AG Hamburg-Wandsbek verurteilt verkehrssicherungspflichtige Bahn AG zur Zahlung von Schadensersatz bei Unfall durch Anrufschranke mit Urteil vom 25.9.2012 -715 C 42/12-.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leser,

dass es sowas noch gibt, hätte ich in modernen Eisenbahnzeiten mit ICE und ähnlichem nicht gedacht. Gemeint sind Anrufschranken, die auf Anruf geöffnet werden. Nachfolgend gebe ich Euch ein Schadensersatzurteil des AG Hamburg-Wandsbek bekannt. Der Bahn wird vorgeworfen, die erforderliche Verkehrssicherungspflicht verletzt zu haben, indem sich automatisch die Schranke senkte, als sich noch ein die Gleise querendes Fahrzeug darunter befand. Eine geöffnete Schranke signalisiert für den Straßenverkehr freie Fahrt. Er muss nicht damit rechnen, dass sich plötzlich die Schranke senkt. Lest selbst und gebt bitte Eure Kommentare ab.  

Viele Grüße und ein schönes Wochenende 

Willi Wacker

Amtsgericht Hamburg-Wandsbek

Az:. 715 C 42/12

Verkündet am 25.09.2012

Urteil

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Rechtsstreit

Klägerin

gegen

DB-Fernverkehr

Beklagte

wegen Schadensersatz

erkennt das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek – Abteilung 715 – durch die Richterin am Amtsgericht … am 25.09.2012 auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 04.09.2012 für Recht:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.367,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.11.2011 zu zahlen und die Klägerin von Honoraransprüchen für die außergerichtliche Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten in Höhe von 359,50 freizuhalten

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte betreibt den Bahnübergang … , an dem eine sog. Anrufschranke installiert ist. Diese soll in der Grundstellung normalerweise geschlossen sein und auf Anruf vom Fahrdienstleiter im Stellwerk Ahrensburg aus geöffnet werden. Dazu sind am Bahnübergang Rufsäulen mit einer Wechselsprechanlage installiert. Darauf steht: „ Anrufschranke. Die Taste an der Sprechsteile kurz drücken, dann meldet sich der Schrankenwärter. Nach Überqueren der Gleise bitte den Schrankenwärter durch Zurufe verständigen“. Eine Videoüberwachung ist nicht vorhanden. Sonstige akustische oder optische Signale beim Herablassen der Schranken gibt es nicht.

An 25.06.2011 wollte die Klägerin mit ihrem Pkw Opel mit dem amtlichen Kennzeichen … den Bahnübergang überqueren. Ohne die Wechselsprechanlage zu betätigen, fuhr sie auf den Bahnübergang, dessen Schranken geöffnet waren, zu. Beim Passieren der ersten Schranke schloss sich diese und schlug mit dem Unterhang auf das Dach des Fahrzeuges. Passanten drückten die Schranke, die nicht mehr fernzubedienen war, so weit hoch, dass die Klägerin rückwärts vom Bahnübergang fahren konnte. Die Klägerin behauptet dass Schließen der Schranke sei unangekündigt erfolgt.

Sie verlangt mit der Klage Ersatz der Reparaturkosten, Wertminderung gemäß dem eingeholten Schadensgutachten, Ersatz der Gutachterkosten, eine Auslagenpauschale und Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie € 3.367,93 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.11.2011 zu zahlen und die Klägerin von Honoraransprüchen für außergerichtliche Tätigkeit ihrer Prozessbevollmächtigten in Höhe von € 359,50 freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie macht geltend, der Fahrdienstleiter, der Zeuge …, habe in Befolgung der Richtlinie 456 die Anrufschranke nach einer Minute Offenhaltungszeit wieder geschlossen und dabei den Schließvorgang über die Wechselsprechanlage angekündigt. Vor dem Vorfall sei der Zeuge … durch einen Passanten über die Sprechanlage gebeten worden, die Schranke zu öffnen. Nachdem die Personen den Bahnübergang überquert hätten, hätten sie ihm durch die Sprechanlage mitgeteilt, dass die Überquerung beendet sei. Er habe dann über die Sprechanlage angesagt: „ Achtung, die Schranken werden jetzt geschlossen“ und dann die Schranke geschlossen. Die Klägerin habe den Unfalls durch grobes Eigenverschulden verursacht, da sie sich über die Wechselsprechanlage weder beim Schrankenwärter gemeldet habe und offensichtlich trotz der Ankündigung des Schließvorgangs und der sich schließenden Schranke auf den Bahnübergang gefahren.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen … . Ferner hat es die Klägerin persönlich angehört.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 04.09.2012 und wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Hamburg, Az.: … beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Die Beklagte schuldet der Klägerin Ersatz des durch den Unfall erlittenen Schadens aus § 823 I BGB.

Sie hat die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt.

