6-Monats-Frist und Schadensersatzfälligkeit (OLG Hamm vom 06.10.2008 – 13 W 30/08)

MIt Urteil vom 06.10.08, Aktenzeichen 13 W 30/08, hat das OLG Hamm erneut verbraucherfreundlich entschieden.

Sachverhalt:

Der unfallgeschädigte Kläger war in einen unverschuldeten Verkehrsunfall verwickelt worden. Nach dem Ergebnis des Schadensgutachtens lagen die kalkulierten Reparaturkosten innerhalb der Grenze von 130% des Wiederbeschaffungswertes. Der Kläger, der seinen PKW seit dessen erster Zulassung in Erstbesitz hatte, entschied sich auf der Basis der Ergebnisse des Sachverständigensgutachtens zur fachgerechten Reparatur. Trotz der entsprechend dem gutachterlich vorgeschlagenen Reparaturweg ausgeführten Vollreparatur lehnte der unfallgegnerische Haftpflichtversicherer die Regulierung der dem Kläger in Rechnung gestellten Reparaturkosten ab und regulierte lediglich den WIederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert ./. Restwert). Der Versicherer berief sich auf die beiden BGH-Urteile vom November letzten Jahres und vertrat gestützt darauf die Rechtsauffassung, der über den Wiederbeschaffungsaufwand hinausgehende Schadensersatzanspruch des Klägers sei keinesfalls vor Ablauf von 6 Monaten fällig.

Der Kläger sah das nicht ein und klagte den Differenzbetrag vor Ablauf der 6 Monate ein. Nach seiner Begründung tritt die Fälligkeit seines Schadensersatzanspruches bereits mit dem Schadenseintritt ein. Die beklagte Haftpflichtversicherung beantragte Klageabweisung, zahlte aber nach Ablauf der 6 Monate den Rest.

Der Kläger erklärte nun seine Klage für erledigt und das Landgericht überbürdete dem beklagten Haftpflichtversicherer in dem jetzt noch zu treffenden Kostenbeschluss sämtliche Kosten des Rechtsstreits. Hiergegen legte der beklagte Haftpflichtversicherer sofortige Beschwerde zum OLG Hamm ein. Diese Beschwerde wurde nun auf Kosten des beklagten Haftpflichtversicherers vom OLG Hamm mit der zitierten Entscheidung zurückgewiesen.

Begründung:

Der Anspruch des Klägers sei, so das OLG Hamm, bereits bei Klageerhebung begründet und fällig gewesen. Ob der Kläger schon vor Ablauf der 6-Monats-Frist sein Integritätsinteresse durch die vollständige fachgerechte Reparatur ausreichend bewiesen habe, sei – so das OLG Hamm – ohne Bedeutung. Die vom BGH geforderte Nutzungsdauer von 6 Monaten ist nach der eindeutigen Entscheidung des BGH lediglich ein Beweisanzeichen für die Weiterbenutzungsabsicht. Um eine zusätzliche Fälligkeitsvoraussetzung handelt es sich bei dem 6-Monats-Zeitraum, wie ihn der BGH  bestimmt, ausdrücklich nicht.

Fällig geworden ist der Anspruch auf Ersatz der vollen Reparaturkosten inklusive des Integritätszuschlages bereits mit der Durchführung und Bezahlung der Reparatur.

Fazit für die Praxis:

Viele Amts- und Landgerichtsurteile, die bereits hier in Captain HUK veröffentlicht sind, haben nicht ausschließbar dazu beigetragen, diesen Beschluss des OLG Hamm herbei zu führen.

Es ist festzustellen, dass die Instanzgerichte mehrheitlich die Fälligkeit des Anspruchs auf Ersatz der vollen Reparaturkosten bereits vor Ablauf der 6-Monats-Frist bejahen (vgl. dazu OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 02.06.08, Aktenzeichen 12 W 24/08; OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.08.07, Aktenzeichen 2 W 1109/07; OLG Celle, Beschluss vom 22.11.08, Aktenzeichen 5 W 102/07).

Uneinigkeit besteht nach alledem nicht mehr dazu, dass der Anspruch auf Bezahlung der vollen Reparaturkosten bereits vor Ablauf der 6-Monats-Frist fällig wird, sondern nur noch zu den genauen und exakten Fälligkeitszeiten.

