Beschluss des Thüringer OLG zur Frage der Erkundigungspflicht des Geschädigten nach einem günstigeren Tarif

Mit Beschluss vom 17.11.2006 (4 U 61/06) hat das Thüringer OLG zur Frage Stellung bezogen, unter welchen Umständen der Geschädigte seiner Pflicht genügt, sich gegebenenfalls nach einem günstigeren Tarif bei der Anmietung eines Mietfahrzeuges zu erkundigen.

Der Beschluss im Wortlaut:

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Gera vom 22.12.2005, Az: 4 0 544/05, durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Gründe:

Die Berufung der Beklagten hat nach einstimmiger Auffassung des Senats keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ZPO).

Das Landgericht hat die Beklagten im Ergebnis zu Recht zur Zahlung der vom Kläger geltend gemachten Mietwagenkosten verurteilt.

Nach der gefestigten Rechtsprechung das BGH kann der Geschädigte vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer nach § 249 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Der Geschädigte ist dabei ebenso wie bei anderen Kosten der Wieder­herstellung und ebenso wie in anderen Fällen, in denen er die Schadensbeteiligung selbst in die Hand nimmt, nach dem Wirtschaft­lichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadens­behebung zu wählen. Das bedeutet für den Bereich der Mietwagen­kosten, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt -nicht nur für Unfallgeschädigte – erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis ersetzt verlangen kann. Der Geschädigte verstößt allerdings noch nicht allein deshalb gegen seine Pflicht zur Schadensgeringhaltung, weil er ein Kraftfahrzeug zum Unfallersatztarif anmietet, der gegenüber einem „Normaltarif“ teurer ist, soweit die Besonderheiten dieses Tarifs mit Rücksicht auf die Unfallsituation (etwa die Vorfinanzierung, das Risiko eines Ausfalls mit dar Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen durch den Kunden oder das Mietwagen­unternehmen und ähnliches) einen gegenüber dem „Normaltarif“ höherem Preis bei Unternehmen dieser Art aus betriebswirtschaft­licher Sicht rechtfertigen, weil sie auf Leistungen des Vermieters beruhen, die durch die besondere Unfallsituation veranlasst und infolge dessen zur Schadensbehebung nach § 249 BGB erforderlich sind (BGH, Urteile vom 13.06.2006, Az: VI ZR 161/05 = VersR 2006, 1273; vom 09.05.2006, Az: VI ZR 117/05 = NJW 2006, 2106-2107 = VersR 2006, 986-987; vom 14.02.2006, Az: VI ZR 126/05 = VersR 2006, 869-871 jeweils m.w.N.).

Inwieweit dies der Fall ist, hat grundsätzlich der bei der Schadensabrechnung nach § 287 ZPO besonders frei gestellte Tatrichter zu schätzen (BGH, Urteil vom 13.08.2006, aaO, m.w.N.). Er kann die Prüfung darauf beschränken, ob spezifische Leistungen bei der Vermietung an Unfallgeschädigte allgemein einen Aufschlag rechtfertigen wobei unter Umständen auch ein pauschaler Aufschlag auf den „Normaltarif“ in Betracht kommt. In Ausübung des Ermessens nach § 287 ZPO kann der Tatrichter den „Normal­tarif“ auch auf der Grundlage des gewichteten Mittels des „Schwacke-Mietpreisspiegels“ im Postleitzahlengebiet des Geschädigten – gegebenenfalls mit sachverständiger Beratung -ermitteln (BGH Urteil vom 04.07.2006, Az: VI ZR 237/05 = NJW 2006, 2693-2894 = VersR 2006, 1425-1427 m.w.N.).

Die Darlegungs- und Beweislast für die Frage, ob der Aufschlag auf einen günstigeren „Normaltarif“ wegen konkreter unfallbedingter Mehrleistungen des Vermieters objektiv zur Wiederherstellung erforderlich war im Sinne des § 249 BGB, trägt dabei nach allgemeinen Grundsätzen des Beweisrechts der Geschädigte, da es sich um Voraussetzungen für die Höhe seines Schadensersatz­anspruchs handelt (BGH, Urteil vom 14.02.2006. Az: VI ZR 126/05 = VersR 2006, 669-671).

Im Streitfall kann aber dahingestellt bleiben, ob ein mit dem Unfallersatz-Pauschaltarif verbundener Aufschlag „erfor­derlich“ war.

