Konkrete Schadensabrechnung im 130 %-Bereich – Keine 6-monatige Wartezeit (1 C 45/08 vom 15.04.2008)

Das Amtsgericht Ettlingen hat mit Urteil vom 15.04.2008 – 1 C 45/08 – zu dem Thema 6-monatige Nutzungszeit bei konkreter Schadensabrechnung im 130 %-Bereich eine interessante Entscheidung getroffen. Das AG Ettlingen hat entschieden, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 1.921,84 € nebst Zinsen zu bezahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreites.

Tatbestand
Die Klägerin macht gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus einem Unfallereignis geltend. Am 31.12.2007 ereignete sich in Ettlingen ein Verkehrsunfall, bei dem der PKW der Klägerin beschädigt wurde. Für die Reparatur des Fahrzeugs musste die Klägerin 3.974,84 € aufwenden.

Der Verkehrsunfall wurde durch einen VN der Beklagten, der mit einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen KA-…, fuhr, durch Unachtsamkeit verursacht. Dabei wurde der im Eigentum der Klägerin stehende PKW mit dem amtlichen Kennzeichen KA-… beschädigt. Die Beklagte hat außergerichtlich 2.068,00 € an die Klägerin bezahlt. Mit der Klage macht die Klägerin den restlichen Schadensersatzanspruch zuzüglich einer Unkostenpauschale geltend.

Die Klägerin trägt vor, dass der Anspruch fällig sei. Es müsse nicht erst zum Nachweis des Integritätsinteresses eine Frist von 6 Monaten abgewartet werden.Die Klägerin hätte daher zur Instandsetzung greifen dürfen. Sie beantragt daher die Beklagte, wie entschieden, zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen und trägt vor, dass die Reparaturkosten über den Wiederbeschaffungswert des PKW gelegen hätten. Auch wenn der PKW ordnungsgemäß repariert worden sei, bestehe kein Anspruch auf Zahlung des restlichen Betrages vor Ablauf von 6 Monaten seit dem Unfallereignis. Maßgebend sei das Integritätsinteresse. Dieses werde dadurch dokumentiert, dass der PKW noch über einen Zeitraum von 6 Monaten weitergenutzt wird. Dieses entspreche auch der neuen BGH-Rechtsprechung.

Aus den Gründen:

Die zulässige Klage ist in Höhe von 1.921,84 € begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung weiterer 1.905,84 € als Schadensersatz gegenüber der Beklagten aufgrund der durchgeführten Reparatur. Der hinsichtlich der Höhe zwischen den Parteien unstreitige Anspruch war bereits bei Erhebung der Klage fällig, da es sich um Reparaturkosten eines Fahrzeuges aufgrund eines Verkehrsunfalls handelt, für dessen Folgen die Beklagte zu 100 % haftet.

Entgegen der Auffassung der Beklagten entsteht der Anspruch auf Erstattung der Kosten der Reparatur eines PKW, die dessen Wiederbeschaffungswert um nicht mehr als 30 % übersteigen, mit Durchführung der ordnungsgemäßen Reparatur und Bezahlung der hierfür anfallenden Kosten und wird damit auch fällig. Dabei wird dem Eigentümer eines Kfz im Rahmen der sogenannten 130 %-Grenze grundsätzlich zugebilligt, auf Kosten des Schädigers eine eigentlich unwirtschaftliche Reparatur durchzuführen. Maßgeblich hierfür ist die Überlegung, dass ihm sein Fahrzeug in besonderer Weise vertraut ist, dass er insbesondere weiß wie dies ein- und weitergefahren, gewartet und sonst behandelt worden ist, ob und welche Mängel dabei aufgetreten und auf welche Weise sie behoben worden sind (vgl. ständige Rechtsprechung des BGH, zuletzt BGH VersR 2008, 134). Damit ist dem Geschädigten – zu einem angemessenen Schadensausgleich – mit einer Ersatzbeschaffung auf dem Gebrauchtwagenmarkt, auf die er ansonsten verwiesen wäre, nicht in gleicher Weise gedient. Allerdings muss das Interesse des Geschädigten am Erhalt und der Wiederherstellung des ihm vertrauten Fahrzeugs auch in nachweisbarer Form zum Ausdruck kommen. Repariert der Geschädigte daher sein Kraftfahrzeug in der Absicht, es zu verkaufen, besteht keine schadensrechtliche Rechtfertigung dafür, den Schädiger die Kosten der unwirtschaftlichen Reparatur tragen zu lassen.

Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH (vgl. Urteil vom 27.11.2007, AZ: VI ZR 56/07) kann der Geschädigte zwar nur unter der Voraussetzung, dass er sein Integritätsinteresse nachweist, den Ersatz des Reparaturaufwandes bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges verlangen. In dem zu dieser Frage zuletzt ergangenen Urteil (siehe oben) hat der BGH hierzu erläutert, dass der Geschädigte dieses Integritätsinteresse im Regelfall dadurch hinreichend zum Ausdruck bringt, dass er das Fahrzeug nach der Reparatur für einen längeren Zeitraum, der auf mindestens 6 Monate bemessen wird, nutzt. Der BGH hat jedoch auch weiter ausgeführt, dass es sich bei der Frage dieses Zeitablaufes lediglich um eine Frage des Nachweises des Integritätsinteresses handelt. Daraus ergibt sich nach Auffassung des Gerichtes nicht, dass sich die 6-Monatsfrist auch auf die Fälligkeit des Anspruchs bezieht.

Das Bestehen des Integritätsinteresses liegt daher bereits mit Durchführung der Reparatur vor. Mit der Durchführung der Reparatur ist daher die Forderung auf Erstattung der Reparaturkosten fällig. Darüber hinaus ist das Gericht auch der Auffassung, dass die 6-Monatsfrist bei der tatsächlichen Durchführung einer Reparatur und Abrechnung auf der Basis der tatsächlichen Reparaturkosten, sich aus der BGH-Rechtsprechung nicht ergibt, dass zum Nachweis des Integritätsinteresses der PKW zwingend 6 Monate noch weiter genutzt werden muss. Der BGH hat dieses in dem genannten Urteil nur in den Fällen gefordert, in denen der Fahrzeugschaden fiktiv abgerechnet wird. Da im streitgegenständlichen Fall jedoch eine konkrete Abrechnung vorliegt, ergibt sich daraus erst Recht, dass das Integritätsinteresse bereits mit der durchgeführten Reparatur ausreichend nachgewiesen ist. Auf die Einhaltung der 6-Monatsfrist kommt es dabei nicht an. Darüber hinaus ist diese auch keine Fälligkeitsvoraussetzung.

Die Beklagte war daher zur Zahlung des ausgeurteilten Betrages zu verurteilen.

Überzeugende Entscheidungsgründe des AG Ettlingen. Die Richterin des AG Ettlingen hat die BGH-Urteile, die zu den Fiktivabrechnern ergangen sind, genau erkannt und ausdrücklich in ihrem Urteil festgeschrieben, dass die 6-Monats-Frist – zutreffend – nur bei Fiktivabrechnern gelten kann. Mit tatsächlich durchgeführter Reparatur ist das Integritätsinteresse nachgewiesen. Da der Schaden des Geschädigten durch Zahlung der Reparaturkostenrechnung entstanden ist, ist der Schadensersatzanspruch gegenüber dem Schädiger auch sofort fällig. Es gibt daher bei Konkretabrechnern keine 6-Monats-Frist, so die Ansicht von Willi Wacker.

Urteilsliste „130%-Regelung“ zum Download >>>>>

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5 Antworten zu Konkrete Schadensabrechnung im 130 %-Bereich – Keine 6-monatige Wartezeit (1 C 45/08 vom 15.04.2008)

  1. RA Wortmann sagt:

    Das Urteil des AG Ettlingen ist in einer Reihe mit den Entscheidungen des OLG Celle ( NJW 2008, 928 ) und des LG Bielefeld ( BeckRS 2008, 02393 ), Captain-HUK hatte darauf hingewiesen, zu nennen. Das bedeutet, daß auch die Instanzgerichte der zutreffenden Ansicht folgen, daß die 6-monatige Nutzungszeit nur bei Fiktivabrechnern gelten kann. Die vielfach von der HUK vorgebrachte Begründung wird daher auch von den nachgeordneten Gerichten nicht geteilt.
    Weiter so.
    RA Wortmann

  2. RAMP sagt:

    Ich verweise insoweit auf die unter der Rubrik eingestellte Entscheidung des AG Leipzig Urteil vom 13.03.2008 – 111 C 8135/07

    Auch dort wurde auf sofortige Fälligkeit erkannt.

