LG Stuttgart verurteilt Württembergische Versicherung AG zur Erstattung weiterer Schadensersatzleistungen bei einem Vollkaskoschaden (18 O 54/17 vom 12.07.2017)

Mit Entscheidung vom 12.07.2017 (18 O 54/17) wurde die Wüstenrot & Württembergische Versicherung AG durch das Landgericht Stuttgart zur Erstattung weiterer Schadensersatzleistung aufgrund eines Kaskoschadens verurteilt. Es handelte sich um einen Kfz-Vollkaskoschaden, bei dem das vorausgegangene Sachverständigenverfahren offensichtlich im Sinne der Württembergischen Versicherung gesteuert wurde. Das Sachverständigenverfahren kam zu einem Ergebnis von 3.600 € Schadenshöhe anstatt gerichtlich festgestellter 9.100 €!!

So etwas kommt u.a. dabei heraus, wenn man – wie hier geschehen – Mitarbeiter der Versicherung als Ausschussmitglied in einem Sachverständigenverfahren zulässt. Des weiteren hatte der VN bei der Wahl „seines“ Sachverständigen wohl auch kein besonders glückliches Händchen. Nach Angaben des VN habe er als Ausschussmitglied nacheinander insgesamt 3 Sachverständige benannt, wobei die ersten beiden wohl keine Lust auf ein Sachverständigenverfahren hatten. Erst der 3. Sachverständige habe sich zur Teilnahme am Sachverständigenverfahren bereit erklärt. Wie der VN jedoch später erfahren haben will, pflegen der SV der Württembergischen Vers. und „sein“ Sachverständiger „private Kontakte“.

Zum Thema Nutzungsausfallentschädigung aufgrund der Regulierungsverzögerung wurde die Klage – dem Grunde und der Höhe nach – abgewiesen. Der Höhe nach möglicherweise berechtigt, dem Grunde nach = kontrovers diskutierbar.

Stichwort Sachverständigenverfahren – Ausschussmitglieder:

Die R+V und die KRAVAG bringen z.B. auch immer wieder Mitarbeiter der Fa. carexpert als Ausschussmitglieder in Stellung, obwohl jeder weiß, dass die Fa. carexpert 1:1 zur R+V Gruppe gehört (outgesourcte SV). Demzufolge handelt es sich auch dort letztendlich nur um Mitarbeiter der R+V Versicherung („Unabhängigkeit“ der carexpert-SV = fake-news). Deshalb sollte man diese „Experten“ als Ausschussmitglieder in einem Sachverständigenverfahren grundsätzlich ablehnen (=>BGH IV ZR 281/14). Die entsprechenden „Gutachten“, die im Auftrag der R+V Gruppe erstellt werden, sowieso.

Hier noch die Erläuterungen des Einsenders (VN):

„Was sich die Württembergische hier geleistet hat ist absolut bemerkenswert.

Bei den als befangen festgestellten Sachverständigen handelt es sich um M. P., Mitarbeiter der Württembergischen und B. K., Mitarbeiter der K. und Kollegen.

Meinen Hut ziehe ich vor Herrn R., der viel Zeit und Aufwand betrieben hat, um diesen Betrug (von 3600 € auf nun 9100 €) aufzudecken.

Zitat aus dem Urteil

„Nach den Feststellungen des Sachverständigen R. liegt eine erhebliche und offenbare Unrichtigkeit vor. Denn die im Sachverständigenverfahren als nicht unfallbedingt angesehenen Positionen betreffend die Kabine bzw. die Antriebswelle sind nach den Feststellungen des Sachverständigen R. jedoch auf den streitgegenständlichen Unfall zurückzuführen. Insoweit hätten sie sich einem unbefangenen, sachkundigen Beurteiler aufdrängen müssen, insbesondere nach möglicherweise erst eingehender Prüfung, die jedoch offenbar unterblieb. Denn die Sachverständigen haben ihre Feststellungen im Sachverständigenverfahren bei der Firma T. in Neu Ulm getroffen, das Fahrzueg befand sich zu diesem Zeitpunkt jedoch bei der Firma O. in Ehingen. Eine Inaugenscheinnahme kann vor diesem Hintergrund ausgeschlossen werden. Die Berücksichtigung dieser Positionen führt dazu, dass die berechtigten Reparaturkosten über 250 % abweichen.“

