AG Leipzig entscheidet mit lesenswertem Urteil zur Verweisung auf eine freie Werkstatt bei einem mehr als drei Jahre alten Pkw mit Urteil vom 18.4.2013 – 106 C 7902/12 -.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leser,

es geht weiter nach Leipzig. Nachfolgend gebe ich Euch  ein prima Urteil aus Leipzig zur fiktiven Abrechnung bekannt. Mit gesunder Lebenserfahrung hat das Gericht die Verweisung auf eine Alternativwerkstatt abgelehnt. Auf die Höhe der Stundensätze allein kommt es nämlich nicht an. Wenn die Stundensätze der freien Werkstatt die Hälfte der markengebundenen Fachwerkstatt ausmachen, heißt dies ja nicht, dass die Mitarbeiter der freien Werkstatt die notwendigen Reparaturarbeiten gemäß der Vorgaben im Gutachten in der gleichen Zeit durchführen wie in der Markenfachwerkstatt. Vielleicht benötigen die Mitarbeiter die doppelte Zeit? Dann ist eben die freie Werkstatt nicht mehr preisgünstiger. Ob bei knapp 23 Kilometern Entfernung (Hin- und Rückfahrt) zur freien Werkstatt noch von einer ohne Weiteres mühelos zu erreichenden Alternativwerkstatt gesprochen werden kann, ist auch mehr als fraglich. Aber letztlich kam es darauf nicht mehr an. Für den Geschädigten war unzumutbar die freie Werkstatt zur Reparatur aufzusuchen. Lest selbst und gebt bitte Eure Kommentare ab.

Viele Grüße
Willi Wacker

Amtsgericht Leipzig
Zivilabteilung I

Aktenzeichen: 106 C 7902/12

Verkündet am: 18.04.2013

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

– Kläger –

gegen

– Beklagter –

wegen Schadensersatz
hat das Amtsgericht Leipzig durch
Richter am Amtsgericht …

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 26.03.2013 am 18.04.2013

für Recht erkannt:

1.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.523,15 Euro sowie Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über den jeweiligen Basiszinssatz aus 2.409,14 Euro vom 14.10.2012 bis 27.12.2013 und aus 1.523,15 Euro seit dem 28.02.2013 zu zahlen.

2.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3.
Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Streitwert ursprünglich: 2.409,14 Euro
Streitwert ab 05.03.2013 bis 2.000,00 Euro

Tatbestand

Der Kläger verlangt vom Beklagten restlichen Schadensersatz aufgrund eines Unfalls vom xx.06.2012 auf der Brünner Straße 10 in Höhe der Hausnummer … in Leipzig.

Beteiligte am Unfall war der Kläger mit dem BMW, amtliches Kennzeichen L-… und der Lastkraftwagen Iveco mit dem amtlichen (polnischen) Kennzeichen DTR … , nebst Anhänger mit dem amtlichen (polnischen) Kennzeichen DTR … . Der Lkw wurde durch einen … gefahren. Der Fahrer des Lkw zerschrammte mit dem Sattelauflieger den
hinteren Bereich der linken Seitenwand sowie die hintere Stoßstande des geparkten BMW.

Die alleinige Haftung der Beklagtenseite ist (aufgrund des Schreibens der Bekiagtenseite vom 19.03.2013) unstreitig.

Zunächst hatte die regulierungsbeauftragte Versicherung an die Klägerseite unter Anrechnung einer Quote von 75 % einen Betrag von 2.657,95 Euro bezahlt. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf das Abrechnungsschreiben der AXA Versicherungs AG vom 14.09.2012 (Anlage K5).

Am 18.02.2013 zahlte die AXA Versicherungs AG als Regulierungsbevollmächtigte des Beklagten weitere 885,99 Euro.

Der Kläger ist der Auffassung, er habe Anspruch auf vollen Schadensersatz in Höhe eines Betrages von weiteren 1.523,15 Euro. Gemäß des Gutachtens des Sachverständigenbüros … vom 26.06.2012 seien Reparaturkosten am klägerischen Fahrzeug in Höhe von 4.194,59 Euro netto entstanden und nicht nur Nettoreparaturkosten von 2.671,44 Euro. Sein Fahrzeug sei zwar älter als drei Jahre, allerdings scheckheftgepflegt, im Übrigen sei eine Verweisung auf eine freie Werkstatt unzumutbar.

