AG Leipzig entscheidet mit lesenswertem Urteil vom 24.07.2013 – 109 C 8897/12 – zur fiktiven Schadensabrechnung, zur Bedeutung des Prüfberichtes, zur Verweisung und zur Stellung des vom Geschädigten beauftragten Kfz-Sachverständigen.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leser,

nachfolgend geben wir Euch heute ein Urteil des AG Leipzig zur fiktiven Schadensabrechnung bekannt. Vollkommen zutreffend erkennt das Gericht, dass der vom Geschädigten beauftragte Sachverständige nicht dessen Erfüllungsgehilfe, sondern der Erfüllungsgehilfe des Schädigers ist.  Der zuständige Amtsrichter nimmt auch gleich den Prüfbericht aufs Korn. Er hat keine rechtliche Bedeutung für die Entscheidung des Schadensersatzprozesses. Die vom Gericht angeführte Begründung hierzu überzeugt. Auch die Begründung des Gerichts bezüglich der Nichtbeachtung der Verweisung auf eine angeblich gleichwertige, aber günstiger reparierende Werkstatt überzeugt. Es wurde sauber herausgearbeitet,  dass die geringeren Stundensätze alleine nicht ausschlaggebend sind. Für die Behauptung, dass die Reparatur in der von der Schädigerseite genannten Werkstatt gleichwertig sei, ist der Schädiger beweispflichtig. Diesen Beweis ist er schuldig geblieben. Diesen Beweis kann er auch nur durch ein verbindliches Angebot der Werkstatt führen. Überdies ist in dem konkreten Rechtsstreit offenbar gerichtsbekannt, dass der Autohof K.  bei Leipzig offenbar für die Versicherungswirtschaft arbeitet und daher die Preise keine marktgerechten Preise sind, sondern auf Sondervereinbarungen beruhen. Auf derartige Preise muss sich ein Geschädigter nicht verweisen lassen. Auch mit der bisher bekannten Argumentation der Versicherer hinsichtlich der Ersatzteilzuschläge und Verbringungskosten bei fiktiver Abrechnung  hat sich das Gericht auseinander gesetzt. Die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung ist dabei mit den Argumenten des BGH geschlagen worden. Lest aber selbst das insgesamt interessante Urteil. Das war übrigens das 1.500. Urteil, das ich hier eingestellt habe. Bitte gebt auch zu diesem Urteil Eure Kommentare ab.

Viele Grüße
Willi Wacker

Amtsgericht Leipzig

Zivilabteilung I

Aktenzeichen: 109 C 8897/12

Verkündet am: 04.07.2013

IM NAMEN DES VOLKES

ENDURTEIL

In dem Rechtsstreit

– Kläger –

gegen

– Beklagte –

wegen Forderung

hat das Amtsgericht Leipzig durch Richter am Amtsgericht … auf die mündliche Verhandlung vom 03.07.2013 gem. § 495 a ZPO im vereinfachten Verfahren

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 308,81 Euro nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über Basiszinssatz seit 04.04.2011 sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 30,94 Euro zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreites hat die Beklagte zu tragen,

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Auf die Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 313 a ZPO verzichtet.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg, da sie begründet ist.

Der Kläger hat gegen die Beklagte aus dem Verkehrsunfallereignis vom xx.01.2011 Anspruch auf weiteren Schadenersatz, nachdem die 100%ige Eintrittspflicht der Beklagten dem Grund nach zwischen den Parteien nicht streitig ist.

Der Ermittlung der fiktiv ersatzfähigen Reparaturkosten war dabei das Gutachten der Sachverstandigen vom 25.01.2011 (Anlage K l) zugrunde zu legen.

Soweit die Beklagte dieses Gutachten für unzutreffend erachtet und entsprechende Kürzungen vornehmen möchte, übersieht sie, daß der Sachverständige rechtlich der Erfüllungsgehilfe des Schädigers, also des Versicherungsnehmers der Beklagten, ist. Eventuelle Einwendungen muß die Beklagte daher mit dem Sachverständigenbüro selbst klären. Zu einer Kürzung des Erstattungsbetrages für den Kläger berechtigen solche Einwendungen – begründet oder nicht – regelmäßig nicht.

