Die 130%-Grenze und die Beschwerdeentscheidung des LG Augsburg

Es ist mittlerweile hinlänglich bekannt, dass die HUK-Coburg Hunderte von Richtersprüchen missachtet und immer noch über ihre Rechtsanwälte in Gerichtsverfahren die Prozessbeteiligten glauben machen will, nur sie, die HUK-Coburg, verhalte sich rechtmäßig und gesetzeskonform.

Zum obigen Thema hat die HUK-Coburg vor dem Amts- und Landgericht Augsburg erneut eine empfindliche Niederlage erlitten.

Zunächst hatte sich die HUK-Coburg als beklagte Partei vor dem AG Augsburg am 20.08.08 eine Kostenentscheidung zu ihren Lasten eingefangen. In diesem Teilanerkenntnis- und Endurteil wurden der beklagten HUK-Coburg Allg. Vers. AG sämtliche Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Sie wurde eingangs verurteilt, an die Klägerin 2.251,80 € nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe zu zahlen. Außerdem wurde die HUK-Coburg zur Tragung der Rechtsanwaltskosten verurteilt.

Es ging um einen 130%-Grenzfall. Die HUK-Coburg meinte, nur auf Basis des Wiederbeschaffungsaufwandes abrechnen zu müssen und der Klägerin die Übernahme der Reparaturkosten verweigern zu dürfen. Offensichtlich hatte sich die HUK-Coburg ausgerechnet, die Klage, die vor Ablauf der 6-Monats-Frist erhoben worden war, nach Ablauf der 6-Monats-Frist sofort mit der Kostenfolge des § 93 ZPO anerkennen zu können. Diese Strategie scheiterte.

Das AG Augsburg führt im Urteil aus: „Ein sofortiges Anerkenntnis liegt nur dann vor, wenn der Klageanspruch sofort anerkannt wird, d. h. im frühen ersten Termin noch vor Verlesung der Sachanträge, im schriftlichen Verfahren bereits in der ersten Erwiderung (vgl. Anmerkung 4 zu § 93 ZPO).

Der Beklagten ist mit ihrer Rechtsauffassung, das es der Geschädigte ist, der bei einem Begehren von 30% über dem Wiederbeschaffungswert liegenden Reparaturkosten sein Integritätsinteresse nachweisen muss, beizupflichten. Nach Auffassung des Gerichts dokumentiert der Geschädigte dieses Integritätsinteresse ausreichend dadurch, dass er sein Fahrzeug in einer Fachwerkstatt reparieren lässt, selbiges weiter nutzt und gegenüber dem Versicherer darlegt, dass er das Fahrzeug auch über die 6-Monats-Grenze hinaus, die die Rechtsprechung setzt, weiter nutzen wird.

Das Kostenrisiko für eine auch vor Ablauf der 6-Monats-Frist erhobene Klage hat allerdings der Versicherer, hier die Beklagte, zu tragen. Andernfalls und unterstellt, es handele sich bei dem Ablauf der 6-Monats-Frist um eine Fälligkeitsvoraussetzung, könnte der Geschädigte vor Ablauf der 6-Monats-Frist eine Klage gar nicht erheben.“

Diese Ausführungen sind von der HUK-Coburg mit der Beschwerde angegriffen worden. Das LG Augsburg hat in der Beschwerdeentscheidung dazu Folgendes ausgeführt: „Die Auffassung der Beklagten ist zwar insofern zutreffend, als der Geschädigte nach der Rechtsprechung des BGH (BGH NjW 2008, 439 f., 437 f. und zuletzt BGH NJW 2008, 937 f.) sein für den Zuschlag von bis zu 30% erforderliches Integritätsinteresse regelmäßig dadurch hinreichend zum Ausdruck bringt, dass er das Fahrzeug nach der Reparatur für einen längeren Zeitraum nutzt. Wenn nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung rechtfertigen kommt es hierbei auf einen Zeitraum von 6 Monaten an. Daraus folgt indes nicht, dass ein Anspruch des Geschädigten auf vollständigen Ersatz seines Schadens erst nach Ablauf dieser Frist fällig wird. In den den Entscheidungen des BGH zugrunde liegenden, mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbaren Konstellationen ging es nicht darum, wann der Anspruch des Geschädigten fällig wird, sondern alleine um die Frage, wie lange der Geschädigte sein Fahrzeug weiter nutzen muss, um sein Integritätsinteresse hinreichend zum Ausdruck zu bringen, mithin um den Nachweis derselben. Nur darüber hat der BGH entschieden.

