Kritisches mit historischem Hintergrund: LG Paderborn äußert sich im Berufungsurteil zur notwendigen Qualifikation des Sachverständigen mit Urteil vom 25.7.2002 -1 S 68/02-.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leser,

um es vorweg zu sagen, das nachstend aufgeführte Berufungsurteil des Landgerichts Paderborn ruft Kritik hervor. Die vom Gericht aufgestellten Anforderungen  zur Erkundigungspflicht des Geschädigten bezüglich der Qualifikation des Sachverständigen sind fragwürdig.  Demnach muss der Sachverständige – vor Beauftragung – wohl erst seinen Lebenslauf vorlegen? Der Ruf nach Qualifikation bzw. qualifizierten Gutachten ist sicher berechtigt. Aber so wie das LG Paderborn es vormacht,  geht es trotzdem nicht!  Im übrigen dürfte das Urteil auch insofern falsch sein, als das Gericht die Werkstatt des Geschädigten als dessen Erfüllungsgehilfe ansieht, dessen Fehler hinsichtlich der Auswahl des Sachverständigen der Geschädigte sich zurechnen lassen müsse gem. §§ 254, 278 BGB. Der BGH hat mit Urteil vom 29. Okt. 1974 – VI ZR 42/73 –  in BGHZ 63, 182 ff. darauf hingewiesen, dass die Werkstatt nicht der Erfüllungsgehilfe des Geschädigten ist. Imhof / Wortmann hatten in ihrem Aufsatz „Die Erforderlichkeit von Sachverständigenkosten i.S. des § 249 BGB und die Beweislastverteilung“ in DS 2011, 149 ff. ausdrücklich darauf hingewiesen. Lest aber selbst, denkt aber bitte daran, dass das Urteil kritisch betrachtet werden muss, und gebt Eure Kommentare ab.  

Viele Grüße
Euer Willi Wacker

1 S 68/02
53 C 75/01
Amtsgericht Paderborn

Landgericht Paderborn

Urteil

Auf die Berufung des Klägers wird das am 7.3.2002 verkündete Urteil des Amtsgerichts Paderborn abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 1.997,11 EUR (i.W.: eintausendneunhundertsiebenundneunzig 11/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 1.9.2000 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 60 % und die Beklagten zu 40 %.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 90 % und die Beklagten zu 10 %.

Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar; im übrigen ist es vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Von den nach § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu treffenden Feststellungen zur Tatsachengrundlage wird gemäß den §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache nur geringen Erfolg.

Darüber, dass die Beklagten dem Kläger gemäß den §§ 7, 17 StVG, 3 Nrn. 1, 2 PflVersG zum vollen Ausgleich seines materiellen Unfallschadens verpflichtet sind, besteht kein Streit.

Der Höhe nach ist wie folgt abzurechnen:

1. Fahrzeugschaden:

Beide Parteien rechnen auf Wiederbeschaffungsbasis ab. Da sich die Beklagten nicht das Ergebnis des Sachverständigengutachtens T, das zu einer Reparaturwürdigkeit kommt, zu eigen gemacht haben, ist davon auszugehen, dass sich die Parteien auf eine Abrechnung auf Wiederbeschaffungsbasis geeinigt haben. Insoweit ist also der klägerische Einwand, der Sachverständige sei zu Unrecht von einer Ausbaufähigkeit der Scheiben ausgegangen, unerheblich; denn er kann allenfalls Auswirkungen auf die Höhe der Reparaturkosten, um die es aber bei der Abrechnung auf Wiederbeschaffungsbasis nicht geht, haben.

Der gerichtlich bestellte Sachverständige … hat den Wiederbeschaffungswert ausdrücklich zum 02.09.2000 auf der Basis der Schwacke-Notierung unter Berücksichtigung u.a. der Ausstattung, des Alters, der Laufleistung, des Zustandes auf gerundet 17.900 DM brutto veranschlagt. Da die dem Gutachten … als Anlage beigefügte Bewertung des klägerischen PKW ausdrücklich zum 02.09.2000 erfolgt ist, ist der klägerische Einwand, der auf einem Tippfehler auf dem Deckblatt des Gutachtens beruht, der Sachverständige … sei vom 01.09.2001 ausgegangen, widerlegt. Nicht nachvollziehbar ist der weitere Einwand des Klägers, das Gutachten … sei unter Kasko-Gesichtspunkten erstattet worden. Was der Kläger damit behaupten will, bleibt im Dunklen.

Aufgrund der nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Bewertung seitens des Sachverständigen … ist damit ein Wiederbeschaffungswert in Höhe von 17.900 DM brutto zugrundezulegen.