Ohnehin ist jedoch die hier vorgenommene Kalkulation auf der Grundlage der im Schadenszeitpunkt gültigen durchschnittlichen Stundenverrechnungssätze der Opel-Vertragswerkstätten der Region Leipzig rechtlich nicht zu beanstanden (BGH VI ZR 398/02; KG NJW 2008, 2656).

Auf das sog. Prüfgutachten vom 18.02.2011 (Bl. 51, 52 d. A.) kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreites hingegen nicht an. Dieses stellt gerade keine sachverständige Untersuchung des Unfallfahrzeuges dar, zumal das Unfallfahrzeug von der Firma…  nicht begutachtet worden ist. Vielmehr ist das Prüfgutachten durch die Benutzung eines automatisierten EDV-Kürzungsprogramm (sog. intelligente, IT-gestützte Belegprüfung) entstanden, dessen benutzerseitige Vorgaben (Kürzung um x % oder Kürzung um mindestens x Euro) vom erkennenden Gericht nicht nachvollzogen werden können und von der Beklagten auch nicht offengelegt worden sind.

Entgegen der unzutreffenden Rechtsauffassung der Beklagten muß sich der Kläger auch nicht auf die von der Beklagten-Haftpflichtversicherung angezogenen Stundenverrechnungssätze des Autohofes K. verweisen lassen.

Nach der Rechtsprechung des BGH müßte die Beklagte schon beweisen, daß die Reparatur in der Firma gleichwertig ausgeführt würde. Ein Kostenvoranschlag, dem Entsprechendes zu entnehmen wäre, fehlt. Für die Entscheidung dieser Rechtsfrage kommt es zudem nicht nur auf einen Stundensatz an, sondern auch auf die schlußendlich anfallende Arbeitszeit, die für die Reparatur erforderlich ist. Hierzu schweigt der Vortrag der Beklagten jedoch.

Hinzu tritt, daß der Autohof K. im Hinblick auf die beklagte Versicherung gerade nicht „frei“, sondern vielmehr „gebunden“ ist, da die Beklagte Versicherungskunden und Geschädigte regelmäßig gezielt dorthin vermittelt oder vermitteln möchte. Schon dadurch, daß der Autohof K. – der selbstverständlich nicht das gesamte Unfallgeschehen in Leipzig reparieren kann – gerichtsbekannt in den Prüfberichten und von den Versicherungen stets als erste alternative Reparaturmöglichkeiten genannt wird, verliert dieser den Charakter einer ohne weiteres zugänglichen, freien Fachwerkstatt (AG Leipzig 118 C 4133/10; AG Leipzig 106 C 2986/11).

Entgegen den irrigen Rechtsvorstellungen der Beklagten muß zudem ein Geschädigter auch ein etwas älteres Auto nicht vom Schädiger, dessen Haftpflichtversicherer oder dessen ständigen Kooperationspartnern – etwa dem Autohof K. – reparieren lassen. Er muß sich deshalb auch bei einer fiktiven Abrechnung nicht auf das verweisen lassen, was der Schädiger, sein Versicherer oder dessen Kooperationspartner im Falle der Reparatur berechnen würde.

Mit der ständigen Rechtsprechung des Amtsgerichtes Leipzig, des Landgerichtes Leipzig und des Oberlandesgerichtes Dresden stehen dem Kläger die streitbefangenen UPE-Teilaufschläge auch bei einer fiktiven Abrechnung – wie hier – zu. UPE-Teilaufschläge sind nämlich auch bei einer fiktiven Abrechnung ersatzfähige Schadenspositionen. Gleiches gilt für die Verbringungskosten (vgl. etwa AG Leipzig 111 C 10842/04; OLG Dresden, DAR 2001, 455).

Erhellend ist insoweit auch die jüngste Rechtsprechung des BGH. Dieser führt aus: „Die im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlichen (Gesamt-) Reparaturkosten eines Kraftfahrzeuges nach einem Verkehrsunfall setzten sich aus vielen einzelnen Kostenfaktoren zusammen und lassen sich schadensrechtlich nicht aufspalten in einen „angefallenen“ und einen „nicht angefallenen“ Teil. Dies wäre in der Rechtspraxis nicht handhabbar und würde dem Geschädigten sowohl die Ersetzungsbefugnis als auch die Dispositionsfreiheit im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB nehmen“ (BGH VI ZR 401/12; BGH VI ZR 69/12).

