BGH bestätigt die Kosten der Beilackierung als fiktive Schadensposition (VI ZR 396/18 vom 17.09.2019).

Wie wir alle wissen, kürzen die Versicherer bei der fiktiven Abrechnung seit Jahrzehnten was das Zeug hält. Betroffen hiervon sind insbesondere die Lohnkosten, die Verbringungskosten, die UPE-Aufschläge und seit einigen Jahren auch die Kosten für die Beilackierung. Dem ist der BGH mit der folgenden Entscheidung nun deutlich entgegen getreten. In der Revision wurde durch den BGH ein Urteil des Landgerichts Aachen aufgehoben, bei dem das LG in der Berufung eines korrekten AG-Urteils die Beilackierung – zu Gunsten des Versicheres – versagt hatte. Argumentiert wurde bisher seitens der Versicherungswirtschaft, dass eine mögliche Lackangleichung nur vom Lackierer im Rahmen der konkret durchgeführten Reparatur festgestellt werden könne. Unterstützt wurden sie hierbei in den letzten Jahren tatkräftig von diversen „Dienstleistern“, die sich nicht zu schade waren, jeden Schadensmanagement-Mist „auftragsgemäß“ durchzuführen. Einige titulieren Unterstützungen dieser Art auch als „Beihilfe zum Betrug“.

Wie das mit der Lackierung am Ende in der Praxis durchgeführt werden soll, blieb dabei stets offen. Denn nach Fertigstellung einer Lackierung auf Kante ist es ja bereits zu spät für eine Lackangleichung. Deshalb wird von seriösen Lackier-Fachbetrieben bei der Lackierung von Metallic- oder Effektlacken stets gleich eine Beilackierung vorgenommen. Ansonsten kommt es in der Regel bei 9 von 10 Fällen zu optischen Unterschieden. Mehrfarbige Fahrzeuge interessiert die Versicherer logischerweise nicht – Hauptsache die Kasse stimmt. Interessant an dem Urteil ist auch wieder der Hinweis an das Landgericht zur Schätzungsspraxis auf Grundlage des § 287 ZPO.

Zitat: „Es würde Sinn und Zweck des § 287 ZPO, der dem von einer rechtswidrigen Handlung Betroffenen die Darlegung und den Nachweis seines Schadens erleichtern soll, zuwiderlaufen, wenn die Vorschrift dazu dienen könnte, dem Betroffenen einen Nachweis seines Schadens von vornherein abzuschneiden, der ihm nach allgemeinen Regeln offen stünde (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 19. März 2002 – XI ZR 183/01, NJW-RR 2002, 1072, 1073, juris Rn. 22; BVerfG, NJW 2010, 1870, 1871).“

Auch der Hinweis auf Art. 103 Abs. 1 GG – hier Verletzung des rechtlichen Gehörs – spricht für sich.

Hier nun die Entscheidung des BGH vom 17.09.2019:

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

VI ZR 396/18                                                                          Verkündet am: 17. September 2019

In dem Rechtsstreit

BGB § 249 Gb; ZPO § 287 Abs. 1

Zum Maß notwendiger Überzeugung im Rahmen des § 287 Abs. 1 ZPO (hier: Berücksichtigung von sogenannten Beilackierungskosten im Rahmen fiktiver Schadensabrechnung).

BGH, Urteil vom 17. September 2019 – VI ZR 396/18 – LG Aachen
.                                                                                                    AG Aachen

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. September 2019 durch den Vorsitzenden Richter Seiters, die Richterinnen von Pentz, Dr. Oehler und Dr. Roloff und den Richter Dr. Klein

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 6. September 2018 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Klägers erkannt ist.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Ersatz restlichen Sachschadens aus einem Verkehrsunfall vom 1. April 2017 in Anspruch. Die Beklagte ist der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners, dessen Einstandspflicht dem Grunde nach außer Streit steht. Bei dem Unfall wurde das im Farbton „phantomschwarz Perleffekt“ lackierte Fahrzeug des Klägers beschädigt.

