OLG Frankfurt am Main weist das LG Darmstadt bei einer Entscheidung zur fiktiven Abrechnung eines Unfallschadens mit aller Deutlichkeit in die Schranken (22 U 16/19 vom 07.11.2019)

Wie bei CH schon des öfteren mitgeteilt, hat sich das Landgericht Darmstadt in der Vergangenheit offensichtlich von der fiktiven Abrechnung verabschiedet und „bastelt“ sich inzwischen seine eigenen Gesetze (siehe auch CH-Beitrag vom 19.07.2019). Grundlage für die rechtsirrige Meinung sei das Urteil des BGH zum Baurecht vom 22.02.2018 (VII ZR 46/17). Der § 249 Abs. 2 S. 1 BGB wurde damit in Darmstadt faktisch abgeschafft. Ob der VII Zivilsenat des BGH mit seinem Werkvertragsrechtsurteil richtig entschieden hatte, sei dahingestellt. Bei dem zugrundeliegenden Streitfall in Darmstadt geht es zweifelsohne um Schadensersatz bei einem Kfz-Unfallschaden. Von Werkvertragsrecht also keine Spur. Dieser fehlgeleiteten Rechtsauffassung des LG Darmstadt ist das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in der Vergangenheit schon wiederholt entgegen getreten. Offenbar aber ohne Erfolg, wie man dem aktuellen Urteil des OLG entnehmen kann (22 U 16/19 vom 07.11.2019). Mit dieser Entscheidung hat das OLG Frankfurt am Main dem LG Darmstadt nun leicht verständlich – und vor allem mit aller Deutlichkeit – ins Stammbuch geschrieben, dass es sich auf dem Holzweg befindet. Gleichzeitig hat das OLG die Revision zugelassen. Bleibt nun abzuwarten, ob die Beklagte tatsächlich Anlauf zum BGH nimmt, oder weiterhin versucht, das LG Darmstadt im Wunschfahrwasser der Versicherungswirtschaft zu halten.

Hier nun die interessante Entscheidung des OLG Frankfurt am Main.

Leitsatz

1. Der Geschädigte ist berechtigt, gemäß der eindeutigen Regelung des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB statt der Herstellung des vorherigen Zustands den dazu erforderlichen Geldbetrag zu verlangen.

2. Die Rechtsprechung des BGH zum Werkvertragsrecht vom 22.2.2018 – VII ZR 46/17 – kann nicht auf das Deliktsrecht übertragen werden. Es besteht auch kein Anlass zu einer entsprechenden Rechtsfortbildung, da es mangels einer Austauschbeziehung nicht zu einer Überkompensation oder Äquivalenzstörung kommen kann.

22 U 16/19
2 O 471/16 Landgericht Darmstadt

OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

Klägerin und Berufungsklägerin

gegen

Beklagte und Berufungsbeklagte

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 23.11.2018 abgeändert. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner über den im Urteil tenorierten Betrag hinaus verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 1.403,25 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.11.2016 sowie weitere vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 157,79 € zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 10 %, die Beklagten 90 %. Von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz tragen die Klägerin 30 %, die Beklagten 70 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Zwangsvollstreckung der Gegenseite durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht diese vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Der Gegenstandswert für die Berufungsinstanz wird auf 2.037,68 € festgesetzt.

I.

Die Klägerin hat die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom xx.9.2016 in Anspruch genommen, der sich gegen 15:30 Uhr auf der … Straße in … ereignet hat.

Die Beklagten haften für die Schäden der Klägerin in vollem Umfang. Die Klägerin hat ihre Ersatzansprüche zunächst erfolglos gegenüber den Beklagten geltend gemacht und nach einer Frist bis zum 24.11.2016 entsprechende Klage erhoben. Die Beklagte zu 2) hat unter dem 1.12.2016 die Schäden weitgehend anerkannt und abgerechnet, allerdings Abzüge bei den Reparaturkosten und der Wertminderung vorgenommen.

Das Landgericht hat Beweis über den Umfang der Reparaturkosten erhoben, ebenso über die Wertminderung. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, dass unter Berücksichtigung günstigerer Werkstätten Netto-Reparaturkosten lediglich von 5.598,25 € anfallen würden und die Wertminderung 500 € betrage.

Hinsichtlich der gezahlten Beträge haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.

