IX. Zivilsenat des BGH entscheidet zur Bedeutung des § 287 ZPO mit Revisionsurteil vom 19.9.1985 – IX ZR 138/84 – .

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserschaft,

zum bevorstehenden Wochenende veröffentlichen wir für Euch hier noch ein Revisionsurteil des IX. Zivilsenates des BGH zum § 287 ZPO. Zutreffend hat der erkennende Senat ausgeführt, dass nach § 287 Abs. 1 ZPO über die Entstehung und die Höhe eines Schadens unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung entscheiden werden kann. Keineswegs ist damit eine Kürzung des Schadensersatzanspruchs (auch die Belastung mit einer Zahlungsverpflichtung kann ein Schaden sein) gemeint. Zwar ist das erkennende Gericht frei; diese Freiheit kann aber nicht dazu führen, den durch Rechnungen belegten Schadensersatzanspruch des Klägers freihändig zu minimieren, da es sich bei § 287 ZPO um eine Norm zugunsten des Klägers handelt. Lest selbst das Revisionsurteil vom 19.9.1985 und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab. 

Viele Grüße und ein schönes Wochenende
Willi Wacker

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

IX ZR 138/84                                                                      Verkündet am: 19. September 1985

In dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 19. September 1985 durch die Richter Fuchs, Zorn, Gärtner, Winter und Dr. Graßhof

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 4. Juli 1984 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Kläger fordern von dem Beklagten Schadensersatz, weil er die ihm als Notar obliegende Prüfungs- und Belehrungspflicht verletzt habe.

Der Beklagte beurkundete am 19. September 1979 im Auftrag der Kläger und der Firma M.-B.-Mü. GmbH & Co. KG, die zu diesem Zeitpunkt bereits als M.-B.-Aktiengesellschaft und Co. KG firmierte (im folgenden: Firma M.), das Angebot der Kläger, ein Baugrundstück an eine oder mehrere Personen zu verkaufen, die die Firma M. benennen sollte. Das Angebot war bis zum 15. November 1979 befristet. § 18 der notariellen Urkunde lautet:

„Für den Fall der Nichtannahme des Kaufangebotes durch den Käufer erhält der Verkäufer für die Vorhaltung des Grundstücks für die Zeit ab 19. September 1979 bis zur Kenntnisgabe der Nichtannahme bzw. Verfall der Optionsfrist 3 % über den jeweiligen Bundesbankdiskontsatz, mindestens 8 % von 2.250.000 DM. Dieser Betrag ist sofort fällig und von der Firma M.-B.-Mü. Gesellschaft mit beschränkter Haftung & Co. Kommanditgesellschaft oder deren Rechtsnachfolger zu zahlen. …“

Nachträglich vereinbarten die Kläger und die Firma M. eine Verlängerung der Angebotsfrist bis 20. Dezember 1979 und setzten dabei den Zinssatz der nach § 18 des Angebots zu zahlenden Optionsentschädigung auf 9 % für die Zeit vom 19. September bis 15. November 1979 und auf 10 % für die Zeit vom 16. November bis 20. Dezember 1979 fest. Der Beklagte war über diese Vereinbarungen unterrichtet; sie wurden jedoch nicht beurkundet.

Der Verkauf des Grundstücks kam nicht zustande. Die Parteien gelangten nach Prüfung der Rechtslage zu dem Ergebnis, eine Klage gegen die Firma M. auf Zahlung der Optionsentschädigung sei aussichtslos, weil die Vereinbarungen darüber nicht notariell beurkundet worden seien.

Die Kläger verlangen nunmehr von dem Beklagten Schadensersatz in Höhe der mit der Firma M. vereinbarten Optionsentschädigung. Sie machen geltend, der Beklagte habe sie anläßlich der Beurkundung des Verkaufsangebots pflichtwidrig nicht darüber belehrt, daß zur wirksamen Vereinbarung der Optionsentschädigung die Vertragserklärungen beider Vertragsteile notariell beurkundet werden müßten. Wäre die Belehrung erfolgt, hätte auch die Firma M. ihre Verpflichtungserklärung beurkunden lassen.