Der Kläger, der zunächst einen Betrag von 2.499,14 Euro eingeklagt hat, beantragt zuletzt:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.523,15 Euro sowie Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 2.409,14 Euro seit Rechtshängigkeit bis zum 27.02.2013 und aus 1.523,15 Euro seit dem 28.02.2013 zu zahlen.

Im Übrigen erklärt der Kläger den Rechtsstreit (vor dem Hintergrund der Teilzahlung von 885,99 Euro)   teilweise   für erledigt.

Der Beklagte schließt sich der teilweisen Erledigungserklärung an. Im Übrigen beantragt der Beklagte:

Klageabweisung.

Der Beklagte trägt vor, dass die erforderlichen Kosten für eine Instandsetzung des BMW lediglich 2.671,44 Euro netto betrügen. Hierbei seien Lohnkosten für Karosseriearbeiten und mechanische Arbeiten in Höhe von 70,50 Euro pro Stunde und Lackierungsarbeiten (inkl. Lackmaterial) in Höhe von 112,70 Euro pro Stunde zu berechnen. Die Einzelheiten ergäben sich aus dem Prüfbericht vom 14.09.2012 (Anlage B1); bei dem durch die regulierungsbeauftrag-te Versicherung benannten Kfz-Meisterbetrieb handele es sich um einen zertifizierten Fachbetrieb für Karosserie- und Lackarbeiten. Die genannten Stundenberechnungssätze seien allgemein und frei zugänglich. Der BMW sei zudem nicht scheckheftgepflegt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger ist aktivlegitimiert. Angesichts der Tatsache, dass die Versicherung nach der eigenen Berechnung 100 % im laufenden Prozess beglichen hat, kann sich der Beklagte nicht mehr mit Erfolg auf eine fehlende Aktivlegitimation berufen. Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, dass der Kläger im Übrigen im Rahmen des Termins vom 26.03.2013 den Originalfahrzeugbrief vorgelegt hat.

Es ist von Nettoreparaturkosten von 4,. 194,59 Euro auszugehen und nicht nur von Nettoreparaturkosten von 2.671,44 Euro.

Der Geschädigte darf seiner fiktiven Schadensberechnung grundsätzlich die üblichen Stundenberechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zu Grunde legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. BGH vom 20.10.2009, Az.; VI ZR 53/09, = BGH ZfS 2010, 143 = VersR 2010, 225). Von diesem Grundsatz ist auch hier auszugehen, obwohl das Fahrzeug des Klägers älter als drei Jahre war.

Zwar kann der Beklagte den Kläger grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht im Sinne von § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen „freien Fachwerkstatt“ verweisen; die gilt insbesondere dann, wenn das geschädigte Fahrzeug älter als drei Jahre ist und nicht scheckheftgepflegt (s. BGH a.a.O.).

Ob das Fahrzeug des Klägers scheckheftgepflegt ist, das heißt, ob es regelmäßig in einer BMW Werkstatt gewartet und erforderlichenfalls repariert wurde, lässt sich der Anlage zum Schreiben des Klägervertreters vom 20.09.2012 (Anlage K6) zwar nicht zweifelsfrei entnehmen.

Es ist aber nicht davon auszugehen, dass die vom Beklagten genannte Reparaturwerkstatt in Markkleeberg für den Kläger mühelos und ohne Weiteres zugänglich war. Zwar gibt es keine starre Kilometergrenze. Gleichwohl hätte der Kläger die Stadt verlassen müssen. Mit 11,3 km (Quelle: Google Maps) ist die Entfernung zur freien Werkstatt auch nicht geringfügig.

