LG Hamburg: Auch die Kosten des Sachverständigen für die Teilnahme am – von der Versicherung gewünschten – Gegenüberstellungstermin sind zu erstatten (LG Hamburg Berufungsurteil vom 9.7.2015 – 323 S 13/15 – ).

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,

hier stellen wir Euch heute ein interessantes Berufungsurteil des Landgerichts Hamburg vom 9.7.2015 vor. Es geht um die Kosten der Teilnahme des Sachverständigen am Gegenüberstellungstermin, den die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung wünschte. Wenn der Geschädigte der Gegenüberstellung schon zustimmt, wozu er nicht verpflichtet ist, dann hat er aus Gründen der Waffengleichheit auch das Recht den vorher beauftragten Schadensgutachter noch einmal zu beauftragen, damit dieser ihm mit sachverständiger Hilfe zur Seite steht. So hatte schon ein Teil der Rechtsprechung Ende des letzten Jahrhunderts entschieden (vgl. hierzu die Hinweise bei Wortmann VersR. 1998, 1204 ff.). Jetzt hat das LG Hamburg diese Argumente aufgenommen und in gleicher Richtung entschieden. Lest das Urteil und gebt bitte Eure sachlichen Kommentare ab.

Mit freundlichen Grüßen
Willi Wacker

Landgericht Hamburg

Az.: 323 S 13/15

920 C 271/14 AG HH-St. Georg

Verkündet am 9.7.2015

Urteil

IM  NAMEN  DES  VOLKES

In der Sache

des Herrn …. (Sachverständiger)

– Klägers und Berufungsklägers –

g e g e n

…. (eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung) 

– Beklagte und Berufungsbeklagte –

erkennt das Landgericht Hamburg – Zivilkammer 23 – durch die Vors. Richterin am Landgericht D. aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 2.7.2015 für Recht:

1.  Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg vom 12.12.2014 – 920 C 271/14 – abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 618,38 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.12.2013 zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

2.  Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3.  Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

1.  Der Kläger verlangt aus abgetretenem Recht Erstattung von Sachveständigenkosten für die Teilnahme an einer von der Beklagten veranlassten Nachbesichtigung eines verunfallten Pkw.

Der Kläger ist öffentlich bestellter Kfz-Sachverständiger und wurde von der Geschädigten Frau … mit der Erstellung eines Schadensgutachtens nach einem Schadensfall vom 29.10.2010 betraut, für den die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers einstandspflichtig ist. Der Beauftragung lag der Preisstand vom 1.1.2007 zugrunde (Anlage K4).

Am 24.11.2010 wurde auf Veranlassung der Beklagten ein Gegenüberstellungstermin der unfallbeteiligten Fahrzeuge am Unfallort durchgeführt. Mit Schreiben der Geschädigten vom 22.11.2010 wurde der Kläger beauftragt, für sie an dem Gegenüberstellungstermin teilzunehmen.

Aus abgetretenem Recht der Geschädigten macht der Kläger nunmehr den Betrag seiner Rechnung vom 21.12.2010 (Anlage K2) – abzüglich eines Betrages von 44,– € wegen einer versehentlichen Zuvielforderung – in Gesamthöhe von 624,32 € gegenüber der Beklagten geltend. Er trug vor, seine Teilnahme am Termin sei aus Gründen der Waffengleichheit erforderlich und die entstandenen Kosten seien deshalb zu erstatten.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 624,32 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-punkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 18.12.2013 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die zur Teilnahme an der Gegenüberstellung entstandenen Kosten seien nicht erstattungsfähige Kosten der Schadensermittlung; darüber hinaus seien die Rechnungspositionen überzogen.

Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 12.12.2014, dem Kläger zugestellt am 17.12.2014, die Klage abgewiesen, wogegen der Kläger am 16.1.2015 Rechtsmittel eingelegt und sodann fristgerecht begründet hat.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Klageziel vollen Umfangs weiter.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gemäß § 540 I ZPO Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen der angefochtenen Entscheidung.

2.  Die Berufung ist zulässig und auch weitgehend begründet.

a.)  Die Geschädigte konnte Gutachterkosten in Höhe von 618,38 € für den Ortstermin von der Beklagten gemäß der §§ 7, 17 StVG, 115 VVG i.V.m. § 249 II BGB verlangen.

Nach § 249 II 1 BGB kann der Geschädigte bei einer Sachbeschädigung vom Schädiger statt der Naturalrestitution auch den hierzu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Hierzu zählen auch die Kosten der Rechtserfolgung, soweit sie zweckmäßig sind (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 74 . Aufl. § 249 Rn. 56, 58). Demnach kommt es darauf an, ob ein verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten in der Situation, in der er sich nach dem Unfallereignis befindet, die Einschaltung eines Sachverständigen für geboten erachten durfte (vgl. BGH Urt. v. 30.11.2004 – VI ZR 365/03 – , so schon: KG Berlin Urt. v. 1.7.1976 – 12 U 268/76  beide zit. nach juris).

