Der VI. Zivilsenat urteilt mit gut begründeter Entscheidung vom 30.5.1961 – VI ZR 139/60 – zur merkantilen Wertminderung bei Inzahlunggabe des reparierten Fahrzeugs.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,

heute stellen wir Euch hier ein richtig historisches Urteil des BGH zur Wertminderung beim Fahrzeugverkauf bzw. im Rahmen der Inzahlunggabe vor. Damals wussten die Richter des VI. Zivilsenates des BGH noch, wofür der § 249 BGB steht bzw. der § 254 BGB nicht steht. Interessant ist, dass im Rahmen der Schadensschätzung eine solche nur hinsichtlich der Schadenshöhe vorgenommen wurde. In Zeiten der Seminartätigkeit für Versicherer oder denen nahe stehende Organisationen scheint dieses Rechtsbewusstsein beim BGH und insbesondere beim VI. Zivilsenat dann aber analog der Einkünfte aus der richterlichen Nebentätigkeit suckzessive „verlorengegangen“ zu sein. Lest selbst die gut begründete BGH-Entscheidung von 1961 – VI ZR 139/60 – und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.

Viele Grüße
Willi Wacker

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

VI ZR 139/60                                                                                     Verkündet am: 30.05.1961

In dem Rechtsstreit

hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs auf die mündliche Verhandlung vom 30. Mai 1961 unter Mitwirkung des Senatspräsidenten Dr. Engels und der Bundesrichter Dr. Kleinewefers, Dr. Bode, Dr. Hauß und Heinrich Meyer

für Recht erkannt:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 13. April 1960 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision werden dem Beklagten auferlegt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Am 18. Juli 1958 wurde der Personenkraftwagen der Klägerin (Mercedes 219) von dem Beklagten angefahren und beschädigt. Die Schadensersatzpflicht des Beklagten ist dem Grunde nach außer Streit. Die von der Versicherung des Beklagten beglichene Reparaturrechnung belief sich auf einen Betrag von 1.892,25 DM. Der Wagen, dessen Anschaffungspreis 11.963,70 DM betragen und der bis zum Unfall 1.758 km gelaufen hatte, wurde nach der Reparatur durch die Deutsche Automobil-Treuhand GmbH auf einen Zeitwert von 8.900 DM geschätzt. Die Klägerin gab den reparierten Wagen bei der Reparaturfirma in Zahlung. Ihr wurden 9.500 DM gutgeschrieben.

Die Parteien streiten um den Ersatz des merkantilen Minderwerts des Wagens. Während die Klägerin auf dem Standpunkt steht, der Beklagte habe diesen Schaden zu ersetzen, dessen Höhe sich aus der Differenz zwischen, dem Marktwert vor dem Unfall und dem erzielten Verkaufspreis ergebe, ist der Beklagte der Ansicht, die Klägerin habe den technisch einwandfrei reparierten Wagen weiterbenutzen können. Das Interesse des Kraftfahrzeughalters, einen unfallfreien Wagen zu fahren, sei kein Grund, ein allen Anforderungen genügendes, fast neues Auto zu verkaufen. So verhalte sich kein vernünftiger Halter, der einen Kaskoschaden selbst tragen müsse. Die Klägerin habe durch den Verkauf des Wagens den Schaden unnötig vergrößert, anstatt ihn zu mindern, wozu sie nach § 254 Abs. 2 BGB verpflichtet gewesen sei.