Zu bedenken ist zudem, dass der Stundenlohn der BMW Niederlassung Leipzig 143,40 Euro – beträgt, der Stundenlohn der freien Werkstatt dagegen nur 70,50 Euro, mithin weniger als die Hälfte. Dass für weniger als die Hälfte an Stundenlohn die gleiche Qualität geboten wird, widerspricht der Lebenserfahrung. Jedenfalls wäre es für den Kläger nicht zumutbar gewesen, einen Reparaturbetrieb außerhalb Leipzigs zu suchen, dessen Arbeitslohn unter der Hälfte des Arbeitslohnes der markengebundenen Fachwerkstatt liegt.

Eine Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen … wäre auf eine unzulässige Ausforschung hinausgelaufen. Es entspricht gerade dem Wesen der fiktiven Schadensberechnung, dass nicht die Probe aufs Exsempel gemacht werden muss. Es gibt keinen konkreten Anhaltspunkt dafür, dass es für den Kfz-Betrieb des Zeugen tatsächlich möglich gewesen wäre, für einen Arbeitslohn von weniger als die Hälfte tatsächlich nicht nur qualitativ gleichwertig zu arbeiten, sondern auch in derselben Arbeitszeit wie die markengebundene Fachwerkstatt.

Der Kläger hat deshalb Anspruch auf Bezahlung weiterer 1.523,15 Euro.
Die Entscheidung über die Zinsen beruht auf den §§ 286, 288 BGB. Dem Kläger stehen Zinsen aus dem ursprünglichen Hauptsachebetrag von 2.409,14 Euro ab Rechtshängigkeit bis zum 27.02.2013 und im Übrigen aus dem Betrag von 1.523,15 Euro seit dem 28.02.2013 zu.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§91, 91a ZPO. Es ensprach billigem Ermessen, dem Beklagten auch im Hinblick auf die teilweise übereinstimmende Erledigungserklärung die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, da die Klage auch insoweit zulässig und begründet war.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 ZPO.

Und jetzt bitte Eure Kommentare.

Urteilsliste “fiktive Abrechnung” zum Download >>>>>

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1 Antwort zu AG Leipzig entscheidet mit lesenswertem Urteil zur Verweisung auf eine freie Werkstatt bei einem mehr als drei Jahre alten Pkw mit Urteil vom 18.4.2013 – 106 C 7902/12 -.

  1. Dr. D. Stengritz sagt:

    Hier sieht man mal wieder, was gesunder Menschenverstand und ordentliche Lebenserfahrung auch – und gerade – bei Richtern bringen können, nämlich ein Urteil ohne großes juristisches Schnickschnack. Es ist nachvollziehbar, dass Arbeiten, die vermeintlich nur halb so teuer sind wie in der markengebundenen Fachwerkstatt, keineswegs in der gleichen Zeit in einer freien Werkstatt durchgeführt werden können. Teilweise fehlen die entsprechenden Gerätschaften, teilweise fehlen die gerade auf dieses Modell geschulten Fachkräfte. Wegen der Schulungen und der Spezialwerkzeuge ergeben sich gerade die höheren Stundenwerte bei den markengebundenen Fachwerkstätten.

    Nur alleine die Stundensätze vergleichen, bringt gar nichts. Verglichen werden müssen die gedachten Reparaturarbeiten in der markengebundenen Fachwerkstatt, so wie sie der Sachverständige in seinem Gutachten aufgeführt hat, mit den gedachten Reparaturarbeiten in der freien Werkstatt. Zu der gedachten Reparatur gehört auch die Arbeitszeit. Die kann in der freien Werkstatt durchaus mehr betragen als in der markengebundenen Fachwerkstatt. Deshalb sind die preiswerteren Stundensätze in den freien Werkstätten alleine kein Kriterium.

    Das hat der Leipziger Amtsrichter mit gesunder Lebenserfahrung hier festgestellt. Eigentlich müsste, um die beabsichtigten Reparaturen vergleichen zu können, die freie Werkstatt einen verbindlichen Voranschlag über die Arbeiten abgeben. Verbindlich deshalb, damit die Werkstatt an die Angaben mit billigeren Preisen und der entsprechenden Arbeitszeit gebunden ist. Nur so sind – qualitative Gleichwertigkeit mal vorausgesetzt – beide Reparaturmöglichkeiten zu vergleichen.

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