Das Richter Dr. E. keinen Cent Nutzungsentschädigung anerkennt, ist im Grunde der größere Skandal.“

Ergänzende Infos des Einsenders:

„In der Tat handelt es sich bei M. P. um einen Mitarbeiter der Württembergischen.
P. wurde von meinem damaligen Anwalt auf meinen Wunsch abgelehnt. Allerdings nicht mit der Konsequenz, wie im BGH Urteil geschildert. Gute Anwälte fallen eben nicht vom Himmel.

Meinen Gutachter (wie man es nimmt) habe ich selbst benannt. Allerdings hat Herr K. lange verschwiegen, dass er auch privaten Umgang mit P. pflegt. Wie Sie dem Anhang entnehmen können, war K. nicht meine erste, sondern die dritte Wahl. Mit der Sache wollte niemand wirklich zu tun haben.

Von Interesse könnte noch sein, dass ich vor der Klage ein Ombudsmannverfahren eingeleitet habe.

Die Württembergische gründete die Schadenshöhe auf einen Kostenvoranschlag, den die Firma T. erstellt hat.

Zwischenzeitlich haben wir Berufung eingelegt. Dem ging eine versteckte Drohung mit der Anschlussberufung voraus.

Im Grunde vertritt das LG Stuttgart die Auffassung, dass im Vertragsrecht seitens Versicherung kein Sachverständiger zur Beweissicherung zu entsenden ist. Um die Schadensregulierung im rechtlichen Rahmen zu betreiben, reicht demnach ein Kostenvoranschlag.

Für daraus erwachsene Regulierungsverzögerungen sieht das LG Stuttgart die Haftung beim Leistungssteller. Quasi als Risiko des täglichen Lebens.“

Wer sich des öfteren mit der Abwicklung von Vollkaskoschäden befasst, der weiß, dass Schadensregulierungen wie diese nicht die Ausnahme, sondern bei einigen Versicherern inzwischen schon die Regel geworden sind. Nachdem die freien und unabhängigen Kfz-Sachverständigen trickreich durch die AKB ausgeschlossen wurden (=> keine Erstattung der SV-Kosten, sofern der VN den SV beauftragt), können die Versicherer bei den Kaskoschäden inzwischen „schalten und walten“ wie sie wollen. Denn durch den Ausschluss der freien und unabhängigen Sachverständigen wird eine neutrale Feststellung des Schadens nebst korrekter Ermittlung der Schadenshöhe verhindert. Mit dieser Einschränkung in den AKB wurde quasie ein rechtsfreier Raum für die Versicherer zur Willkürentschädigung geschaffen. Ob diese Klausel einer rechtlichen Überprüfung letztendlich standhält, mag bezweifelt werden. Insbesondere nachdem die Absicht dieser Klausel (zum einseitigen Vorteil der Versicherung) klar erkennbar ist.

In Sachen Sachverständigenverfahren war die entsprechende Klausel in den AKB auf alle Fälle nicht haltbar. Deshalb hat der Gesetzgeber den Versicherern inzwischen klare Kante gezeigt und mit § 309 BGB Nr. 14 einen wirksamen Riegel vorgeschoben. Das Sachverständigenverfahren ist demnach „tot“, auch wenn es in den AKB einiger Versicherer nach wie vor enthalten ist. Für die Versicherten ist der Verbleib dieser Klausel natürlich von Vorteil. Denn der VN kann nun immer noch entscheiden, ob er den Streit über ein Sachverständigenverfahren oder über eine Klage abwickelt. Die Versicherung verfügt hingegen nicht (mehr) über diese Option, denn der ist die Einleitung des Sachverständigenverfahrens aufgrund des Klauselverbots künftig verwehrt.

