AG Essen verneint im Kaskoschadensrecht mit Urteil vom 7.8.2009 – 20 C 646/08 – den Abzug „neu für alt“.

Hallo Leute, hier ein  Kasko-Urteil aus Essen, das aber immer noch aktuell ist. Der Kaskoversicherung steht es nicht zu, einen Abzug „neu für alt“ vorzunehmen. Lest aber selbst und gebt Eure Kommentare ab.

20 C 646/08                                                     Verkündet am 07.08.2009

AMTSGERICHT ESSEN

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

des Herrn Dr. D. W.aus  E.,

Kläger,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte S, L. & F.,

g e g e n

HDI Direkt Versicherung AG, vertr. d.d.Vors. die Herrn Dr. Breuer, Emmert, Niesen, Skowronek, Huyssenallee 100, 45128 Essen,

Beklagte,

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwälte K. & B.

hat das Amtsgericht Essen
auf die mündliche Verhandlung vom 17.07.09
durch den Richter am Amtsgericht …
für  R e c h t  erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 300,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.12.08 zu zahlen.

Die Beklagte wird ferner verurteilt, die dem Kläger erwachsenen Kosten vorgerichtiicher anwaitiicher Vertretung in Höhe von 46,41 € zu erstatten.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von der Darstellung des Sachverhaltes wird gemäß § 313 a Absatz 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Dem Kläger steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme gegen die Beklagte aus dem zwischen den Parteien zustande gekommenen Kraftfahrzeugversicherungsvertrag über eine Fahrzeugteilversicherung in Verbindung mit §§ 12 Nummer 1 I b, 13 Nummer 1 und 5 AKB ein restlicher Entschädigungsanspruch in Höhe von 300,00 € zu.

Der Versicherungsfall selbst ist unstreitig. Streit besteht zwischen den Parteien, ob die Beklagte berechtigt ist, einen Abzug „neu für alt“ in Höhe von 300,00 € vorzunehmen. Dieses Recht steht ihr im vorliegenden Fall nicht zur Seite.

Der nach § 13 Nummern 1 und 5 AKB zu ersetzende Wiederbeschaffungswert orientiert sich grundsätzlich an den Kosten der Wiederbeschaffung einer gleichwertigen gebrauchten Sache (vgl. Hammel in Schwintowski/Brömmelmeyer, Praxiskommentar zum Versicherungsvertragsrecht, 2008, § 88 WG, Randnummer 4; vergleiche auch BGH VersR 1984, 480). Dass dem Kläger hier die Wiederbeschaffung einer gleichwertigen gebrauchten Sache möglich war, vermag das Gericht unter Heranziehung des Gutachtens des Sachverständigen P. nicht festzustellen. Hierbei kann es dahinstehen, ob bei der notwendigen Marktanalyse hinsichtlich der Wiederbeschaffungskosten eines gleichwertigen Gebrauchtgerätes auch die Angebote auf der Internetplattform von eBay zu berücksichtigen sind. Jedenfalls hat das Amtsgericht Essen bereits in seinem Urteil vom 31.08.07 – Aktenzeichen: 20 C 1/07 – (SP 2007, 403) klargestellt, dass es einen seriösen Markt für den Erwerb eines gebrauchten gleichwertigen Gerätes geben muss. Einen solchen seriösen Markt hat der Sachverständige  P. ausweislich seines Gutachtens vom 27.05.09 nicht nachgewiesen. Seine Internetrecherche ergibt neben den Anbietern unbekannter Herkunft aus osteuropäischen Staaten (Polen/Litauen) eine einzige Firmenanschrift mit Standort in Oberhausen; es handelt sich um das Angebot einer Firma … aus Oberhausen. Angesichts der Tatsache, dass die Recherche des Sachverständigen 7 1/2 Monate nach dem Entwendungsfall stattgefunden hat und lediglich ein einziges Angebot vorliegt, das spontan als seriös zu bezeichnen ist, kann nicht davon gesprochen werden, dass es zum Vorfallszeitpunkt am 24.10.08 im Internet für den Kläger einen seriösen Gebrauchtgerätemarkt gegeben hat, auf den er hätte zugreifen können.