Sie war durch die Öffnung des Bahnübergangs durch den Verkehr gehalten, alles wirtschaftlich und organisatorisch Vertretbare tun, um dies durch diese Anlage geschaffene Gerahrenlage für die Passanten möglichst gering zu halten.
Dazu gehört es, auf die Gefahr durch sich senkende Schranken auf eine für den Passanten gut wahrzunehmenden Weise hinzuweisen und zwar in der Weise, dass er rechtzeitig reagieren kann.
Dies kann auch durch entsprechende Lautsprecherdurchsagen erfolgen.
Für eine solche Warnung standen hier nur die an den Rufsäulen angebrachten Lautsprecher zur Verfügung.
Die Durchsage der Ankündigung der Schrankenschließung über die Lautsprecher der Rufsäulen, wenn sie denn stattgefunden hat, war im vorliegenden Fall ungenügend, denn sie war jedenfalls von den Passanten nicht hinreichend laut und deutlich zu vernehmen. Die Zeugen … haben bekundet, keine Lautsprecherdurchsage gehört zu haben. Sie haben sich nach ihren glaubhaften Bekundungen im Zeitpunkt des Senkens der Schranken im geringen Abstand zu der Rufsäule befunden. Es wäre zu erwarten gewesen, dass sie eine laut und deutliche durchgegebene Ansage gehört hatten. Die Rufsäulen sind auch erkennbar dafür eingerichtet, mit demjenigen zu kommunizieren der die Rusäule aktiviert und mitteis Knopfdruck Kontakt mit dem Stellwerk aufnimmt, also sich unmittelbar vor der Rufsäule befindet und der Lautsprecherdurchsage des Stellwerkbediensteten seine Aufmerksamkeit widmet.
Der Zeuge … als Schrankenwärter konnte hier jedoch bei der möglicherweise erfolgten Durchsage nicht davon ausgehen, dass die Personen, die es betraf, sich in unmittelbarer Nahe der Rufsäule befanden und die Durchsage hören konnten.
Das Öffnen der Schranken ist vorliegend auf nicht reguläre Weise erfolgt. Der reguläre Ablauf wäre gewesen, dass sich die Schranken zunächt in ihrer Grundstellung befunden hätten, also geschlossen gewesen wären, dass dann die Person oder die Personen, die den Bahnübergang überqueren wollten, sich über die Rufsäule bei dem Schrankenwärter gemeldet hätten und sich nach Überqueren des Bahnübergangs über die Rufsäule noch einmal bei dem Schrankenwärter gemeldet hätten und die vollzogene Überquerung angezeigt hätten.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht hier jedoch zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Schranken beim Herannahmen der Personengruppe, die von der nahe gelegenen Hundeschule kam geöffent waren. Alle vernommenen Zeugen haben bekundet, dass die Schranken bereits geöffnet waren, als sie herankamen. Einen Öffnungsvorgang hat niemand von ihnen beobachtet. Niemand von ihnen hat auch die Rufsäule betätigt, insbesondere nicht, um ein Offnen der Schranken zu erwirken. Ebenfalls haben die Zeugen … , … und … , die bereits zum Zeitpunkt des Unfalls die Schienen überquert hatten, nicht die hinter dem Bahnübergang postierte Rufsäule betätigt, um mitzuteilen, dass die Überquerung beendet sei. Es ist davon auszunehen, dass dies auch niemand anders der zu der Zeit evtl. anwesenden Personen getan hat. Da noch Fußgänger und Autos nachfolgten, wäre ein Abmelden durch vorne in der Gruppe befindliche Personen auch fernliegend gewesen. Der Aussage des Zeugen … vermochte das Gericht nicht zu folgen. Sie steht im Widerspruch zu seinen Angaben , die er am Vorfallstag geenüber der Polizei gemacht hat. Danach hat er auf Befragen angegeben, dassdie Schranken des Bahnüberganges … geöffnet gewesen seien. Als eine Zugfahrt über den Bahnübergang habe stattfinden sollen, sei von ihm über die Sprechanlage die Ansage gemacht worden, dass sich die Schranken nun schließen werden. Daraufhabe sich niemand gemeldet, sodass der davon ausgegangen sei, dass der Bahnübergang geräumt und der Fahrweg frei sei. Von einer Schließung der Schranke aus Anlass einer Meldung durch einen Passanten ist in dieser Aussage nicht die Rede.

Die Beklagte kann nicht darauf vertrauen, dass die Passanten, wenn sie die Schranken geöffnet vorfinden, über die Rufsäule Kontakt mit dem Stellwerk aufnehmen.

Geöffnete Schranken signalisieren, dass der Bahnübergang frei ist und überquert werden kann. Dem Passanten wird auch an keiner Stelle des Übergangs, auch nicht durch den an der Rufsäulen angebrachten Hinweis, Halt geboten. Es wird nirgends deutlich gemacht, dass das Überqueren des Bahnüberganges ohne vorherige Meldung nicht erlaubt ist. Der Hinweis an der Rufsäule ist erkennbar auf den Fall zugeschnitten, dass ein Passant das Öffnen geschlossener Schranken erwirken will. Nimmt also bei geöffneter Schranke niemand über die Rufsäule Kontakt mit dem Stellwerk auf, kann die Beklagte deshalb nicht darauf vertrauen, dass sich im Gefahrenbereich der Schranken keine Verkehrsteilnehmer befinden.

