IX. Zivilsenat entscheidet im Rahmen des § 287 ZPO zur Darlegungs- und Beweiserleichterung bezüglich eines Schadens mit Revisionsurteil vom 23.10.2003 – IX ZR 249/02 -.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,

nach dem Urteil des AG Halle an der Saale stellen wir Euch hier wieder einmal ein Urteil des BGH zur Darlegungs- und Beweiserleichterung des Klägers im Rahmen des § 287 ZPO vor, bei dem sogar noch der Anscheinsbeweis eine Rolle spielt. Diese gesetzeskonforme Rechtsprechung des IX. Zivilsenates des BGH passt so gar nicht zu der neueren Rechtsprechung des VI. Zivilsenats im Zusammenhang mit dessen Ansicht vom besonders freigestellten Tatrichter im Rahmen des § 287 ZPO. Was denkt Ihr? Lest daher selbst das Revisionsurteil des IX. Zivilsenates des BGH und gebt bitte Eure – sachlichen – Ansichten dazu bekannt.  

Viele Grüße
Willi Wacker

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

IX ZR 249/02                                                                          Verkündet am: 23. Oktober 2003

in dem Rechtsstreit

BGH, Urteil vom 23. Oktober 2003 – IX ZR 249/02 – OLG Hamm
.                                                                                 LG Münster

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. Oktober 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter Dr. Fischer, Dr. Ganter, Kayser und Vill

für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 6. September 2002 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die klagenden Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, sind Eigentümer eines mit einem Wohn- und Geschäftshaus bebauten Grundstücks, das betrieblich und privat genutzt wird. Bis zum 30. Juni 1995 betrieb der Kläger zu 2) dort einen Einzelhandel mit Schuhen nebst Reparaturwerkstatt. Zum 1. Juli 1995 verpachtete er die betrieblich genutzten Räume an seine Tochter, der er auch den Warenbestand und das Inventar verkaufte. Diese führt das Schuhgeschäft fort. Später beauftragten die Kläger den beklagten Steuerberater zu prüfen, ob der Kläger zu 2) die Betriebsaufgabe erklären könne. Der Beklagte errechnete anstatt des tatsächlich gegebenen Aufgabegewinns einen Aufgabeverlust von 402.940,19 DM und belehrte die Kläger dahin, daß im Falle der Betriebsaufgabe keine Steuerlast anfalle. Daraufhin entschlossen sich diese zur Betriebsaufgabe, die der Kläger zu 2) mit Schreiben des Beklagten vom 12. März 1997 rückwirkend zum 31. Dezember 1996 erklärte. Nach dem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1996 hatten die Kläger keine Einkommensteuer zu zahlen.

Anläßlich einer im Jahre 1998 durchgeführten Betriebsprüfung ermittelte das Finanzamt unter Aufdeckung stiller Reserven einen Aufgabegewinn in Höhe von 610.241 DM und setzte eine Steuerschuld nebst Nachzahlungszinsen in Höhe von 139.888,44 DM gegen die Kläger fest. Diese glichen die Steuerschuld später mit Hilfe eines von ihnen aufgenommenen verzinslichen Darlehens aus (Gesamtbetrag: 142.362,44 DM). Vorprozessual nahmen sie die Hilfe eines Rechtsanwalts in Anspruch, der für seine Bemühungen eine Besprechungsgebühr in Rechnung stellte.