Der Kläger rechnete mit der Beklagten auf Gutachtenbasis in Höhe der fiktiven Reparaturkosten ab. Auf der Grundlage des von dem Kläger in Auftrag gegebenen schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen G. vom 3. April 2017 zahlte die Beklagte einen Betrag in Höhe von 2.432,19 €. Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger den Restbetrag in Höhe von 643,39 € – betreffend die im Gutachten ausgewiesenen Beilackierungskosten in Höhe von 424,26 € und sogenannte UPE-Aufschläge in Höhe von 219,13€ – nebst Zinsen und die Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten geltend.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das Urteil teilweise abgeändert, die Beklagte verurteilt, an denKläger einen Betrag in Höhe von 219,13 € (UPE-Aufschläge) nebst Zinsen zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge im Umfang der Abweisung weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung – soweit hier erheblich – ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf restlichen Schadensersatz wegen der eventuell erforderlichen Beilackierung der rechten vorderen Tür und daran angrenzender Leisten. Bei Karosserieschäden gehörten die zur Vermeidung etwaiger Farbtonabweichungen aufzuwendenden Kosten einer Beilackierung angrenzender, nicht unmittelbar unfallbeschädigter Fahrzeugteile nicht zu den im Rahmen der fiktiven Schadensberechnung erstattungsfähigen Herstellungskosten. Die Beilackierung habe mit der Beseitigung des Unfallschadens als solchem nichts zu tun. Sie diene der Farbangleichung nicht durch den Schaden selbst betroffener Fahrzeugteile. Erforderlich seien die Kosten der Beilackierung nur dann, wenn sich eine tatsächliche Abweichung des Farbtons der reparierten Teile von der übrigen Lackierung des Fahrzeugs ergebe. Der erforderliche Aufwand sei daher erst nach durchgeführter Instandsetzung der zu reparierenden Teile feststellbar. Eine sichere Feststellung der Notwendigkeit der Beilackierung erfordere jedenfalls im Regelfall eine tatsächlich durchgeführte Reparatur. Sachgerecht sei es, in allen Fällen, in denen Schadenspositionen zwar anfallen könnten, aber nicht anfallen müssten, den Geschädigten auf eine konkrete Abrechnung zu verweisen und insbesondere fiktive Beilackierungskosten grundsätzlich nicht zuzusprechen.

Dies erscheine auch nicht unbillig oder beschränke den Geschädigten in seinem Wahlrecht zwischen konkreter und fiktiver Schadensabrechnung. Es stehe ihm jederzeit frei, auf eine konkrete Schadensberechnung überzugehen, oder neben der Abrechnung auf fiktiver Basis einen Feststellungsantrag wegen etwaiger zukünftiger Beilackierungskosten zu stellen, wie dies für die Mehrwertsteuer anerkannt sei. Ob etwas anderes gelte, wenn dargelegt werde, dass und aus welchen Gründen unter Berücksichtigung des verunfallten Fahrzeugs sowie der Art und des Ausmaßes der daran verursachten Schäden eine Beilackierung von vornherein zwingend erforderlich sei, bedürfe keiner Entscheidung. Der Kläger habe Entsprechendes nicht dargelegt.

Insbesondere ließen sich den – als qualifizierter Parteivortrag zu bewertenden – Ausführungen des Sachverständigen G. hierzu keine konkreten Anhaltspunkte entnehmen. Der pauschale Verweis auf eine bei dem klägerischen Fahrzeug gegebene Speziallackierung genüge nicht.

Ein Anspruch auf Freistellung von den restlichen, demKläger entstandenen außergerichtlichen Kosten bestehe nicht. Denn ungeachtet des von der Kammer geringfügig höher bemessenen erstattungsfähigen Schadens sei hierdurch ein Gebührensprung nicht ausgelöst worden.

II.

Die Revisionhat Erfolg. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Anspruch des Klägers auf Ersatz der streitigen Beilackierungskosten nicht verneint werden, § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, § 287 Abs. 1 ZPO.

1. Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ist der Geschädigteeines Verkehrsunfalls, der es nach einem Sachschaden selbst in die Hand nimmt, den früheren Zustand herzustellen, berechtigt, vom Schädiger den dazu erforderlichen Geldbetrag zu verlangen. Dabei beschränkt sich das Ziel der Restitution nicht auf eine (Wieder-) Herstellung der beschädigten Sache; es besteht in umfassenderer Weise gemäß § 249 Abs. 1 BGB darin, den Zustand herzustellen, der, wirtschaftlich gesehen, der ohne das Schadensereignis bestehenden Lage entspricht (st.Rspr., vgl. etwa Senatsurteil vom 5. Februar 2013 – VI ZR 363/11, NJW 2013, 1151 Rn. 11 mwN). Der Geschädigte ist aufgrund seiner nach anerkannten schadensrechtlichen Grundsätzen bestehenden Dispositionsfreiheit in der Verwendung der Mittel frei, die er vom Schädiger zum Schadensausgleich beanspruchen kann. Er ist nicht dazu verpflichtet, sein Fahrzeug reparieren zu lassen (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteil vom 23. Mai 2017 – VI ZR 9/17, NJW 2017, 2401 Rn. 6 ff. mwN), sondern kann auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens fiktiv abrechnen. Die Angaben des Sachverständigen zur Höhe der voraussichtlich anfallenden Reparaturkosten bestimmen nicht verbindlich den Geldbetrag, der im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zur Herstellung erforderlich ist. Bei fiktiver Abrechnung ist der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln. Der Geschädigte, der nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen, disponiert hier dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf einer objektiven Grundlage zufrieden gibt (Senatsurteil vom 3. Dezember 2013 – VI ZR 24/13, NJW 2014, 535 Rn. 10).

2. Den zur Herstellung objektiv erforderlichen (ex ante zu bemessenden) Betrag hat das Gericht gemäß § 287 Abs. 1 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu ermitteln (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteil vom 22. Juli 2014 – VI ZR 357/13, NJW 2014, 3151 Rn. 16 f.). Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des dabei nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteile vom 22. Juli 2014 – VI ZR 357/13, NJW 2014, 3151 Rn. 12 mwN; vom 20. Dezember 2016 – VI ZR 612/15, NJW-RR 2017, 918 Rn. 7 mwN). Solche Fehler hat die Revision hier indes aufgezeigt. Zwar ist das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass den Kläger die Darlegungs- und Beweislast trifft. Es hat aber Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt und erheblichesVorbringen des Klägers außer Acht gelassen.

a) Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass den Kläger die Darlegungs- und Beweislast für die Erforderlichkeit der Kosten der Beilackierung trifft. Insoweit geht es nicht um die Verletzung der Schadensminderungspflicht(§ 254 BGB), für die grundsätzlich der Schädiger die Beweislast trägt, sondern um die Schadenshöhe, die der Geschädigte auch im Rahmen des § 287 ZPO – soweit nach Absatz 1 Satz 2 der Vorschrift erforderlich – nach den allgemeinen Grundsätzen darzulegen und ggf. zu beweisen hat, § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB (st. Rspr., Senatsurteile vom 25. April 1972 – VI ZR 134/71, NJW 1972, 1515 unter II 1, juris Rn. 9; vom 19. Januar 2010 – VI ZR 112/09, VersR 2010, 494 Rn. 11 mwN; vom 22. Juli 2014 – VI ZR 357/13, NJW 2014, 3151 Rn. 16; zu Beilackierungskosten zutreffend LG Köln, Urteil vom 10. Mai 2016 – 11 S 360/15, juris Rn. 10; LG Bielefeld, Beschluss vom 19. Mai 2014 – 20 S 109/13, Schaden-Praxis 2014, 412 Rn. 5).

b) Das Berufungsgericht hat aber das Maß notwendiger Überzeugung im Rahmen des § 287 Abs. 1 ZPO überspannt und damit Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt.

