AG Wesel verurteilt beteiligte Versicherung zur Zahlung weiterer Mietwagenkosten

Mit Urteil vom 27.07.2010 (4 C 112/10) hat das AG Wesel die beteiligte Versicherung  zur Zahlung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 895,23 € zzgl. Zinsen sowie vorgerichtlicher RA-Kosten verurteilt. Das Gericht legt den Normaltarif der Schwacke-Liste zugrunde zzgl. einem Aufschlag von 20%.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Klage ist begründet.

Dem Kläger steht ein Anspruch gegen die Beklagte auf Ausgleich des restlichen Mietschadens in Höhe von 895,23 € aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 VVG zu.

Der Kläger kann von der Beklagten Ersatz des Unfallschadens gem. § 249 ff BGB verlangen. Der Umfang des dem Kläger dem Grunde nach unstreitig zustehenden Schadensersatzanspruchs bestimmt sich nach §§ 249 I, II BGB. Hiernach darf der Geschädigte  vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung als Herstellungsaufwand den Ersatz der objektiv erforderlichen Mietwagenkosten verlangen (st. Rspr., vgl. etwa BGHZ 132, 373 = NJW 1996, 1958 m.w. Nachw.). Als erforderlich sind dabei nur diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf (vgl. BGH, NJW 2005, 135; NJW 2005, 1041; NJW 2007, 3782).

Nach den der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugrundeliegenden Erkenntnissen sind die Kosten eines sog. Unfallersatztarifs in der Regel höher als der erforderliche Herstellungsaufwand (vgl. grundlegend BGH, Urteil vom 12.10.2004 – VI ZR 151/03. in: NJW 2005, 51, 53). Insoweit besteht Einigkeit in Rechtsprechung und Literatur, dass es sich bei dem unter Anrechnung vorprozessual erfolgter Zahlungen
zugesprochenen Normaltarif, also einem Tarif für Selbstzahler, der‘ unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten gebildet wird (vgl. BGH, Urteil vom 15.2.2005 – VI ZR 74/04, in: NJW 2005, 1041, 1042; Greiner zfs 2006, 124, 128), um den Mindestbetrag der zu ersetzenden Mietwagenkosten handelt. Zur Ermittlung dieser Kosten stellt der sog. gewichtete Normaltarif nach dem Schwacke-Automietpreisspiegel für das jeweilige Postleitzahlengebiet des Geschädigten einen geeigneten Anknüpfungspunkt dar (vgl. BGH Urteil vom 4 7.2006 – VI ZR 237/05, in: NJW 2006,
2693 ff.). Die von der Autovermietung X GmbH in Rechnung gestellten Mietwagen kosten entsprechen dem normalen Tagestarif für ein Kraftfahrzeug der Klasse 3 im Postleitzahlengebiet 47 nach der Schwacke-Automietpreisspiegel des Jahres 2009. Der errechnete Mittelwert beträgt dort 78,04 € während die Autovermietung in dem Vertragsformular vom 24.11.2009 einen Tagespreis von 78,15 € zugrundegelegt hat. Es ist daher davon auszugehen, dass das Vermietungsunternehmen – wie auch in dem Vertragsformular angegeben – einen Normaltarif und keinen Unfallersatztarif angesetzt hat. Ausgangspunkt für die Ermittlung des „Normaltarifs“ bildet nach der Rechtsprechung des BGH, der sich das Gericht anschließt, der Schwacke-Automietpreis-Spiegel für das Postleitzahlengebiet 47, und zwar vorliegend für das Jahr 2009. Die Bedenken der Beklagten gegen den Schwacke-Automietpreis-Spiegel, dieser enthalte enorme Preissteigerungen, die auf unredliches Verhalten der Mietwagenunternehmen zurückzuführen seien, teilt das Gericht nicht. Im Hinblick auf die Stellungnahme der Eurotax Schwacke GmbH vom 14.03 2007 zur Vorgehensweise bei der Ermittlung der im Spiegel anhand der Vorgaben des Bundeskartellamts ausgewerteten Preise sieht das Gericht – wie auch das LG Bonn (vgl. NZV 2007, 362) und das LG Düsseldorf (Urteil vom 08.02.2008, Az. 20 S 190/06) – keine Anhaltspunkte dafür, dass sich im Mietpreisspiegel enthaltene Preisveränderungen nicht an der tatsächlichen Marktentwicklung orientieren.