Die Kläger begehren von dem Beklagten Schadensersatz in Höhe der erbrachten Steuernachzahlung nebst Zinsen und Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt 142.362,44 DM sowie der vorprozessual entstandenen Rechtsverfolgungskosten. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht sieht die schuldhaft begangene Pflichtverletzung des Beklagten darin, daß er den Entnahmegewinn abweichend von § 16 Abs. 2 EStG berechnet habe. Er habe die nach der Bilanz vom 31. Dezember 1996 bestehenden Schulden der Kläger von dem Verkehrswert des anteilig bilanzierten Grundstücks abgezogen, was zu dem rechnerischen Aufgabeverlust geführt habe. Gemäß § 16 Abs. 2 EStG hätte er dagegen die Differenz zwischen dem Aufgabeendvermögen (Aktivvermögen des Betriebes abzüglich Schulden) und dem Aufgabeanfangsvermögen (Kapital laut Bilanz vom 31. Dezember 1996) berechnen und – wie später das Finanzamt – einen Entnahmegewinn ermitteln müssen. Wegen des der Einkommensteuer unterliegenden Entnahmegewinns hätte er von der Betriebsaufgabe abraten müssen. In diesem Fall hätte der Kläger zu 2) den ruhenden Gewerbebetrieb auf Dauer nicht aufgegeben. Dafür spreche schon der Grundsatz beratungsgerechten Verhaltens. Die stillen Reserven wären dann nicht realisiert worden.
Die entstandene steuerliche Belastung durch die erklärte Betriebsaufgabe stelle einen ersatzfähigen Vermögensschaden dar. Dem stehe nicht entgegen, daß die Vorschriften über den Verzicht auf eine sofortige Realisierung stiller Reserven keine endgültige Befreiung von der Versteuerung bedeuteten, sondern nur deren Aufschub. Daß der Betrieb „latent“ mit dieser Steuerschuld belastet gewesen sei, lasse den Schaden grundsätzlich nicht entfallen, sondern betreffe die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise eine Schadenszurechnung ausscheide. Im Streitfall habe der Beklagte keinen Umstand aufgezeigt, der gegen eine unbefristete Fortführung des (ruhenden) Gewerbebetriebs des Klägers zu 2) spräche. Die Vermutung des Beklagten, die Kläger hätten die stillen Reserven durch eine Veräußerung des Hausgrundstücks ohnehin alsbald aufgedeckt, sei rein spekulativ und deshalb unbeachtlich.

Die Kläger könnten auch die Erstattung der von ihnen aufgewendeten Anwaltsgebühren verlangen.

II.

Demgegenüber rügt die Revision:

Bei objektiver Gesamtbetrachtung der Vermögenslage mit und ohne Aufdeckung der stillen Reserven werde der Steuerpflichtige durch die Aufdeckung nicht schlechter gestellt. Sie führe nur zur Realisierung des vorhandenen Vermögens, nicht zu dessen Schädigung. Der geforderte Schadensersatz widerspreche dem Steuerstundungseffekt. Die aufgrund der Zweckbindung des Wirtschaftsgutes im Betriebsvermögen gewährte vorläufige Steuervergünstigung käme bei Annahme eines Schadens entgegen der gesetzlichen Zielsetzung dem Steuerpflichtigen auf Kosten des Steuerberaters endgültig zu. Der Verlust steuerlicher Vorteile sei deshalb nicht ersatzfähig.

Bei der Ermittlung des Schadens nach der Differenzhypothese dürfe auch nicht allein auf die angefallene Einkommensteuer abgestellt werden. Die Kläger hätten deshalb im einzelnen darlegen müssen, welche Umschichtungen ihres Vermögens sie geplant hätten und durch welche Vorgänge es zur Aufdeckung der stillen Reserven gekommen wäre, wenn sie richtig beraten worden wären. Ohne Offenlegung der beabsichtigten Dispositionen sei der Vortrag der Kläger nicht schlüssig.

Für eine Geltendmachung der vorprozessualen Anwaltskosten fehle den Klägern das Rechtschutzinteresse; hierbei sei unerheblich, daß die Kosten im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 103 ff ZPO nicht erstattungsfähig seien. Ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch scheide aus.

III.

Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision stand.

1. Die Aufgaben des Steuerberaters ergeben sich aus Inhalt und Umfang des ihm erteilten Mandats; in den hierdurch gezogenen Grenzen hat er den Auftraggeber umfassend zu beraten (vgl. BGHZ 128, 358, 361; 129, 386, 393 f). Im Streitfall hatte der Beklagte auf der Grundlage des ihm von den Klägern erteilten Auftrags diese über die steuerlichen Auswirkungen einer zum 31. Dezember 1996 in Erwägung gezogenen Betriebsaufgabe zu beraten, die steuerlich der Veräußerung des Betriebs gleichgestellt ist (§ 16 Abs. 3 Satz 1 EStG) und zu laufenden Einkünften aus Gewerbebetrieb führen kann (§ 16 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 EStG). Der Aufgabegewinn ist, was sich aus § 16 Abs. 2 EStG ergibt, der Betrag, um den die Summe aus dem gemeinen Wert der ins Privatvermögen überführten Wirtschaftsgüter und aus den im wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Aufgabe angefallenen Erträgen nach Abzug der Aufgabekosten den (Buch-)Wert des Betriebsvermögens im Zeitpunkt der Aufgabe übersteigt (vgl. Schmidt, EStG 22. Aufl. § 16 Rn. 212). Eine Verrechnung der stillen Reserven mit den betrieblichen Schulden findet sonach, was der Beklagte übersehen hat, nicht statt.