Demgemäß ist die Rechtsauffassung der Beklagten, wonach UPE-Teileaufschläge oder Verbringungskosten mit der Begründung nicht zu ersetzen seien, weil sie „nicht angefallen“ sind, mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht in Einklang zu bringen.

Die geltend gemachte Unfallkostenpauschale war mit 30,00 Euro als gerade noch angemessen zu bewerten.

Weshalb die Beklagte allerdings selbst die von ihr nach dem eigenen Vortrag für angemessen erachtete Kostenpauschale in Höhe von 20,00 Euro nicht an den Kläger ausgezahlt hat, sondern statt dessen auch insoweit eine Klageabweisung beantragt, erschließt sich nicht. Ein derartiges Vorgehen der Beklagten ist in sich widersprüchlich und findet den Schutz der Rechtsordnung nicht (venire contra factum proprium).

Die Nebenforderungen rechtfertigen sich aus dem rechtlichen Gesichtspunkt des Verzuges.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 ff. ZPO.

Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch eine Entscheidung des Berufungsgerichtes zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

Beschluß:

Der Streitwert wird auf bis 600,00 Euro festgesetzt (§§ 3 ff. ZPO).

Soweit das Urteil des AG Leipzig und nun bitte Eure Kommentare.

Urteilsliste “Fiktive Abrechnung” zum Download >>>>>

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4 Antworten zu AG Leipzig entscheidet mit lesenswertem Urteil vom 24.07.2013 – 109 C 8897/12 – zur fiktiven Schadensabrechnung, zur Bedeutung des Prüfberichtes, zur Verweisung und zur Stellung des vom Geschädigten beauftragten Kfz-Sachverständigen.

  1. Hugo L sagt:

    „Ein derartiges Vorgehen der Beklagten ist in sich widersprüchlich und findet den Schutz der Rechtsordnung nicht (venire contra factum proprium).“

    Das sind deutliche Worte und Zeichen, die auch auf jedwede Honorarkürzung zutreffen und das muss nur einmal veranschaulicht werden.

    Hugo L.

  2. Robert Richter sagt:

    Hier hat ein kompetenter Richter Recht gesprochen.

    Willi, kannst du noch angeben, um welche Versicherung es sich handelt?

    Der ist ja durch das Urteil eine Lehrstunde in der Abrechnung fiktiver Schäden geboten worden, und das für relativ wenige Gerichts- und Anwaltskosten. Ansonsten sind Seminare und Lehrgänge teurer.

    Mit dem Autohof K. bei Leipzig braucht diese Versicherung bei diesem Richter und seinen Kollegen in Leipzig nicht mehr ankommen. Die Nummer ist durch.

  3. virus sagt:

    Ein in jeder Hinsicht perfektes Urteil!!! Da bleibt zu hoffen, dass der 6. Senat hier mit liest.

  4. Bruno Reimöller sagt:

    Hey Virus,

    das wäre ja ganz gut, wenn die Mitglieder des VI. Zivilsenates des BGH das Urteil hier lesen würden. Der BGH ist aber eine Revisionsinstanz. Die Fragen der Beauftragung einer Referenzwerkstatt mit Versicherungsaufträgen kann der BGH nicht von sich aus klären. Er kann vom Tatsächlichen her nur das als Grundlage nehmen, was die Parteien übereinstimmend oder unbestritten vortragen.

    Wichtig ist also, dass entsprechend bei den Tatsachen-Instanzen vorgetragen wird.
    Nicht umsonst hat der VI. Zivilsenat entschieden, dass der Schädiger die Darlegungs- und Beweislast dafür hat, dass die genannte freie Fachwerkstatt gleichwertig reparieren kann wie die markeng4ebundene Fachwerkstatt, deren Preise und Ersatzteile im Gutachten zugrunde gelegt wurden.

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