AG Halle (Westfalen) verurteilt Versicherungsnehmerin der Westfälischen Provinzial Versicherung zur Zahlung der Schadensfeststellungskosten in Höhe von 202,12 € bei einem festgestellten Reparaturbetrag von 910,– € mit kurzem und knappem, aber schlüssigem Urteil vom 3.8.2015 – 2 C 399/15 -.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,

zum Wochenbeginn stellen wir Euch ein Urteil aus Halle in Westfalen zu den Sachverständigenkosten gegen die Versicherungsnehmerin der Westfälischen Provinzial Versicherung in Münster vor. Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall hatte das Unfallopfer einen Kfz-Sachverständigen zur Feststellung des Schadensumfangs und der Schadenshöhe beauftragt. Das Unfallopfer war als technischer Laie nicht in der Lage, selbst die Schadenshöhe zu bestimmen. Der vom Unfallopfer beauftragte Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass Reparaturkosten in Höhe von etwa 910.– € vorliegen. Damit war der generell angenommene Bagatellschadensgrenzbetrag, den es als starre Grenze gar nicht gibt, überschritten. Nach der herrschenden Ansicht liegt dieser bei etwa 715,– €. Da die Westfälische Provinzial Versicherung die berechneten Sachverständigenkosten nicht erstatten wollte, nahm die Geschädigte – mit Recht – die Unfallverursacherin persönlich in Anspruch. Die Klage war voll umfänglich erfolgreich. Da wird sich die Versicherungsnehmerin der Westfälischen Provinzial aber bei ihrer Versicherung bedanken, dass sie wegen der rechtswidrigen Schadensersatzkürzung verurteilt wurde, obwohl sie bei der Westfälischen Provinzial gut versichert sei, wie sie meinte. Nach Angaben des Einsenders hat der Richter kurzen Prozess gemacht und ihm den ellenlangen Schriftsatz der Beklagten zusammen (!) mit dem Urteil übersandt.

Viele Grüße und eine schöne Woche
Willi Wacker

2 C 399/15

Amtsgericht Halle (Westf.)

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

In dem Rechtsstreit

der Frau … ,

Klägerin,

gegen

Frau … ,(Versicherungsnehmerin der Wesrfälischen Provinzial Versicherung in Münster in Westfalen).

Beklagte,

hat das Amtsgericht Halle (Westf.)
im vereinfachten Verfahren gemäß § 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung am 03.08.2015
durch den Richter Dr. P.
für Recht erkannt:

1.   Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 202,12 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.07.2015 zu zahlen.

2.   Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3.   Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Ein Tatbestand ist gem. der §§ 313a, 511 ZPO entbehrlich.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 202,12 € gem. § 833 S. 1 BGB zu, wobei die grundsätzliche Einstandspflicht der Beklagten unstreitig ist. Streitig ist zwischen den Parteien allein der Umfang des Schadensersatzanspruchs, konkret die Ersatzfähigkeit der geltend gemachten Sachverständigenkosten. Hierbei sind die seitens der Klägerin geltend gemachten Sachverständigenkosten in Höhe von 202,12 € uneingeschränkt ersatzfähig, da sie grundsätzlich Teil des über § 249 Abs. 1 S. 2 BGB ersatzfähigen Schadens sind (BGH NJW 2014, 1947), ungeachtet dessen, ob das Gutachten brauchbar oder dessen Kosten übersetzt sind. Etwas anderes kann freilich dann anzunehmen sein, wenn die anfallenden Kosten außer Verhältnis zur Höhe des Schadens stehen, wobei die „Bagatellgrenze“ zwischen 500 € (Erman/Westermann § 249 Rn. 99) und 1000 € gezogen wird (MünchKommBGB/Oetker § 249 Rn. 398), verbunden jeweils mit dem Hinweis, dass eine „starre“ Grenze nicht sachgerecht sein dürfte. Eine solche Ausnahme vermochte das Gericht nicht anzunehmen. Dies folgt zum einen aus dem Umstand, dass die Nettoreparaturkosten ausweislich des Kostenvoranschlags vom 29.04.2015 mit 910 € oberhalb der „Bagatellgrenze“ verortet werden können (BGH NJW 2005, 356, 357 hält 700 € für sachgerecht), so dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens bereits aus diesem Grunde angemessen und die Kosten „erforderlich“ im Sinne des § 249 Abs. 1 S. 2 BGB sind. Inwiefern die Klägerin hätte erkennen können, dass die Bagatellgrenze „deutlich“ unterschritten werde, erschließt sich vor diesem Hintergrund nicht!