Angesichts der vom Berufungsgericht zugrunde gelegten und von der Revision nicht in Zweifel gezogenen Höhe des Aufgabegewinns, der die Freibetragsgrenze von 360.000 DM für bestimmte Aufgabegewinne gemäß § 16 Abs. 4 EStG in der damals geltenden Fassung weit überstieg (vgl. Schmidt, EStG 15. Aufl. § 16 Rn. 587), war die Empfehlung des Beklagten pflichtwidrig und schuldhaft; sie war nach der Lebenserfahrung auch geeignet, Vermögensnachteile für die Mandanten auszulösen. Die nach § 286 ZPO festzustellende haftungsbegründende Kausalität des Verhaltens des Beklagten wird von der Revision auch hingenommen.

2. Der Ersatzpflichtige hat nach § 249 Satz 1 BGB den Zustand herzustellen, der ohne seine Pflichtverletzung bestünde. Deshalb ist zu prüfen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem (vertragsgemäßem) Verhalten des steuerlichen Beraters genommen hätten, insbesondere wie der Mandant darauf reagiert hätte, und wie dessen Vermögenslage dann wäre.

a) Das Berufungsgericht hat aus der wirtschaftlichen Unsinnigkeit der Betriebsaufgabe zum 31. Dezember 1996 abgeleitet, daß der Beklagte den Klägern hiervon hätte abraten müssen und daß die Kläger diesem Rat gefolgt wären, wofür jedenfalls der Anscheinsbeweis für beratungsgerechtes Verhalten spreche. Dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

aa) Die Ursächlichkeit einer von dem steuerlichen Berater begangenen Pflichtverletzung für einen dadurch angeblich entstandenen Schaden gehört zur haftungsausfüllenden Kausalität, für deren Nachweis die in § 287 ZPO vorgesehenen Beweiserleichterungen gelten (BGH, Urt. v. 30. März 2000 – IX ZR 59/99, WM 2000, 1351, 1352). Die Darlegungslast des Mandanten kann zusätzlich noch durch die Grundsätze des Anscheinsbeweises erleichtert sein, nach denen die Vermutung gilt, der Mandant hätte beratungsgemäß gehandelt, wenn nach der Lebenserfahrung bei vertragsgemäßer Leistung des (steuerlichen) Beraters lediglich ein bestimmtes Verhalten nahegelegen hätte (BGHZ 123, 311, 315; BGH, Urt. v. 8. November 2001 – IX ZR 64/01, WM 2001, 2455, 2458; v. 23. Januar 2003 – IX ZR 180/01, WM 2003, 936, 937 f).

bb) Der Senat teilt die Erwägung des Berufungsgerichts, daß sich für eine Betriebsaufgabe zum Jahresende 1996 keine steuerlichen Gründe anführen lassen, der Beklagte hiervon hätte abraten müssen und die Kläger der Empfehlung nach Anscheinsgrundsätzen gefolgt wären.

Nach unbeanstandeter tatrichterlicher Feststellung auf der Grundlage der eingereichten Steuererklärungen und Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1995 bis 1999 ist anzunehmen, daß die Kläger durch die zum Jahresende 1996 erklärte Betriebsaufgabe keinerlei steuerliche Vorteile hatten. Insbesondere hat die für das Jahr 1996 angefallene Kirchensteuer, die bei der Zahlung der Einkommensteuerschuld im Jahre 1999 als Sonderausgabe abgezogen und das zu versteuernde Einkommen in diesem Jahr reduziert hat, keinen steuerlichen Vorteil gebracht, weil die Einkünfte in diesem Jahr ohnehin unterhalb des steuerfreien Grundbetrages lagen. Angesichts der geringen Einkommenshöhe hätten die Kläger auch ohne die Betriebsaufgabe in den Jahren 1996 bis 1998 keine Einkommensteuer gezahlt, weil sie den durch den Aufgabegewinn im Jahre
1996  verbrauchten Verlustvortrag von 99.866 DM in diesem Fall wie Sonderausgaben ohne Begrenzung der Höhe nach vom Gesamtbetrag der Einkünfte hätten abziehen können (vgl. § 10d EStG in der damals geltenden Fassung; siehe hierzu Schmidt, EStG 15. Aufl. § 10d Rn. 20). Ab dem Jahre 1999 haben die Kläger keine Einkommensteuer gezahlt.