Gerade im vorliegenden Fall, in dem der Wiederbeschaffungswert nicht von den Regeln eines seriösen Gebrauchtgerätemarktes bestimmt wird, muss der Versicherungswert nach dem Wert der Sache im neuwertigen Zustand unter Abzug der Wertminderung berechnet werden. Beide Parteien haben nicht vorgetragen, dass die Muster-AKB, die in § 13 Nummer 5 AKB einen Abzug „neu für alt“ vorsehen, wie es ihn auch in § 88 VVG 2008 gibt, durch Vereinbarung abbedungen haben. Grundgedanke des Abzuges „neu für alt“ ist die Überlegung, dass der Versicherungsnehmer eine für ihn unter Umständen überflüssige Verbesserung seines Fahrzeuges hinnehmen und sich die Kosten von der Ersatzleistung abziehen lassen muss (Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung, 17. Auflage 2000, § 13 AKB, Randnummer 66).

Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes hat das Gericht in anderer Sache (Urteil vom 31.07.09 – Aktenzeichen: 20 C 479/08 – ) bei einem 13 Jahre alten Fahrzeug, aus dem ein mehr als 7 Jahre altes Navigationsgerät entwendet worden ist, einen Abzug „neu für alt“ zugelassen.

Hier liegt die Sache anders. Werden Teile ersetzt, die im Allgemeinen die gleiche Lebensdauer wie der Wagen selbst haben, so ist ein Abzug nicht gerechtfertigt (Stiefel/Hofmann, § 13 AKB, Randnummer 67). Insofern kann es dahinstehen, ob im vorliegenden Fall die sich aus § 13 Nummer 5 der Muster-AKB ergebende Regelung greift, wonach in den ersten 3 Kalenderjahren des neu zugelassenen Fahrzeuges der Abzug nur für Bereifung, Batterie und Lackierung gilt. Maßgeblich ist jedenfalls der dieser Regelung zugrunde liegende Gedanke, dass bei neuen oder relativ neuen Fahrzeugen ein Abzug „neu für alt“ nur dort gerechtfertigt ist, wo der Verschleiß des versicherten Fahrzeugteils besonders stark ausgeprägt ist wie bei Bereifung, Batterie und Lackierung. Das Fahrzeug des Klägers war im Zeitpunkt des Versicherungsfalls erst etwa 2 1/2 Jahre im Straßenverkehr. Berücksichtigt man, dass dem Navigationsgerät in etwa die gleiche Lebensdauer wie dem Fahrzeug selber zuzumessen ist, so erscheint es jedenfalls bei einem nur 2 1/2 Jahre alten Fahrzeug nicht angebracht, hinsichtlich des entwendeten Navigationsgerätes bereits einen Abzug „neu für alt“ vorzunehmen.

Die Nebenforderungen ergeben sich aus §§ 280 Absatz 2, 286 Absatz 1, 288 Absatz 1 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nummer 11, 711, 713 ZPO.

… und jetzt Eure Meinungen bitte.

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2 Antworten zu AG Essen verneint im Kaskoschadensrecht mit Urteil vom 7.8.2009 – 20 C 646/08 – den Abzug „neu für alt“.

  1. Daniel F sagt:

    Grundsätzlich ist die Entscheidung mMn richtig, auch wenn bei älteren Fahrzeugen die gleiche Problematik mit dem Gebrauchtgerätemarkt auftritt.

  2. joachim otting sagt:

    AG Essen Urteil vom 15.4.2011 – 20 C 617/10 (also dieselbe Abteilung desselben Gerichtes): Versicherer darf bei Navi neu für alt abziehen.

    Der Versicherer hatte dort eine Firma nachgewiesen, die das konkrete Gerät konkret hätte liefern können, was in solchen Fällen inzwischen häufig und für die Versicherer erfolgreich geschieht.

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