Bei der Abrechnung der Mietwagenkosten sind aber die sich bei mehrtägiger Vermietung ergebenden Reduzierungen nach dem Schwacke-Automietpreisspiegel nach Wochen-, Dreitages- und Tagespauschalen zu berücksichtigen anstelle der einfachen Multiplikation des Tagessatzes mit der Anzahl der Miettage. Es ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nämlich nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass sich Unfallgeschädigte bei der Abgabe des Fahrzeugs zur Reparatur in einer Fachwerkstatt – auch im eigenen Interesse – nach der voraussichtlichen Reparaturdauer erkundigen und diese auch einigermaßen zuverlässig erfahren. Der Kläger hatte hier am 24.11.2009 bereits das Gutachten vorliegen, in dem eine voraussichtliche Reparaturdauer von 3 – 4 Tagen eingetragen war. Dementsprechend hatte der Kläger in dem Mietvertrag eine voraussichtliche Mietdauer vom 24.11.2009 bis zum 27.11.2009 vereinbart. Anhand des Reparaturablaufplans der Werkstatt lässt sich erkennen, dass aufgrund der späten Ersatzteillieferung am 27.11.2009 erst mit den Arbeiten begonnen werden konnte und das Fahrzeug danach noch zu einem Lackierer verbracht werden musste. Verzögerungen bei der Anlieferung von Ersatzteilen und das Verbringen zu Lackierereien muss sich der Geschädigte nach einhelliger Meinung nicht zurechnen lassen. Dementsprechend durfte der Kläger die Anmietung jeweils verlängern und gab das Fahrzeug erst am 03.12.2009 zurück, nachdem er das reparierte Fahrzeug an diesem Tag in Empfang genommen hatte. Doch selbst wenn man zunächst den den Schwacke-Automietpreisspiegel zugrundeliegenden Mittelwert für eine dreitägige Anmietung in Höhe von 166.82 € zugrundelegt und von dem dort angesetzten Tagespreis von 55,61 € die restlichen 10 Tage hinzuaddiert kommt man auf einen Betrag, der höher liegt als die letztendlich von der Autovermietung abgerechneten 700 €.

Auf diese durch eine Kombination von Wochen-, Dreitages- und Tagestarifen ermittelten Mietwagenkosten nach dem gewichteten Normaltarif des Schwacke-Automietpreisspiegels ist ein pauschaler Aufschlag in Höhe von 20 % vorzunehmen. Dieser Aufschlag ist zur Bemessung des durchschnittlichen Werts der Mehrleistungen bei der Vermietung von Unfallersatzfahrzeugen im Vergleich zur „normalen“ Autovermietung angemessen und ausreichend (§ 287 ZPO).

Nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein höherer Betrag als der Normaltarif (sog. Unfallersatztarif) nur ersatzfähig, wenn dieser erhöhte Tarif mit Rücksicht auf die Besonderheiten der Unfallsituation (zum Beispiel Notwendigkeit der Vorfinanzierung, Ausfallrisiko der Forderung u.a.) gerechtfertigt ist (vgl. Schubert, in: Bamberger/Roth. Beck’scher Onlinekommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Stand: 1.9.2006. § 249 BGB Rn 242 m.w.N.). Ob und in welcher Höhe unfallbedingte Zusatzleistungen des Vermieters die Erstattung höherer Mietwagenkosten als der nach dem Normaltarif rechtfertigen, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gemäß § 287 ZPO vom Tatrichter zu schätzen (vgl. Urteil vom 14 2.2006 – VI ZR 126/05, in: NJW 2006, 1506, 1507). Dabei muss die jeweilige Kalkulationsgrundlage des konkreten Anbieters vom Geschädigten beziehungsweise vom Gericht nicht im einzelnen  betriebswirtschaftlich nachvollzogen werden; die Mehrleistungen und besonderen Risiken müssen aber generell einen erhöhten Tarif – unter Umständen auch durch einen pauschalen Aufschlag auf den „Normaltarif – rechtfertigen (vgl. Rüßmann, in: jurisPK-BGB. 3 Auflage 2006, § 249 BGB Rn 81 m.w.N).

