LG Rostock zur fiktiven Schadensabrechnung mit interessanter Begründung – allerdings vor dem VW-Urteil des BGH (1 S 22/09 vom 03.06.2009)

Hallo Leute, zum Tag der Arbeit etwas leichtere Lektüre, die aber auch interessant ist.  Hier ein etwas älteres Urteil des LG Rostock vom 3.6.2009  – 1 S 22/09 – zur fiktiven Abrechnung  mit teilweise  interessanter Begründung. Allerdings muss ich darauf hinweisen, dass im Zeitpunkt des Rostocker Urteils der BGH noch nicht das sog. VW-Urteil gesprochen hatte. Bedenkt das bitte bei Euren eventuellen Anmerkungen.

LG Rostock
1 S 22/09
Urteil vom
03.06.2009

Aus den Gründen:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Rostock vom 14.01.2009 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.690,78 Euro nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.03.2008 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von der Gebührenforderung der Rechtsanwälte Rostock in Höhe von 192,90 Euro freizuhalten.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Die Anschlussberufung wird verworfen.

4. Die Kosten des Rechtstreits I. und II. Instanz tragen der Kläger zu 22 % und die Beklagte zu 78 %.

5. Die Revision wird zugelassen, soweit die Berufung zurückgewiesen worden ist.

6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt restlichen Schadenersatz aus einem Verkehrsunfallereignis vom 11.10.2007 in … . Die Vollhaftung der beklagten Haftpflichtversicherung ist unstreitig. Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Frage, ob sich der Geschädigte bei fiktiver Reparaturkostenabrechnung eine Reparaturmöglichkeit in einer freien Fachwerkstatt entgegenhalten lassen muss.

Bei dem Fahrzeug des Klägers handelte es sich um einen Pkw Erstzulassung 2002. Am Fahrzeug des Klägers entstanden bei dem streifenden Zusammenstoß im Wesentlichen Blech- und Glasschäden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Reparaturkostenkalkulation (GA 9-14) Bezug genommen. Der Sachverständige … ermittelte im Auftrage des Klägers Reparaturkosten von 3.951,39 Euro netto (GA 7). Der Kläger begehrte Ersatz folgender Positionen:

fiktive Reparaturkosten (netto)                 3.951,39 Euro

Kostenpauschale                                      25,00 Euro

Summe                                                      3.976,39 Euro

Die Beklagte holte eine Berechnung der DEKRA Automobil GmbH ein, wonach die – qualitativ gleichwertige – Reparatur bei der Autohaus … lediglich 2.255,61 Euro (netto) kosten würde (GA 16). Auf der Basis dieser dem Kläger am 04.02.2008 übersandten Berechnung zahlte die Beklagte 2.280,61 Euro.

Mit der Klage hat der Kläger die Differenz von 1.695,78 Euro und die Freihaltung von der vorgerichtlichen Rechtsanwaltshonorarforderung verlangt und die Klage später – nach Reparatur in Eigenregie – um Nutzungsausfall von 474,00 Euro erweitert (GA 40).

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird im Übrigen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat der Klage in Höhe von 1.695,78 Euro (3.951,39 Euro fiktive Reparaturkosten auf Basis des Gutachtens … zzgl. 25,00 Euro Kostenpauschale abzgl. 2.280,61 Euro Zahlung) nebst Zinsen sowie hinsichtlich der vorgerichtlichen Anwaltskosten stattgegeben und sie im Übrigen (474,00 Euro Nutzungsausfall) abgewiesen. Auf die Reparatur im Autohaus … müsse sich der Kläger nicht verweisen lassen. Es handele sich um keine Fachwerkstatt für … , weshalb die Reparaturmöglichkeit nicht gleichwertig sei. Demgegenüber könne Nutzungsausfall bei fiktiver Abrechnung nicht verlangt werden. Ohnehin seien Nutzungswille und -möglichkeit nicht schlüssig dargetan.