Der Beklagte bestreitet, daß den Klägern ein Schaden entstanden sei. Er behauptet dazu, die Firma M. und ihre persönlich haftende Gesellschafterin seien seit November 1979 zahlungsunfähig und vermögenslos. Die Kläger hätten daher einen Anspruch auf die Optionsentschädigung nicht verwirklichen können. Außerdem macht er ein Mitverschulden der Kläger geltend.

Das Landgericht verurteilte den Beklagten durch Versäumnisurteil antragsgemäß zur Zahlung von 53.375 DM nebst 12 % Zinsen seit 12. April 1982. Der Einspruch des Beklagten führte lediglich zur Herabsetzung des Zinsanspruchs auf 4 %. Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg.

Mit der Revision erstrebt er weiterhin die volle Abweisung der Klage. Die Kläger beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

I.

1. Zutreffend nimmt der Berufungsrichter an, daß der Beklagte anläßlich der Beurkundung des Vertragsangebots der Kläger am 19. September 1979 schuldhaft Prüfungs- und Belehrungspflichten verletzt hat, die ihm als Notar gegenüber den Klägern oblagen.

Die Vereinbarung einer Entschädigung dafür, daß die Kläger ihr Grundstück für Baubewerber der Firma M. auf bestimmte Zeit reservierten und ihnen ein Optionsrecht in der Form eines befristeten Verkaufsangebots einräumten, bedurfte gemäß § 313 Satz 1 BGB notarieller Beurkundung (RGZ 53, 236, 238 f; 62, 411, 414 f; 169, 65, 71 f; RG HRR 1930 Nr. 1099; vgl. auch BGH, Urt. v. 31. Januar 1961 – V ZR 6/60, LM BGB § 313 Nr. 19; BGB-RGRK/Ballhaus, 12. Aufl. § 313 Rdnr. 44). Zur Wahrung der Form genügte die Beurkundung des Angebots der Kläger nicht. Vielmehr mußte auch die Verpflichtungserklärung der Firma M. als Bestandteil der formbedürftigen Vereinbarung beurkundet werden. Das gilt sowohl für die ursprüngliche Vereinbarung wie die späteren Änderungen. Die nicht beurkundeten Vereinbarungen waren gemäß § 125 Satz 1 BGB nichtig.

Dies hätte der Beklagte bei der gebotenen Prüfung der Rechtslage erkennen und die Vertragsbeteiligten entsprechend belehren müssen (vgl. § 17 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BeurkG). Das Unterlassen der notwendigen Belehrung stellt – wie die Revision nicht bezweifelt – eine fahrlässige Amtspflichtsverletzung gegenüber den Klägern dar, die den Beklagten gemäß § 19 Abs. 1 BNotO zum Schadensersatz verpflichtet, sofern die Kläger dadurch geschädigt worden sind.

2. Ohne Rechtsfehler verneint das Berufungsgericht ein Mitverschulden der Kläger. Auch das greift die Revision nicht an.

II.

Die Entscheidung hängt somit allein davon ab, ob den Klägern infolge der Amtspflichtsverletzung des Beklagten ein Schaden in der von ihnen behaupteten Höhe entstanden ist.

1. Dazu stellt der Berufungsrichter unbeanstandet fest, daß die Kläger und die Firma M. die Vereinbarungen über die Optionsentschädigung hätten notariell beurkunden lassen, wenn der Beklagte sie pflichtgemäß auf das Formerfordernis hingewiesen hätte. Die Kläger hätten dann mit dem fruchtlosen Ablauf der Angebotsfrist am 20. Dezember 1979 einen Anspruch gegen die Firma M. auf Zahlung der vereinbarten Entschädigung von (unstreitig) 53.375 DM erworben. Folge der Pflichtverletzung des Beklagten war, daß die Kläger diesen Anspruch nicht erlangten.

2. Der Berufungsrichter nimmt weiter an, der Schaden der Kläger entspreche der Höhe des nicht erworbenen Anspruchs. Er wertet den Vortrag des Beklagten, der Anspruch wäre wegen der wirtschaftlichen Lage der Firma M. und ihrer persönlich haftenden Gesellschafterin nicht zu verwirklichen gewesen, als Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens, der nur durchgreife, wenn feststände, daß der den Klägern entstandene Schaden auch bei rechtmäßigem Verhalten des Beklagten eingetreten wäre. Das setze voraus, daß die Firma M. seit dem Zeitpunkt, in dem sie zur Zahlung der vereinbarten Entschädigung verpflichtet gewesen wäre, bis heute den fraglichen Betrag oder einen geringeren nicht hätte aufbringen können und auch in Zukunft dazu nicht in der Lage sei. Das habe der Beklagte, den hierfür die Darlegungs- und Beweislast treffe, nicht ausreichend vorgetragen.