Das Landgericht hat durch das angefochtene Urteil, auf das hinsichtlich der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands sowie der dort gestellten Anträge Bezug genommen wird, der Klage lediglich i.H.v. 150 € stattgegeben, die die Differenz zu der gezahlten Wertminderung darstellen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Erstattung der weiteren fiktiven Reparaturkosten habe, und zwar unabhängig davon, in welcher Höhe diese erforderlich seien. Fiktive Reparaturkosten könnten nicht als erstattungsfähiger Schaden im Sinne der §§ 249 f. BGB angesehen werden. Zur Begründung hat das Landgericht sich im Wesentlichen auf die Entscheidung des VII. Zivilsenats des BGH (MDR 2018, 465) bezogen und ausgeführt, dass sich die Rechtsprechung zum Werkvertragsrecht uneingeschränkt auf die Geltendmachung anderer fiktiver Schadensbeseitigungskosten im Rahmen eines vertraglichen oder deliktischen Schadensersatzes übertragen lasse. Das Ergebnis sei auch nicht unbillig, da es der Klägerin überlassen bleibe, wie sie den Schaden reparieren lasse. Wenn sie tatsächlich keine Reparaturkosten aufwände, gelte das schadensrechtliche Bereicherungsverbot in Verbindung mit einem verbleibenden Minderwert.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin, mit der diese ihre erstinstanzlichen abgewiesenen Ansprüche weiterverfolgt.

Die Klägerin wendet sich gegen die Argumentation des Landgerichts und weist darauf hin, dass § 249 Abs. 2 BGB dem Geschädigten erlaube, den zur Reparatur notwendigen Betrag zu verlangen. Diesen schadensersatzrechtlichen Grundregelungen widerspreche die Argumentation des Landgerichts.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 23.11.2018 abzuändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin weitere 2.037,68 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.11.2016 sowie weitere vorgerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 236,69 € zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

Der Senat hat durch Beschluss vom 18.6.2019 auf seine vorläufige Rechtsansicht hingewiesen, außerdem angeregt, dass die Parteien sich über die restliche Schadensersatzforderung gütlich einigen. Die Parteien haben daraufhin unstreitig gestellt, dass an weiterem Schadensersatz ein Betrag von 1.403,25 € begründet ist, sowie weitergehende Rechtsanwaltskosten i.H.v. 157,79 €.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands zweiter Instanz wird auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten gemäß den §§ 7 StVG, 823 BGB, 115 VVG, 249 BGB einen Anspruch auf Ersatz des ihr durch den fraglichen Unfall entstandenen, vom gerichtlichen Sachverständigen festgestellten und in der Berufungsinstanz unstreitig gewordenen Sachschadens. Die Ersatzpflicht ist im Gegensatz zur Auffassung des Landgerichts nicht dadurch eingeschränkt, dass die Klägerin nicht konkrete, sondern fiktive Reparaturkosten auf der Basis eines Sachverständigengutachtens geltend macht.

Der Senat hält die Rechtsansicht des Landgerichts, die Möglichkeit einer fiktiven Abrechnung des Sachschadens sei auch im Deliktsrecht im Wege der Rechtsfortbildung und auch im Hinblick auf die Entscheidung des BGH vom 22.2.2018 – VII ZR 46/17 – unzulässig, für rechtsfehlerhaft.

Gemäß § 249 BGB besteht in der Regel ein Anspruch des Geschädigten auf Ersatz der in einer Fachwerkstatt anfallenden Reparaturkosten unabhängig davon, ob der Geschädigte das Fahrzeug tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt (st. Rspr. des BGH, vgl. Senatsurteil vom 7. Februar 2017 – VI ZR 182/16, NJW 2017, 2183 Rn. 7 mwN). Ziel des Schadensersatzes ist die Totalreparation und der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen sowohl in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung als auch in der Verwendung des vom Schädiger zu leistenden Schadensersatzes frei. Allerdings ist der Geschädigte nach dem in § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB verankerten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Begehrt er den Ersatz fiktiver Reparaturkosten, genügt es im Allgemeinen, dass er den Schaden auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens berechnet, sofern das Gutachten hinreichend ausführlich ist und das Bemühen erkennen lässt, dem konkreten Schadensfall vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Betrachters gerecht zu werden (vgl. BGH Urteil vom 29. April 2003 – VI ZR 398/02, BGHZ 155, 1 mwN).

