrundlagen (Schwacke AMS und Fraunhofer Tabelle) die Höhe des Normaltarifs zu schätzen, widersetzt hat und auf der Basis des Schwacke AMS den Normaltarif ermittelt hat.

Leider argumentieren inzwischen viele Gerichte nach dem Motto: „Beide Listen sind angreifbar, als nehme ich das Mittel zwischen beiden“. Ein Motto, das rechtlich wenig überzeugend ist. Denn es kommt ausschließlich auf den seinerzeit (als der BGH noch richtungsweisende Urteile absetzte) vom BGH geprägten Satz an: „Zu erstatten sind die Kosten, die aus Sicht eines vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Menschen dieser für zweckmäßig und notwendig erachten darf“.

Hinsichtlich der geltend gemachten „Neben“-kosten liegt allerdings auch diese Entscheidung da – „neben“. Insoweit ist die Entscheidung auch wieder inkonsequent, da zwar auf den Schwacke AMS verwiesen wird, aber nicht auf die letzten Seiten, in denen ausdrücklich die vom Gericht abgelehnten Nebenkosten gesondert aufgeführt werden.

Das Urteil wurde erstritten von der Kanzlei Hamburger Meile.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Klage ist im Wesentlichen begründet.

Der unfallgeschädigt  aus dem Verkehrsunfall vom xx.xx.xxxx in Hamburg, bei dem sein Renault Clio 1,2 16 V TCE Grand Tour/Edition Dynamic, 74 kw, Erstzulassung: 25.11.2010, amtliches Kennzeichen XX-YY xxxx beschädigt wurde, hat Anspruch auf einen Mietwagen für die Reparaturdauer seines Fahrzeuges. Dies ist vorgerichtlich anerkannt wor­den durch die Beklagte, auch die’Mietzeit von 13 Tagen. Allerdings hat die Beklagte auf die Rechnung vom 25.09.2011 über 1.036,43 Euro lediglich 658,07 Euro gezahlt.

Bei Streit über angemessene Mietwagenkosten hat das Gericht zu entscheiden, wobei ihm ein Ermessen zusteht. Vorliegend wird dieses Ermessen ausgeübt vom Amtsgericht Hannover unter Anwendung der bekannten und einschlägigen Schwacke-Liste aus dem Jahre 2011.

Die notwendige Schätzung ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freige­stellten Tatrichters. Die Art der Schätzgrundlage gibt § 287 ZPO nicht vor. Die Schadenshöhe darf lediglich nicht auf der Grundlage falscher oder offenbar unsachlicher Erwägungen festge­setzt werden. Listen oder Tabellen können bei der Schadensschätzung Verwendung finden. Der Schwacke-Mietpreisspiegel ist eine anerkannte Grundlage. Zwar hat das OLG Celle in seiner Entscheidung vom 09.10.2013 das arithmetische Mittel aus Schwacke-Liste und Fraunhofer-Tabelle seiner Schätzung zugrunde gelegt. Dies schließt allerdings nicht aus, dass in die vom Tatrichter vorzunehmende Bestimmung ausschließlich die Schwacke-Liste ein­fließt. So begegnet nach dem Bundesgerichtshof (Urteil vom 18.12.2012 – VI ZR 316/11 -, juris, Rn. 12) die uneingeschränkte Übernahme der in der Schwacke-Liste ausgewiesenen Mietpreise dann und nur dann Bedenken, wenn die Beklagtenseite deutlich günstigere Ange­bote anderer Anbieter aufgezeigt hat, etwa indem sie auf Online-Anfragen bei großen Anbie­tern – jeweils bezogen auf die örtlich relevanten Anmietstationen – verwiesen und zugleich vorgetragen hat, dass die Geschädigten zu einem Betrag in dieser Größenordnung auch im streitgegenständlichen Unfallzeitpunkt ein Fahrzeug hätte anmieten können.

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Beklagte bzw. deren Prozessvertreter haben sich zwar die Mühe gemacht und bei zwei großen deutschen Autovermietern (Hertz und Avis), die alle­samt auf dem Markt in Hannover tätig sind, recherchiert, zu welchen Preisen dort ein ver­gleichbares Fahrzeug angemietet werden kann, doch können zum einen solche Bemühungen dem Unfallgeschädigten nicht zugemutet werden, wobei ohnehin keine Verpflichtung beste­hen dürfte, nun gerade ein Mietfahrzeug bei diesen von der Beklagten recherchierten großen Mietwagenfirmen anzumieten; dies dürfte bereits aus wettbewerblichen Gründen problema­tisch sein.

Zudem dürften auch solche computerunterstützen Internetrecherchen den einen oder anderen deutlich überfordern und nicht im Einklang mit dem geltenden Schadensersatzrecht stehen. Zudem hält das Gericht im Allgemeinen und im konkreten Fall das Ansinnen an den Unfallge­schädigten, eine Internetrecherche durchzuführen, für unzumutbar, wobei in einem vergleich­baren Fall die Kfz-Versicherung des Unfallgegners sogar eine sofortige Recherche nach dem Unfall sogleich am Unfallort nach günstigen Mietwagen „per Smartphone!“ für zumutbar hält!