Seine Behauptung, die Firma M. sei Ende 1979/Anfang 1980 in finanzielle Schwierigkeiten geraten und habe ihre werbende Tätigkeit eingestellt, belege noch nicht, daß sie die 53.375 DM oder zumindest einen Teilbetrag davon nicht hätte zahlen können. Der Beklagte habe in der Klageschrift gegen die Firma M., die er am 27. Februar 1980 für die Kläger verfaßt habe, selbst ausgeführt, er bitte um umgehende Terminsanberaumung, weil zu befürchten sei, daß die Firma M. die ihr obliegenden Zahlungen verzögern wolle. Er sei also damals selbst nicht davon ausgegangen, die Firma M. sei zahlungsunfähig. Die Klage sei nur unterblieben, weil sie aus Rechtsgründen aussichtslos gewesen wäre. Aus dem Umstand, daß die Firma M. durch das Vorstandsmitglied Gosing am 25. Februar 1982 die eidesstattliche Offenbarungsversicherung abgegeben habe, ergebe sich nicht, daß die Firma M. während der Zeit von Anfang 1980 bis 25. Februar 1982 nicht in der Lage gewesen wäre, bestehende Forderungen der Kläger ganz oder teilweise zu erfüllen, zumal der Betrag von 53.375 DM verhältnismäßig gering sei. Auch insoweit sprächen die Angaben des Beklagten in der von ihm verfaßten Klageschrift gegen eine vollständige Zahlungsunfähigkeit der Firma M. Von Bedeutung sei ferner, daß die Firma M. im Juli 1980 den Antrag vom April 1980 auf Eröffnung des Vergleichsverfahrens zurückgenommen habe, ohne daß ein Konkursverfahren eingeleitet worden sei. Es sei deshalb nicht naheliegend, daß sie von Ende 1979 bis zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung keinerlei Zahlungen mehr geleistet haben solle. Wie sich ihr Vermögensstand bis zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung entwickelt habe, sei dem Vortrag des Beklagten nicht zu entnehmen. Seine Behauptung, die Geltendmachung der Optionsentschädigung gegen die Firma M. hätte zu deren Konkurs geführt, schließe nicht aus, daß die Kläger dennoch vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch hätten befriedigt werden können. Es sei auch nicht klargestellt, ob die Kläger nicht im Konkursverfahren – zumindest teilweise – Befriedigung erlangt hätten. Darüber hinaus habe der Beklagte sich zum Beweis für diese Behauptung nur auf nicht näher bezeichnete Zwangsvollstreckungsakten bezogen; damit könne die Behauptung nicht bewiesen werden. Erkennbar unzureichend sei die weitere Behauptung, auch die persönlich haftende Gesellschafterin der Firma M., die M.-B.-Mü. AG, sei damals bereits notleidend gewesen und habe ihre Verpflichtungen nicht erfüllen können. Schließlich habe der Beklagte nicht vorgetragen, daß auch in Zukunft keine Zahlungsfähigkeit der Firma Medico mehr zu erwarten sei. Insoweit komme dem Umstand Bedeutung zu, daß die Firma M. noch immer fortbestehe.

Die Ausführungen des Beklagten belegten, daß es sich bei seiner Behauptung, die Firma M. sei seit Ende 1979 ständig zahlungsunfähig, um eine reine Vermutung handle. Sie gründe sich allein auf Ereignisse in den Jahren 1979 und 1982, die nicht zwingend zu den Folgerungen des Beklagten führten. Eine Beweiserhebung komme deshalb nicht in Betracht. Die von dem Beklagten beantragte Vernehmung des Zeugen Gosing wäre als Ausforschungsbeweis unzulässig. Der Beklagte hätte sich weitere Informationen über die Vermögenslage der Firma M. beschaffen müssen, um seine Behauptung näher zu begründen.