Die fiktive Abrechnung bezieht sich ausschließlich auf Sachschäden. Bei Nichtvermögensschäden besteht keine Verwendungsfreiheit des Geschädigten. Sie wird durch § 253 BGB eingeschränkt. Wird der Betrag für ärztliche Behandlung, Krankenhausaufenthalt oder Heilmittel nicht in Anspruch genommen, sondern fiktiv abgerechnet, ist er zurückzuerstatten (vgl. BGH NJW 1986, 1538; OLG Hamm NZV 2003, 192; OLG Köln VersR 2000, 1021; Steffen NJW 1995, 2057; Schiemann DAR 1982, 309; MüKO-BGB/Oetker, 7. Aufl., § 249 Rn 380).

Grund und Begrenzung der fiktiven Abrechnungsmöglichkeit ergeben sich aus der Wechselwirkung von Dispositionsfreiheit, Wirtschaftlichkeitspostulat und Bereicherungsverbot. Diese Grundsätze des Schadensersatzrechts sind durch Auslegung des § 249 BGB zu gewinnen. Die dem Geschädigten zugewiesene Dispositionsfähigkeit zeigt sich darin, dass er zum einen selbst frei entscheiden kann, ob er die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands durch eine Reparatur vornimmt oder vornehmen lässt. § 249 BGB ordnet an, dass der Geschädigte den von dem Schädiger den Geldbetrag verlangen kann, der zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands erforderlich ist (sog. Ersetzungsbefugnis).

Auf der ersten Stufe der betätigten Dispositionsfreiheit kann er sich frei entscheiden, ob er das beschädigte Fahrzeug instand setzt oder nicht; im letzten Fall erhält er den nach dem Gutachten zu einer Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag. Da die Schadensbeseitigung nicht nur durch Reparatur, sondern auch durch Ersatzbeschaffung erfolgen kann, kann der erhaltene Betrag bei der Ersatzbeschaffung eingesetzt werden.

Nach dem gesetzlichen Modell des § 249 BGB ist der Geschädigte weder zur Reparatur noch zur Ersatzbeschaffung verpflichtet. Der erhaltene Betrag ist nicht zweckgebunden, sondern kann beliebig verwandt werden. Damit ist die Grundlage der fiktiven Abrechnung gesetzlich festgeschrieben; der Geschädigte kann seinen Schadensersatzanspruch fiktiv abrechnen. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn aus übergeordneten Gesichtspunkten eine Unanwendbarkeit der Grundsätze der Dispositionsfreiheit des Geschädigten anzunehmen ist. Dafür ist allerdings nichts zu erkennen. Die Entscheidung des Landgerichts setzt sich mit den Voraussetzungen und Folgen der Dispositionsfreiheit des Geschädigten nicht auseinander. In der Auslegung des Landgerichts liegt eine Abweichung von dem in § 249 BGB kodifizierten Grundsatz der Dispositionsfreiheit, eine Form der Rechtsfortbildung contra legem. Ein unabweisbares Bedürfnis für die Abschaffung der fiktiven Abrechnung ist nicht erkennbar (vgl. auch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl., S. 399ff.).

In Schadensersatzprozessen geht es allein um die Frage der erforderlichen Wiederherstellungskosten gem. § 249 Abs. 2 BGB, also diejenigen Aufwendungen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte.

Der Gesetzgeber hat mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz zum 1.1.2002 § 249 Abs. 2 S. 2 BGB als Ausnahmevorschrift eingefügt, wonach die Umsatzsteuer – im Gegensatz zur vorherigen Rechtspraxis – nur erstattungsfähig ist, wenn und soweit sie tatsächlich anfällt.

Der Gesetzgeber hat damit die Möglichkeit einer fiktiven Schadensabrechnung gerade angenommen, diese der Höhe nach jedoch auf den Netto-Betrag begrenzt, wenn und soweit keine Umsatzsteuer anfällt. Dass damit die fiktive Abrechnung – trotz zugegebenermaßen anderslautender Bestrebungen – gerade nur in dem kleinen Umfang der Umsatzsteuererstattung begrenzt wurde, zeigt die gesetzgeberische Entscheidung, die sich im Gesetzeswortlaut widerspiegelt und gerade kein Auslegungsermessen in der vom Landgericht vorgenommenen Form zulässt.