Es kann für die Beantwortung der Frage nach einem angemessenen Ersatzwagentarif durch die Gerichte nicht darauf ankommen, ob der Geschädigte über einen Computer oder ein Smartphone mit Internetzugang verfügt. Zudem sind solche Internetangebote ohnehin nicht „1 zu 1″umsetzbar. Es gilt noch weitere Hürden zu überwinden: Zunächst ist ein – nicht zwingend bereits bekanntes – Enddatum für die Anmietung einzugeben; weiter wird erst in späteren Schritten der Buchung ersichtlich, ob das gewünschte Fahrzeug überhaupt bzw. ab wann und wo – Standort? Zubringerdienst? – vorhanden ist. Um im Internet einen passenden Wagen zu finden können schon gut und gern mehrere Stunden vergehen.

Auch die telefonische Erkundigung nach einem günstigeren Tarif – auch bei Konkurrenzunter­nehmen – erscheint von vornherein untauglich, sobald die Tatsache des unverschuldeten Ver­kehrsunfalls offenbart wurde (was u.a. die unzähligen Mietwagenprozesse belegen). Dem Geschädigten ist zudem nicht zuzumuten, bei einer telefonischen oder persönlichen Mietwa­genanfrage bewusst Falschangaben zu machen und den unverschuldeten Unfall zu ver­schweigen.

Die dem Geschädigten abverlangten Bemühungen setzen zudem voraus, dass er sich der genannten Fallstricke überhaupt bewusst ist, die eine Anmietung zum Normaltarif in einer Unfallsituation erheblich erschweren. Entsprechendes Wissen dürfte regelmäßig nicht vorausge­setzt werden können. Hat er aber einmal telefonisch oder persönlich bei einem oder mehreren Mietwagenunternehmen angefragt und plausibel klingende Begründungen für die verlangten (hohen) Preise bekommen, wird er keine Veranlassung sehen, im Internet nach günstigeren Preisen zu suchen (LG Karlsruhe, 9 S 396/12).

Nach Auffassung des entscheidenden Gerichts verdient die auf jahrelangen (seit 1995) Erhe­bungen beruhende und jährlich fortgeschriebene Schwacke-Liste unter kaufmännisch, wirt­schaftlichen Gesichtspunkten den Vorzug bei der jeweils im Nachhinein vom Gericht vorzu­nehmenden Festlegung eines angemessenen Mietwagentarifs unter Berücksichtigung des Umstandes, dass nun einmal der Vermieter den Mietpreis bestimmt und nicht die Kfz-Versicherung und es in der freien sozialen Marktwirtschaft ausschließlich darum gehen kann, dass das Gericht nur „extreme Ausrutscher“ wegen Versagens der marktwirtschaftlichen Prin­zipien korrigieren darf.

Die Fraunhofer-Tabelle hingegen ist zu wissenschaftlich theoretisch und erscheint fern der Realität im Pkw-Mietgeschäft.

Die Schwacke-Listen genießen allgemeines Anerkenntnis im gesamten Fahrzeuggeschäft. So dienen sie nicht nur wie hier bei den Mietwagenkosten als Maßstab. Bei der Eingruppierung der jeweiligen Fahrzeuge in Fahrzeugklassen bzw. Gruppen werden sie (auch von den Versi­cherungen) herangezogen und bei der Ermittlung des Fahrzeugwertes für An- und Verkauf.

Es besteht nun keine Veranlassung, weil einige Versicherungen im Kosteninteresse die Schwacke-Liste „Mietwagenpreise“ als ungeeignet ansehen, diese ansonsten in weiten Krei­sen als maßgeblich betrachtete Liste bei Gericht nicht anzuwenden.

Auch die Einholung eines Gutachtens verspricht keine besseren Erkenntnisse: So hat z.B. das in einem anderen Fall vom Gericht eingeholte Gutachten ca. 1.000,00 € ge­kostet, wobei darin mehrere Arbeitsstunden für „Telefonrecherche“ enthalten waren. Der Gut­achter hatte 12 Firmen im Umkreis ausfindig gemacht über die Gelben Seiten. Sechs von die­sen Firmen hatten überhaupt keine vergleichbaren Fahrzeuge im Angebot. Zwei weitere Fir­men waren telefonisch nicht zu erreichen. Letztlich blieben von den 12 Firmen nur 2 (Europcar und Sixt) übrig, wobei sich aus dem Gutachten nicht einmal ergab, ob diese Fahrzeuge auch sofort und über welchen Zeitraum zur Verfügung standen.