Die Ankündigung der Schrankenschließung hätte deshalb in einer Weise erfolgen müssen, dass auch Personen in weiterer Entfernung und Personen in geschlossenen Pkw’s diese hätten deutlich vernehmen können. Dies ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht geschehen. Dabei kann es dahinstehen, ob der Zeuge … im Stellwerk nicht laut genug gesprochen hat oder ob die an den Rufsäulen installierten Lautsprecher dies technisch möglicherweise nicht leisten können. Es wäre Sache der Beklagten gewesen, entsprechend Vorsorge zu treffen, sei es durch die Installation leistungskräftigerer Lautsprecher oder entsprechender Schulung und Instruierung der Mitarbeiter.

Bei Nutzung der Rufsäulenlautsprecher ist auch eine einmalige Durchsage nach den örtlichen Verhältnissen als unzureichend zu beurteilen. Da aus den verschiedensten Gründen die Verständlichkeit der Durchsage eingeschränkt sein kann, ist auch zumindest die einmalige Wiederholung der Ankündigung, verbunden mit einer klaren Anordnung, vor dem Bahnübergang anzuhalten bzw. den Bahnübergang zu räumen, als erforderlich zu erachten, da an dem Bahnübergang selbst sonst keine optischen oder akustischen Warneinrichtungen vorhanden sind.

Die Beklagte trifft ein Organisationsverschulden, das ihre Schadensersatzhaftung nach § 823 I BGB begründet.

Ein Mitverschulden der Klägerin ist nicht anzunehmen.

Die Klägerin musste wohl grundsätzlich mit einem Schließen der Schranken rechnen. Es traf sie auch die Pflicht, vor sich schließenden Schranken anzuhalten, § 19 II Nr. 3 StVO. Nach der Beweisaufnahme kann jedoch nicht festgestellt werden, dass sie diese Pflicht schuldhaft verletzt hat. Es kann nicht angenommen werden, dass die Ankündigung des Schließvorgangs deutlich vernehmbar angekündigt worden ist oder sie sonst rechtzeitig auf den Schließvorgang durch Anhalten reagieren konnte. Es ist nicht bekannt, wo sie sich mit ihrem Fahrzeug genau befand, als sich die Schranken zu senken begannen. Da zum einen die Schranke aus ihrer Fahrtrichtung rechts angeschlagen ist, der Unterhang des Schrankenbaums mithin bereits nach Zurücklegung einer kurzen Strecke auf das rechts fahrende Auto auftreffen kann und zum anderen das Autodach hinten getroffen wurde, ist es gut möglich, dass beim Beginn des Befahrens des Bahnüberganges ein Senken der Schranken noch nicht wahrnehmbar war. Auch in sonstiger Weise war ihr kein Halt geboten.

Es kann der Klägerin nicht zum Nachteil gereichen, dass sie sich nicht über die Wechselsprechanlage vor dem Befahren des Bahnüberganges bei dem Schrankenwärter gemeldet hat. Da die Schranke geöffnet war, hätte ein Betätigen der Wechselsprechanlage nur den Sinn haben können, vorsorglich den Schrankenwärter um ein Offentassen der Schranke zu bitten. Dies musste für die Klägerin jedoch fern liegen. Bei geöffnet vorgefundener Schranke musste sie nicht damit rechnen, dass die Schranke nicht ohne trifftigen Grund wie ein Herannahen eines Zuges geschlossen werden würde. Bei Herannahen eines Zuges hätte die Bitte um Offenlassen der Schranke ebenfalls keinen Sinn ergeben. Allenfalls hätte über die Wechselsprechanlage angefragt werden können, ob ein Zug naht. Dies erscheint jedoch wenig lebensnah. Vielmehr war es Sache der Beklagten, gut sichtbar eindeutige Handlungsanweisungen zu geben, etwa die Überfahrt nur nach ausdrücklicher Freigabe über die Wechselsprechanlage zu gestatten. Die Klägerin durfte darauf vertrauen, dass das Schließen der Schranke rechtzeitig angekündigt wurde.

Die Beklagte schuldet nach § 249 I, II BGB den Ersatz der kalkulierten Reparaturkosten, der Wertminderung, der Gutachterkosten und Ersatz der allgemeinen Kosten, die das Gericht mit € 25,00 annimmt, § 287 ZPO. Ebenfalls sind die – richtig berechneten – vorgerichtlichen Anwaltskosten zu dem nach § 249 II BGB zu ersetzenden Schaden zu zählen, da die Einschaltung eines Anwalts bei einem Autounfall im Verkehr zu einem unmittelbar erforderlichen Aufwand zu zählen ist. Die Klägerin ist daher von der Beklagten von den Anwaltskosten freizuhalten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 I ZPO.

Die Entscheidung üer die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

Der Zinsanspruch ist aus dem Rechtsgrund des Verzuges begründet, §§ 280, 286, 283 I BGB.

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