In seiner Argumentation hätte das Landgericht aber auch insbesondere auf die Entscheidung des BGH vom 19.2.2013 (VI ZR 69/12) eingehen müssen, wonach bei fiktiver Schadensabrechnung die erforderlichen Reparaturkosten auch allgemeine Kostenfaktoren wie Sozialabgaben und Lohnnebenkosten umfassen.

Der VI. Senat verneint in seiner Entscheidung ausdrücklich eine – vom VII. Senat für das Werkvertragsrecht angenommene – Überkompensation bei fiktiver Abrechnung und lässt daher entsprechende Abzüge nicht zu. Dies hat einen guten Grund, der in den Besonderheiten des Schadensersatzrechts liegt: Verzichtet der Geschädigte auf die Durchführung der Reparatur des beschädigten Fahrzeugs, so bleibt der entsprechende Wertverlust am Fahrzeug haften.

Jeder potentielle Käufer des Fahrzeugs würde den Wert desselben um die noch anfallenden Netto-Reparaturkosten mindern, und zwar unabhängig davon, ob auch nach vollständig und fachgerecht durchgeführter Reparatur eine merkantile Wertminderung bleibt.

Wenn das Landgericht zur Begründung seiner Auffassung ausführt, dass die fiktive Abrechnung das Einfallstor für Betrügereien sei, übersteigt dies zum einen seine Kompetenz, da der Gesetzgeber die fiktive Abrechnung vorsieht.

Zum anderen ist das Argument auch nicht ohne weiteres tragfähig: Das Gericht stützt seine Auffassung lediglich auf eine Unterstellung, ohne konkrete Zahlen zu benennen. Es lässt auch außen vor, dass die Versicherungswirtschaft zwischenzeitlich die HIS-Datei eingeführt hat, um eine mehrfache Reparatur ein und desselben Fahrzeugs und die mehrfache Abrechnung ein und desselben Schadens zu vermeiden, so dass ein Verbot der fiktiven Abrechnung durch die Gerichte nicht erforderlich zur Verhinderung von Betrügereien ist.

Wenn sich das Landgericht in der Position sieht, die dogmatische Neujustierung des Schadensersatzrechts vorzunehmen und „zunehmend ausgeuferte Wucherungen zurückzuschneiden“, übersieht es auch insoweit, dass dies grundsätzlich Sache des Gesetzgebers und nicht des Landgerichts ist. Die Hoffnung, dass es aufgrund des Verbots der fiktiven Abrechnung nunmehr zu weniger Verfahren über die Höhe der erforderlichen (fiktiven) Reparaturkosten käme, mit welchen die Eingangsgerichte trotz vergleichsweise geringer Gegenstandswerte belastet würden, stellt keine tragfähige Begründung dar (vgl. Dötsch, ZfSch 2018, 601, 602)

Hinzu kommt, dass das Urteil des VII. ZS die Interpretation des Landgerichts nicht hergibt.

In dem Urteil des BGH (BauR 2018, 815) hat der BGH unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung dem Besteller einer Werkleistung, der das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, eine Abrechnung, des Schadens nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten versagt. Zur Aufgabe der Auffassung, wonach die Mängelbeseitigungskosten fiktiv abgerechnet werden können, bezieht sich der BGH darauf, dass der Mangel des Werkes lediglich ein Leistungsdefizit darstelle, dessen Bewertung als Schaden nicht möglich sei. Zur Begründung führt der BGH folgendes aus:

„Eine Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten bildet das Leistungsdefizit im Werkvertragsrecht – insbesondere im Baurecht – auch bei wertender Betrachtung nicht zutreffend ab. Vielmehr führt sie häufig zu einer Überkompensation und damit einer nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen (vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl., S. 9f.) nicht gerechtfertigten Bereicherung des Bestellers. Denn der (fiktive) Aufwand einer Mängelbeseitigung hängt von verschiedenen Umständen ab, zum Beispiel von der Art des Werks, dem Weg der Mängelbeseitigung, dem Erfordernis der Einbeziehung anderer Gewerke in die Mängelbeseitigung, und kann die vereinbarte Vergütung, mit der die Parteien das mangelfreie Werk bewertet haben, (nicht nur in Ausnahmefällen) deutlich übersteigen. Er ist daher nicht geeignet, ein beim Besteller ohne Mängelbeseitigung verbleibendes Leistungsdefizit und die hierdurch eingetretene Äquivalenzstörung der Höhe nach zu bestimmen.“

