AG Ibbenbüren hält eine Verweisung von Ibbenbüren nach Lengerich für den Geschädigten für unzumutbar und verurteilt zur Zahlung des gekürzten Betrages mit Urteil vom 10.6.2014 – 30 C 66/14 -.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,

wir bleiben in Ibbenbüren in Nordrhein-Westfalen und stellen Euch jetzt ein aktuelleres Urteil vor. Das setzt sich mit der Schadensabrechnung aufgrund eines Sachverständigengutachtens auseinander. Besonderer Beachtung galt dabei die Frage der Zugänglichkeit der Werkstatt. Das erkennende Gericht hat diese Frage mit überzeugender Begründung beantwortet. Der eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherer hatte dem Geschädigten eine vermeintlich gleichwertige Reparaturmöglichkeit in Lengerich benannt, jedoch dabei nicht bedacht, dass aufgrund der Entfernung diese für den Geschädigten unzumutbar ist, weil sie nicht mühelos und ohne Weiteres für den Geschädigten erreichbar ist. Immerhin liegen objektiv 22 Kilometer zwischen Ibbenbüren, dem Wohnort des Geschädigten, und der Referenzwerkstatt der Versicherung in Lengerich. Das ist objektiv unzumutbar, auch wenn das verunfallte Fahrzeug älter als drei Jahre ist. Lest das Verweisungsurteil des AG Ibenbüren vom 10.6.2014 selbst und gebt anschließend bitte Eure Kommentare ab.

Viele Grüße und noch ein schönes Wochenende
Willi Wacker

30 C 66/14

Amtsgericht Ibbenbüren

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

In dem Rechtsstreit

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 222,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.01.2014 zu zahlen.

Weiterhin wird die Beklagte verurteilt, den Kläger von der Gebührenforderung der Rechtsanwälte … in Höhe von 83,53 € freizustellen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Ohne Tatbestand (gemäß § 313a Abs. 1 ZPO).

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 7, 17 Abs. 1, 2 StVG, §§ 249, 254 BGB, 115 I 1 Nr. 1 VVG.

Der Kläger hat durch das vorgelegte Schadensgutachten der Firma … KFZ-Sachverständige vom 30.12.2013 dargelegt, dass für die ordnungsgemäße Reparatur einschließlich Lackierung der Unfallschäden an seinem VW T4 TDI Multivan in einer ortsansässigen VW-Fachwerkstatt Kosten in Höhe von netto 3.144,70 € erforderlich sind.

Gemäß § 249 Abs. 1, 2 BGB kann der Kläger als Geschädigter von der beklagten Haftpflichtversicherung der Schädigerin an Stelle der Wiederherstellung des durch den Unfall vom 20.12.2013 beschädigten klägerischen VW T4 TDI Multivans auch den für die ordnungsgemäße Reparatur erforderlichen Geldbetrag verlangen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Fahrzeugeigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte (BGH Urteil vom 29.04.2003, VI ZR 393/02). Dabei ist es zulässig, dass der Kläger seiner Schadensersatzforderung die Werte zugrunde legt, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Der Beklagten ist darin zuzustimmen, dass der Geschädigte, der mühelos auf eine ohne weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturtätigkeit zurückgreifen kann, sich auf diese verweisen lassen muss. Dies setzt aber nicht nur voraus, dass diese andere Werkstatt eine technisch gleichwertige Reparatur zu günstigeren marktüblichen Preisen anbietet. Vielmehr muss für den Geschädigten auch zumutbar sein, eine Reparaturmöglichkeit in der alternativ angebotenen Werkstatt in Anspruch zu nehmen, und dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Pkw des Klägers ist zwar bereits älter als drei Jahre, und der Kläger hat überdies nicht substantiiert dargelegt, dass er sein Fahrzeug in der zurückliegenden Zeit regelmäßig in einer markengebundenen Fachwerkstatt warten und reparieren ließ. Der Verweis auf einem dem Geschädigten bislang nicht bekannte Werkstatt kann aber auch aus anderen Gründen unzumutbar sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie für den Geschädigten nicht völlig problemlos erreichbar ist. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte eine Werkstatt aus Lengerich benannt, die von dem Wohnort des Klägers ca. 22 km entfernt ist. Die Wertung der Beklagten, dass es sich hierbei um einen örtlichen Betrieb handele, teilt das Gericht nicht. Dem Gericht sind die geographischen Verhältnisse bekannt. Wer in Ibbenbüren wohnt und seinen Auto in einer Werkstatt in Lengerich reparieren lassen soll, müsste unzumutbare Beschwernisse auf sich nehmen. Dem steht auch nicht das seitens der Beklagten zitierte Urteil des BGH (NJW 2010, 2118) entgegen. Es ist für ein Unfallopfer, dessen Pkw von einem Schädiger zerstört wurde, nicht zumutbar, sich von dem Schädiger eine Werkstatt in einer anderen Stadt benennen zu lassen, von dieser, ohne sie zu kennen und in Augenschein nehmen zu können, seinen Pkw abholen und später repariert wieder zurückbringen zu lassen. Dem von einem unfallgeschädigten Eigentümer eines Pkw, der auf dessen Verkehrssicherheit und Werthaltigkeit nach einer Reparatur angewiesen ist, muss die Möglichkeit erhalten bleiben, sich eine an seinem Wohnort gelegenen Werkstatt seines Vertrauens, die er kennt oder zumindest völlig problemlos kennen lernen und überprüfen kann, zu wenden. Der Verweis auf eine relativ weit entfernt gelegene Werkstatt wird den Interessen des Geschädigten im Regelfall nicht gerecht; in den Fällen wie dem vorliegenden ist er jedenfalls nicht zumutbar.