Meiner Meinung nach gibt das Gesetz selbst hierzu aber eine eindeutige Antwort in § 849 BGB. Diese Vorschrift normiert eine Verzinsung der Ersatzsumme für den Wertersatz bzw. für den Wertminderungsersatz von dem Zeitpunkt an, „welcher der Bestimmung des Wertes zugrunde gelegt wird.“ Dabei ist der für die Wertbestimmung maßgebliche Zeitpunkt in der Regel derjenige des schädigenden Eingriffes oder des Schadensereignisses selbst.

Eindeutig falsch ist meiner Meinung nach der Ansatz des OLG Hamm, die Fälligkeit erst mit dem Zeitpunkt der Bezahlung der Reparatur eintreten zu lassen.

Für die Fälligkeit einer Schadensersatzforderung ist es irrelevant, ob und wann der Geschädigte eine Rechnung bezahlt, denn schon die schadensbedingte Belastung mit einer Verbindlichkeit stellt einen ersatzpflichtigen Schaden dar.

Viele Fragen sind natürlich noch offen und die Sache bleibt spannend.

Meiner Meinung nach verlangt man von Geschädigten zu Unrecht noch einen weitergehenden Beweis des Integritätsinteresses, wenn sie ihr vertrautes Fahrzeug mit dem Ziel der künftigen weiteren Eigennutzung fachgerecht entsprechend den gutachterlichen Vorgaben im Rahmen der 130%-Grenze reparieren lassen und entsprechende Kosten aufwenden müssen.

Gerade vor dem Hintergrund des Regulierungsverhaltens der Haftpflichtversicherer, in solchen Fällen lediglich den Wiederbeschaffungsaufwand zu zahlen, dokumentiert der Geschädigte, der sich zur Reparatur entscheidet und sich damit zielgerichtet in Schwierigkeiten mit der gegnerischen Haftpflichtversicherung bringt, sein Integritätsinteresse erst recht anschaulich und wie ich meine überdeutlich.

Man hat es hier doch mit einem Geschädigten zu tun, der bei Erteilung des Reparaturauftrages die Konsequenzen vor Augen hat, die darin bestehen, vom gegnerischen Haftpflichtversicherer erst nach Ablauf von 6 Monaten vollen Schadensersatz zu erhalten.

Der Geschädigte, der sich bei solcher Ausgangslage für die Reparatur entscheidet und damit dafür entscheidet, mit erheblichen Teilen der Reparaturkosten zunächst aus Eigenmitteln in Vorlage treten zu müssen, der dokumentiert sein Integritätsinteresse nach gerade zu beispielshaft und selbstverständlich ohne dass von ihm noch irgendein weiterer Nachweis des Integritätsinteresses redlicherweise verlangt werden könnte.

Es bleibt deshalb zu hoffen, dass der BGH bei allernächster Gelegenheit eine differenziertere Haltung einnimmt und ohne jedes Wenn und Aber absolut klarstellt, dass bei vollständiger fachgerechter Reparatur mit Reparaturrechnung vom Geschädigten nicht noch eine zusätzliche Dokumentation seines Integritätsinteresses abverlangt wird.

In einem solchen Fall ist es nämlich völlig ausgeschlossen, dass sich der Geschädigte auch nur im Ansatz an der Schadensregulierung bereichern könnte. Genau das Gegenteil ist der Fall, denn er muss in einem solchen Fall regelmäßig in Anbetracht des Regulierungsverhaltens der Haftpflichtversicherer mit erheblichen Eigenmitteln die Werklohnforderung des Reparaturbetriebes erfüllen.

Es kann unmöglich angehen, auf der einen Seite dem Geschädigten die Befugnis einzuräumen, einen 130%-Schaden fachgerecht reparieren zu lassen, ihm gleichzeitig aber die Verpflichtung aufzuerlegen, erhebliche Teile des angerichteten Schadens aus eigener Tasche über einen sehr erheblichen Zeitraum von 6 Monaten vorfinanzieren zu müssen.

Den meisten Geschädigten ist solches im Übrigen finanziell gar nicht möglich.

Mitgeteilt von Peter Pan im Dezember 2008

Urteilsliste “130%-Regelung” zum Download >>>>>

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