Gegen diese Ausführungen bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.

a) Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob und inwieweit der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens gegenüber einem Schadensersatzanspruch erhoben werden kann (vgl. dazu BAG NJW 1980, 2375; 1981, 2430; 1984, 2846). Diesen Einwand erhebt der Beklagte nicht. Er liegt vor, wenn der Schädiger geltend macht, derselbe Schaden, der durch sein rechtswidriges Verhalten verursacht worden sei, wäre sonst durch pflichtgemäßes Verhalten herbeigeführt worden. Darum geht es hier nicht. Die Einbuße, die die Kläger infolge der Pflichtverletzung des Beklagten erlitten haben, besteht darin, daß sie einen Rechtsanspruch gegen die Firma Medico auf die formungültig vereinbarte Optionsentschädigung nicht erworben haben. Die Feststellungen des Berufungsgerichts ergeben, daß diese Einbuße bei pflichtgemäßem Verhalten des Beklagten gerade nicht eingetreten wäre; etwas anderes behauptet auch der Beklagte nicht.

Er macht geltend, die Kläger hätten ein Recht ohne wirtschaftlichen Wert eingebüßt. Ist – wie hier – eine Naturalrestitution (§ 249 Satz 1 BGB) nicht möglich, kann der Geschädigte statt dessen nach § 251 Abs. 1 BGB eine Geldentschädigung fordern, wenn der Geldwert seines Vermögens gemindert ist. Eine wegen der Vermögenslage des Schuldners auf Dauer uneinbringliche Forderung hat keinen Geldwert. Ihr Verlust verringert den Wert des Vermögens des Geschädigten nicht. Der Beklagte bestreitet also das Vorliegen eines in Geld zu ersetzenden Schadens der Kläger.

b) Die unrichtige rechtliche Einordnung des Beklagtenvortrags wirkt sich auf die Beurteilung der Darlegungs- und Beweislast durch den Berufungsrichter aus. Für die Entstehung und die Höhe eines Schadens trägt grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast, wer Schadensersatz fordert. Nicht der Beklagte muß daher darlegen und beweisen, daß ein Anspruch der Kläger auf Optionsentschädigung auf Dauer uneinbringlich wäre. Vielmehr obliegt den Klägern der Beweis, daß der Nichterwerb des Anspruchs eine in Geld meßbare Vermögenseinbuße darstellt.

Dem Berufungsurteil ist nicht zu entnehmen, daß der Berufungsrichter diesen Beweis als geführt ansieht. Er stellt nicht positiv fest, daß die Kläger den Anspruch auf Optionsentschädigung hätten verwirklichen können, wenn sie ihn wirksam vereinbart hätten. Er hält lediglich das Gegenteil für nicht ausreichend dargetan und unter Beweis gestellt und lastet dem Beklagten die verbliebene Ungewißheit an. Damit fehlt es an einer ausreichenden Schadensfeststellung.

c) Aufgrund der unzutreffenden Auffassung, den Beklagten treffe die Darlegungs- und Beweislast für die Uneinbringlichkeit der Forderung, überspannt der Berufungsrichter auch die Anforderungen an den Tatsachenvortrag des Beklagten. Er verlangt von ihm eine vollständige Darstellung der Vermögenslage der Firma M. und ihrer persönlich haftenden Gesellschafterin seit dem 20. Dezember 1979 und eine begründete Vorausschau über deren zukünftige Entwicklung. Da der Vortrag des Beklagten dem nicht entspricht, hält er die Behauptung, der Anspruch auf Optionsentschädigung wäre auf Dauer uneinbringlich, als „reine Vermutung“ für unbeachtlich und den dazu angetretenen. Zeugenbeweis für einen unzulässigen Ausforschungsbeweis. Das ist nicht richtig.

Wie auch der Berufungsrichter nicht verkennt, ist die Behauptung des Beklagten, die Firma M. hätte die Optionsentschädigung nicht bezahlen können, an sich geeignet, den Klageanspruch zu Fall zu bringen. Der Beklagte hat die behauptete Tatsache selbst in das Wissen des Zeugen Gosing gestellt; er wollte durch die Vernehmung des Zeugen nicht erst beweiserhebliche Tatsachen erfahren, um sie dann zur Grundlage eines neuen Parteivortrags machen zu können. Der Beweisantrag bezweckte also nicht einen Ausforschungsbeweis (vgl. BGH, Urt. v. 30. September 1964 – VIII ZR 302/62, LM ZPO § 282 a.F. Nr. 1).