Gegen die Verurteilung wendet sich die Beklagte mit ihrer am 06.02.2009 eingegangenen Berufung und der am 16.03.2009 eingegangenen Berufungsbegründung. Die Reparaturmöglichkeit bei der Firma sei gleichwertig. Es komme nicht darauf an, ob die Werkstatt markengebunden sei.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des am 14.01.2009 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Rostock – 53 C 65/08 – die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Gericht hat dem Kläger eine Frist zur Berufungserwiderung bis zum 30.04.2009 gesetzt.

Mit Schriftsatz vom 30.04.2009 verteidigt der Kläger das angefochtene Urteil, soweit es zu seinen Gunsten ergangen ist. Die Beklagte habe auch gar nicht vorgetragen, die Werkstatt sei technisch und fachlich zur gleichwertigen Reparatur in der Lage. Mit demselben Schriftsatz hat der Kläger Anschlussberufung erhoben. Er meint, er habe Anspruch auf Ersatz des Nutzungsausfalles. Ein solcher Anspruch könne auch bei fiktiver Abrechnung geltend gemacht werden. In der Sache habe der Kläger zum Nutzungsausfall vorgetragen. Das Amtsgericht habe insoweit seine Hinweispflichten verletzt. Der Kläger würde ansonsten zu dem Nutzungswillen und der Nutzungsmöglichkeit vorgetragen haben.

Der Kläger beantragt im Wege der Anschlussberufung,

das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und entsprechend den erstinstanzlichen Schlussanträgen gemäß mündlicher Verhandlung vom 18.12.2008 zu erkennen.

Die Beklagten beantragt,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

II.

A. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden. In der Sache hat sie indes lediglich in geringem Umfange Erfolg.

1. Der Anspruch auf Ersatz der fiktiven Reparaturkosten steht dem Kläger dem Grunde nach unstreitig zu. Aber auch der Höhe nach ist der Anspruch begründet. Der Kläger muss sich die Reparaturmöglichkeit in der freien Fachwerkstatt nicht entgegen halten lassen.

a) Der Geschädigte hat nach § 249 BGB grundsätzlich Anspruch auf (vollständige) Restitution seines Schadens. Das Ziel der Restitution besteht darin, einen Zustand herzustellen, der wirtschaftlich gesehen der ohne das Schadenereignis bestehenden (hypothetischen) Lage entspricht. Dem Geschädigten stehen im Allgemeinen zwei Wege der Naturalrestitution zur Verfügung: Die Reparatur des Unfallfahrzeuges oder die Anschaffung eines „gleichwertigen“ Ersatzfahrzeuges, wobei er statt der Herstellung gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB den hierfür erforderlichen Geldbetrag verlangen und diesen Betrag konkret nach den tatsächlich angefallenen Kosten oder fiktiv auf Grundlage einer sachverständigen Schätzung abrechnen kann. Unter den zum Schadenausgleich führenden Möglichkeiten hat der Geschädigte grundsätzlich diejenige zu wählen, die den geringsten Aufwand erfordert (Wirtschaftlichkeitspostulat, § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB: „erforderlich“). Darüber hinaus findet die Ersetzungsbefugnis des Geschädigten seine Schranke in dem Verbot, sich durch den Schadenersatz zu bereichern. Denn auch wenn er vollen Ersatz verlangen kann, soll der Geschädigte an dem Schadenfall nicht „verdienen“ (vgl. BGH, NJW 2003, 2085; NJW 2006, 2179; NJW 2007, 67). Die Einschränkungen bedeuten indes nicht, der Geschädigte müsse zu Gunsten des Schädigers sparen oder sich in jedem Falle so verhalten, als habe er den Schaden selbst zu tragen (vgl. BGH, NJW 2005, 1108).