    Allerdings bleibt auch noch einmal darauf hinzuweisen, dass der Ersatzanspruch immer bei vorhandenem (und nachgewiesenem) Integritätsinteresse sofort fällig ist.(auch nach BGH)

    Nun kann man sich darum streiten, ob die tatsächliche Reparatur mit Rechnung schon ein solcher hinreichender Nachweis ist oder eben erst die 6- monatige Haltedauer letzte Zweifel beseitigt (so der BGH bei fiktiver Abrechnung)

    Eins ist allerdings Fakt: Sollte der Geschädigte nach 6 Monaten immer noch Eigentümer sein, kann er als adäquate Schadensfolge sämtliche zusätzlichen Kosten die mit unberechtigten Verweigerung der Versicherung einhergehen (insbesonderre Mietwagenkosten oder Nutzungsausfall über 6 Monate bei fehlenden Vorfinanzierungsmöglichkeiten ersetzt verlangen.

    Dessen ist man sich bei HUK und Co. offenbar noch nicht bewusst, denn vor diesem Hintergrund können solche Fälle richtig teuer werden…

  3. Hunter sagt:

    Die Coburger Huker wissen sehr genau, dass bei anteiliger Zahlungsverweigerung innerhalb der 6-Monatsfrist sämtliche Folgekosten aus Fälligkeitsverzug zu tragen sind. Ob Co. das auch weiß, sei dahingestellt.

    Die Huker spielen mit der neuen Taktik ganz klar auf die Abschreckung bei den 130%-Fällen und nehmen eine kostspielige Schlappe hier oder da mit bekannter Stumpfsinnigkeit gerne in Kauf. Hauptsache ist, man bringt etwas Unruhe in den Markt, auch wenn die Rechtsmeinung noch so schräg ist. Selbst dann, wenn die Sache sich letztendlich wieder nicht rentiert und mit einem Kopfstoss vor dem BGH endet.

  4. RA Wortmann sagt:

    Hallo Herr RAMP,
    Sie haben Recht, das von Ihnen erwähnte Urteil des AG Leipzig vom 13.03.2008 ( 111 C 8135/07 ) passt neben den bereits von mir erwähnten Entscheidungen des OLG Celle, des LG Bielefeld und des AG Ettlingen in diese Reihe.
    MfG
    RA Wortmann

  5. Hunter sagt:

    Und nicht zu vergessen:

    OLG Nürnberg vom 07.08.2007 AZ: 2 W 1109/07

    LG Nürnberg-Fürth vom 08.05.2007 Az.: 8 O 861/07

    LG Hanau vom 30.05.2007 Az.: 1 O 179/07

    LG Amberg vom 21.06.2007 Az.: 21 O 159/07

    LG Aachen vom 11.07.2007 Az.: 1 O 187/07

    LG Hamburg vom 24.08.2007 Az.: 331 O 28/07

    LG Duisburg vom 30.08.2007 Az.: 5 S 63/07

    LG Köln vom 31.08.2007 Az.: 11 T 179/07

    LG Bonn vom 07.11.2007 Az.: 1 O 214/07

    AG Bergheim vom 18.04.2007 Az.: 21 C 25/07

    AG Köln vom 03.05.2007 Az.: 266 C 430/06

    AG Witten vom 16.08.2007 Az.: 2 C 561/07

    AG Frankfurt am Main vom 26.09.2007 Az.: 20 C 1342/07-47

    AG Fürstenwalde vom 12.11.2007 Az.: 12 C 204/07

    Der nächste bitte…….

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