Es ist also ein Trugschluss anzunehmen, ein Unfallgeschädigter würde „nur wenige Minuten“ brauchen,’um ein passendes Ersatzfahrzeug über Telefon oder Internet zu erhalten. So ein­fach ist es eben gerade nicht und dies belegen nicht zuletzt die in solchen Fällen eingeholten Gutachten und die beinahe unendliche Anzahl (divergierender) gerichtlicher Entscheidungen. Ein Gutachter macht eigentlich nichts anderes, als das, was einige Kfz-Versicherungen dem. gegnerischen Unfallgeschädigten zumuten wollen.

Wie gesagt: ein untrügliches Indiz dafür, dass es einem Unfallgeschädigten nicht ohne weite­res möglich ist, einen Mietwagen zu Internetpreisen anzumieten, sind die massenhaften Miet­wagenprozesse bei den Gerichten.

Das Gericht nimmt die Schätzung anhand der Schwacke-Liste wie folgt vor:

Wochenpreis für ein Mietfahrzeug: 575,50 Euro : 7 Tage x 13 Tage ergeben 1.068,70 Euro. Angesichts des Umstandes, dass ein Renault Clio 1,2 der Fahrzeugklasse 3 unterfällt, wobei diesbezüglich auch die Beklagte sich auf die Schwacke-Liste stützt hinsichtlich der Einteilung der Fahrzeuge in Fahrzeugklassen, ist bei Wahl der Gruppe 3 aus der Schwacke-Liste für Mietfahrzeuge ein Abschlag für ersparte Aufwendungen etc. vorzunehmen nach Auffassung des Gerichts von 10 %, dies sind .106,88 Euro. Dann ist noch die Zahlung von 658,07 Euro abzuziehen, so dass der ausgeurteilte Betrag verbleibt.

Aufschläge wegen der Kurzfristigkeit der Anmietung nach dem Verkehrsunfall kann die Kläge­rin darüber hinaus nicht beanspruchen. Derartige Eilsituationen sind nach Auffassung des Gerichts von den Schwacke-Mietpreisen umfasst. Die kurzfristige Vermietung von Fahrzeugen, insbesondere nach Verkehrsunfällen, gehört zum Tagesgeschäft der Autovermieter. Die Mietpreisfeststellungen in der Schwacke-Liste erfassen auch solche Vermietungen.

Weiter sind in der Schwacke-Liste ab dem Jahre 2011 auch die Kosten für eine Vollkasko­versicherung enthalten, zwar mit einer Selbstbeteiligung von rund 500,00 Euro. Die Reduzie­rung der Selbstbeteiligung vorliegend auf 300,00 Euro, rechtfertigt nicht die von der Klägerin begehrten Aufschläge von 14,05 Euro netto pro Miettag. Wie sich bereits vorliegend zeigt, sind die Kosten für die Haftungsreduzierung um 200,00 Euro bei einem Mietzeitraum von 13 Tagen genauso hoch wie eben diese Reduzierung im Falle des Verkehrsunfalls. Allein zur Absicherung eines Haftungsrisikos von 200,00 Euro während einer Mietzeit von 13 Tagen rechtfertigt keinen Tagespreis von 14,05 Euro netto. Das Gericht hält vorliegend für die Redu­zierung des Haftungsrisikos bei einem Verkehrsunfall mit dem Mietwagen von 500,00 € auf 300,00 € einen Tagespreis von 1,00 € für sachgerecht; es sind somit noch 13,00 € anzuset­zen. Die Vereinbarung der Haftungsreduzierung auf 300,00 € ergibt sich aus der Abtretungs­erklärung vom 10.09.2011, also dem Tag der Anmietung, Anlage K1.

Auch Kosten für die Zustellung und Abholung sind vorliegend nicht anzusetzen. Der dies­bezügliche Sachvortrag der Klägerin, sie habe das Mietfahrzeug jeweils zu dem Wohnort des Geschädigten Frederik Brüning gebracht und das Mietfahrzeug nach Beendigung’der Miet­zeit von dort auch abgeholt, ist ersichtlich unsubstantiiert und nicht nachvollziehbar. Es fehlen Angaben dazu, wer das Ersatzfahrzeug wann (Uhrzeit) zu dem Geschädigten bzw. zu dessen Wohnort zugestellt hat, wie er dann anschließend wieder in die Firma zurückgelangt ist und umgekehrt auch wie er dann das Fahrzeug wieder abgeholt hat und wer dieses Fahrzeug ab­geholt hat und mit welchen Verkehrsmitteln er zu dem Geschädigten gelangt ist um das Miet­fahrzeug dort abzuholen. Die Vernehmung der von der Klägerin benannten Jana Warnicke würde auf reine Ausforschung diesbezüglich hinauslaufen. Eine derartige Beweisaufnahme ist unzulässig. Die angesetzten 46,00 Euro waren daher herauszurechnen.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 286, 288, 291, 247 BGB, 92, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Urteilsliste “Mietwagenkosten“ zum Download >>>>>

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