Der BGH geht in der Entscheidung davon aus, dass der Ausgleich des Schadens nach dem Regelungskonzept des § 634 BGB daran orientiert sei, ob eine Mängelbeseitigung tatsächlich durchgeführt worden war (vgl. Looschelders JA 2018, 627). Damit verdrängt § 634 BGB als spezialgesetzliche Regelung die in § 249 BGB vorausgesetzte Möglichkeit der fiktiven Schadensabrechnung (vgl. Looschelders a.a.O.).

Die in der Entscheidung des BGH vom 22.2.2018 abgelehnte Versagung der Möglichkeit einer fiktiven Abrechnung der Mängelbeseitigungskosten auf dem Gebiet des Werkvertragsrechts lässt sich damit schon wegen des Vorliegens eines Spezialfalls nicht auf die fiktive Abrechnung von Schadensersatzansprüchen aus Verkehrsunfällen übertragen.

Zudem hat der VII. Senat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass seine Rechtsprechung nur für das Werkvertragsrecht wegen der dort gegebenen Besonderheiten gelte, und deshalb auch keine Entscheidung des Großen Senats für erforderlich gehalten.

Neben der Sache liegen im Weiteren sowohl die Annahme als auch der Vorwurf des Landgerichts, auch der VI. Senat tendiere wie das Landgericht zur Abschaffung der fiktiven Abrechnung, „wenn auch eher mit dem schlussendlich freilich untauglichen Versuch punktueller Korrekturen“, da er mit seinem Urteil vom 23.2.2010 (Az. VI ZR 91/09) die Möglichkeit der Verweisung – und damit aus Sicht des Landgerichts eine Einschränkung der fiktiven Abrechnung – eröffnet habe, die der BGH jedoch dogmatisch zutreffend unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit der Reparaturkosten behandelt, was das Landgericht übersieht.

Zu diesem dogmatischen Problem zitiert das Landgericht den VII. Senat unzutreffend, wenn es ausführt, dass sich mit der Entscheidung des VII. Senats diese Frage aber überholt habe, weil jetzt auch im Rahmen des § 249 Abs. 1, Abs. 2 BGB kein Raum mehr für eine fiktive Schadensabrechnung sei. Der VII. Senat führt aber zum in Schadensersatzprozess anzuwendenden § 249 Abs. 2 S. 2 BGB wortwörtlich aus:

„Soweit gem. § 249 Abs. 2 BGB nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch fiktive Kosten als Schadensersatz verlangt werden können, steht dies nicht in Widerspruch zur vorliegenden Entscheidung, bei der es nicht um die Beschädigung einer Sache geht.“

Auch der weitere Begründungsversuch des LG für die von ihm vertretene Abkehr von der Möglichkeit der fiktiven Abrechnung überzeugt nicht. Das Landgericht geht davon aus, dass die fiktive Schadensabrechnung zwangsläufig zu einer Überkompensation der Schadensersatzansprüche des Geschädigten führe. Grundlage für diese Feststellung ist die von dem Landgericht wiedergegebene Beobachtung, wonach festzustellen sei, dass die von dem Gutachter nach einem Unfall festgestellten Mängelbeseitigungsaufwendungen durchweg erheblich über den Beträgen liegen, die ein Geschädigter im Falle der konkreten Schadensberechnung tatsächlich aufwende. Das sei darauf zurückzuführen, dass Gutachter auf unrealistische und überhöhte Herstellerpreise und Empfehlungen abstellten, die dem Aufwand von Markenwerkstätten und freien Fachwerkstätten nicht entsprächen.

Die aufgeführten fehlerhaften Anknüpfungen der erstatteten Gutachten an Herstellerpreis und Herstellerempfehlungen sind empirisch allerdings ungesichert, insbesondere ist auch nicht erkennbar, inwiefern bei der EDV-gestützten Ermittlung des Reparaturumfangs der Gutachter auf andere Kalkulationsgrundlagen ausweichen soll. Das aus dem keineswegs unscharfen Kriterium der Erforderlichkeit in § 249 BGB abgeleitete Wirtschaftlichkeitspostulat besagt, dass bei mehreren Möglichkeiten des Schadensausgleichs der Anspruch auf dasjenige beschränkt wird, das den geringsten Aufwand mit sich bringt (vgl. BGH VersR 1985, 393; BGH VersR 2005, 1257).