In welcher Größenordnung im Kaskobereich das rechtswidrige Schadensmanagement praktiziert wird, kann man unschwer bei diesem Schadensfall erkennen. Die Reduzierung von berechtigten Schadensersatzleistungen auf 50% oder weniger ist keine Seltenheit und geht weit über das Schadensmanagement bei den Haftpflichtschäden hinaus.

Mit Klageverfahren gegen die eigene Versicherung oder zum Thema Sachverständigenverfahren waren/sind die meisten Versicherungsnehmer in der Regel völlig überfordert. Insbesondere wenn das streitige Verfahren nicht durch eine Rechtsschutzversicherung abgedeckt sein sollte. Deshalb „gewinnt“ die Versicherung in der Mehrzahl der Fälle. Unterm Strich also ein Milliardenbetrug zu Lasten der Versicherten. Und der ganze Schwindel funktioniert nur aufgrund (meiner Meinung nach rechtswidriger) Klauseln in den AKB.

Hier nun die Entscheidung des LG Stuttgart:

Aktenzeichen:
18 0 54/17

Landgericht Stuttgart

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

– Kläger –

gegen

Wüstenrot & Württembergische Versicherung AG, vertreten durch d. Vorstände: Jürgen Albert Junker (Vorsitzender), Dr. Michael Gutjahr, Jens Wieland, Gutenbergstraße 30, 70176 Stuttgart

– Beklagte –

wegen Leistungen aus KFZ-Vollkaskoversicherung

hat das Landgericht Stuttgart -18. Zivilkammer – durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. E. als Einzelrichter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12.07.2017 für Recht erkannt:

1.        Die Beklagte wird verurteilt, an die G.-Leasing GmbH … 4.976,48 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 12.05.2015 zu bezahlen.

2.        Die Beklagte wird verurteilt, an die AdvoCard Rechtsschutzversicherung AG, 20066 Hamburg (Leistungs-Nr.: …) außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 392,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit am 11.02.2017 zu bezahlen. Bankverbindung: … .

3.        Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 100,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit am 11.02.2017 zu bezahlen.

4.        Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5.        Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 81,5 %, die Beklagte 18,5 %.

6.        Das Urteil ist für beide Parteien jeweils vorläufig vollstreckbar durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Streitwert: 26.861.61 €.

Tatbestand:

Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einer Kaskoversicherung geltend.

Der Kläger bzw. die Firma Transporte … ist Leasingnehmer des Leasingobjekts „Transport-Nutzfahrzeug XUV 825 i Gator“, bei dem es sich um eine landwirtschaftliche Zugmaschine des Fabrikats John Deere, Baujahr 2014, handelt. Der Leasingvertrag wurde am 22.01.2014 geschlossen. Der Netto-Kaufpreis beträgt 24.864,01 € (vgl. Leasingvertrag, Anlage K 1, Bl. 18 d.A. nebst Leasingschein, Anlage K 2, Bl. 20f sowie Allgemeine Geschäftsbedingungen, Anlage K 3, Bl. 22 ff. d.A.).

Zwischen den Parteien besteht ein Versicherungsvertrag „Kraftfahrtversicherung“, der neben der Kfz-Haftpflichtversicherung auch eine Fahrzeugvollversicherung einschließt (vgl. Versicherungsschein, Anlage K 4, Bl. 24 d.A. nebst Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung für landwirtschaftliche Zugmaschinen, Anlage K 5, Bl. 28 ff. d.A.).

Die Parteien führten aufgrund eines behaupteten Vorfalls vom 20.06.2014, bei dem das Fahrzeug des Klägers einen Abhang hinuntergerollt ist und insbesondere im Frontbereich beschädigt wurde, ein Sachverständigenverfahren durch auf der Grundlage des Kostenvoranschlages der Firma T. GmbH vom 09.07.2014 (Anlage K 6, Bl. 51 f. d.A.). Nach dem Protokoll über das Sachverständigenverfahren vom 20.06.2014 (Anlage K 9, Bl. 77 f. d.A.) wurde eine Einigung dahingehend erzielt, dass Reparaturkosten in Höhe von 3.625,45 €/netto unfallbedingt angefallen seien.

