AG Wiesbaden verneint Verweisung auf Alternativwerkstatt und urteilt zur fiktiven Abrechnung, zur Wertminderung und zu den Sachverständigenkosten mit Urteil vom 24.9.2013 – 91 C 6316/11 (84) -.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leser,

nachfolgend geben wir Euch am Sonntagnachmittag ein Urteil aus Wiesbaden zur fiktiven Abrechnung, zur Wertminderung, der Unkostenpauschale sowie zu den Sachverständigenkosten gegen die AllSecur Versicherung = Allianz Gruppe bekannt. Wertminderung flopp, ansonsten top. Keine „rechnerische Wertminderung“ = Gutachterschwachsinn hoch 8. Auch in diesem Fall ist aufgrund des Bestreitens der Gleichwertigkeit der durchzuführenden Reparaturarbeiten das Gericht zutreffend in die Beweisstation eingetreten. Das vom Gericht eingeholte Gutachten hat bestätigt, dass die von der beklagten Haftpflichtversicherung benannte Alternativwerkstatt nicht gleichwertig reparieren kann. Eine Verweisung war daher unzumutbar. Lest aber selbst und gebt Eure fachmännischen Kommentare bekannt. Das Urteil wurde erstritten und der Redaktion eingereicht durch Herrn Rechtsanwalt Guido Kurtz aus 65232 Taunusstein.

Viele Grüße und noch einen schönen Sonntag
Willi Wacker

Amtsgericht Wiesbaden                                                                 Verkündet am:
Aktenzeichen: 91 C 6316/11 (84)                                                  24.09.2013

Im Namen des Volkes
Urteil

In dem Rechtsstreit

Klägerin

gegen

1. …
2. …

Beklagte

hat das Amtsgericht Wiesbaden durch die Richterin am Amtsgericht … aufgrund im schriftlichen Verfahren nach Schriftsatzfrist bis 03.09.13 für Recht erkannt:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 680,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.02.12 sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 97,46 € zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens haben die Beklagten 77% und die Klägerin 23% zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Parteien können die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die andere Seite Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls.

Der Geschäftsführer der Kläger befuhr am xx.07.11 mit einem VW Caddy die linke von 3 Fahrspuren des Kaiser-Friedrich-Rings in Wiesbaden aus Fahrtrichtung Dürerplatz kommend in Fahrtrichtung Bahnhof. Der Geschäftsführer hielt das Fahrzeug hinter einem vorausfahrenden Fahrzeug wegen der auf „Rot“ geschalteten Ampel an. Die Beklagte zu 1., die zwischenzeitlich verstorben ist, befuhr mit dem von ihr gehaltenen Pkw, der bei der Beklagten zu 3. Haftpflicht versichert ist, die mittlere Fahrspur in gleicher Fahrtrichtung. Da wegen einer Baustelle die mittlere Spur endete, versuchte sie, vor das Fahrzeug des Geschäftsführers der Klägerin in die linke Spur einzufahren. Dabei kam es zur Kollision beider Fahrzeuge.

Die Klägerin machte gegenüber der Beklagten zu 3. vorgerichtlich Ansprüche in Höhe von 1.684,58 € geltend. Die Beklagte zahlte hierauf insgesamt 799,58 € unter Zugrundelegung einer Mithaftungsquote der Klägerin von 50%.

Mit der Klage verlangt der Kläger Zahlung restlichen Schadensersatzes, unter anderem die Sachverständigenkosten in Höhe von 341,63 €, eine Unkostenpauschale in Höhe von 30,00 € und die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

Die Klägerin behauptet, als die Lichtzeichenanlage auf „Grün“ gewechselt habe, habe sich neben ihrem Fahrzeug kein anderes Fahrzeug auf der mittleren Spur befunden. Als ihr Geschäftsführer losgefahren sei, sei die Beklagte zu 1. unvermittelt von hinten erschienen und habe vor dem Fahrzeug der Klägerin die Fahrspur gewechselt, ohne ein Lichtzeichen zu geben. Dabei sei sie gegen die Front des Fahrzeugs der Klägerin gefahren.

Durch den Unfall sei an dem Pkw der Klägerin ein Sachschaden in Höhe von 1.112,95 € sowie eine Wertminderung in Höhe von 200,00 € entstanden.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 884,99 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 106,45 € zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, die Baustelle auf der mittleren Fahrspur habe sich erst 600 m hinter der roten Ampel befunden. Die Ampel habe auf „Grün“ umgeschaltet, noch bevor das Fahrzeug der Beklagten zum vollständigen Stillstand gekommen sei. Die Beklagte habe im Reißverschlussverfahren hinter dem ersten Fahrzeug auf der linken Spur und vor dem Fahrzeug der Klägerin auf die linke Fahrspur wechseln wollen. Den zwischen dem ersten Fahrzeug und dem klägerischen Fahrzeug befindlichen ausreichenden Abstand habe der Geschäftsführer der Klägerin zugefahren, um einen Spurwechsel der Beklagten zu 1. zu verhindern. Deshalb sei der Geschäftsführer der Klägerin von hinten kommend gegen das hintere linke Heck des Fahrzeugs der Beklagten gestoßen.