Der Geschädigte hat die Höhe des Ersatzanspruches darzulegen und zu beweisen. Es gilt das Beweismaß des § 287 ZPO. Dabei kann im Falle der fiktiven Abrechnung das Schätzgutachten eines anerkannten Sachverständigen – solange nicht der Schädiger gravierende Mängel substantiiert darlegt – für das Gericht eine sachgerechte Grundlage sein, wenn es hinreichend ausführlich ist und das Bemühen erkennen lässt, dem konkreten Schadenfall vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Betrachters gerecht zu werden (vgl. BGH, NJW 1989, 3009; 2003, 2086; 2007, 1674; KG, Urteil vom 15.05.1997 – 12 U 8660/95). Hierbei dürfen grundsätzlich die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt in Ansatz gebracht werden (vgl. BGH, NJW 2003, 2086; KG, NJW 2008, 2656).

Besondere Umstände können dem Geschädigten Veranlassung geben, eine mühelos, ohne Weiteres zugängliche, günstigere und gleichwertige Verwertungs- beziehungsweise Reparaturmöglichkeit wahrzunehmen (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB, vgl. BGH, NJW 2003, 2086 „Porsche“ [obiter dictum]; KG, NJW 2008, 2656; zu Restwertangeboten BGH, NJW 2000, 800; NJW 2007, 1674). Dabei müssen derartige Ausnahmen – deren Voraussetzungen durch den Schädiger zu beweisen sind (vgl. BGH, NJW 2000, 800; 2003, 2086; NJW 2007, 1674) – in engen Grenzen gehalten werden, weil anderenfalls die dem Geschädigten nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen würde, wonach es seine Sache ist, in welcher Weise er mit dem beschädigten Fahrzeug verfährt. Insbesondere dürfen dem Geschädigten bei der Schadenbehebung die von der Versicherung gewünschten Regulierungsmodalitäten nicht aufgezwungen werden (vgl. zu Restwertangeboten BGH, NJW 2000, 800; NJW 2007, 1674). Zur Entfaltung erheblicher eigener Initiative – etwa Erkundigungen zur Werkstatterfahrung für die Reparatur der entsprechenden Fahrzeugmarke und Einholung entsprechender Preisangebote – ist der Geschädigte in diesem Zusammenhang nicht verpflichtet (vgl. BGH, NJW 2003, 2086). In der Regel wird eine Reparaturmöglichkeit nur dann mit zumutbarem Aufwand wahrzunehmen sein, wenn dem Geschädigten ein konkretes, verbindliches Reparaturangebot vorgelegt wird, welches er ohne Mühe annehmen könnte (vgl. zu Restwertangeboten BGH, NJW 2000, 800; zu Reparaturangeboten AG Bremen, Urteil vom 30.11.2005 – 17 C 448/05). Diesen Anforderungen genügt ein Schuldner nicht dadurch, dass er lediglich das vom Geschädigten vorgelegte Sachverständigengutachten prüft und niedrigere Stundenverrechnungssätze einer anderen Werkstatt einsetzt. Hieraus ist in der Regel nicht einmal erkennbar, ob die benannte Referenzwerkstatt zwar niedrigere Stundenverrechnungssätze verlangt, aber andererseits zur Durchführung der Arbeiten längere Zeit benötigt.