Im Übrigen darf der Kläger berechtigterweise auf das Gutachten des öfffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen Dipl.-Ing. … vertrauen und die darin aufgelisteten Schadensbeträge einer ortsansässigen Werkstatt seinen Forderungen zugrundelegen. Hierbei berücksichtigt das Gericht auch den Umstand, dass die Schadensrestitution im Rahmen von § 249 BGB nicht auf die kostengünstigste Wiederherstellung der beschädigten Sache beschränkt werden darf. Die Schadensrestitution zielt nämlich vielmehr darauf ab, den Zustand herzustellen, der wirtschaftlich gesehen der hypothetischen Lage ohne Schadenseregnis entspricht (vgl. BGH v. 29.04.2003, NJW 2003, 2085).

Nach Zahlung der Beklagten auf die Nettoreparaturkosten von 4.013,29 € in Höhe von 3.791,12 €, verbleibt ein Anspruch des Klägers von noch zu zahlenden 222,17 €.

Die Beklagte befindet sich mit Ablauf der durch den Kläger gesetzten Frist zum 16.01.2014 mit Schreiben von 02.01.2014 seit dem 17.01.2014 in Verzug gemäß §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1, 288 BGB, sodass ab diesem Tag Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins zu zahlen sind.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Freistellung von seinen vorgerichtlichen Anwaltskosten gemäß § 249 Abs.1 BGB in Höhe von 83,53 €.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1, 713 ZPO.

Eine Berufung nach § 511 Abs. 4 ZPO war nicht zuzulassen.

Der Streitwert wird auf 222,17 EUR festgesetzt.

Urteilsliste “Fiktive Abrechnung” zum Download >>>>>

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1 Antwort zu AG Ibbenbüren hält eine Verweisung von Ibbenbüren nach Lengerich für den Geschädigten für unzumutbar und verurteilt zur Zahlung des gekürzten Betrages mit Urteil vom 10.6.2014 – 30 C 66/14 -.

  1. Heinz-Werner K. sagt:

    Befremdlich ist, dass die Versicherung die im 22 Km entfernten Lengerich gelegene freie Werkstatt als „örtlichen Betrieb“ bezeichnete, was meines Erachtens als bewußte Unwahrheit angesehen werden muss. Da wird von der Versicherung gelogen, dass sich die Balken im Gerichtsgebäude biegen. Man kann diesen Vortrag aber auch als bewußten Versuch des Prozessbetruges werten, denn objektiv kann ein in einer anderen Stadt liegender Kfz-Betrib nicht als örtlicher Betrieb bezeichne werden. Örtlich bedeutet nämlich im gleichen Ort.
    Der erkennende Richter hätte die Akte schließen müssen und sie an die zuständige Staatsanwaltschaft Münster zwecks Verfolgung des Prozessbetrugsversuches weiterreichen müssen. Auch Versicherungen und ihre Anwälte sind zum wahrheitsgemäßen Vortrag bei Gericht verpflichtet.

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