Selbst wenn unterstellt wird, dass Geschädigte allgemein bei konkreter Abrechnung des Unfallschadens und im Vergleich zu den Reparaturvorgaben des Sachverständigen geringere Aufwendungen treffen, etwa bestimmte Reparaturarbeiten nicht durchführen, keine Neuteile verwenden oder preiswertere Werkstätten wählen, führt das nicht dazu, dass diese geminderten Aufwendungen bei der Bestimmung des erforderlichen Aufwands anzusetzen sind. Der Geschädigte, der auf eine Reparatur in dem Umfang der Angaben des Gutachters ganz oder teilweise verzichtet, leistet einen überobligationsmäßigen Verzicht. Entgegen der Auffassung des Landgerichts führt dies nicht zu einer Verminderung der Ersatzfähigkeit der zur Schadensbehebung erforderlichen Aufwendungen. Maßgeblich bleibt nach wie vor der von dem Gutachter ermittelte Umfang der Schadensbehebungsarbeiten. Auch hier wirkt sich die Dispositionsfreiheit des Geschädigten dahin aus, dass er auch den Ersatz der Aufwendungen verlangen kann, die er nicht zur Schadensbehebung getroffen hat.

Das Bereicherungsverbot im Schadensersatzrecht will verhindern, dass der Geschädigte an dem Schadensfall verdient (vgl. BGH VersR 2003, 918; BGH VersR 1989, 1056). Soweit das Landgericht eine Überkompensation des Geschädigten darin sieht, dass Geschädigte bei fiktiver Abrechnung auf den von dem Gutachter ermittelten Aufwendungsnettobetrag abstellen, obwohl üblicherweise bei konkreter Abrechnung oft deutlich geringere Aufwendungen getroffen wurden, liegt in dieser Praxis kein Verstoß gegen das Bereicherungsverbot (vgl. Diehl ZfSch 2019, 24, 29).

Die Rechtsprechung hat zahlreiche praktikable Wege aufgezeigt, die möglichen Missbrauchsanreize zu entschärfen (z.B. gestellter Unfall, zu hohe Gutachterprognosen, Schwarzarbeit). Umgekehrt lauern auch bei der konkreten Abrechnung Missbrauchsanreize etwa in Gestalt überhöhter Rechnungen oder sogar von Scheinrechnungen. Insoweit steht auch die These, die fiktive Schadensabrechnung führe zu Mehrkosten für die Versicherungsgemeinschaft, auf unsicherem Terrain (vgl. Freymann, ZfSch 2019, 4, 11).

So muss sich der Geschädigte, der mühelos eine ohne weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit hat, unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf diese verweisen lassen (Senatsurteile vom 29. April 2003 – VI ZR 398/02, BGHZ 155, 1, 5; vom 20. Oktober 2009 – VI ZR 53/09, BGHZ 183, 21 Rn. 9; vom 3. Dezember 2013 – VI ZR 24/13, VersR 2014, 214 Rn. 10). Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung des BGH, dass sich der Geschädigte auf die günstigere Reparatur in einer mühelos und ohne weiteres zugänglichen freien Fachwerkstatt verweisen lassen muss, wenn der Schädiger darlegt und ggf. beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er ggf. vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen (Senatsurteile vom 7. Februar 2017 – VI ZR 182/16, NJW 2017, 2182 Rn. 7; vom 28. April 2015 – VI ZR 267/14, VersR 2015, 861 Rn. 9 f.; vom 15. Juli 2014 – VI ZR 313/13, NJW 2014, 3236 Rn. 8; vom 3. Dezember 2013 – VI ZR 24/13, VersR 2014, 214 Rn. 9; vom 14. Mai 2013 – VI ZR 320/12, VersR 2013, 876 Rn. 8; vom 13. Juli 2010 – VI ZR 259/09, DAR 2010, 577 Rn. 6 f.; vom 22. Juni 2010 – VI ZR 302/08, NJW 2010, 2727 Rn. 6 f.; jeweils mwN; BGH, Urteil vom 25. September 2018 – VI ZR 65/18 – Rn. 6, juris).