Diese Grundsätze werden in der Rechtsprechung auf Fälle der fiktiven Reparaturkostenabrechnung uneinheitlich angewandt. Einerseits wird vertreten, eine gleichwertige Reparaturmöglichkeit sei allenfalls in einer anderen markengebundenen Fachwerkstatt gegeben, weil der Markt die Reparatur in einem solchen Betrieb honoriere und sich dies als wertbildender Faktor bei einem möglichen Verkauf auswirke; Markenqualität bedeute nicht nur technische Qualität, sondern insbesondere auch Vertrauen und Seriosität (vgl. KG, NJW 2008, 2656; LG Augsburg, Urteil vom 21.10.2008 – 4 S 1655/08 – mit Verweis auf OLG München, Hinweis vom 28.02.2008 – 24 U 616/07; LG Bonn, Urteil vom 12.07.2006 – 5 S 72/06; LG Essen, NJW 2008, 1391; LG Hannover, Schaden-Praxis 2008, 333; LG Mainz, Urteile vom 31.05.2006 – 3 S 15/06 – und vom 14.02.2007 – 3 S 133/06; LG Trier, NJW 2005, 1108; AG Berlin-Mitte, Urteil vom 18.08.2008 – 113 C 3056/08; AG Bremen, Urteil vom 30.11.2005 – 17 C 448/05; AG Hamburg, Urteil vom 18.09.2008 – 51a C 104/08; AG Rostock in ständiger Rechtsprechung, ua. im hier angefochtenen Urteil vom 14.01.2009 – 53 C 65/08; Handschumacher, NJW 2008, 2622; Revilla, jurisPR-VerkR 5/2009 Anm. 3). Andererseits wird vertreten, es komme allein auf die technische Gleichwertigkeit der Reparatur in der freien Werkstatt an, wobei als Kriterien die Leitung der freien Fachwerkstatt durch einen Kfz-Meister, die Ausführung der Arbeiten durch Fachkräfte und Spezialisten für Karosserie- und Lackreparaturen, die Einhaltung der Empfehlungen und Richtlinien der Hersteller und die Verwendung von Original-Ersatzteile sowie die Gewährung einer 3-Jahres-Garantie in Betracht kämen; jedenfalls bei älteren Fahrzeugen habe die Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt gegenüber derjenigen in einer freien Fachwerkstatt keine erheblichen Auswirkungen auf den Wert des reparierten Fahrzeuges (vgl. LG Berlin, NJW-RR 2007, 20; Schaden-Praxis 2008, 153; LG Halle, Urteil vom 10.03.2009 – 2 S 277/08; LG Hannover, Urteil vom 13.01.2009 – 9 S 52/08; LG Hildesheim, NJW-RR 2008, 1714; LG Mannheim, NJW-RR 2009, 321; LG Potsdam, NJW 2008, 1392; LG Rostock, Urteil vom 28.03.2008 – 1 S 123/07; Wenker, jurisPR-VerkR 23/2008 Anm. 3).

Der Geschädigte muss sich darüber hinaus die Möglichkeit einer günstigeren Reparatur jedenfalls dann nicht entgegenhalten lassen, wenn er zu dem Zeitpunkt, in dem ihm diese Möglichkeit in hinreichender Weise bekannt geworden ist, eine (Eigen-) Reparatur bereits durchgeführt hatte. Denn dann ist die Durchführung der günstigeren Reparatur nicht mehr möglich.

b) Nach diesen Grundsätzen kann der Kläger auf der Grundlage des von ihm eingeholten Gutachtens fiktiv abrechnen. Das Gutachten ist eine geeignete Grundlage für die Schätzung des Schadens. Es wird durch die Beklagte nicht konkret angegriffen. Die Reparaturmöglichkeit in der nicht markengebundenen Werkstatt muss sich der Kläger nicht entgegen halten lassen:

aa) Zwar ist die Referenzwerkstatt unstreitig – das Bestreiten in der Berufungserwiderung kann nach den §§ 529, 531 ZPO keine Berücksichtigung finden – zu einer technisch gleichwertigen Reparatur in der Lage ist. Insoweit kommt es nicht darauf an, dass Zweifel bestehen, ob die genannten Kriterien wie die Leitung der Werkstatt durch einen Kfz-Meister ausreichen, auf dieselbe Qualität wie in einer Markenwerkstatt schließen zu lassen. Dabei ist nicht zu verkennen, dass es gerade für Karosserie- und Lackierarbeiten freie Werkstätten gibt, die den Markenwerkstätten qualitativ in nichts nachstehen und diese teils übertreffen; andererseits gibt es zweifellos auch freie Meisterbetriebe, deren Arbeitsqualität Wünsche offen lässt. Die Kammer lässt – weil dies letztlich nicht entscheidungserheblich ist – offen, ob eine eventuelle Auswirkung der Markengebundenheit der Reparaturwerkstatt auf den erzielbaren Verkaufspreis die Gleichwertigkeit der Reparatur (so KG, NJW 2008, 2656) oder vielmehr den merkantilen Minderwert betrifft.