Die Beklagte bezahlte an die Leasinggesellschaft 3.125,45 €. Der Kläger ließ eine Notreparatur bei der Firma R. durchführen, die mit Rechnung vom 03.02.2015 Kosten in Höhe von 3.574,58 € brutto = 3.003,85 € netto abrechnete (Anlage 12, Bl. 83 ff. d.A.).

Unter dem Datum vom 03.02.2015 erstellte die Firma R. einen Kostenvoranschlag über die Kosten weiterer Schäden über die Gesamthöhe von 12.363,46 € brutto = 10.389,46 € netto (Anlage 17, Bl. 117 f. d.A.).

Der Kläger behauptet,
sein Fahrzeug sei am 20.06.2014 ohne Fremdeinwirkung aus dem Stand einen Abhang hinuntergerollt und dadurch im Frontbereich beschädigt worden.

Das Sachverständigenverfahren sei nicht bindend, nachdem die getroffene Feststellung von der wirklichen Sachlage erheblich abweiche und im Übrigen formelle Fehler aufweise.

Der im Kostenvoranschlag der Firma R. vom 03.02.2015 enthaltene Heckschaden werde nicht geltend gemacht, so dass 10.017,06 € verblieben. Hiervon seien abzuziehen: die regulierten Reparaturkosten in Höhe von 3.625,45 € netto sowie die Selbstbeteiligung, so dass ein Betrag in Höhe von 5.891,61 € netto verbleibe.

Des Weiteren sei ihm ein Nutzungsausfall für den Zeitraum vom 22.07.2014 bis zum 11.03.2015 entstanden. Der Nutzungsausfall werde als Schadenersatz geltend gemacht, nachdem die Beklagte ein Verschulden an der verzögerten Regulierung treffe.

Der Höhe nach sei der Nutzungsausfall für 233 Tage á 90,00 € netto geschuldet, mithin in der Gesamthöhe von 20.970,00 € netto.

An außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten seien ihm insgesamt 471,44 € netto nebst der Selbstbeteiligung in Höhe von 100,00 € entstanden. Er sei zum Einzug berechtigt. Die Rechtsschutzversicherung habe eine Rechnung gestellt.

Der Kläger beantragt:

1.    Die Beklagte wird verurteilt, an die G.-Leasing GmbH … 5.891,61 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 12.05.2015 zu bezahlen.

2.    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 20.970,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.

3.    Die Beklagte wird verurteilt, an die AdvoCard Rechtsschutzversicherung AG, 20066 Hamburg (Leistungs-Nr.: …) außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 392,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit am 11.02.2017 zu bezahlen. Bankverbindung: … .

4.   Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 100,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor,
das Sachverständigenverfahren sei bindend.

Im Übrigen werde die Richtigkeit des Kostenvoranschlages der Firma R., der fast acht Monate nach dem streitgegenständlichen Ereignis gefertigt worden sei, bestritten, hilfsweise die Unfallbedingtheit der Kosten.

Dass der Kläger die Mehrwertsteuer betreffend die Notreparatur der Firma R. aus eigenen Mitteln entrichtet habe, werde mit Nichtwissen bestritten.

Einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung bestehe nicht. Der Kläger habe durch den Einsatz eines privaten Pkw in der Ausfallzeit das streitgegenständliche Fahrzeug ersetzt. Darüber hinaus habe es zur Gewinnerzielung gedient, es könne allenfalls entgangener Gewinn geltend gemacht werden.

Die vorgerichtlichen Anwaltskosten seien nicht schlüssig dargelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 10.05.2017 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 12.07.2017 jeweils den Sachverständigen R. angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Protokolle (Bl. 175 ff. d.A. sowie Bl. 205ff) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von weiteren 4.976,48 € nebst Zinsen aufgrund des zwischen den Parteien bestehenden Vollkaskoversicherungsvertrages.