Der Sachschaden an dem Fahrzeug der Klägerin betrage lediglich 978,59 €. Die Klägerin müsse sich auf die günstigeren Stundenverrechnungssätze einer freien-Werkstatt verweisen lassen. Die Firma F. GmbH in Wiesbaden biete die Arbeiten zu deutlich günstigeren Preisen an und sei qualitativ mit einer Fachwerkstatt vergleichbar. Das Fahrzeug der Klägerin sei älter als drei Jahre und Scheckheft gepflegt. Die Beklagte meint, der Klägerin stehe hinsichtlich der Ersatzteilpreise kein UPE Aufschlag von 10% zu.

Soweit im Hinblick auf die 50%-ige Mithaftung der Klägerin eine Überzahlung seitens der Beklagten zu 3. vorliege, erklären die Beklagten die Aufrechnung mit der Klageforderung.

Das Gericht hat Beweis erhoben aufgrund der Beweisbeschlüsse vom 12.06.12, Bl. 63 d. A. und 14.05.13, Bl. 130 fd. A. durch Vernehmung der Zeugen H. und A. und durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle vorn 12.06.12, Bl. 62 ff d. A., 23.04.12, Bl. 122 ff d.A. sowie auf das Gutachten des Sachverständigen H. vom 14.06.13, Bl. 146 ff d.A., Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist überwiegend begründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagten gem. §§ 7 Abs. 1,18 Abs. 1 StVG, 115 VVG ein Anspruch auf restlichen Schadensersatz in Höhe von 680,00 € zu.

Unstreitig kam es bei dem Betrieb des von der Beklagten zu 1. gefahrenen Pkw zu einem Unfall im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG.

Unter Berücksichtigung der gem. § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden Haftungsabwägung ergab sich für das ebenfalls in Betrieb befindliche Fahrzeug der Klägerin keine Mithaftung aus der Betriebsgefahr.

Auch wenn eine vollständige Aufklärung des Hergangs des Verkehrsunfalls nicht möglich war, ist zwischen den Parteien unstreitig, dass es im Zusammenhang mit dem Spurwechsel der Beklagten zu 1. zu dem Verkehrsunfall kam. Da die Beklagte zu 1. den Fahrstreifen wechselte, hatte sie die besondere Sorgfaltspflicht des § 7 Abs. 5 StVO zu beachten. Danach durfte sie den Fahrstreifen nur wechseln, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war und sie ihre Absicht, den Fahrstreifen zu wechseln, rechtzeitig vorher durch Setzen des Fahrtrichtungsanzeigers ankündigte. Kommt es unmittelbar nach einem Fahrstreifenwechsel zu einer Kollision mit dem Nachfolgenden des anderen Fahrstreifens, spricht der Anschein für eine Missachtung der Sorgfaltspflicht (s. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Auflage, § 7 StVO, Rn 17). Dieser Anschein konnte nur durch erwiesene Tatsachen erschüttert werden.

Die Beklagten behaupten insoweit, dass auf Seiten der Beklagten zu 1. die Voraussetzung für ein Einfädeln auf die linke Fahrspur nach dem Reißverschlussverfahren gem. § 7 Abs. 4 StVO vorgelegen hätten. Insofern ist zwar unstreitig, dass der von der Beklagten zu 1. befahrene mittlere Fahrstreifen wegen der Baustelle endete. Ob die Beklagte zu 1. deshalb nach der konkreten Situation den Vorrang gegenüber dem Fahrzeug der Klägerin hatte, kann jedoch nicht festgestellt werden. So setzt die Anwendung des Reißverschlussverfahrens zum einen voraus, dass sich die Verengung (bzw. hier die Fahrbahnsperrung) bereits unmittelbar vor demjenigen, der die Spur wechselt, befindet. Weiter ist Voraussetzung, dass derjenige dessen Fahrspur wegfällt, sich zunächst hinter dem daneben befindlichen Fahrzeug auf der weitergehenden Spur einordnet, da dieses Fahrzeug den Vorrang hat. Beides kann hier jedoch nicht festgestellt werden. Die Aussagen der Zeugen H. und A. waren insoweit unergiebig. So stimmten die Aussagen des Zeugen A. hinsichtlich der befahrenen Spuren nicht den Behauptungen der Parteien überein. Die Aussage des Zeugen A. spricht eher für die Behauptungen der Klägerin, dass die Beklagte zu 1. von hinten an dem Fahrzeug der Klägerin vorbeifuhr, bevor sie die Spur wechselte. Die Beklagten können auch nicht nachweisen, dass die Beklagte den Geschäftsführer der Klägerin durch Blinken auf den beabsichtigten Fahrstreifenwechsel aufmerksam machte, denn auch ein berechtigter Einfädler im Reißverschlussverfahren darf den Vorrang nicht erzwingen.

