LG Bremen ändert Urteil des AG Bremerhaven ab, weist Anschlussberufung der Allianz Versicherungs AG zurück und verurteilt die Allianz Vers. AG zur Zahlung restlicher Sachverständigenkosten mit Berufungsurteil vom 1.7.2016 – 3 S 222/15 -.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,

zum Wochenede stellen wir Euch noch ein Berufungsurteil des LG Bremen vom 1.7.2016 vor. Es handelt sich unseres Erachtens um eine positive Berufungsentscheidung zu den Sachverständigenkosten gegen die Allianz Versicherungs AG. Das zuvor entschiedene Amtsgericht Bremerhaven hatte nur einen Teil der gekürzten Sachverständigenkosten zugesprochen. Mit der Berufung begehrte der Kläger seinen ursprünglichen Schadensersatzanspruch weiter. Die Allianz Versicherung legte Anschlussberufung ein und scheiterte. Aufgrund der Berufung des Klägers wurde das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der begehrte Schadensersatz in voller Höhe zugesprochen. Eine prima Entscheidung, wie wir meinen. Lest selbst das Bremer Berufungsurteil und gebt bitte Eure sachlichen Kommentare ab.

Viele Grüße und noch ein schönes Wochenende.
Willi Wacker

Landgericht Bremen

3 S 222/15                                                                                         Verkündet am: 01.07.2016

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

des

Kläger, Berufungskläger und Anschlussberufungsbeklagter

gegen

Beklagte, Berufungsbeklagte und Anschlussberufungskläger

hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Bremen auf die mündliche Verhandlung vom 10.06.2016 durch

den Richter am Landgericht B. ,
den Richter am Landgericht Dr. S. und
die Richterin F.

für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Bremerhaven vom 07.07.2015, Geschäftsnummer 51 C 1291/14 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 119,01 € (insgesamt also 238,01 €) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.07.2014 zu zahlen.

Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die erst- und zweitinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

(abgekürzt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO)

I.

Wegen der tätsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO) und wegen der Berufungs- und Anschlussberufungsanträge auf die Sitzungsniederschrift vom 10.06.2016.

II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§’§ 511 Abs. 2 Nr. 2, 517, 519, 520 ZPO) und begründet, die Anschlussberufung der Beklagten ist zulässig (§ 524 ZPO), aber unbegründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte nach Grund und Höhe ein auf Erstattung der streitgegenständlichen Sachverständigenkosten in Höhe von insgesamt 238,01 EUR gerichteter Schadensersatzanspruch gemäß § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, § 7 StVG, § 249 BGB zu.

1.   Der Kläger ist aktivlegitimiert. Sofern die Beklagte sich erstmals im Berufungsverfahren darauf beruft, der Beklagte sei nicht aktivlegitimiert, so ist sie mit diesem Vortrag gemäß § 531 ZPO verspätet. Darüber hinaus ist der Kläger zumindest jetzt aktivlegitimiert, da er sich die Forderung nunmehr hat rückabtreten lassen.

2.  Die geltend gemachte Forderung ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Die Beklagte schuldet dem Kläger die noch offene und die Hauptklageforderung bildende Summe in voller Höhe aus den Rechnungen des Sachverständigen H. vom 04.06.2014 und 30.06.2014, weil die in diesen Rechnungen ausgewiesenen Gesamtkosten in Höhe von 898,46 EUR als zur Schadensbeseitigung erforderlich im Sinne von § 249 Abs. 2 BGB anzusehen sind.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass die Kosten eines Sachverständigengutachtens als Teil des zu ersetzenden Schadens zu erstatten sind, soweit diese aus Sicht eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung erforderlich waren (vgl. Palandt, BGB, 75, Auflage 2016, § 249, Rn. 58; BGH. Urteil vom 22.07.2014 – VI ZR 357/13, OLG München, Urteil vom 26.02.2016 – 10 U 579/15, jeweils m.w.N.).