Das Berufungsgericht nimmt zu Unrecht Anstoß daran, daß Grundlage der Behauptung eine Vermutung ist. Häufig muß eine Partei Tatsachen behaupten, über die sie eine genaue Kenntnis nicht haben kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Von Rechts wegen ist sie grundsätzlich nicht gehindert, solche Behauptungen in den Prozeß einzuführen und eine Beweisaufnahme darüber zu erwirken. Eine Behauptung ist nach § 138 Abs. 1 ZPO erst dann unbeachtlich, wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt, daß die Partei selbst nicht an ihre Richtigkeit glaubt, oder das Gericht sie für eine willkürliche, ohne greifbare Anhaltspunkte ausgesprochene Vermutung hält, die Behauptung also nach Auffassung des Gerichts „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist (vgl. BGH a.a.O. und Urt. v. 14. März 1968 – II ZR 50/65, LM ZPO § 138 Nr. 11). Diese Voraussetzungen hat der Berufungsrichter nicht festgestellt. Der Beklagte hat Tatsachen vorgetragen, die geeignet sind, nicht von der Hand zu weisende Zweifel an der Zahlungsfähigkeit der Firma M. hervorzurufen: die Einstellung der werbenden Tätigkeit Ende 1979/Anfang 1980, den Vergleichsantrag vom April 1980 und die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung im Februar 1982. Daß diese Anzeichen nicht zwingend auf eine dauernde Zahlungsunfähigkeit seit Dezember 1979 schließen lassen, macht die darauf gegründete Behauptung des Beklagten nicht prozessual unbeachtlich.

Auch wenn der Schädiger den Schaden wirksam bestreitet und dazu einen zulässigen Beweis antritt, muß der Tatrichter freilich nicht unter allen Umständen Beweis erheben.  Nach § 287 Abs. 1 ZPO kann er über Entstehung und Höhe eines Schadens (Hervorhebung durch den Autor!) unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung entscheiden. Es bleibt seinem Ermessen überlassen, ob und inwieweit er eine beantragte Beweisaufnahme anordnen will.

Bei dieser Entscheidung kann er berücksichtigen, welches Gewicht den Angaben des Schädigers zukommt, mit denen dieser die Entstehung oder die Höhe eines Schadens bestreitet. Der Tatrichter überschreitet aber die Grenzen seines Ermessens, wenn er dabei die sich aus dem materiellen Recht ergebende Verteilung der Darlegungs- und Beweislast unberücksichtigt läßt. § 287 ZPO ändert nichts daran, daß der Schadensnachweis grundsätzlich dem obliegt, der Schadensersatz fordert. Der Gegner kann sich darauf beschränken, den Schaden zu bestreiten. Nicht der Beklagte muß darum in allen Einzelheiten den Nachweis führen, daß die Schuldnerin der Optionsentschädigung zahlungsunfähig gewesen wäre. Vielmehr muß seine Verteidigung schon dann Erfolg haben, wenn nicht von der Hand zu weisende Zweifel an der Zahlungsfähigkeit verbleiben. Es genügt daher, daß er Umstände dargelegt hat, die solche Zweifel begründen können. Mehr war von ihm nicht zu erwarten. Weitere Einzelheiten über die Vermögenslage der Firma Medico und ihrer persönlich haftenden Gesellschafterin waren ihm nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht bekannt. Zu Nachforschungen war er nicht verpflichtet. Konnte das Berufungsgericht wegen der von dem Beklagten vorgetragenen Umstände nicht die volle Überzeugung von der Zahlungsfähigkeit der Firma M. oder ihrer persönlich haftenden Gesellschafterin gewinnen, so durfte es den Beklagten nicht zu dem von den Klägern geforderten Geldersatz verurteilen.

III.

Der Sachverhalt bedarf deshalb einer neuen tatrichterlichen Würdigung unter Beachtung der vorstehend dargelegten rechtlichen Gesichtspunkte. Das Berufungsurteil wird deshalb aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Fuchs                                                Zorn                                              Gärtner
.                            Winter                                             Graßhof

Vorinstanzen:
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 04.07.0984
LG Frankfurt am Main

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