bb) Die objektive Gleichwertigkeit der Reparatur in einer freien Fachwerkstatt allein bedeutet nicht, der Geschädigte verstoße mit der Beauftragung einer Markenwerkstatt gegen die Schadenminderungspflicht. Ein Verstoß ist vielmehr erst dann anzunehmen, wenn die Grenze zur wirtschaftlichen Unvernunft überschritten ist. Zur objektiven Gleichwertigkeit müssen besondere Umstände hinzutreten. Insoweit sieht die Kammer in Abweichung von der Entscheidung des Einzelrichters vom 28.03.2008 – 1 S 123/07 – die Verweisungsmöglichkeit nicht als Grundsatz, sondern als Ausnahme. Sie kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn es sich nicht lediglich um eine Bagatellreparatur handelt. Im Einzelnen:

Nach Auffassung der Kammer erscheint es wirtschaftlich nicht unvernünftig, mit der Reparatur eines neueren Fahrzeuges eine markengebundene Werkstatt zu betrauen, wenn anderenfalls die Herstellergarantie gefährdet wäre. Bei Schäden an den Aggregaten (zB. Motor, Getriebe, Elektronik) kommt es – aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Geschädigten – auf die Erfahrungen der Werkstatt mit der Marke und auf Spezialwerkzeuge und -kenntnisse an, so dass auch insoweit die Kosten der Markenwerkstatt ersatzfähig sind. Gleiches gilt für massive Strukturschäden, die Richt- oder Schweißarbeiten erforderlich machen. Auch hier ist es in der Regel nicht unvernünftig, im Hinblick auf Spezialkenntnisse und Erfahrungen mit der betreffenden Marke höhere Preise einer Markenwerkstatt in Kauf zu nehmen. Hieran ändert der beklagtenseits zitierte Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nichts, der lediglich die Möglichkeit des Zugangs zu Reparatur- und Wartungsinformationen der Hersteller regelt.

In den verbleibenden – in der Praxis allerdings sehr zahlreichen – Fällen der reinen Blechschäden an älteren Fahrzeugen, welche durch den Austausch verschraubter Teile und Lackierarbeiten behoben werden können, kommt eine grundsätzliche Verweisungsmöglichkeit ebenfalls nicht in Betracht. Zweifel bestehen bereits an der Eignung des Fahrzeugalters als Anknüpfungsmerkmal für die Erstattungsfähigkeit der Reparaturkosten (vgl. hierzu auch BGH, NJW 2003, 2086; KG, NJW 2008, 2656). Zudem bestehen Bedenken, ob die Abgrenzung nach der Art des Schadens und dem Kriterium der Gleichwertigkeit den praktischen Anforderungen an das Massenphänomen der Regulierung von Verkehrsunfallschäden gerecht wird. Gegen die Verweisung auf günstigere Reparaturmöglichkeiten sprechen – abgesehen von eng anzugrenzenden Ausnahmefällen – aber vor allem weitere Umstände:

