AG Witten verurteilt mit Urteil vom 17.6.2015 – 2 C 108/15 – den Unfallverursacher zur Zahlung restlicher Wiederherstellungskosten in Form der Restwertdifferenz.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,

von Hattingen geht es die Ruhr aufwärts nach Witten. Nachstehend geben wir Euch ein Urteil der Amtsrichterin des AG Witten vom 17.6.2015 – 2 C 108/15 – bekannt. Leider ist uns nicht bekannt, um welche Kfz-Haftpflichtversicherung es sich in diesem Fall handelt, da der Einsender nur eine anonymisierte Kopie des Urteil übersandt hatte. Gleichwohl sind aber die Ausführungen im Urteil recht interessant. Es ging um den Restwert, den der vom Geschädigten beauftragte Sachverständige korrekt mit drei namentlich genannten Anbietern ermittelt hatte. Prompt gibt die regulierungspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung ein aus dem Sondermarkt ermitteltes höheres Restwertgebot ab. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt das verunfallte Fahrzeug bereits zu den Konditionen des Meistbietenden im Gutachten veräußert, damit das Ersatzfahrzeug angeschafft werden konnte. Eine zügige Verwertung lag sicherlich auch im Interesse der Versicherung, denn bei jedem weiteren Tag des Abwartens hätte sich der Nutzungsausfallschaden erhöht. Der Kläger ist insofern seiner Schadensgeringhaltungspflicht nachgekommen. Lest aber selbst das Urteil und gebt bitte Eure Kommentare ab.

Mit freundlichen Grüßen
Willi Wacker

2 C 108/15

Verkündet am: 17.6.2015

Amtsgericht Witten

IM  NAMEN  DES  VOLKES

Urteil 

In dem Rechtsstreit

des …..

Klägers

g e g e n

….

Beklagte

hat das Amtsgericht Witten auf die mündliche Verhandlung vom 27.5.2015 durch die Richterin am Amtsgericht J. für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.540,– € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.12.2014 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

T a t b e s t a n d :

Der Kläger war Eigentümer eines PKW mit dem amtlichen Kennzeichen … .

Am 11.11.2014 ereignete sich in Witten ein Verkehrsunfall, bei dem das Fahrzeug des Klägers beschädigt wurde. Die Beklagte war Haftpflichtversicherer des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen … , dessen Fahrer unstreitig den Unfall verursachte. Die grundsätzliche Haftung ist unstreitig. Mit Schreiben vom 12.11.2014 meldete der Kläger den Schaden dem Gunde nach an. Der Sachverständige … erstattete am 14.11.2014 ein Sachverständigengutachten zum Schaden. Unter Berücksichtigung dreier Restwertangebote ermittelte der Sachverständige einen Restwert von 2.550,– €. Mit Schreiben vom 17.11.2014 wurde der Schaden unter Beifügung des Gutachtens gegenüber der Beklagten beziffert.

Mit Schreiben vom 17.11.2014 teilte die Beklagte mit: „Sofern ein Totalschaden vorliegt, prüfen wir den Restwert. Schicken Sie uns bitte umgehend das vollständige Originalgutachten zu. Falls wir ein verbessertes Restwertangebot erzielen können, informieren wir sie und ihre Mandantschaft so schnell wie möglich. Bitte teilen sie ihrer Mandantschaft mit, dass sie das Fahrzeug erst nach Überprüfung des Restwertes und nach Rücksprache mit uns verkauft“.