Hinsichtlich der Frage, was insoweit als erforderlich zu gelten hat, ist eine subjektbezogene Schadensbetrachtung anzustellen, das heißt, Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten und seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten zu nehmen. Danach darf ein Geschädigter sich bei der Beauftragung eines Kfz-Sachverständigen damit begnügen, den in seiner Lage ohne weiteres erreichbaren Sachverständigen zu beauftragen und muss nicht zuvor eine Marktforschung nach dem honorargünstigsten Sachverständigen betreiben (vgl. BGH, Urteil vom 11.02.2014 – VI ZR 225/13, OLG München a.a.O. m.w.N.). Eine Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten kann nach der oben genannten Entscheidung des OLG München im Ergebnis nur dann verneint werden, wenn selbst für einen Laien erkennbar ist, dass der Sachverständige sein Honorar geradezu willkürlich festsetzt, das heißt Preis und Leistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen. Ein Sachverständigenhonorar ist selbst dann noch als angemessen anzusehen, wenn es im oberen Bereich des Erwartbaren angesiedelt ist. Hierbei kommt es entscheidend auf den Gesamtbetrag der Honorarrechnung an. Es kann nicht der Sachverständige benachteiligt werden, der ein niedrigeres Grundhonorar, dafür aber höhere Nebenkosten verlangt (oder umgekehrt), wenn das Gesamthonorar andere Gesamthonorare von Sachverständigen in vergleichbaren Fällen nicht übersteigt. Eine Kürzung einzelner Abrechnungspositionen kommt faktisch nur dann in Betracht, wenn die Abrechnung des Sachverständigen in sich so evident fehlerhaft ist, dass dies auch ein Laie erkennen kann, was beispielsweise der Fall wäre, wenn die Abrechnung ohne Erläuterung Mondpreise enthielte (z.B. pro Lichtbild 10 EUR, 100 Stunden bei einem Reparaturkostenaufwand von 2000 EUR, vgl. OLG München a.a.O.).

Demnach kommt es vorliegend nicht darauf an, ob die Rechnung des Sachverständigen insgesamt oder auch nur im Hinblick auf einzelne Nebenposition möglicherweise leicht überhöht ist, solange der Geschädigte dies nicht hätte erkennen können oder müssen. Hierzu ist nichts vorgetragen und im Übrigen auch nichts ersichtlich. Da es auch nicht um die Begutachtung eines bloßen Bagatellschadens ging, hat die Beklagte dem Kläger die Sachverständigenkosten in voller Höhe zu ersetzen. Damit ist die Beklagte aber auch nicht rechtlos gestellt. Vielmehr ist anerkannt, dass sie sich grundsätzlich etwaige Rückerstattungsansprüche des Geschädigten gegen den Sachverständigen wegen überhöhter Vergütung abtreten lassen und anschließend selbst gegenüber dem Sachverständigen geltend machen kann.

3. Auch das weitere Vorbringen der Beklagten überzeugt die Kammer im Ergebnis nicht. Insbesondere steht nach richtiger Beurteilung des Amtsgerichts Bremerhaven, auf die verwiesen wird, der Erstattungsfähigkeit der Gutachterkosten nicht entgegen, dass der Sachverständige das beschädigte, Fahrzeug des Klägers zweimal besichtigt hat. Sofern die Beklagte sich des Weiteren darauf beruft, dass die Kosten für die Online-Börse nicht erstattungsfähig seien, kann sie hiermit ebenfalls nicht durchdringen, da sie selbst diese Kosten in ihre eigene Berechnung mit aufgenommen und zudem ausdrücklich anerkannt hat. Schließlich ist auch der Vortrag der Beklagten, es habe keine Vergütungsvereinbarung zwischen dem Kläger und dem Sachverständigen gegeben, unsubstantiiert und darüber hinaus verspätet, § 531 ZPO.

4. Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

B.                                                        Dr. S.                                                     F.

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5 Antworten zu LG Bremen ändert Urteil des AG Bremerhaven ab, weist Anschlussberufung der Allianz Versicherungs AG zurück und verurteilt die Allianz Vers. AG zur Zahlung restlicher Sachverständigenkosten mit Berufungsurteil vom 1.7.2016 – 3 S 222/15 -.

  1. Ra Imhof sagt:

    Die Beklagten haben nichts vorgetragen oder verspätet vorgetragen,so das LG.
    Manchmal hilft auch eben ein bisschen Glück.
    Wann wird sich die banale Erkenntnis durchsetzen,dass Gutachterkosten,die werkvertraglich innerhalb üblicher Bandbreite liegen und deshalb als Werklohn in voller Höhe zu bezahlen sind(BGH X ZR 42/06), IMMER AUCH einen „erforderlichen Geldbetrag“ i.S.v. §249 II,1 BGB darstellen müssen?
    Wollte man diese Rechtsfolge abweichend beurteilen,so führte das zu dem grotesken Ergebnis,daß

    a)das Unfallopfer werkvertraglich gem.§641 I i.V.m. IV BGB rechtlich verpflichtet ist, den nach Abnahme des Gutachtens fälligen Werklohn zu zahlen und bei Zahlungsverzug zu verzinsen.

    b)gleichwohl aber keinen vollen Schadensausgleich erhält,da eine Schadenshöhenschätzung zu seinen Lasten zugelassen wird.