1.        Das Gericht ist davon überzeugt, dass das Fahrzeug durch ein Herunterrollen eines Hanges am 20.06.2014 beschädigt worden ist.

Das in der mündlichen Verhandlung vom 10.05.2017 durch sämtliche am Prozess Beteiligten eingesehene Video zeigt das Herabrollen des Fahrzeuges. Das Video weist das Datum und die Uhrzeit des behaupteten Vorfalls aus. Der Kläger erläuterte an Hand des Videos den Geschehensablauf. Der Sachverständige R. hat nach der Besichtigung des Fahrzeugs die Unfallbedingtheit bestätigt und im Hinblick auf die Rarität des streitgegenständlichen Fahrzeugs einem Teilevertausch keine große Wahrscheinlichkeit beigemessen.

An der Richtigkeit des vom Kläger geschilderten Geschehensablaufs hegt das Gericht daher keinerlei Zweifel.

2.        Der Höhe nach verbleibt ein berechtigter weiterer Schadenersatzanspruch in Höhe von 4.976,48 €.

a) Nach den Feststellungen des Sachverständigen R., der das Fahrzeug besichtigt und die ausgebauten Teile untersucht hat, sind die im Kostenvoranschlag der Firma R. vom 03.02.2015 weit überwiegenden Positionen dem Unfallgeschehen zuzuordnen und insoweit unfallbedingt. Die festgestellten Schäden an der Frontseite, am Kabinenausschnitt, an der Lenkung und der Antriebswellen sind dem vom Kläger behaupteten Unfallablauf, dem Herunterrollen eines Abhanges, ohne weiteres zuzuordnen. Hinsichtlich des Kabinenausschnittes und der Türrahmen ergibt sich dies aus dem Spaltmaß, das hinten vergrößert, vorne verengt ist.

Die Lenkung ist schwergängig, und zwar anstoßbedingt. Auch der Antriebswellen bzw. die Gelenke wurden durch einen Anstoß beschädigt.

Als nicht unfallbedingt hat der Sachverständige einen Bergungsschaden in Höhe von 619,63 € netto, die Kosten für die Hauptuntersuchung in Höhe von 110,00 € netto sowie die Kosten für den Ersatz des Kühlers in Höhe von 667,90 € netto festgestellt, so dass nach dem Ergebnis des Sachverständigen R. 8.991,93 €/netto an Reparaturkosten verbleiben.

b) Ausgangspunkt ist der vom Sachverständigen R. festgestellte Betrag in Höhe von 8.991,93 € netto. Hinzu kommen noch die Kosten der Hauptuntersuchung in Höhe von 110,00 € netto. Nach den insoweit glaubhaften Angaben des Klägers wurde das streitgegenständliche Fahrzeug nach dem Vorfall vom TÜV zwangsabgemeldet. Insoweit ist nach der Durchführung der Reparatur wiederum die Durchführung der Hauptuntersuchung notwendig, für die Kosten in Höhe von 110,00 € netto anfallen.

Insoweit ist ein Gesamtbetrag in Höhe von 9.101,93 € berechtigt, von dem der bereits erstattete Betrag in Höhe von 3.625,45 € sowie die Selbstbeteiligung in Höhe von 500,00 € abzuziehen ist.

Dieser Betrag ist ab dem 12.05.2015 in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen, nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 11.05.2015 jegliche weitere Zahlungen abgelehnt hat (§§ 286, 288 BGB).

Der Antrag der Beklagten, ihr ein Schriftsatzrecht auf die mündlichen Ausführungen des Sachverständigen R. einzuräumen, war abzulehnen, nachdem die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind; denn wie der vorliegende Rechtstreit zeigt, verfügt die Beklagte selbst über Sachverständige mit der nötigen Sachkunde, die sie in den Termin hätte stellen können.