Dass der Geschädigte in jedem Fall die zulässige Reparatur seines Fahrzeugs im Rahmen der 130%-Grenze bis zum Ablauf der Frist vorfinanzieren  muss, ist der Rechtsprechung des BGH nicht zu entnehmen (vgl. zum ganzen auch Wittschier, NJW 2008, 898, 899 m. w. N.).

Das für einen Anspruch auf vollständige Erstattung der Reparaturkosten innerhalb der 130%-Grenze im Totalschadensfall erforderliche Integritätsinteresse hatte die Klägerin hier ausreichend dargelegt. DIe Klägerin hat ihr Fahrzeug vollständig fachgerecht reparieren lassen und tatsächlich weiter benutzt. Anhaltspunkte dafür, dass sie das Fahrzeug nur eine kürzere Zeit als 6 Monate weiter nutzen wollte, bestanden von Anfang an nicht. Vielmehr hat die Klägerin im Schriftsatz vom 10.04.08, Seite 4, ausdrücklich erklärt, den PKW selbst weiter zu nutzen, und hat dies letztlich auch im Schriftsatz vom 25.07.08 durch Vorlage einer Halterauskunft belegt.

Das danach abgegebene Anerkenntnis kommt aber zu spät, weil der Nachweis des Integritätsinteresses nach Auffassung der Kammer nicht im Zusammenhang mit der Fälligkeit der Forderung steht.

Soweit der Versicherer dem Geschädigten nicht glaubt, er wolle das Fahrzeug nach der Reparatur weiter benutzen, so trägt dieser auch das Risiko dafür, dass dem Geschädigten letztlich – wie auch in anderen Klageverfahren – im Prozess der Nachweis seines Integritätsinteresses gelingt. Der Versicherer wird sich schon bei der Verteidigung gegen die Klage überlegen müssen, ob er anerkennt oder das angeführte Risiko auf sich nimmt.“

Dieser Beschluss des LG Augsburg trägt das Aktenzeichen 4 T 3745/08. Das Urteil des AG Augsburg trägt das Aktenzeichen 74 C 967/08.

Beide Entscheidungen können gerne hier angefordert werden.

Die Gründe, die die Augsburger Richter hier in ihren Entscheidungen niedergelegt haben, stellen eine nach gerade zu lehrbuchmäßige Analyse der einschlägigen BGH-Urteile dar und entlarven die Argumentiererei der HUK-Coburg als das, was sie ist, nämlich als eine schlichte Fehlinterpretation der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Mir ist diesbezüglich bereits zu Ohren gekommen, dass es insoweit sogar sog. Fehlinterpretations-anweisungen geben soll, also Anweisungen an Schadenssachbearbeiter, wie vorgegeben gezielt BGH-Urteile fehlzuinterpretieren und nach diesen Fehlinterpretationen das Regulierungsverhalten, insbesondere die Schadensersatzzahlungen, auszurichten sind.

Auch war bereits zu hören, dass Richter am BGH mittlerweile äußerst ungehalten über diesen, auch ihnen zu Ohren gekommenen Unsinn, geworden sind.

Ich  kann allen in der Unfallschadensabwicklung tätigen Rechtsanwälten nur empfehlen, in ihre Schriftsätze die Urteilslisten dieses Internetblogs als festen Textbaustein und Bestandteil einzupflegen und maßgebliche Passagen aus richtungsweisenden Entscheidungen wie den beiden vorliegenden wörtlich wieder zu geben.

 

Mitgeteilt von Peter Pan im Dezember 2008

Urteilsliste “130%-Regelung” zum Download >>>>>

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3 Antworten zu Die 130%-Grenze und die Beschwerdeentscheidung des LG Augsburg

  1. willi wacker sagt:

    Hi Peter Pan,
    eine vorbildliche Entscheidung sowohl des AG als auch des LG Augsburg. Danke für den obigen Bericht. Ich werde diesen bei entsprechenden Schriftsätzen mit einbauen.
    MfG
    Willi Wacker

  2. Joachim Otting sagt:

    Tach Peter Pan,

    beides bitte auf bekanntem Wege zu mir, mail, Fax oder Post.

    Danke vorab

    Joachim Otting

  3. RA Bernhard Troegl sagt:

    nachdem die Urteile durch unsere Kanzlei erstritten wurden, stehen wir für nähere Erläuterungen hierzu auch gerne zur Verfügung.

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