Das Landgericht und das Oberlandesgericht haben die streitige Frage zugunsten der Klägerin entschieden. Das Landgericht hat den zu erstattenden merkantilen Minderwert auf 2.009,08 DM bemessen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Beklagte an die Klägerin 3.721,08 DM nebst 4 v.H. Zinsen seit dem 14. August 1958 abzüglich am 26. Februar 1959 bezahlter 1.712 DM zu zahlen hat.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision bittet der Beklagte um Abweisung des der Klägerin vom Berufungsgericht zugesprochenen Betrages. Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht hat den Verkehrswert des Mercedes-Wagens vor dem Unfall auf Grund des eingeholten Sachverständigengutachtens auf 11.509,08 DM geschätzt. Bei dieser Schätzung ist eine Abzugsquote von 3,9 % vom Neupreis vorgenommen und damit der im Kraftfahrzeughandel üblichen Bewertung des Verkaufs aus zweiter Hand und der gefahrenen Kilometer Rechnung getragen worden. Nach der Instandsetzung des Wagens hat dieser nur einen Verkaufspreis von 9.500 DM erbracht. Da der Verkaufspreis um 600 DM über dem Schätzungspreis lag, bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin den Wagen zu einem höheren Preis hätte verkaufen können. Der Unterschied von 11.509,08 DM und 9.500 DM = 2.009,08 DM ergibt den sogenannten merkantilen Minderwert des Wagens. Dieser Minderwert erklärt sich daraus, daß der Handel einen Wagen, der infolge eines Unfalls beschädigt war, trotz der Behebung der Schäden durch eine Reparaturwerkstatt geringer bewertet als einen unfallfrei gefahrenen Wagen. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BGHZ 27, 131) angenommen, daß in Höhe dieses Betrages ein Vermögensschaden der Klägerin besteht, und zwar unabhängig davon, ob sie den Wagen weiterbenutzt oder ob sie ihn verkauft.

Allerdings hat der Senat den Schadensausgleich gewissen Einschränkungen unterworfen, wenn der betroffene Halter den Wagen weiterbenutzt (S. 187 a.a.O.). Der vorliegende Fall gibt dem Senat keinen Anlaß zur Prüfung, ob gegenüber den Angriffen des Schrifttums an diesen Einschränkungen festgehalten werden kann (vgl. Dunz, NJW 1958, 1613; Esser, MDR 1958, 726; Meeske, Betriebsberater 1959, 1158; Walter, „Wertminderung“ in Kraftfahrzeugrecht von A bis Z, Erl. 1 Bl. 7; Werner bei Staudinger, BGBKomm. 11. Aufl. § 249 Anm. 18). Sollten sich die Angriffe als stichhaltig erweisen, ergibt sich die Berechtigung des von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzanspruchs ohne weiteres, da es dann keinen Unterschied macht, ob sie den Wagen verkauft oder weiterbenutzt hat. Bei Aufrechterhaltung der Einschränkungen kann es nur darauf ankommen, ob es der Klägerin aus dem Gesichtspunkt des § 254 Abs. 2 BGB vorzuwerfen ist, daß sie den Wagen verkauft hat, anstatt ihn weiterzubenutzen und so zu einer Minderung des Schadens beizutragen.

Der Senat stimmt dem Berufungsgericht bei, daß es dem betroffenen Eigentümer wenigstens bei schweren Beschädigungen des Wagens nicht als schuldhafte Verletzung der Pflicht zur Schadensminderung anzurechnen ist, wenn er sich zum Verkauf des Wagens entschließt. Das ist ohne weiteres deutlich für die Fälle, in denen sich der Halter auch ohne den Unfallschaden, etwa wegen des Alters des Fahrzeugs oder aus betrieblichen Gründen, über kurz oder lang zur Auswechslung des Fahrzeugs entschlossen hätte. Aber auch dem Halter, der sich nur wegen des Unfalls zum Verkauf des erheblich beschädigten und dann reparierten Fahrzeugs entschließt, kann hieraus ein Vorwurf im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB noch nicht gemacht werden. Denn wenn Fahrzeuge nach einer erheblichen Unfallzuwirkung trotz der Reparatur der Schäden in einer anerkannten Werkstatt im Verkehr allgemein geringer bewertet werden, so liegt dieser Minderbewertung nicht nur ein gefühlsmäßig zu erklärendes Vorurteil zugrunde; vielmehr steht hinter dieser Verkehrsauffassung die in der Praxis gemachte Erfahrung, daß Reparaturen nicht immer mit der nötigen Sorgfalt durchgeführt werden, ohne daß das sofort erkennbar zu sein braucht, und daß auch bei sorgfältig durchgeführten Reparaturen gewisse Unfallfolgen unerkannt bleiben können. Treten bei weiterer Benutzung an dem durch den Unfall betroffenen Fahrzeug neue Schäden auf, so ist es für den Halter durchweg sehr schwierig, die Ursache ihrer Entstehung und den Zusammenhang mit dem Unfall oder einer unzureichenden Instandsetzung nachzuweisen. Das hat zur Folge, daß später Schadensersatzansprüche kaum zu realisieren sind. Die Benutzung eines Wagens, der durch einen Unfall erheblich betroffen war, schließt also für den Halter ein größeres Risiko ein als die Benutzung eines unfallfrei gefahrenen Wagens.