Einen Verstoß gegen § 254 BGB vermag das Gericht auch nicht vor dem Hintergrund anzunehmen, dass die Versicherung der Beklagten die Klägerin aufgefordert hat, einen „detaillierten Kostenvoranschlag“ einzureichen. Schließlich ist die Klägerin nicht gehalten, zu Gunsten der Schädigerin zu „sparen“ oder eine möglichst kostengünstige Variante der Schadensbeseitigung zu wählen (BGH NJW 2014, 1947), zumal aus dem Aufforderungsschreiben nicht erkennbar wird, dass eine Schadensregulierung in jedem Fall erfolge bzw. es genüge, wenn ein detaillierter Kostenvoranschlag eingereicht werde. Vielmehr lässt sich dem Schreiben die Aussage entnehmen, dass bei Einreichung eines veränderten Voranschlags eine Schadensprüfung vorbehalten bleibt.

Könnte der Schädiger durch das Anfordern eines Kostenvoranschlags die Pflicht zur Zahlung der Gutachterkosten verhindern, so würde die Ratio des § 249 Abs. 1 S. 2 BGB in Gestalt der Pflicht zu einem möglichst vollständigen Schadensausgleich ggf. unterlaufen. Daher stand es der Klägerin frei, zur Substantiierung ihrer Ansprüche ein Sachverständigengutachten einzuholen.

Die Zinsentscheidung folgt aus den §§ 288 Abs. 1, 291, 187 Abs. 1 (analog) BGB. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs. 1 S. 1, 708 Nr. 11, 713 ZPO.

Eine Rechtsmittelbelehrung erfolgt nicht, da ein solches gegen dieses Urteil nicht statthaft ist, § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

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2 Antworten zu AG Halle (Westfalen) verurteilt Versicherungsnehmerin der Westfälischen Provinzial Versicherung zur Zahlung der Schadensfeststellungskosten in Höhe von 202,12 € bei einem festgestellten Reparaturbetrag von 910,– € mit kurzem und knappem, aber schlüssigem Urteil vom 3.8.2015 – 2 C 399/15 -.

  1. virus sagt:

    Der heraus zu stellende Satz zum Bagatellschaden:

    „Könnte der Schädiger durch das Anfordern eines Kostenvoranschlags die Pflicht zur Zahlung der Gutachterkosten verhindern, so würde die Ratio des § 249 Abs. 1 S. 2 BGB in Gestalt der Pflicht zu einem möglichst vollständigen Schadensausgleich ggf. unterlaufen. Daher stand es der Klägerin frei, zur Substantiierung ihrer Ansprüche ein Sachverständigengutachten einzuholen.“

  2. Hein Blöd sagt:

    Kopfschüttel!
    Lieber Herr Richter Dr.P:
    Der §249 Abs.1 hat keinen Satz 2.
    Gemeint war wohl §249 II,1.
    Die Definition des Bagatellschadens ist dem Gericht offenbar ebenfalls unbekannt(vgl.BGH v.12.03.2008,VIII ZR 253/05).
    Die genannte Anspruchsgrundlage der Tierhalterhaftung gem.§833 BGB lässt darauf schliessen,dass der Schaden am Klägerfahrzeug durch ein Haustier verursacht wurde.
    Eine wenigstens rudimentäre Beschreibung des Schadensbildes im Urteil würde die Entscheidung plausibel machen.
    Richtig ist:Die Schadeshöhe ist in diesem Fall kein Indiz für das Vorliegen eines Bagatellschadens.

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