In der Regel wird von einem Geschädigten nicht verlangt werden können, sein Fahrzeug in die Hände einer Werkstatt zu geben, zu der er kein Vertrauen hat. Auch ein wirtschaftlich vernünftig denkender Geschädigter wird bei der Auswahl der Werkstatt eigene Erfahrungen wie auch Empfehlungen von Bekannten oder Fachleuten berücksichtigen und insoweit gegebenenfalls höhere Kosten in Kauf nehmen. Dies ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, solange er sich im angemessenen – vom Schätzgutachten vorgegebenen – Rahmen hält. Die Möglichkeit des Verweises auf die Reparatur in einer konkreten freien Werkstatt hätte zudem zur Folge, dass binnen kurzer Zeit die fiktive Abrechnung von Verkehrsunfallschäden ausschließlich auf Basis der Verrechnungssätze der einen günstigsten regionalen Fachwerkstatt erfolgen würde. Der in der Rechtsprechung anerkannte Regelfall der Abrechnung auf Basis der Verrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt wäre damit ins Gegenteil verkehrt; die Möglichkeit der fiktiven Abrechnung in Ausübung der Ersetzungsbefugnis des Geschädigten entwertet. Das entspricht nicht dem gesetzlichen Leitbild und würde zudem Manipulationsmöglichkeiten eröffnen. Darüber hinaus enthalten Schadengutachten – wie auch hier (GA 9) – in der Regel den Hinweis, die Besichtigung sei ohne Demontage und Vermessung erfolgt und die Feststellung weiterer Schäden im Rahmen der Reparatur sei nicht auszuschließen. Auch deshalb erscheint es nicht per se unvernünftig, eine Markenwerkstatt mit den Arbeiten zu betrauen. Insoweit mag allenfalls für Bagatellreparaturen Abweichendes gelten.

Schließlich wäre bei einer Verweisung auf eine anderweitige Reparaturmöglichkeit ein vollständiger Schadenausgleich nur sichergestellt, wenn der Geschädigte diese wahrnehmen würde. Ihm würde diese Art der Schadenbehebung aufgezwungen. Im Falle der Weiternutzung im unreparierten Zustand und einer späteren fachgerechten Reparatur liefe er Gefahr, für die Reparatur auch Eigenmittel aufwenden zu müssen, weil das von der Versicherung vermittelte besonders günstige Angebot nicht mehr gilt, die Werkstatt vielleicht nicht einmal mehr am Markt ist. Aus denselben Erwägungen heraus ist für den Fall der Ersatzbeschaffung anerkannt, dass sich der Geschädigte einen Restwert nicht anrechnen lassen muss, der lediglich in einem engen Zeitraum auf einem Sondermarkt zu erzielen ist (vgl. BGH, NJW 2007, 1674; zur grundsätzlichen Gleichwertigkeit und Gleichbehandlung der Restitutionsformen Reparatur und Ersatzbeschaffung vgl. BGH, NJW 2003, 2086; KG, NJW 2008, 2656).

cc) Darüber hinaus war die Reparaturmöglichkeit dem Kläger bereits deshalb nicht ohne Weiteres mühelos zugänglich, weil die Beklagte ein konkretes Angebot nicht vorlegte. Sie setzte lediglich die Stundenverrechnungssätze der Firma durch eine Sachverständigenorganisation in die Kalkulation des Sachverständigen Schuldei ein. Hieraus lassen sich nicht einmal die tatsächlich zu erwartenden Reparaturkosten ersehen. Zu beachten ist insoweit auch, dass der Kläger in 17091 R. wohnt, die Firma K. aber in 18146 R. ansässig ist. Auch dies lässt an der mühelosen Zugänglichkeit zweifeln.

dd) Demgegenüber fehlt es vorliegend nicht an der Beurteilungsmöglichkeit der Gleichwertigkeit. Zwar muss sich ein Geschädigter eine objektiv gleichwertige Reparatur dann nicht entgegen halten lassen, wenn er die Gleichwertigkeit nicht ohne Weiteres, mühelos beurteilen kann. Auf die Angaben des Schuldners muss sich der Geschädigte hierbei – schon wegen der gegensätzlichen Interessen – nicht verlassen (so auch AG Hamburg, Urteil vom 18.09.2008 – 51a C 104/08). Zu eigenen Ermittlungen ist er nicht verpflichtet: Weder die Einholung von Auskünften noch eines Gutachtens kann von ihm verlangt werden. Deshalb muss sich der Geschädigte die objektiv günstigere Reparaturmöglichkeit dann nicht entgegenhalten lassen, wenn selbst das Gericht aus eigener Sachkunde die Gleichwertigkeit nicht beurteilen kann und hierzu ein Sachverständigengutachten einholen müsste. Anderenfalls würden die Anforderungen an den Geschädigten überspannt, den Schädiger von vermeidbaren Kosten zu entlasten. Einen zuverlässigen Qualitätsnachweis stellt in der Regel auch die regelmäßige Zertifizierung der Werkstatt durch eine Sachverständigenorganisation – erst recht der vom Schuldner in Auftrag gegebene Prüfbericht – nicht dar. Hieraus lässt sich für die Markenerfahrung der Werkstatt nichts ableiten, so dass es einer Auseinandersetzung mit den Prüfkriterien nicht bedarf. Offen kann bleiben, ob für Bagatellreparaturen andere Maßstäbe gelten. Denn um eine solche handelt es sich nicht. Vorliegend ist indes zu beachten, dass die qualitative Gleichwertigkeit unstreitig ist.

