Fiktive Schadensabrechnung – LG Fulda hebt Urteil des AG Bad Hersfeld auf

Die 1. Zivilkammer des LG Fulda hat als Berufungskammer mit Urteil vom 27.04.2007 – 1 S 29/07 – auf die Berufung des Klägers das Urteil des Amtsgerichts Bad Hersfeld vom 27.11.2006 – 10 C 622/06 (70) – abgeändert und die Beklagte verurteilt an den Kläger 1.009,90 € nebst Zinsen zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Aus den Gründen:

Der Kläger macht gegen die Beklagte restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 20.03.2006 geltend, bei dem das Fahrzeug des Klägers, ein Mercedes Benz A-Klasse, beschädigt wurde. Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist unstreitig.

Nach dem Unfall holte der Kläger ein Gutachten des SV S. ein, das unfallbedingte Reparaturkosten in Höhe von netto 2.310,39 € ausweist. Der Kläger ließ das Fahrzeug nicht reparieren, sondern gab es als Unfallfahrzeug in Zahlung. Für die Anschaffung des Ersatzfahrzeugs fiel Mehrwertsteuer in Höhe von 94,10 € an. Vorgerichtlich hat die Beklagte an den Kläger 1.394,59 € gezahlt. Den Restschaden in Höhe von 1.009,90 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten hat der Kläger mit der Klage bei dem AG Bad Hersfeld geltend gemacht. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat die Auffassung vertreten, dass sich der Kläger im Rahmen der fiktiven Abrechnung der Reparaturkosten eine nachgewiesene günstigere Reparaturmöglichkeit entgegen halten lassen müsse. Die Reparatur sei ihr von einer Fachwerkstatt für 1349,00 € angeboten worden.

Nach Durchführung einer Beweisaufnahme hat das Amtsgericht Bad Hersfeld die Beklagte verurteilt, an den Kläger 439,32€ nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Die Berufung gegen das Urteil wurde zugelassen.

Die gegen das Urteil erhobene Berufung ist hinsichtlich der Hauptforderung in vollem Umfange begründet. Der Kläger vertritt weiterhin die Auffassung, dass er auch im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung die im Gutachten des SV auf der Grundlage von Werkstattpreisen einer markengebundenen Fachwerkstatt ermittelten Reparaturkosten verlangen könne. Auf das von der Beklagten übermittelte günstigere Reparaturangebot müsse er sich nicht verweisen lassen. Das von der Beklagten eingeholte Dekra-Gutachten sei nicht nachvollziehbar. Auch wenn der Kläger fiktiv abrechne, habe er Anspruch auf Erstattung der Verbringungskosten und der Ersatzteilpreisaufschläge, soweit sie in der Schätzung der Reparaturkosten durch den SV S. enthalten seien.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Das LG Fulda hat der Berufung stattgegeben.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf restlichen Schadensersatz i. H. v. 1.009,90 €. Dem Kläger stehen im Rahmen des § 249 Abs. 2 BGB als Schadensersatz diejenigen Kosten zu, die zur Wiederherstellung der Sache erforderlich sind. Hierzu gehören – und zwar auch im Fall der fiktiven Abrechnung des Schadens – nach Auffassung der Kammer die Kosten die zur Instandsetzung eines Fahrzeugs in einer markengebundenen Fachwerkstatt notwendig sind. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des BGH. Grundsätzlich hat der Geschädigte einen Anspruch auf Ersatz der in einer markengebundenen Vertragswerkstatt anfallenden Reparaturkosten unabhängig davon, ob der Geschädigte den Wagen tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reprieren lässt (BGH, NJW 2003, 2086 m.w.N.). Ziel des Schadensersatzes ist nämlich die Totalreparation und der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen sowohl in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung als auch in der Verwendung des vom Schädiger zu leistenden Schadensersatzes frei. Dies gilt im Grundsatz auch für fiktive Reparaturkosten. Allerdings ist der Geschädigte auch nach Auffassung des BGH unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Doch genügt im allgemeinen, dass er den Schaden auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens berechnet, sofern das Gutachten hinreichend ausführlich ist und das Bemühen erkennen lässt, dem konkreten Schadensfall vom Standpunkt eines wirtschaftlichen denkenden Betrachters gerecht zu werden. Insofern ist vorliegend unstreitig, dass das Gutachten des SV eine taugliche Basis zur Schätzung der objektiv erforderlichen Reparaturkosten darstellt. Unter diesen Umständen muss sich der Kläger aber auf die Möglichkeit der technisch ordnungsgemäßen Reparatur in irgendeiner kostengünstigeren Fremdwerkstatt auch unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht nicht verweisen lassen. Dies gilt, obwohl die vom SV zugrunde gelegten Stundenverrechnungssätze einer Mercedes-Vertragswerkstatt um einiges höher sind als die einer freien Werkstatt.