    Eine abweichende Beurteilung führt daher zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft unter den Unfallopfern.
    Benachteiligt wären dann all diejenigen,die mangels Liquidität die Werklohnforderungen des SV oder der Reparaturwerkstatt nicht vorverauslagen können,denn Ihnen soll die Indizwirkung der Rechnung versagt bleiben entgegen BGHZ 63,182 ff.
    Deshalb:
    Verlangt ein Unfallopfer den Ersatz innerhalb üblicher Bandbreite gelegener und daher werkvertraglich geschuldeter Gutachterkosten,dann gibt es nichts zu kürzen, nichts zu schätzen und nichts zu diskutieren.
    Gutachterkosten sind dann kürzungslos zu regulieren.
    Abwegig ist die Auffassung,der Versicherer sei damit rechtlos gestellt,siehe BGHZ 63,182 ff.

  2. B.D. sagt:

    Täuscht der Eindruck oder sehen andere das genau so: die Kürzungsproblematik kommt dann zum Tragen, wenn ein Versicherer (und der Halter, Fahrer) zu 100 % haften. Wenn aber wegen Mitverschuldens gequotelt wird, z.B. 50 % zu 50 %, weil beide Unfallbeteiligten auf einem Parkplatz aus einer Parklücke zurückgesetzt haben, werden die Sachverständigenkosten zu 50 % gezahlt (um in dem Beispiel zu bleiben), aber dann wiederum keine Kürzungen wegen vermeintlich überhöhten Honorars vorgenommen. Denn die 50 % wären ja aus Sicht mancher Versicherer auch wieder anteilig überhöht. Wie sind da Eure Erfahrungen?

    Gruß

    B.D.

  3. Glöckchen sagt:

    @ B.D.
    Das ist auch meine Erfahrung.

  4. Graf Zahl sagt:

    @ B.D.

    Unsere Erfahrungen sind, dass die einschlägigen Assekuranzen auch zunächst kürzen und dann quoteln.
    Zu beobachten ist, das es mal so und mal so läuft. Liegt wahrscheinlich am SB oder am Wochentag?!
    Das Ganze sind wieder eindeutige Beweise der Willkür.

  5. HR sagt:

    Noch einfacher und deutlicher hat sich nun auch bezüglich der Schadenersatzverpflichtung das AG Bitterfeld-Wolfen mit Urteil vom 24.02.17 – 7 C 813/16 in den Entscheidungsgründen wie folgt artikuliert:

    „Soweit die Beklagte hiergegen dezidiert Hinwendungen erhoben hat, hat das Gericht über die Begründetheit dieser keine Entscheidung zu treffen. Denn der Beklagten als Haftpflichtversicherung der Schädigerin ist es verwehrt, sich gegenüber dem Geschädigten und damit vorliegend auch gegenüber dem Kläger, welcher den abgetretenen Anspruch des Geschädigten gegenüber der Beklagten geltend macht, auf eine vermeintliche Überhöhung der Sachverständigenkosten zu berufen. Dieser Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Naumburg (z.B.: Urteil vom 20.01.2006, Geschäftsnummer: 4 U 49/05) folgt das erkennende Gericht in ständiger Rechtsprechung (z.B. Urteil gegen die hiesige Beklagte vom 12.05.2016, Geschäftsnummer: 7 C 103/16).

    Daher ist der Streit, ob die Gutachterkosten angemessen oder überhöht sind, nicht „auf dem Rücken“ des Geschädigten auszutragen.

    Jedenfalls gegenüber dem Geschädigten und somit auch gegenüber dem Kläger, welcher die Ansprüche des Geschädigten, welche er durch Abtretung erworben hat, geltend macht, können diese Einwendungen in der Sache seitens der Beklagten nicht mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden.

    Die Entscheidungsgründe enthalten weitere interessante Überlegungen.

    Danach sind alle anderen abwegigen Kürzungsschreiben ebenso obsolet, wie Honorarprozesse mit aufwendigen Stellungnahmen auf Klägerseite zu unsinnigen und nicht erheblichen „Begründungen“.

    Das hat der Richter Dr. G. praxisorientiert und anhand der Gesetze glasklar beleuchtet und die anderweitig orientierte BGH-Rechtsprechung als ergebnisorientierte Zweckrechtsprechung entlarvend vorgeführt.

    Danke für diese Urteil, Iven Hanske.-
    HR

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