Schließlich ergibt sich auch nichts anderes aus der Entscheidung des 29. ZS des OLG Frankfurt vom 21.1.2019 – 29 U 183/17 – in der dieser die Rechtsprechung des VII. ZS auf das Kaufrecht übertragen hat. Der Senat hat ausdrücklich ausgeführt, dass er erhebliche Bedenken gegen eine Ausweitung dieser Rechtsprechung auf das Deliktsrecht hat, weil in diesen Schadensfällen mangels synallagmatischer Verbindung kein gestörtes Äquivalenzverhältnis einhergeht.

Der Rechtsprechung der Kammer haben sich im Übrigen außer einer weiteren Kammer des Landgerichts Darmstadt ersichtlich keine Gerichte angeschlossen.

Die der fiktiven Abrechnung zugrundeliegende Schadenshöhe ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Nebenforderungen folgen aus den §§ 284, 288 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91a, 92, 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Der Senat schließt sich den Ausführungen des Landgerichts zur Kostenverteilung im Rahmen der Erledigung der Hauptsache an.

Der Senat hat gemäß § 543 ZPO die Revision zugelassen, weil es sich um eine Frage grundsätzlicher Art handelt. Es ist zwar keine obergerichtliche Entscheidung erkennbar, von der abgewichen wird. Allerdings ist aufgrund der Entscheidung des VII. ZS. des BGH zum Werkvertragsrecht eine Tendenz erkennbar, die fiktive Abrechnung auch weitergehend in Frage zu stellen, wie die Entscheidung des 29. ZS des OLG Frankfurt am Main zeigt. Der erkennende Senat sieht zwar – ebenso wie der 29. ZS – den entscheidenden Unterschied im Fehlen eines Synallagmas im Deliktsrecht, dennoch soll angesichts der durch die Entscheidungen des Landgerichts Darmstadt hervorgerufenen unterschiedlichen Äußerungen in der Literatur eine Stellungnahme des für das Deliktsrecht zuständigen VI. ZS des BGH ermöglicht werden.

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2 Antworten zu OLG Frankfurt am Main weist das LG Darmstadt bei einer Entscheidung zur fiktiven Abrechnung eines Unfallschadens mit aller Deutlichkeit in die Schranken (22 U 16/19 vom 07.11.2019)

  1. virus sagt:

    Es ist bereits ein Verfahren zum Sachverhalt – Erstattung bei fiktiver Abrechnung – am BGH VI ZR 115/19 anhängig.

    LG Saarbrücken zu fiktiver Abrechnung: Schadenshöhe zum Unfallzeitpunkt ist maßgebend

    LG Saarbrücken, Urteil vom 01.03.2019 – 13 S 119/18

    „Die Revision war zuzulassen. Der Rechtsstreit betrifft mehrere Fragen im Zusammenhang mit der Verweisung des Geschädigten auf günstigere und zumutbare Reparaturmöglichkeiten im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung, darunter auch die grundsätzliche Frage, auf welchen Zeitpunkt bezogen die Schadensbemessung in solchen Fällen vorzunehmen ist. Angesichts der Vielzahl solcher Verweisungen bei der fiktiven Schadensabrechnung von Verkehrsunfallschäden kommt der Sache damit grundsätzliche Bedeutung zu und gibt Veranlassung, eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung herbeizuführen (§ 543 Abs. 2 ZPO).“

    Quelle: GFU – https://verkehrsrecht.gfu.com/2019/04/lg-saarbruecken-zu-fiktiver-abrechnung-schadenshoehe-zum-unfallzeitpunkt-ist-massgebend/

  2. Meike sagt:

    Das OLG Frankfurt am Main stellt noch einmal sowohl für die Kfz-Haftpflichtversicherer, als auch Untergerichte klar, dass der Geschädigte grundsätzlich berechtigt ist, einen Unfallschaden am Pkw fiktiv anzurechnen. Um den Fahrzeugschaden vollständig erstattet zu bekommen, gibt man die Schadensregulierung am besten in die Hände eines Fachanwalts für Verkehrsrecht d.h. die Reparaturkosten (ohne MwSt.) gemäß Sachverständigengutachten zu verlangen, egal ob er das Fahrzeug voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt.

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