AG Frankfurt am Main Außenstelle Höchst verneint in einem bemerkenswerten Urteil die Verweisung an räumlich entferntere Werkstätten und spricht Wertminderung aus dem Schadensgutachten zu [Urt. v. 27.8.2010 -380 C 3652/09 (14)-].

In einem bemerkenswert sauber begründeten Urteil hat die Amtsrichterin der 380. Zivilprozessabteilung des Amtsgerichtes Frankfurt Außenstelle Höchst die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung in ihre Schranken verwiesen. Das Gericht hat eine Verweisung in örtlich entferntere Werkstätten, die von der Beklagten benannt wurden, als unzumutbar angesehen. Ebenso hat das Gericht nach Beweisaufnahme den im Schadensgutachten des Klägers aufgeführten Minderwert bestätigt. Insgesamt ein ordentliches Urteil. Lest selbst.

Amtsgericht Frankfurt am Main
Außenstelle Höchst
380 C 3652/09 (14)
vom 27.08.2010

Urteil
Im Namen des Volkes

In dem Rechtsstreit

Kläger

gegen

Versicherung

Beklagte

hat das Amtsgericht Frankfurt am Main Außenstelle Höchst durch die Richterin am Amtsgericht … im schriftlichen Verfahren mit einer Erklärungsfrist bis zum 02.08.2010 für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.232,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank seit dem 13.10.2005) zu zahlen;

an den Kläger weitere 450,00 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank seit dem 13.10.2009 zu zahlen;

an die … Rechtsschutz Versicherung-AG zu Schaden-Nr. …  außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 192,90 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank seit 28.12.2009 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckencen Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckungssicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger macht restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfallereignis vom 11.8.2009 in Frankfurt am Main geltend, bei welchem der erstmals am 06.11.2006 zugelassene PKW Mercedes Benz Kombi des Klägers erheblich beschädigt wurde. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig. In dem vom Kläger eingeholten außergerichtlichen Schadensgutachten wurden die Reparaturkosten mit insgesamt 6.076,46 € beziffert und der merkantile Minderwert mit 750,00 €. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Ablichtung des Gutachtens (Bl. 6bis 10 der Akte) Bezug genommen. Die Beklagte lies das Gutachten prüfen (Bl. 13 der Akte) und leistete die dort angesetzten Beträge (Reparaturkosten in Höhe von 4.844,29 € und eine Wertminderung von 300,00 €).
Die Differenzbeträge von 1.132,17 € und 450,00 € macht der Kläger mit der vorliegenden Klage geltend. Die Rechtschutzversicherung des Klägers hat dessen außergerichtliche Kosten ausgeglichen.

Der Kläger ist der Auffassung, die Abzüge seien nicht gerechtfertigt. Er könne auch bei der fiktiven Abrechnung die in einer markengebundenen Vertragswerkstatt anfallenden Kosten verlangen. Auch freie Werkstätten würden nicht zu den von der Beklagten in Ansatz gebrachten Stundenverrechnungssätzen arbeiten. Die merkantile Wertminderung sei mit 750,00 € zu bemessen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.232,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank seit dem 13.10.2009 zu zahlen;

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 450,00 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank seit dem 13.10.2009 zu zahlen;

Die Beklagte wird verurteilt, an die … Rechtsschutz Versicherung-AG zu Schaden-Nr. … ußergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 192,90 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

die Beklagte beantragt,

die Klage kostenpflichtig abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, die berechtigten Ansprüche des Klägers seien erfüllt. Der Reparaturaufwand betrage lediglich 4.844,24 €. Das Fahrzeug des Klägers könne unter Berücksichtigung der Herstellervorgaben unter Verwendung von Originalteilen bei einer der von der Beklagten benannten Werkstätten in 65719 Hofheim oder 63477 Maintal fachgerecht in Stand gesetzt werden. Es sei dem Kläger zumutbar eine dieser Werkstätten aufzusuchen. Die Unzumutbarkeit der Reparatur bei einer günstigeren Werkstatt sei vom Kläger zu beweisen. Bei sachgerechter Reparatur verbleibe keine Wertminderung. Die Beklagte bestreitet weiter mit Nichtwissen, dass die Voraussetzungen für eine gewillkürte Prozessstandschaft vorliegen.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben zur Höhe der Wertminderung. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Ablichtung des Gutachtens (Bl. 83 ff und Bl. 116 ff d.A.) im Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Klage ist begründet.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung weiterer 1.132,17 € gegenüber der Beklagten aufgrund des Unfallereignisses vom 11.08.2009 zu. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist unstreitig.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur vollen Überzeugung des Gerichtes fest, dass die erforderlichen Reparaturkosten das Fahrzeug des Klägers insgesamt 6.076,46 € betragen.