Aufgrund  der  Besonderheiten  der  Unfallsituation   ist  in   der  Regel  ein  höherer Mietwagenpreis als der Normaltarif zur Schadensbeseitigung i.S.d. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlich Zu den durch die Unfallsituation bedingten besonderen Leistungen des   Vermieters   zählen    solche,    die   bei    der   gebotenen    subjektbezogenen Schadensbetrachtung zu dem zur Beseitigung des Schadens erforderlichen Aufwand des Geschädigten gehören und nicht nur dem Geschädigten die eigene Mühewaltung . oder die Durchsetzung der Ersatzforderung abnehmen, aber in Rechnung stellen. Als rechtfertigende Gründe sind etwa die Vorfinanzierung, das Risiko eines Ausfalls mit der Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen durch den Kunden oder den Kfz-Vermieter u.A. zu nennen (vgl. BGH, Urteil vom 12.10.2004 – VI ZR 151/03, in: NJW 2005, 51, 53; Urteil vom 25.10.2005 – VI ZR 9/05. in: NJW 2006, 360, 361; eingehend zu den einzelnen Risiko- und Kostenfaktoren bei der Vermietung von Unfallersatzfahrzeugen LG Bielefeld, Urteil vom 26.7.2006  – 21  S  290/04. Fahrzeugvorhaltung auch schlechter ausgelasteter Fahrzeuge, Erfordernis der Einrichtung eines Notdienstes, erhöhte Kosten für die Zustellung und Abholung der Fahrzeuge, an Vermittler zu zahlende Provisionen, Beschädigungsrisiko bei Fahrzeugen ohne Kreditkartensicherheit, erhöhtes Unterschlagungsrisiko. Forderungsvorfinanzierung, Risiko des Forderungsausfalls nach geänderter Bewertung der Haftungsanteile des Kunden am Unfallgeschehen, erhöhter Verwaltungsaufwand, Erfordernis der Umsatzsteuervorfinanzierung). Dass ein pauschaler Aufschlag auf den Normaltarif   bei   der  Vermietung von Unfallersatzfahrzeugen wegen vermehrter Beratungs- und Serviceleistungen, erhöhten Verwaltungsaufwands und Zinsverlusten aufgrund von längeren Zahlungsfristen selbst aus Sicht der Versicherungswirtschaft gerechtfertigt und geboten ist, ergibt sich aus der von der Klägerin vorgelegten Zusammenfassung der Gespräche zwischen dem Bundesverband der Autovermieter (BAV) und dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zum Thema Mietwagenkosten vom 29.9.2006 (Bl. 175/176 GA). Ein solcher Aufschlag unabhängig davon, in welchem Umfang im konkreten Fall unfallbedingte Zusatzleistungen des Autovermieters in Anspruch genommen wurden, erscheint auch allein praktikabel und notwendig, um die Schadensabwicklung zu vereinheitlichen und zu erleichtern (vgl. Greger NZV 2006,1,5).

Das Gericht hält einen pauschalen Aufschlag auf den Normaltarif in Höhe von 20 % für gerechtfertigt, um die Besonderheiten der Kosten und Risiken des Unfallersatzfahrzeuggeschäfts im Vergleich zur „normalen“ Autovermietung angemessen zu berücksichtigen Dieser Prozentsatz bewegt sich im Mittelfeld der von Rechtsprechung und Literatur bislang befürworteten Aufschläge und im Rahmen der Beträge, die nach der Zusammenfassung der Gespräche zwischen BAV und GDV zum Thema Mietwagen kosten vom 29.9.2006 diese Interessenverbände für gerechtfertigt halten. Überzeugende Gründe, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, sind weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich.