Im sog. Dekra-Urteil (BGH, NJW 2003, 2086 ff) hat der BGH entschieden, dass Grundlage der Berechnung der erforderlichen Reparaturkosten nicht der abstrakte Mittelwert der Stundenverrechnungssätze aller repräsentativen Marken- und freien Fachwerkstätten einer Region sein kann, wenn der Geschädigte fiktive Reparaturkosten abrechnet. Bei anderer Sicht würde die dem Geschädigten eingeräumte Möglichkeit der Schadensbehebung in eigener Regie unzulässigerweise eingeschränkt werden. Insofern hat der BGH auch ausgeführt, dass der Geschädigte nicht verpflichtet ist, Erkundigungen hinsichtlich der Werkstatterfahrung für die Reparatur der entsprechenden Fahrzeugmarke einzuholen um Preise zu vergleichen.

Die Auffassung des Amtsgerichts, entsprechend der Mietwagenrechtsprechung sei der Geschädigte auch bei den Reparaturkosten verpflichtet, Vergleichsangebote einzuholen und nicht das erstbeste Angebot einer Reparaturwerkstatt anzunehmen, widerspricht daher den dargestellten Grundsätzen der BGH-Rechtsprechung. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung ist die Kammer deshalb der Auffassung, dass auch vorliegend der Kläger bei fiktiver Schadensabrechnung Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten auf der Grundlage der Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt hat, wie sie unstreitig im Gutachten des SV ermittelt worden sind. Zu ersetzen sind ferner auch bei fiktiver Abrechnung die im Gutachten enthaltenen Verbringungskosten, zumal sich aus dem Kostenvoranschlag der Firma A. GmbH, den die Beklagte erstmals in der Berufungsinstanz vorgelegt hat, gleichfalls ergibt, dass dort Kosten für Fahrzeugverbringung angefallen wären. Auch soweit das Gutachten bei Ersatzteilen Zuschläge enthält, sind diese zu ersetzen, da sie der Gutachter nur insofern aufgenommen hat, als Preisaufschläge bei der Kalkulation bekannt und damit auch üblich sind.

Unter Abänderung des angefochtenen Urteils war daher dem Kläger der Betrag von 1.009,90 € an restlichem Schadensersatz zzgl. Zinsen zuzusprechen.

Die Kammer hat die Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zugelassen, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Auch nach der Entscheidung des BGH in NJW 2003, 2086, ist unter den Instanzgerichten streitig, ob der Geschädigte bei fiktiver Abrechnung der Reparaturkosten die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwertstatt zugrunde legen darf (wie hier z. B, LG Bochum in Schaden-Praxis 2006, 285; LG Trier in NJW 2005, 1108; LG Mainz vom 31.05.2006, Az.: 3 S 15/06, Fundstelle Juris; dagegen z. B. LG Heidelberg in Schadenpraxis 2006, 248; LG Berlin in NJW-RR 2007, 21).

Ein überzeugendes Urteil der Berufungskammer des LG Fulda. Inwieweit tatsächlich Revision eingelegt worden ist, ist hier nicht bekannt.

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2 Antworten zu Fiktive Schadensabrechnung – LG Fulda hebt Urteil des AG Bad Hersfeld auf

  1. RA Wortmann sagt:

    Nachdem seit der Urteilsverkündung mehr als 1 Jahr vergangen ist, ist davon auszugehen, daß keine Revision durch den Haftpflichtversicherer eingelegt worden ist. Offenbar scheute der Haftpflichtversicherer bei dieser klaren Rechtslage die Entscheidung in Karlsruhe.
    MfG
    RA Wortmann

  2. RA Lewalter sagt:

    Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass die Entscheidung rechtskräfitg ist.

    MfG

    RA Lewalter, Berlin/Fulda

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