Nach den Feststellungen des Gutachters, die das Gericht sich zu Eigen macht, sind die Annahmen des vorgerichtlich vom Kläger eingeholten Gutachtens zutreffend. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind – entsprechend der Vorgabe des Gerichtes an den Sachverständigen – die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Vertragswerkstatt zugrunde zu legen. Ob der Geschädigte diese verlangen kann oder sich auf eine Werkstatt mit günstigeren Stundenverrechnungssätzen verweisen lassen muss, ist jeweils im konkreten Einzelfall zu prüfen. Die Beklagte hat dem in Frankfurt wohnenden Kläger 2 Werkstätten benannt, wovon eine in Hofheim und eine in Maintal gelegen ist. Angesichts der Entfernung dieser Werkstätten vom Wohnort des Klägers in Frankfurt a. M. ist das Aufsuchen dieser Werkstätten für den Kläger nicht zumutbar. Die Schadenminderungspflicht verlangt nicht, dass der Geschädigte im Interesse des Schädigers größere Entfernungen zurücklegt, zumal der allgemeine Zeitaufwand des Geschädigten nicht zu ersetzen ist. Auf die Frage de Gleichwertigkeit kommt es daher im konkreten Fall nicht an. Abzüglich des geleisteten Betrages verbleiben daher 1.232,17 €.

Den merkantilen Minderwert schätzt das Gericht entsprechend dem vorgerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten auf 750,00 €, so dass die Beklagte weiterer 400,00 € zu zahlen hat. Der gerichtliche Sachverständige … hat in seinem Gutachten die verschiedenen Berechnungsmethoden erläutert, die für das Fahrzeug des Klägers zu Beträgen von 30,00 € bis 838,00 € führen Bei der Schätzung ist das Gericht nicht gehalten schematisch einer der genannten Methoden den Vorzug zu geben oder entsprechend dem Vorschlag des gerichtlichen Sachverständigen sich für den Mittelwert zu entscheiden. Ausschlaggebend für die hier vorgenommene Schätzung auf der Basis des vorgerichtlichen Gutachtens, das innerhalb der Bandbreite liegt (der höchste Betrag nach Ruhkopf/Sahm beträgt 838,00 €) ist zum einen, dass dieser Gutachter das Fahrzeug – anders als der gerichtlich bestellte Gutachter – tatsächlich in Augenschein genommen hat, sich mithin ein genaueres Bild verschaffen konnte. Darüber hinaus hat das Gericht sich von der Erwägung leiten lassen, dass gerade bei höherwertigen Fahrzeugen (hier ein Mercedes-Benz Kombi in gepflegtem Zustand) potentielle Käufer versuchen werden, einen erheblichen Preisabschlag zu erzielen, sofern – wie hier – ein offenbarungspflichtiger Unfall vorliegt.

Auch die in gewillkürter Prozessstandschaft für die Rechtschutzversicherung geltend gemachten vorgerichtlichen Kosten, deren Höhe nicht bestritten ist, hat de Beklagte zu zahlen. Soweit die Beklagte pauschal mit Nichtwissen bestreitet, dass die Voraussetzungen für eine gewillkürte Prozessstandschaft vorliegen, handelt es sich um ein unbeachtliches Bestreiten ins Blaue hinein, da keine konkreten Tatsachen bestritten werden.

Zinsen schuldet die Beklagte infolge ihres Verzuges, der nach endgültiger Ablehnung der Leistung eingetreten ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 709, 108 ZPO.

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  1. RAMP sagt:

    „Bemerkenswert“ wäre die Entscheidung,wenn eine konkrete Auseinandersetzung zu den Entfernungen erfolgt wäre! Denn hier geht es doch wohl darum, was noch „regionaler Markt“ ist und was nicht!

  2. F-W Wortmann sagt:

    Hallo Herr Kollege RAMP,
    sicherlich hat die Richterin keine Angaben zu den Entfernungen gemacht. Dies war für die Prozessparteien, die die Örtlichkeiten kennen, auch nicht notwendig. Für Nicht-Frankfurter sei gesagt, dass die Gemeinde Maintal genau hinter dem anderen Ende von Frankfurt liegt, und genau gegenüber von Frankfurt-Höchst. Zwischen Frankfurt-Höchst und Maintal liegen gut und gerne 30 Kilometer. Hofheim liegt ungefähr in der Mitte zwischen Frankfurt und Wiesbaden, liegt daher zwar auf der richtigen Seite, aber auch ca. 25 km von Frankfurt entfernt.
    Also sind im Ballungsbereich Frankfurt 25 / 30 km zu weit. Im Ballungsbereich kann man daher nicht auf Werkstätten im Umland verweisen.
    Mit freundlichen Grüßen
    F-W Wortmann

  3. RA Alexander Jaeger sagt:

    Die benannten Werkstätten waren 15 bzw. 21 km vom Wohnort des Klägers entfernt.