Nach der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass durch den Unfall ein Sachschaden in Höhe von 1.112,95 € entstanden ist.

Dieser Schadensbetrag ergibt sich aus dem vorgerichtlichen Gutachten des Privatsachverständigen M. und den Feststellungen des Sachverständigen Dipl. Ing. H. .

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Erstattung der ortsüblichen Stundenverre-chungssätze einer Fachwerkstatt zu. Die Beklagten konnten nicht nachweisen, dass die Firma F. GmbH in Wiesbaden in gleicher Weise qualifiziert ist für die Reparaturarbeiten wie eine Fachwerkstatt.

Insofern hat der Sachverständige G. bereits in seinem Gutachten vom 19.11.11, das Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, in anderer Sache festgestellt, dass die Firma F. GmbH nicht in vollem Umfang zu einer gleichwertigen Reparatur in der Lage ist. Zwar stellte der Sachverständige fest, dass die Firma F. bzgl. der Karosserie- und Lackierungsarbeiten gegenüber markengebundenen Werkstätten als handwerklich gleichwertig einzustufen ist. Allerdings arbeitet die Firma F. im Bereich der Fehlerdiagnose nicht mit herstellerspezifischen Diagnosegeräten, so dass auch bei einfachen Karosserieschäden nicht sichergestellt ist, dass sämtliche Elektronikfehler zuverlässig erkannt werden. Außerdem ist die Firma einer Fachwerkstatt hinsichtlich der Überprüfung der Bremsanlage und der Fortbildung der Mitarbeiter nicht uneingeschränkt gleichzustellen.

Zwar handelt es sich bei dem hier zu beurteilenden Schaden optisch eher um leichte Karosserieschäden. Da ein Geschädigter jedoch nicht ohne Weiteres beurteilen kann, ob neben Karosserieschäden auch sonstige Schäden an dem Fahrzeug vorhanden sind, für die Kenntnisse in der Elektronik erforderlich sind, kann die Klägerin nicht auf die nicht in vollem Umfang gleichwertige Firma F. verwiesen werden.

Der Klägerin steht auch ein Anspruch auf Erstattung des von dem Privatsachverständigen angesetzten UPE Zuschlags zu. Insoweit hat der Sachverständige H. festgestellt, dass dieser Zuschlag bei Fachwerkstätten im Raum Wiesbaden üblicherweise erhoben wird. Dies ist auch bei der fiktiven Abrechnung zu berücksichtigen.

Der Klägerin steht allerdings kein Anspruch auf Zahlung einer Wertminderung zu. Der Sachverständige kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass angesichts des Alters und der Kilometerleistung keine rechnerische Wertminderung festzustellen ist. Dem schließt sich das Gericht an.

Der Klägerin steht jedoch ein Anspruch auf Erstattung der Kosten des Sachverständigengutachtens in Höhe von 341,63 € zu sowie eine Unkostenpauschale, die das Gericht allerdings nur in Höhe von 25,oo € als angemessen ansieht, zu. Hieraus errechnet sich ein Gesamtschaden in Höhe von 1.479,58 €. Angesichts der vorgerichtlichen Zahlung der Beklagten in Höhe von 799,58 € bleibt ein Restbetrag in Höhe von 680,00 €. Da die Beklagten die Aufrechnung für evtl. nicht geschuldete Zahlungen erklärt haben, war die Zahlung auf den insgesamt geschuldeten Betrag zu verrechnen.

Der Klägerin steht weiter ein Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, jedoch nur aus einem Streitwert bis 1.500,00 € zu. Hieraus errechnet sich die geltend gemachte 0,65 Gebühr in Höhe von 68,25 €, eine Auslagenpauschale in Höhe von 13,65 € sowie die Mehrwertsteuer in Höhe von 15,56 € zu. Insoweit errechnet sich ein Gesamtbetrag in Höhe von 97,46 €.

Der Zinsanspruch ist begründet gem. § 291 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, 100 Abs. 4 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Urteilsliste “Fiktive Abrechnung u. SV-Honorar” zum Download >>>>>

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