2. Restwert:

Davon in Abzug zu bringen ist der Restwert des klägerischen PKW, den der Sachverständige … unter Berücksichtigung des Gesamtschadens auf 4.000 DM bemessen hat. Selbst wenn der Einwand des Klägers, Seiten- und Heckscheibe seien nicht – wie der Sachverständige … angenommen hat – unbeschädigt ausbaubar, zutrifft, sind Auswirkungen auf den vom Sachverständigen ermittelten Restwert weder schlüssig dargelegt noch ersichtlich. Abgesehen davon, dass unwidersprochen seitens der Fa. …  ein entsprechendes Angebot vorlag, was darauf hinweist, dass ein Verkaufspreis in Höhe von 4.000 DM zu erzielen war, spricht für die Richtigkeit der Feststellungen des Sachverständigen … auch, dass der PKW letztlich nur notdürftig repariert für 8.800 DM weiterverkauft wurde.

Unter Berücksichtigung eines Restwertes in Höhe von 4.000 DM brutto ergibt sich damit ein Fahrzeugschaden in Höhe von 13.900 DM brutto.

3. Radioumbaukosten in Höhe von 100 DM

Diese im Gutachten … angesetzten Kosten sind nicht angefallen, da das Radio vor dem Verkauf des klägerischen PKW unstreitig nicht ausgebaut wurde.

4. Gutachtenkosten … in Höhe von 1.843,53 DM

Grundsätzlich sind nach § 249 BGB auch die Kosten eines Sachverständigengutachtens zu ersetzen, soweit sie zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich sind, und zwar auch dann, wenn das Gutachten objektiv ungeeignet ist oder seine Kosten übersetzt sind; denn der Schädiger hat die Notwendigkeit sachverständiger Schadensfeststellung verursacht. Der Sachverständige ist auch nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten, sondern die sachverständige Schadensfeststellung ist vielmehr Teil der vom Schädiger gemäß § 249 S. 1 BGB geschuldeten Herstellung, so wie die Kosten der Ermittlung des nach § 249 S. 2 BGB zu erstattenden Herstellungsaufwands Teil desselben sind. Das Risiko des Fehlschlages der Kostenermittlung muß deshalb der Schädiger tragen, solange den Geschädigten hinsichtlich der sorgfältigen Auswahl und zutreffenden Information des Gutachters kein Verschulden trifft (vgl. Palandt-Heinrichs, § 249 RN 22 sowie OLG Hamm, VersR 2001, 249, 250).

Das von dem Kläger eingeholte Gutachten … ist fehlerbehaftet und deshalb ungeeignet, was grundsätzlich in den Risikobereich der Beklagten fällt. Dem Kläger fällt jedoch ein Auswahlverschulden zu Last, da sich der Sachverständige … zwar als Sachverständiger bezeichnet, aber nicht öffentlich bestellt und vereidigt und vor allem noch nicht einmal Dipl.Ing. für KFZ-Technik ist. Die Tatsache, dass er kein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger – ebenso wie der gerichtlich bestellte Sachverständige… – ist, ist zu vernachlässigen, da die erforderliche Sachkunde auch unabhängig davon vorhanden sein kann. Angesichts dessen, dass er aber – jedenfalls nicht feststellbar – über keine entsprechende Ausbildung verfügt, ist von einem Auswahlverschulden auszugehen. Der Kläger war gehalten, nicht irgendeinen Sachverständigen zu beauftragen, sondern hatte sich zumindest über dessen fachliche Qualifikation zu erkundigen. Dass er dies getan hat, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Dementsprechend trifft ihn ein Auswahlverschulden, das über § 254 BGB zum Ausschluß der Ersatzfähigkeit der Gutachterkosten … führt. Selbst wenn der Kläger die Auswahl des Sachverständigen der Fachwerkstatt überlassen hat, ist er nicht entlastet; denn in diesem Fall hat er sich deren Auswahlverschulden über §§ 254 Abs. 2 S. 2, 278 BGB zurechnen zu lassen.

5. Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 1.056 DM:

Wie das Amtsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, sind unstreitig 16 Tage á 66,00 DM und damit 1.056 DM zu erstatten.

6. An- und Abmeldekosten in Höhe von 150 DM sowie die Kostenpauschale in Höhe von 50 DM sind ebenfalls erstattungsfähig.

Zu ersetzen ist damit seitens der Beklagten ein materieller Schaden in Höhe von insgesamt 15.156 DM. Gezahlt hat die Beklagte zu 2. vorprozessual 11.250 DM, so dass noch 3.906 DM = 1.997,11 EUR nebst Verzugszinsen offen und auszugleichen sind.

Ein Anspruch auf Zahlung weiteren Schmerzensgeldes gemäß den §§ 823, 847 BGB; 3 Nrn. 1, 2 PflVersG steht dem Kläger nicht zu.

Vor dem Hintergrund, dass der Kläger ein HWS-Schleudertrauma erlitten hat, das offensichtlich keiner besonderen Behandlung bedurfte und zu besonderen Beeinträchtigungen nichts vorgetragen ist, erscheint ein Schmerzensgeld in Höhe von 500 DM ausreichend und angemessen. Da die Beklagte zu 2. bereits vorprozessual ein solches Schmerzensgeld gezahlt hat, ist der klägerische Anspruch damit erfüllt und untergegangen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf den §§ 92, 97 ZPO,  die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 11, 709, 713 ZPO.

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