Die Frage, ob ein vom Geschädigten beanspruchter Unfall­ersatztarif aufgrund unfallspezifischer Kostenfaktoren erforderlich ist im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, kann dann offen bleiben, wenn feststeht, dass dem Geschädigten die Anmietung zum „Normaltarif“ nach den konkreten Umständen nicht zugänglich gewesen ist, denn der Geschädigte kann in einem solchen Fall den den „Normaltarif“ übersteigenden Betrag im Hinblick auf die gebotene subjektbezogene Schadensbetrachtung auch dann verlangen, wenn die Erhöhung nicht durch unfallspezifische Kostenfaktoren gerechtfertigt wäre (BGH, Urteil vom 04.07.2006, aaO).

Dies ist hier der Fall. Dem Kläger ist die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs zu einem günstigeren „Normaltarif“ nicht zugänglich gewesen.

Für die Frage der Zugänglichkeit ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen (BGH, Urteil vom 13.06.2006, aaO). Der Geschädigte muss darlegen und erforderlichenfalls beweisen, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen kein wesentlich günstigerer Tarif auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt -zumindest auf Nachfrage – zugänglich war (BGH, Urteil vom 04.07.2006, aaO, m.w.N.). Hierbei handelt e sich nicht um eine Frage der Schadensminderungspflicht im Sinne des § 254 BGB, sondern um eine Anspruchsvoraussetzung, für die der Kläger die Beweislast trägt (BGH, Urteile vom 13.06.2006, aaO; vom 09.05.2006, aaO; vom 14.02.2006, Az: VI ZR 126/05 = VersR 2006, 669-671).

Den Geschädigten trifft grundsätzlich eine Informationspflicht. Ein vernünftiger und wirtschaftlich denkender Geschädigter ist zu einer Nachfrage nach einem günstigeren Tarif schon unter dem Aspekt des Wirtschaftlichkeitsgebots gehalten, wenn er Bedenken gegen die Angemessenheit des ihm angebotenen Unfallersatztarifs haben muss, die sich aus dessen Höhe sowie der kontroversen Diskussion und der neueren Rechtsprechung zu diesen Tarifen ergeben können. Auch liegt eine Nachfrage im eigenen Interesse des Geschädigten, weil er andernfalls Gefahr läuft, dass ihm ein überhöhter Unfallersatztarif nicht in vollem Umfang erstattet wird (BGH, Urteil vom 04.07.2006, aaO). Dabei kann es je nach Lage des Einzelfalls auch erforderlich sein, sich anderweitig nach günstigeren Tarifen zu erkundigen. Der Geschädigte kann unter Umständen zur Einholung von ein oder zwei Konkur­renzangeboten gehalten sein. In diesem Zusammenhang kann eine Rolle spielen, wie schnell der Geschädigte ein Ersatz­fahrzeug benötigt. Allein das allgemeine Vertrauen darauf, der ihm vom Autovermieter und der Reparaturwerkstätte angebotene Tarif sei „auf seine speziellen Bedürfnisse zuge­schnitten“, rechtfertigt es dagegen nicht, zu Lasten des Schädigers und dessen Haftpflichtversicherers ungerechtfertigt Überhöhte und nicht durch unfallbedingte Mehrleistungen des Vermieters gedeckte Unfallersatztarife zu akzeptieren (BGH, Urteil vom 04.07.2006, aaO; vom 13.06.2006. aaO, vom 09.05.2006, aaO; vom 14.02.2006, Az: VI ZR 126/05 = VersR 2006, 669-671).

Der Kläger durfte auf die Angemessenheit des ihm ange­botenen Unfallersatz-Pauschaltarifs vertrauen. Er ist seiner Informationspflicht ausreichend nachgekommen, denn er hatte sich von seinem Autovermieter Preislisten anderer Autover­tretungen vorlegen lassen und die Preise der Autovermietung … – so seine Feststellung – waren üblich und angemessen; dies hat er erstinstanzlich vorgetragen (Seite 3 seines Schrift­satzes vom 06.06.200) und dies ist von den Beklagten weder erstinstanzlich noch mit der Berufung bestritten worden.

Nach alldem legt der Senat den Beklagten die Rücknahme ihrer Berufung innerhalb der Stellungsnahmefrist – nicht zuletzt aus Kostengründen – nahe.

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