Hier war es aus Sicht einer vernünftigen Geschädigten sinnvoll, den von ihr mit der Schadensermittlung betrauten Kläger zu dem Termin am 24.11.2010 hinzuzuziehen. Die Beklagte hatte offenbar den Haftungsgrund in Zweifel gezogen und einen eigenen Sachverständigen mit der Begutachtung beauftragt. Dazu war eine Gegenüberstellung der Fahrzeuge an der Unfallstelle geplant. Gerade wenn der eintrittspflichtige Haftpflichtversicherer eine Gegenüberstellung der Unfallfahrzeuge begehrt, weil er z.B. vermutet, dass das bei ihm haftpflichtversicherte Fahrzeug nicht an dem Unfall beteiligt gewesen sei, ist der Geschädigte berechtigt, seinen Schadensgutachter zu der Gegenüberstellung hinzuzuziehen. Die Klägerin konnte von einem von der Versicherung beauftragten Sachverständigen nicht zwingend eine unabhängige Expertise erwarten. Aus ihrer Sicht stand zu befürchten, dass durch den Versicherungsgutachter später nicht rekonstruierbare Feststellungen einseitig getroffen würden. Wenn sie sich gleichwohl dazu bereit erklärte, mit ihrem Fahrzeug an der Gegenüberstellung  – zu der sie nicht verpflichtet war – teilzunehmen, war sie auch berechtigt, sich der Unterstützung ihres eigenen Sachverständigen zu bedienen (vgl. auch OLG Hamm Urt. v. 12.4.1994 – 9 U 193/93 -; LG Bochum Urt. v. 8.7.1997 – 9 S 60/97  -, beide zitiert nach Wortmann VersR. 1998, 1204 Ziff. 6).

Angesichts der expliziten Unterschrift der Geschädigten auf dem Auftragsformular, wo der Preisstand abgedruckt ist (Anl. K 4), ist die Preisliste als Vertragsbestandteil anzusehen. Überraschend ist eine Preisliste jedenfalls nicht. Eine Inhaltskonrolle findet bei Preisvereinbarungen für die Hauptleistung nicht statt.

Bei einem vereinbarten Stundensatz von 115,43 € zzgl. Nebenkosten, insbesondere Fahrtkosten von -,98 € je km, ergibt sich bei 3,5 Stunden und einer Fahrtstrecke von 118 km ein Betrag von 519,65 € netto zzgl. MwSt insgesamt gleich 618,38 €. Es ist nicht ersichtlich, warum der Sachverständige verpflichtet wäre, unterschiedliche Stundensätze für Gutachtertätigkeit oder Fahrtzeiten anzusetzen. Der Kammer erscheint die Geltendmachung von 1,5 Stunden für die Teilnahme am Termin und die Vorbereitung nicht überhöht. Die Beklagte rügt auch nicht, dass der Kläger nicht 1,5 Stunden aufgewandt hat, sondern geht – fälschlich – davon aus, dass die 1,5 Stunden ausschließlich der Vorbereitung gedient haben sollen.

Die weiteren Nebenkosten von 5,– € zzgl. MwSt. sind hingegen nicht nachvollziehbar und wurden auch trotz entsprechender Rüge durch die Beklagte nicht näher erläutert.

b.)  Der Kläger ist aktivlegitimiert und kann die Ansprüche der Geschädigten gegen die Beklagte geltend machen. Dies steht fest aufgrund der zur Akte gereichten Abtretungserklärung gemäß Anlage K 3.

c.)  Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 II 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Soweit die Berufungskammer des LG Hamburg. Und jetzt bitte Eure sachlichen Kommentare.

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5 Antworten zu LG Hamburg: Auch die Kosten des Sachverständigen für die Teilnahme am – von der Versicherung gewünschten – Gegenüberstellungstermin sind zu erstatten (LG Hamburg Berufungsurteil vom 9.7.2015 – 323 S 13/15 – ).

  1. RA Schepers sagt:

    Ein schönes Urteil!

    …Gegenüberstellung – zu der sie nicht verpflichtet war…

    Es ist nicht ersichtlich, warum der Sachverständige verpflichtet wäre, unterschiedliche Stundensätze für Gutachtertätigkeit oder Fahrtzeiten anzusetzen.

    So werden Kürzungsversuche mittels Nachbesichtigung bzw. Gegenüberstellung richtig, richtig teuer…

  2. virus sagt:

    Auch wenn das Ergebnis richtig ist, so hat der Richter in der Urteilsfindung und Urteilsbegründung Schadensersatzrecht und Werkvertragsrecht in einen Topf geworfen. Schade!

  3. Glöckchen sagt:

    Das Kürzen muss möglichst teuer werden,denn erst dann wird es vielleicht weniger.
    Bitte immer auch an Privatgutachten im Prozess als Entgegnung zu Gerichtsgutachten denken(OLG Naumburg 5 W 31/15 vom 24.03.2015 und BGH MDR 2012,464)!!

  4. Willi Wacker sagt:

    Hallo virus,
    das sehe ich aber nicht. Der Beauftragung des Sachverständigen lag eine Preisvereinbarung zugrunde. Diese Preise sieht das Gericht als „erforderlichen Geldbetrag“ im Sinne des §249 II 1 BGB auch aus der Sicht des Geschädigten im Zeitpunkt der Beauftragung an. Damit hat das Berufungsgerich an keiner Stelle Werkvertragsrecht geprüft. Lies dir das Urteil noch einmal genau durch!
    RA. Schepers ist zuzustimmen: Es handelt sich um ein schönes Urteil.

  5. Glöckchen sagt:

    Hi Willi
    „erforderlicher Geldbetrag“nur weil eine Preisvereinbarung existiert und daher nicht §632 II sondern §631 I BGB dem Vergütungsanspruch des SV zugrunde liegt?
    Da muss der Geschädigte aber Glück gehabt haben,gerade zufällig einen SV beauftragt zu haben,der Honorarvereinbarungen mit seinen Kunden abschliesst.
    Die meissten SV haben keine Honorarvereinbarung und beanspruchen ihren Werklohn aus §632II BGB.
    Deren Kunden haben dann den „Schwarzen Peter“,oder?
    Es kann nicht sein,dass schadensersatzrechtlich ein Unterschied gemacht wird je nachdem ob eine Honorarvereinbarung getroffen wurde oder nicht.
    Wenn sich ein Gericht danach richtet,dann macht es einen unverzeihlichen Fehler!

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