3.        Die Frage, ob das Sachverständigenverfahren formell ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, kann dahingestellt bleiben.

Zwar sind die Parteien grundsätzlich an das Ergebnis des Sachverständigenverfahrens gebunden. Diese Bindung kann nur durch den Nachweis einer erheblichen und offenbaren Unrichtigkeit im Rahmen eines Rechtsstreit aufgehoben werden. Eine offenbare Unrichtigkeit liegt dann vor, wenn sie sich dem unbefangenen, sachkundigen Beurteiler aufdrängt, wenn auch möglicherweise erst nach eingehender Prüfung. Daran sind strenge Anforderungen zu stellen, weil sonst der von den Parteien verfolgte Zweck in Frage gestellt würde, den Schaden möglichst rasch und kostengünstig zu regulieren (BGH DS 2015, 59, 60).

Nach den Feststellungen des Sachverständigen R. liegt eine erhebliche und offenbare Unrichtigkeit vor. Denn die im Sachverständigenverfahren als nicht unfallbedingt angesehenen Positionen betreffend die Kabine bzw. die Antriebswelle sind nach den Feststellungen des Sachverständigen R. jedoch auf den streitgegenständlichen Unfall zurückzuführen. Insoweit hätten sie sich einem unbefangenen, sachkundigen Beurteiler aufdrängen müssen, insbesondere nach möglicherweise erst eingehender Prüfung, die jedoch offenbar unterblieb. Denn die Sachverständigen haben ihre Feststellungen im Sachverständigenverfahren bei der Firma T. in Neu Ulm getroffen, das Fahrzueg befand sich zu diesem Zeitpunkt jedoch bei der Firma O. in Ehingen. Eine Inaugenscheinnahme kann vor diesem Hintergrund ausgeschlossen werden. Die Berücksichtigung dieser Positionen führt dazu, dass die berechtigten Reparaturkosten über 250 % abweichen.

4.       Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz (Nutzungsausfall, § 280 BGB), insbesondere nicht in der von ihm geltend gemachten Höhe von 90,00 € pro Tag.

Es kann bereits nicht festgestellt werden, dass die Beklagte pflichtwidrig und schuldhaft die Regulierung verzögert hätte, nachdem  seitens  des Klägers mit Eingabe vom 06.10.2014 zunächst der Versicherungsombudsmann eingeschaltet und das Sachverständigenverfahren, an dem auch ein vom Kläger benannter Sachverständiger teilnahm, einvernehmlich durchgeführt worden war.

Ein möglicher Anspruch wäre bereits in der begehrten Höhe unbegründet. Der Kläger hat selbst vorgetragen, dass er mit Hilfe seines privaten Pkw die von ihm sonst durchzuführenden Fahrten erledigt hätte, wobei das Fahrzeug nicht unmittelbar zur Gewinnerzielung eingesetzt worden sei.

Die vom Kläger begehrten Kosten für die Miete eines Ersatzfahrzeugs sind nicht erstattungsfähig, nachdem er keinen Ausfall zu beklagen hatte sondern ein anderes Fahrzeug einsetzte. Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass dem Kläger überhaupt ein Anspruch zusteht, nachdem eine fühlbare wirtschaftliche Beeinträchtigung im Hinblick auf den Einsatz eines Ersatzfahrzeugs weder vortragen noch sonst ersichtlich ist (BGH r+s 2014, 153). Vor diesem Hintergrund dürfte im Rahmen des Schadenersatzes respektive entgangenen Gewinns die jeweiligen Vermögenslagen darzustellen sein, wie sie sich bei Durchführung der Fahrten mit dem beschädigten landwirtschaftlichen Fahrzeug und den nunmehr durchgeführten Fahrten mit dem privaten Pkw dargestellt hätten. Ein eventuell negativer Saldo würde in diesem Fall einen möglichen Schaden des Klägers begründen. Auf Hinweis des Gerichts hat der Kläger jedoch angegeben, eine Aufstellung sei nicht einfach. Schließlich fehlt jedweder Vortrag zu den Vorhaltekosten eines Reservefahrzeugs, er ist auch sonst nicht ersichtlich.