Der Vermutung steht auch nicht entgegen, daß der Aufgabegewinn steuerbegünstigt ist (§ 16 Abs. 4 EStG) und sein steuerpflichtiger Teil mit einem ermäßigten Steuersatz versteuert wird (vgl. § 34 EStG). Ohne diese Vergünstigungen wäre die durch die Aufdeckung der stillen Reserven verursachte Einkommensteuerlast noch höher ausgefallen. Schließlich brachten die durch die Aufdeckung der stillen Reserven geschaffenen zusätzlichen Abschreibungsmöglichkeiten für die Kläger ab dem Jahr 1997 keinen entscheidenden wirtschaftlichen Vorteil, weil die von ihnen erzielten Einkünfte so niedrig waren, daß die Kläger in absehbarer Zeit auch ohne diesen Vorteil voraussichtlich nicht oder nur in ganz geringer Höhe zur Zahlung von Einkommensteuer herangezogen worden wären.

Der Beklagte hat Tatsachen, die für ein atypisches Verhalten der Kläger sprechen, weder vorgetragen noch unter Beweis gestellt. Die Reaktion der Parteien auf das Ergebnis der Betriebsprüfung hat der Beklagte in seinem Schreiben an das Finanzamt vom 5. November 1999 dahin zusammengefaßt, daß der Kläger zu 2) der Betriebsaufgabe schon während der laufenden Betriebsprüfung widersprochen und er, der Beklagte, die Willenserklärungen im Namen des Steuerpflichtigen angefochten habe, weil die Betriebsaufgabe „irrtümlich“ erklärt worden sei. Das belegt zusätzlich, daß sich die Kläger beratungstreu verhalten und die stillen Reserven im Falle einer drohenden Einkommensteuernachzahlung nicht aufgedeckt hätten.

b) Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, den Klägern sei in Höhe der von ihnen nachgezahlten Einkommensteuer nebst Säumniszuschlägen und Zinsen sowie der aufgewandten Anwaltskosten für die von ihnen in Anspruch genommene vorprozessuale Beratung ein ersatzfähiger Schaden entstanden.

aa) Nach dem – auch hier anzuwendenden – § 287 ZPO reicht eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit, daß ein Schaden entstanden sei, für die richterliche Überzeugungsbildung aus (vgl. BGH, Urt. v. 8. November 2001 – IX ZR 64/01, WM 2001, 2455, 2458). Hierbei ist grundsätzlich die gesamte Schadensentwicklung bis zum prozessual spätest möglichen Zeitpunkt, nämlich dem der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen, in die Schadensberechnung einzubeziehen (BGHZ 133, 246, 252 f; 137, 142, 152; BGH, Urt. v. 26. Februar 1988 – V ZR 234/86, WM 1988, 828, 830; v. 12. Juli 1996 – V ZR 117/95, NJW 1996, 2652, 2654; MünchKomm-BGB/Oetker, 4. Aufl. § 249 Rn. 305; Zugehör/Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung Rn. 1088). Dabei sind künftige Entwicklungen nur zu berücksichtigen, wenn sie aufgrund der vorgetragenen Tatsachen mit einer für die Anwendung von § 287 ZPO ausreichenden Wahrscheinlichkeit beurteilt werden können (BGHZ 27, 181, 188; 137, 142, 153; Staudinger/Schiemann, BGB Bearb. 1998 Vorbem. zu §§ 249 ff Rn. 79; Gottwald, Schadensberechnung und Schadensschätzung 1979 S. 126 f).

bb) Im Streitfall sind Umstände weder behauptet noch festgestellt worden, die mit Wahrscheinlichkeit auf eine Herabsetzung oder den Wegfall des Steuerschadens schließen lassen. Die steuerliche Lage der Kläger hat sich deshalb im Umfang der Nachforderung verschlechtert, weil – wie unter a) bb) dargelegt – sonstige anrechenbare Steuervorteile weder eingetreten noch zu erwarten sind.