2. Lediglich die Kostenpauschale ist mit 25,00 Euro zu hoch angesetzt und auf 20,00 Euro zu reduzieren. Ein höherer Betrag kann pauschal nicht geltend gemacht werden. Es ist bereits nicht schlüssig vorgetragen, höhere Kosten seien entstanden. Insoweit ist auch unbeachtlich, dass diese Schadenposition durch die Beklagte mit der Berufung nicht angegriffen wird. Es handelt sich um einen unselbständigen Rechnungsposten, so dass das Berufungsgericht im Rahmen des gestellten Berufungsantrages eine rechtliche Überprüfung in vollem Umfange durchzuführen und eine ggf. erforderliche Schätzung nach § 287 ZPO selbst vorzunehmen hat.

3. Als berechtigte Klageforderung ergibt sich:

fiktive Reparaturkosten (netto)            3.951,39 Euro

Kostenpauschale                                   20,00 Euro

Zwischensumme                                   3.971,39 Euro

abzüglich Zahlung                                  2.280,61 Euro

Summe                                                   1.690,78 Euro

B. Die Anschlussberufung ist unzulässig. Der Kläger rügt die Verletzung materiellen Rechts und richterlicher Hinweispflichten und legt diese dar. Die Berufung kann nach § 513 Abs. 1 ZPO indes auf Rechtsverletzungen nur gestützt werden, wenn die angefochtene Entscheidung hierauf beruht. Umstände, aus denen sich die Erheblichkeit der Rechtsverletzung ergibt, sind nach § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO mit der Berufungsbegründung vorzutragen. Hieran fehlt es. Insbesondere zum Nutzungswillen trägt der Kläger auch im zweiten Rechtszug nichts vor. Ohne Nutzungswillen kommt indes eine Nutzungsausfallentschädigung materiellrechtlich nicht in Betracht. Ebenso ist hinsichtlich der Rüge der Verletzung richterlicher Hinweispflichten anzugeben, was im Falle ordnungsgemäßer Hinweise – hier insbesondere zum Nutzungswillen – vorgetragen worden wäre.

C. Die Revision ist im Umfange der Berufungszurückweisung zuzulassen. Die Reichweite der Verweisungsmöglichkeit auf eine günstigere Reparatur ist von grundsätzlicher Bedeutung. Auch hinsichtlich der alternativen Begründung, wie bei Restwertangeboten bedürfe es eines konkreten, verbindlichen Reparaturkostenangebotes, ist eine grundsätzliche Bedeutung zu bejahen. Hierzu liegt – soweit ersichtlich – bislang lediglich eine amtsgerichtliche Entscheidung vor. Die Zulassung ist zudem angesichts der bereits beim Bundesgerichtshof anhängigen Verfahren VI ZR 302/08 (vorgehend LG Mannheim, Urteil vom 24.10.2008 – 1 S 95/08) und VI ZR 91/09 (vorgehend LG Halle, Urteil vom 10.03.2009 – 2 S 277/08) geboten, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten. Demgegenüber ist die Frage der Beurteilung der Gleichwertigkeit durch den Geschädigten vorliegend nicht entscheidungserheblich.

D. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

So das Urteil des LG Rostock.

Urteilsliste “Fiktive Abrechung” zum Download >>>>>

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