5.       Der Kläger hat gegen die Beklagte auch einen Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

Nach dem insoweit unbestritten gebliebenen Vortrag hat die Rechtsschutzversicherung des Klägers die Rechnung in Höhe von 471,44 € beglichen und den Kläger ermächtigt, diesen Betrag klagweise geltend zu machen (Anlage K 26, Bl. 172 d.A.; Anlage K 27, Bl. 173 d.A.).

Der Höhe nach ist die Rechnung nicht zu beanstanden.

Sie war jedoch nur aus einem Streitwert in Höhe von 4.976,48 €, somit in Höhe von 392,54 € nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit am 11.02.2017 begründet, und zwar auf Zahlung an die AdvoCard Rechtsschutzversicherung sowie auf Erstattung des Selbstbehalts in Höhe von 100 € an den Kläger ebenfalls seit Rechtshängigkeit am 11.02.2017.

Nach alledem war die Klage teilweise wie in Tenor Ziff. 1 bis 3 ausgeurteilt begründet, im Übrigen unbegründet und daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 92 ZPO; sie war entsprechend dem Obsiegen und Unterliegen zu quoteln. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

Der im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 20.07.2017 gestellte Feststellungsantrag blieb unberücksichtigt, nachdem dieser als neuer Sachantrag zwar nicht § 296 a ZPO unterfällt, jedoch gleichwohl unzulässig ist, da er spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung zu stellen war (vgl. §§ 261 Abs. 2, 297 ZPO).

Der Streitwert war entsprechend Klagantrag Ziff. 1 und 2 auf die Gesamthöhe von 26.861,61 € festzusetzen; Zinsen sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten als Nebenforderungen erhöhen den Streitwert nicht (§§ 43, 48 GKG, 4 ZPO; BGH, NJW 2007, 3289).

Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen die Entscheidung, mit der der Streitwert festgesetzt worden ist, kann Beschwerde eingelegt werden, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt oder das Gericht die Beschwerde zugelassen hat.

Die Beschwerde ist binnen sechs Monaten bei dem

Landgericht Stuttgart
Urbanstraße 20
70182 Stuttgart

einzulegen.

Die Frist beginnt mit Eintreten der Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache oder der anderweitigen Erledigung des Verfahrens. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der sechsmonatigen Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht.
Die Beschwerde ist schriftlich einzulegen oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle des genannten Gerichts. Sie kann auch vor der Geschäftsstelle jedes Amtsgerichts zu Protokoll erklärt werden; die Frist ist jedoch nur gewahrt, wenn das Protokoll rechtzeitig bei dem oben genannten Gericht eingeht. Eine anwaltliche Mitwirkung ist nicht vorgeschrieben.

Dr. E.
Vorsitzender Richter am Landgericht

Verkündet am 12.07.2017

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5 Antworten zu LG Stuttgart verurteilt Württembergische Versicherung AG zur Erstattung weiterer Schadensersatzleistungen bei einem Vollkaskoschaden (18 O 54/17 vom 12.07.2017)

  1. Spezialist sagt:

    Das Weisungsrecht ist nicht näher geregelt, so das ein Kostenvoranschlag zur Schadenfeststellung nicht zu beanstanden ist. Für die Beteiligung an einem SVV muß jedoch jedes AM eine eigene Kalkulation / Gutachten zugrunde legen (vgl OLG Brandenburg 2005), weshalb hier richtigerweise davon ausgegangen wurde, das bisher kein korrektes SVV stattgefunden hatte.
    Insofern kann der VN seine Forderung sodann immer mit einem eigenen Gutachten geltend machen und so das SVV einleiten.
    Der Weg hier, die Forderung des VN auch nur auf einen KVA zu stützen und dann krampfhaft in 3 Versuchen einen SV zu suchen, der am SVV für ihn mitwirkt, ohne das diese Schadenhöhe von diesem ermittelt wurde, ist daher der Falsche. Auch die GA Kosten zur Einleitung des SVV gehören regelmäßig zu den Verfahrenskosten (vgl mindestens 3 hier bekannte LG Berufungs-Urteile dazu allein in FFO).
    Insofern lebt das SVV noch, wenn man es richtig führt, was zugegebenermaßen allerdings nicht leicht ist (ähnlich schwer zu führen, wie einen Komapatienten am Leben zu erhalten).