Am 19.11.2014 erwarb de Kläger ein Ersatzfahrzeug, welches am 20.11.2014 ausgeliefert wurde. Am 20.11.2014 veräußerte der Kläger sein verunfalltes Fahrzeug an den Höchstbietenden nach dem Gutschten des Sachverständigen … für 2.550,– € und zahlte das neue Fahrzeug. Mit Schreiben vom 24.11.2014 wurde der Schaden des Klägers gegenüber der Beklagten geltend gemacht. Mit Schreiben vom 25.11.2014 übersandte die Beklagte ein Restwertangebot in Weiterstadt in Höhe von 4.090,– €. Mit Schreiben vom 19.12.2014 rechnete die Beklagte unter Zugrundelegung ihres Restwertangebotes von 4.090,– € den Schaden ab. Mit Schreiben vom 6.1.2015 forderte der Kläger die Beklagte auf, den Differenzbetrag zu dem im Gutachten aufgeführten Restwert zu erstatten. Dies lehnte die Beklagte ab.

Der Kläger ist der Ansicht, dass lediglich der Restwert aus dem Gutachten anzusetzen sei, den er tatsächlich realisiert habe.

Daher beantragt er,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.540,– € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.12.2014 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte lehnt eine weitere Zahlung ab und ist der Ansicht, der Kläger habe gegen die Schadensminderungspflicht verstoßen, indem er das Fahrzeug veräußert haabe, bevor die Beklagte Gelegenheit hatte, ihm ein höheres Restwertangebot zu übermitteln. Sie habe ihn mit Schreiben vom 17.11.2014 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Prüfung des Restwertes vorgenommen werde und dass der Kläger sein Fahrzeug erst nach Überprüfung und Rücksprache mit der Beklagten veräußern möge. Es sei ein deutlich höherer Restwert realisierbar gewesen, als der im Gutachten ausgewiesene. Der Kläger hätte lediglich telefonisch vor Veräußerung Kontakt aufnehmen müssen. Das Fahrzeug wäre abgeholt und der Kaufpreis wäre, sofern gewünscht, bar gezahlt worden. Es sei dem Kläger zuzumuten gewesen, mit dem Verkauf des Fahrzeugs abzuwarten, da dieser auf den Erlös nicht angewiesen sei. Das vom Kläger angeschaffte Ersatzfahrzeug habe immerhin 21.650,– € gekostet, so dass der Restwert kaum ins Gewicht falle. Es sei kein Grund gegeben, das Unfallfahrzeug schnell zu verkaufen, sondern zumutbar, ein paar Tage abzuwarten.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klage ist begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung eines Betrages von 1.540,– € gemäß der §§ 7, 17  StVG, 115 VVG, 249 ff BGB.

Die Haftung dem Grunde nach ist unstreitig, ebenso die sonstige Abrechnung des Schadens. Hinsichtlich des Reswertes ist allein der tatsächlich realisierte Restwert von 2.550,– € abzuziehen, nicht der von der Beklagten in Ansatz gebrachte Restwert von 4.090,– €. Denn der Kläger hat eine ihm obliegende Schadensminderungspflicht vorliegend nicht verletzt.

Im Veräußerungsfall genügt der Geschädigte dem allgemeinen Gebot zur Wirtschaftlichkeit und bewegt sich in den für die Schadensbehebung gemäß § 249 II 2 BGB gezogenen Grenzen, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeuges zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger als Wert zu dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. BGH Urt. v. 6.3.2007 – VI ZR 120/06 – BGH NJW 2007, 1674 = ZfS 2007, 382).

Zwar können besondere Umstände dem Geschädigten Veranlassung geben, ohne Weiteres zugängliche günstigere Verwertungsmöglichkeiten wahrzunehmen und durch die günstigere Verwertung seines Fahrzeuges den ihm entstandenen Schaden geringer zu halten.