Aus der steuerdogmatischen Einordnung der stillen Reserven als „Aufschub der Besteuerung“ (vgl. Gräfe/Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung 3. Aufl. Rn. 557; Tipke/Lang, Steuerrecht 17. Aufl. § 9 Rn. 415) kann der Beklagte nichts für sich herleiten. Die Befreiung von einer latenten Steuerlast ist schadensrechtlich dem Schädiger unter dem Gesichtspunkt des Vorteilsausgleichs nur gut zu bringen, wenn der Geschädigte infolge dieser Befreiung Vorteile erzielt, die ihm ohne die Aufdeckung nicht zugeflossen wären. Aus dem Vortrag des Beklagten ergibt sich in dieser Hinsicht nichts. Deshalb gilt insoweit das gleiche wie bei anderen ersparten Aufwendungen oder schadensbedingten Steuerersparnissen.

(1) Der Hinweis auf die Steuerstundungsfunktion der steuerlichen Anerkennung stiller Reserven darf nicht dahin mißverstanden werden, daß der Steuerpflichtige nach der jeweils maßgebenden steuerrechtlichen Regelung in jedem Fall nur einen Aufschub erhält. Im Ergebnis kann dieser auch dazu führen, daß die im Betriebsvermögen gespeicherten stillen Reserven zu keinem absehbaren Zeitpunkt versteuert werden (vgl. Tipke/Lang, aaO § 9 Rn. 438). Dies gilt gerade im Anwendungsbereich des § 16 EStG, der eine zeitlich unbefristete Betriebsunterbrechung zuläßt und diese nicht als Aufgabe des Gewerbebetriebs im Sinne des § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG behandelt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs braucht ein Gewerbetreibender die in seinem Betriebsvermögen enthaltenen stillen Reserven auch dann nicht aufzudecken, wenn er zwar selbst seine werbende Tätigkeit einstellt, aber entweder den Betrieb im ganzen als geschlossenen Organismus oder zumindest alle wesentlichen Grundlagen verpachtet und gegenüber den Finanzbehörden nicht ausdrücklich die Aufgabe des Betriebes erklärt (vgl. BFH, Gr.S. BStBl. 1964 III 124, 126 f; BFH BStBl. 1998 II 388, 390 f; BFH/NV 1999, 1198, 1199; 2001, 1106). Verfährt der Gewerbetreibende in dieser Weise, entfällt sogar seine Gewerbesteuerpflicht, weil die Gewerbesteuer nur „werbende“ Betriebe erfaßt (BFH Gr.S., aaO S. 126; Schmidt, EStG 22. Aufl. § 16 Rn. 709; Schoor DStR 1997, 1, 2). Die Anerkennung der gewerblichen Verpachtung setzt nach der Rechtsprechung nicht einmal voraus, daß sich der Steuerpflichtige offenhält, selbst in das Erwerbsleben zurückzukehren, was im Streitfall im Blick auf das festgestellte Rentenalter der in den Jahren 1935 und 1937 geborenen Kläger zweifelhaft erscheint. Es reicht aus, wenn die Absicht von einem Gesamt- oder von einem Einzelrechtsnachfolger verwirklicht werden soll (vgl. BFH BStBl. 1985 II 456, 457). Dem Verpächter muß nur objektiv die Möglichkeit verbleiben, den „vorübergehend“ eingestellten Betrieb als solchen wieder aufzunehmen (vgl. BFH BStBl. 1998 II aaO S. 391; BFH/NV 2001, 1107). Unmaßgeblich ist auch, ob nach Veränderung des Leistungsangebots durch den Pächter die Wiederaufnahme des Betriebs in seiner ursprünglichen Form wirtschaftlich sinnvoll erscheint (BFH/NV, aaO). Das Wahlrecht besteht sogar für den Rechtsnachfolger fort, auf den der Betrieb unentgeltlich, insbesondere im Erbwege, übergegangen ist, ohne daß dieser den Betrieb zuvor geführt hat (vgl. BFH BStBl. 1993 II 36, 39).