  2. virus sagt:

    „Das Weisungsrecht ist nicht näher geregelt, so das ein Kostenvoranschlag zur Schadenfeststellung nicht zu beanstanden ist.“

    Dümmer kann man nicht argumentieren. Ein Kostenvoranschlag weist doch nur aus, was die Werkstatt zu berechnen gedenkt, wenn bestimmte Leistungen am Fahrzeug erbracht werden. Was ausweislich nichts aber auch gar nichts mit der Feststellung über den Schadenumfang am Fahrzeug aufgrund des Unfallgeschehens zu tun hat.
    Daher braucht es auch im Kasko-Schadenfall erst eines den Schadenumfang feststellenden Gutachtens, worauf hin die Werkstatt ihre ganz spezifische Kostennote kalkulieren kann. Sodass die AKB der Kasko-Versicherer „Weisungsrecht“ – suggerierend als Rechte Dritter – im Widerspruch zu § 903 BGB steht.

    § 903
    Befugnisse des Eigentümers

    1 Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.

  3. virus sagt:

    Man stelle bzw. beantworte sich doch mal folgende Frage:

    „Wofür haftet die Kfz-Werkstatt?“

    Für die korrekte Schadenfeststellung nach einem Kasko-Schaden?
    Für die Beweissicherung bei gleichzeitiger vollumfänglicher Schadenfeststellung aufgrund des Unfallgeschehens zur Durchsetzung des Anspruchs seitens des Eigentümers gegenüber dem K-Versicherer?

    Oder einzig:

    Für die sach- und fachgerechte Reparatur laut Rechnungslegung (abgesichert mittels Betriebshaftpflicht)?

  4. Jörg sagt:

    @Spezialist. Solche „Spezialisten“ braucht wirklich niemand.

  5. Hirnbeiss sagt:

    Spezialist says:
    24. September 2017 at 21:17
    1. „Auch die GA Kosten zur Einleitung des SVV gehören regelmäßig zu den Verfahrenskosten (vgl mindestens 3 hier bekannte LG Berufungs-Urteile dazu allein in FFO).“

    2. „Insofern lebt das SVV noch, wenn man es richtig führt, was zugegebenermaßen allerdings nicht leicht ist (ähnlich schwer zu führen, wie einen Komapatienten am Leben zu erhalten).“

    So eine eklatante Fehlmeldung ,
    Zu 1.
    GA-Kosten zur Einleitung des SVV gehören nicht zu den Verfahrenskosten, weil eben das SVV noch nicht Vertragsgemäß eingeleitet ist! Klingt logisch oder?
    Deshalb genügt es auch völlig eine unbezifferte Behauptung aufzustellen, dass die Kaskoleistung zu niedrig ist. Also kein GA, kein KV vorher dazu nötig.
    Jetzt kann man dem Versicherer das SSV erklären mit all seinen zu beachtenden Klauseln u. Fristen.
    Ab dem rechtskonform erstellten Eröffnungsprotokoll, sind dann die Leistungen des Ausschussmitgliedes für den VN zu honorieren und nicht vorher.
    Zu 2.
    „Insofern lebt das SVV noch, wenn man es richtig führt, was zugegebenermaßen allerdings nicht leicht ist (ähnlich schwer zu führen, wie einen Komapatienten am Leben zu erhalten).“

    Dazu sollte man aber weit mehr wissen und sich nicht als Spezialist ausgeben und so einen Nonsens verbreiten.

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