Weiterhin hat die Beklagte die Kosten für die Haftungsfreistellung zu übernehmen. Die Kosten für eine Teil- bzw. Vollkaskoversicherung sind bei der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs grundsätzlich erstattungsfähig. Unabhängig davon, ob das bei dem Verkehrsunfall beschädigte Fahrzeug ebenfalls voll- oder teilkaskoversichert war, besteht jedenfalls grundsätzlich ein schutzwürdiges Interesse der Kunden der Klägerin, für die Kosten einer eventuellen Beschädigung des Mietfahrzeugs nicht selbst aufkommen zu müssen, zumal Mietwagen in der Regel neuer und damit höherwertiger sind als die beschädigten Fahrzeuge (vgl. BGH, NJW 2005, 1041; OLG Köln, NZV 2007, 199).

Der Kläger kann auch eine Vergütung für den zweiten Fahrer nach der Nebenkostentabelle zum Schwacke-Automietpreisspiegel in Höhe von 12,61 € pro Tag verlangen. Dem Vortrag, das Fahrzeug des Klägers sei regelmäßig auch durch seine Ehefrau genutzt worden, ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Die Ehefrau ist auch als Mitbenutzerin im Mietvertrag eingetragen, so dass die zu vergütende Zusatzleistung erbracht wurde.

Auch die Kosten für Winterreifen sind erstattungsfähig. Ein Geschädigter, der zur kalten Jahreszeit einen Mietwagen mit Winterreifen anmietet, muss die dadurch entstehenden Kosten von der Versicherung ersetzt verlangen können. Denn der Geschädigte hat grundsätzlich Anspruch auf ein verkehrstaugliches Fahrzeug, dass auch zur kalten Jahreszeit entsprechend ausgestattet ist. Nicht zu beanstanden ist hierbei die Praxis der Autovermieter, die Kosten saisonal zu verteilen und nicht auf das ganze Jahr einen höheren Tagespreis zu berechnen. Unabhängig davon hat der Mieter keinen Einfluss auf diese Praxis.

Der Kläger hat auch einen Anspruch auf Erstattung von Kosten für die Zustellung und Abholung des Mietwagens zu der Werkstatt (BGH NJW 2006, 360; OLG Köln – 19. Zivilsenat – NZV 2007, 199; OLG Karlsruhe VersR 2008, 92).

Der Kläger hat demnach Anspruch auf 1.403,66 € abzüglich bereits geleisteter 416,94 €, mithin 986,72 €. Da der Kläger aber nur eine Summe von 895,23 € beantragt hat, war ihm nur diese Summe zuzusprechen, § 308 ZPO.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.

Der Kläger hat darüber hinaus auch Anspruch auf noch nicht gezahlte vorgerichtlich angefallene Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 86,64 € aus einer 1,3 fachen Gebühr nach Nr. 2400 W RVG unter dem Gesichtspunkt des Verzugsschadens. Auch dieser Anspruch ist gemäß §§ 286, 288 BGB zu verzinsen.

Soweit das AG Wesel.

Urteilsliste “Mietwagenkosten” zum Download >>>>>

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2 Antworten zu AG Wesel verurteilt beteiligte Versicherung zur Zahlung weiterer Mietwagenkosten

  1. F-W Wortmann sagt:

    Hallo Babelfisch,
    unter Berücksichtigung der BGH-Rechtsprechung erscheint mir dies ein gelungenes Instanzgerichtsurteil zu den Mietwagenkosten. Sauber und ordentlich begründet. Was mir persönlich aufstößt, ist der Hinweis auf die Gesprächszusammenfassung zwischen BAV und GDV. Das riecht m.E. schon wieder Richtung Sonderkonditionen i.S.d. VW-Urteils, die nach BGH nicht marktübliche Preise darstellen (vgl. BGH DS 2010, 28ff.)
    Mit freundlichen Grüßen
    F-W Wortmann

  2. Babelfisch sagt:

    Hallo Herr Wortmann,
    m. E. geht es in diesem Zusammenhang ausschließlich um die Frage, ob ein Aufschlag auf den Normaltarif gerechtfertigt ist. Dabei wurde der Beklagten Versicherung vor die Nase gehalten, dass ihr eigener Verband grundsätzlich solche Zuschläge anerkennt. Wie ich finde, eine durchaus charmante Argumentation des Gerichts.
    Bon soir ….

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