(2) Danach hatten die Kläger schon mit der Verpachtung des Betriebes an die Tochter zum 1. Juli 1995 eine Regelung geschaffen, die eine Aufdek-kung stiller Reserven in absehbarer Zeit nicht erwarten ließ. Die Kläger beabsichtigten, aus der Verpachtung des auf dem Grundstück betriebenen Schuhgeschäfts ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Beklagte hat nicht vorgetragen, daß sie ihre Entscheidung rückgängig machen wollten oder eine andere Lebensplanung entwickelt hätten. Die Verpachtung gewährte nach der für das hypothetische Ergebnis eines steuerrechtlichen Ausgangverfahrens grundsätzlich maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. BGHZ 145, 256, 262) sogar Spielraum für eine Anpassung des übernommenen Gewerbebetriebs an die wirtschaftlichen Erfordernisse (vgl. BFH/NV 2001, 1107). Verfolgten die Kläger, was der Beklagte in den Tatsacheninstanzen vermutet hat, schon im Jahre 1996 den Plan, das Betriebsgrundstück im Wege der vorweggenommenen Erbfolge (vgl. § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ErbStG) auf eines ihrer vier Kinder zu übertragen, so hätte auch dies nicht notwendig zur Aufdeckung stiller Reserven geführt, weil der Betriebsübernehmer hinsichtlich der übernommenen positiven und negativen Wirtschaftsgüter die Buchwerte des Übergebers fortzuführen hat (vgl. Erlaß des BMF vom 13. Januar 1993, BStBl. 1993 I 80 unter Nr. 29 f; Wassermeyer BB 1994, 1, 2).

Derartige Pläne gehören deshalb im Streitfall nicht zu den von dem haftungsbegründenden Ereignis betroffenen Vermögensdispositionen und mußten von den Klägern weder aus dem Gesichtspunkt des Gesamtvermögensvergleichs (vgl. BGH, Urt. v. 21. Dezember 1989 – IX ZR 234/88, WM 1990, 695, 699; v. 30. Mai 2000 – IX ZR 121/99, WM 2000, 1596, 1597, insoweit in BGHZ 144, 343 nicht abgedruckt; Zugehör/Fischer, aaO Rn. 1087), noch nach den Grundsätzen der sekundären Behauptungslast (vgl. BGH, Urt. v. 31. Januar 1991 – IX ZR 124/90, WM 1991, 814, 815; v. 18. Mai 1999 – X ZR 158/97, NJW 1999, 2887, 2888) vorgetragen werden.

Damit erweist sich der Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts, die aus den aufgedeckten stillen Reserven folgende Steuerlast im Streitfall als Schaden im Rechtssinne zu werten, als zutreffend.

(3) Was gilt, wenn der steuerliche Schaden nach materiellem Recht in dem Zeitraum zwischen der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung und dem Zeitpunkt der Erfüllung in Wegfall geraten ist, ohne daß dies in den Tatsacheninstanzen mit ausreichender Wahrscheinlichkeit beurteilt werden konnte (vgl. hierzu Staudinger/Schiemann, aaO Vorbem. zu §§ 249 ff BGB Rn. 79-85), bedarf im Streitfall ebensowenig einer Entscheidung wie die Frage, welche Rechtsfolgen sich aus der weiteren Vermögensentwicklung der Kläger nach Erhalt des im vorliegenden Rechtsstreit zugesprochenen Schadensersatzes ergeben.

cc) Entgegen der Meinung der Revision ist den Klägern auch ein Schaden in Höhe der vorprozessual aufgewendeten Anwaltskosten entstanden. Bildet – wie hier – eine Vermögensverletzung den Haftungsgrund, sind diejenigen adäquat verursachten Rechtsverfolgungskosten nach § 249 Abs. 1 BGB zu ersetzen, die aus Sicht des Schadensersatzgläubigers zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGHZ 30, 154, 157 f; BGH, Urt. v. 30. April 1986 – VIII ZR 112/85, NJW 1986, 2243, 2245). Daß die Geschädigten insoweit – möglicherweise – einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten aus §§ 91 ff ZPO haben, steht der Verfolgung des auf Kostenersatz gerichteten materiellen Schadensersatzanspruchs im streitigen Verfahren wegen der insoweit ungewissen Rechtslage (vgl. BGHZ 66, 112, 114 f; Staudinger/Schiemann, aaO § 251 Rn. 115) nicht entgegen (BGHZ 111, 168, 171 f).

Kreft                                                         Fischer                                        Ganter
.                                Kayser                                                   Vill

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