Dann läßt sich aber dem betroffenen Halter kein Vorwurf daraus machen, daß er sich, um Risiken von vornherein aus dem Wege zu gehen, zum Erwerb eines anderen Fahrzeugs entschließt. Dabei ist es entgegen der Ansicht der Revision grundsätzlich gleichgültig, ob er den Wagen weitergefahren hätte, wenn der Schaden ohne Haftung eines anderen eingetreten wäre. Hätte der Halter in diesem Falle die mit dem Kauf eines anderen Wagens verbundenen Kosten nicht aufgewandt, so folgt daraus noch nicht, daß er den von einem anderen zu vertretenden Schaden selbst tragen muß, indem er zugunsten des Schädigers das mit der Weiterbenutzung verbundene Risiko auf sich nimmt.

Fehl geht der Hinweis der Revision, der sich auf die Rechtsprechung des Senats zur Beschränkung von Neuroseschäden (BGHZ 20, 142 [BGH 29.02.1956 – VI ZR 352/54]; Urteil vom 8. Juli 1960 – VI ZR 174/59 = LM § 823 (F) BGB Nr. 16 = VersR 1960, 740) beruft. Während diese Rechtsprechung dem – wenn auch unbewußten – Streben der Rentenneurotiker, sich auf Kosten anderer eine laufende Erwerbsquelle ohne Arbeit zu schaffen, eine Haftungsgrenze setzt, trägt die Rechtsprechung zum Ersatz des merkantilen Minderwerts nur einer allgemeinen Verkehrsbewertung Rechnung, die sich auf Erfahrungen und Erkenntnisse der Praxis stützt. Einzuräumen ist nur, daß bei der Beurteilung die Art und Höhe der verursachten Schaden nicht unberücksichtigt bleiben darf. Von selbst versteht sich, daß der geschädigte Halter nicht geringe Blechschäden am Kraftfahrzeug zum Anlaß nehmen darf, sich auf Kosten des Schädigers einen anderen Wagen zu beschaffen. Doch wird nach Behebung solcher Schäden kein für die Schadensbemessung ins Gewicht fallender merkantiler Minderwert des Wagens anzuerkennen sein. Anders ist es aber, wenn wichtige Teile des Wagens in Mitleidenschaft gezogen worden sind und repariert werden mußten. So liegt es im vorliegenden Falle. Aus der Art der Reparaturarbeiten (Ein- und Ausbau des Motors, des Getriebes, der Vorder- und Hinterachse, Instandsetzung der Bodengruppe, Ersatz und Einschweißung von Stützlagern) geht hervor, daß der Waren erheblich beschädigt war, so daß der Entschluß der Klägerin, das Fahrzeug auszuwechseln, nicht unverständlich ist. Der Begutachtung des Wagens durch einen Sachverständigen bedurfte es entgegen der Ansicht der Revision nicht, da die Parteien darüber einig sind, daß ein feststellbarer technischer Minderwert nicht vorhanden ist. Damit steht aber noch nicht fest, daß das für die geringere Werteinschätzung maßgebende Risikomoment ausgeräumt ist. Eine solche Feststellung wäre, wenn überhaupt, erst nach umfangreichen technischen Erprobungen und Spezialuntersuchungen möglich, deren Kosten außer Verhältnis zum Schadensbetrag ständen. Praktisch stellt sich erst durch die weitere Benutzung des Wagens heraus, ob dieser durch den Unfall in seinem Gebrauchswert nicht beeinträchtigt worden ist.

Nach alledem hat das Berufungsgericht der Klägerin mit Recht den begehrten Ersatzbetrag unter dem Gesichtspunkt des Schadensausgleichs zugesprochen.

Die Revision des Beklagten war daher mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.

Engels                                        Dr. Kleinewefers                                       Dr. Bode
.                       Dr. Hauß                                                   H. Meyer

Vorinstanzen:
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 13.04.1960
LG Karlsruhe

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