  4. Andreas sagt:

    Danke Willi für das schöne Urteil, insbesondere die Ausführungen zur Wertminderung zeigen, dass eine WM nicht berechnet werden kann, auch und gerade weil der gerichtlich bestellte SV zu Rechenergebnissen zwischen 30 und 838 Euro kommt.

    Könnte man die WM berechnen, müssten die Beträge aber in der selben Größenordnung liegen.

    Wenn aber der errechnete Höchstbetrag das 27-fache des errechneten Niedrigstbetrages ausmacht, kann kaum von der selben Größenordnung die Rede sein…

    Viele Grüße

    Andreas

  5. Willi Wacker sagt:

    Hallo Andreas,
    aber gerne doch. Gerade wegen des interessanten Inhalt ist das Urteil hier eingestellt worden. Wie hatte der BGH noch gesagt, bei der Bestimmung der Wertminderung ist der sachverständigen Schätzung der Vorzug vor tabellarischer Berechnung zu geben.
    Viele Grüße zurück
    Dein Willi

  6. Willi Wacker sagt:

    Herr Kollege Jaeger war der Klägervertreter und muß es demnach wissen. Das bedeutet dann aber, daß im Ballungsraum Frankfurt Verweisungen ins Frankfurter Umland unzumutbar sind.

  7. Joachim Otting sagt:

    Das Urteil hätte meines Erachtens noch kürzer ausfallen können:

    Auto jünger als drei Jahre, Verweisung tabu.

    So – das wurde jetzt aus berufenem Munde auf einer Anwaltsschulung bestätigt – sei das VW-Urteil zu verstehen.

  8. Babelfisch sagt:

    @Joachim Otting:

    Sollte es sich bei diesem berufenen Mund um den des RiBGH W. W. (nicht: Willi Wacker!) handeln? Der hat bei einer gestrigen Fortbildung für Anwälte zur Verweisungsmöglichkeit noch mehr gesagt ….

    Unter anderem zur Zumutbarkeit: Mit dem Schild „Partnerwerkstatt der XY-Versicherung“ ist die Verweisung ebenfalls unzumutbar. Auch ohne solches Schild könnte allein aus der Abweichung der Höhe der Stundenverrechnungssätze nach unten im Verhältnis zu den marktüblichen regionalen Preisen eine Verbindung zwischen Werkstatt und Versicherung (Stichwort Sondermarkt) gefolgert werden.

    Die Beweislast liegt beim Versicherer!

    Ich habe dies als deutliche Einladung zur gerichtlichen Auseinandersetzung verstanden.

  9. Willi Wacker sagt:

    W.W. bedeutet Wolfgang Wellner?
    Im übrigen finde ich die Aussage des Herrn Bundesrichter mehr als interessant. Die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung ist in der Beweislast, die von der vermeintlichen Referenzwerkstatt benannten Preise als marktübliche zu beweisen!! Der Beweis des ersten Anscheins spricht auf jeden Falle bei einer Abweichung nach unten für Sonderkonditionen.
    Da müssen die Versicherer aber viel beweisen!

  10. Moonman sagt:

    @ Otting
    einigen Versicherungen geht der BGH am …. vorbei nach dem Motto:Dreijahresgrenze….die jibts hier nich!
    Schon mal was vom „Nichtanwendungserlass“ gehört?
    WIR wenden das BGH-Urteil nicht an….PUNKT!
    Das BMF mach es doch vor!
    Fast ein dutzend Positivurteile des Bundesfinanzhofes(BFH) werden so vom Bundesfinanzministerium (BMF)durch Nichtanwendungserlasse blockiert!
    Da sacht sich die Assekuranz:Was der Schäuble kann,das können wir erst recht!
    La Li Lu….. nur der Mann im Mond schaut zu!

  11. Willi Wacker sagt:

    Hallo Moonman,
    für die HUK-Coburg unterliegen doch fast alle BGH-Entscheidungen dem Nichtanwendungserlass. Lediglich bei der Urheberrechtsentscheidung haben die etwas Manschetten. Sie richten sich (vorläufig) nach dem Urteil, wodurch auch der Rückgang der Restwertwertbörsen resultiert.
    Mit freundlichen Grüßen an den Mann im Mond
    Willi Wacker

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