Doch müssen derartige Ausnahmen in Grenzen gehalten werden, weil anderenfalls die dem Geschädigten nah § 249 II 1 BGB zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen würde, wonach es Sache des Geschädigten ist, in welcher Weise er mit dem beschädigten Fahrzeug verfährt. Insbesondere dürften dem Geschädigten bei der Schadensbehebung die von der Versiceerung gewünschten Verwertungsmodalitäten nicht aufgezwungen werden (BGH aaO.). Allerdings kann der Geschädigte unter besonderen Umständen gehalten sein, von einer Verwertung Abstand zu nehmen und andere sich ihm darbietende Möglichkeiten zur Verwertung im Interesse der Geringhaltung des Schadens und im Rahmen des Zumutbaren zu ergreifen (BGH VI ZR 219/98 BGH NJW 1998, 2800). Deshalb gilt der Grundsatz, dass der von einem Sachverständigen ermittelte Restwert eine geeignete Grundlage für die Schadensberechnung nur in aller Regel ist (BGH aaO.). Ausnahmen sind somit nicht ausgeschlossen, müssen sich indes in engen Grenzen halten. Solche sieht der BGH dann als gegeben an, wenn ein bindendes Angebot bereits vorlag.

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Zum Zeitpunkt des Verkaufs des verunfallten Fahrzeugs am 20.11.2014 lag dem Kläger indes ein konkretes, bindendes und höheres Angebot noch nicht vor.

Der Kläger hätte hier nach Auffassung des Gerichts auch nicht im Hinblick auf das Schreiben der Beklagten vom 17.11.2014 noch zuwarten müssen, da in dem Schreiben unklar war, wann oder bis wann die Beklagte beabsichtigte, ein verbindliches höheres Restwertgebot vorzulegen. Es kann indes nicht von dem Geschädigten verlangt werden, vor einer Veräußerung Rücksprache zu nehmen und somit quasi um Erlaubnis für die Veräußerung zu bitten. Die Frage, wann der Geschädigte sein Fahrzeug veräußert, ist ihm allein überlassen. Wenn der Geschädigte beabsichtigt, zeitnah ein Ersatzfahrzeug zu erwerben und den erzielbaren Restwert hier zur Finanzierung mit einzusetzen, so ist dies ihm grundsätzlich zuzubilligen. Der Kläger hatte keinerlei Anlass daran zu zweifeln, dass die vom Sachverständigen ermittelten regionalen Angebote diejenigen sind, die im Umkreis für ihn realistisch erzielbar sind. Er musste nicht damit rechnen, dass ein ca. 1.500,- € besseres Angebot noch erzielbar sein würde. Dem Kläger stand eine sofortige Verwertungsmöglichkeit offen, ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht kann nicht darin gesehen werden, dass er nicht seinerseits vor dem Verkauf nochmals Rücksprache bei der Beklagten genommen hat. Dem Schädiger bzw. der Versicherung steht es offen, ein günstigeres Angebot zeitnah und so schnell wie möglich zu ermitteln.

Liegt dies vor Veräußerung noch vor, so ist dies auch zu berücksichtigen. Ist dies jedoch nicht der Fall, weil der Geschädigte seiner Dispositionsbefugnis nachkommt und zeitnah ein realisierbares Angebot in Anspruch nimmt, dann ist ihm dies nicht vorzuwerfen.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Der Streitwert wird auf 1.540,– € festgesetzt.

 Rechtsbehelfsbelehrung: 

… (von der Veröffentlichung derselben haben wir abgesehen.)

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2 Antworten zu AG Witten verurteilt mit Urteil vom 17.6.2015 – 2 C 108/15 – den Unfallverursacher zur Zahlung restlicher Wiederherstellungskosten in Form der Restwertdifferenz.

  1. Kai sagt:

    Obwohl diese Konstellation bereits höchstrichterlich geklärt ist, versuchen es die Versicherer doch noch immer. Warum eigentlich?

    Wollen Sie einen „speziellen“ Fall nochmal zum BGH bringen, damit sich Richter W. vielleicht nochmal mit der Materie befasst und versicherungsfreundlich die bisherige Rechtsprechung aufweicht?

    Oder wollen die Versicherer nur Versichertenbeiträge verschleudern? Wieviel Geld geht eigentlich für unnötige Prozesse drauf?

    Grüße

    Kai

  2. Bösewicht sagt:

    @Kai

    ich denke mit Richter W. liegst Du da vollkommen richtig …

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