aa) § 287 Abs. 1 ZPO stellt an das Maß der Überzeugungsbildung des Tatrichters geringere Anforderungen als die Vorschrift des § 286 ZPO (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteile vom 25. April 1972 – VI ZR 134/71, NJW 1972, 1515 unter II 1, juris Rn. 9; vom 19. April 2005 – VI ZR 175/04, NJW-RR 2005, 897, juris Rn. 9; vom 13. September 2016 – VI ZR 654/15, NJW 2017, 1310 Rn. 21). Im Rahmen des 286 ZPO hat der Richter seiner Überzeugungsbildung zu Grunde zu legen, dass es dafür keiner absoluten oder unumstößlichen Gewissheit im Sinne des wissenschaftlichen Nachweises, sondern nur eines für das praktische Leben brauchbaren Grades von Gewissheit bedarf, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteil vom 16. April 2013 – VI ZR 44/12, NJW 2014, 71 Rn. 8 mwN). Nach § 287 ZPO ist der Richter – im Interesse des von einer rechtswidrigen Handlung Betroffenen (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 19. März 2002 – XI ZR 183/01, NJW-RR 2002, 1072, 1973, juris Rn. 20 ff. mwN) – ermächtigt, sich mit einer mehr oder minder hohen (mindestens aber überwiegenden) Wahrscheinlichkeit zu begnügen (Senatsurteilevom 25. April 1972 – VI ZR 134/71, NJW 1972, 1515 unter II 1, juris Rn. 9; vom 12. Februar 2008 – VI ZR 221/06, VersR 2008, 644 Rn. 9 mwN).Bei der Schadensschätzung steht ihm ein Ermessen zu, wobei in Kauf genommen wird, dass das Ergebnis unter Umständen mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – VII ZR 84/10, NJW 2013, 525 Rn. 23).

bb) Das hat das Berufungsgericht verkannt. Es meint, ein Anspruch auf Ersatz der Beilackierungskosten könne bei fiktiver Abrechnung (von vornherein) nicht bestehen, weil sich die Erforderlichkeit der Beilackierungskosten erst nach durchgeführter Reparatur sicher beurteilen lasse. Zu Unrecht fordert es damit für die von ihm vorzunehmende Schadensbemessung eine sogar im Rahmen des § 286 ZPO nicht erforderliche absolute Gewissheit. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei der fiktiven Abrechnung eines Fahrzeugschadens – auch hinsichtlich anderer Positionen – stets eine (gewisse) Unsicherheit verbleibt, ob der objektiv zur Herstellung erforderliche (ex ante zu bemessende) Betrag demjenigen entspricht, der bei einer tatsächlichen Durchführung der Reparatur angefallen wäre oder anfallen würde. Unter Hinweis auf diese verbleibende Unsicherheit darf sich ein Gericht nicht der ihm obliegenden Aufgabe entziehen, eine Schadensermittlung nach den Grundsätzen des § 287 Abs. 1 ZPO vorzunehmen und insoweit zu prüfen, ob ein Schaden überwiegend wahrscheinlich ist. Im Übrigen trifft nicht zu, dass – wie das Berufungsgericht meint (ebenso Balke, SVR 2017, 349) – eine Beilackierung mit der Beseitigung des Unfallschadens als solchem nichts zu tun habe. Ist eine Beilackierung zur Wiederherstellung des Zustandes erforderlich, der vor dem schädigenden Ereignis bestanden hat, ist sie ebenso Teil der Beseitigung des durch den Unfall verursachten Schadens, wie etwa der Ersatz eines beschädigten Fahrzeugteils.

c) Das Berufungsgericht hat ferner – wie die Revision zu Recht rügt – ein erhebliches Beweisangebot des Klägers übergangen, § 287 ZPO, Art. 103 Abs. 1 GG.

aa) Der Kläger hat vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass sein Fahrzeug einen Farbton aufweise, der die Einlackierung der angrenzenden Karosserieteile technisch zwingend erfordere. Das hat auch der Sachverständige G. in seinem Gutachten vom 3. April 2017 so beurteilt. Dem folgend hat das Amtsgericht die Beklagte erstinstanzlich zum Ersatz der Beilackierungskosten verurteilt, weil die Beklagte dem von dem Kläger vorgelegten Gutachten nicht ausreichend entgegengetreten sei.

bb) Die Erhebung des von dem Kläger angebotenen Beweises durfte das Berufungsgericht nicht mit der Begründung ablehnen, der Kläger habe nicht umfassend dargelegt, dass und warum unter Berücksichtigung des verunfallten Fahrzeugs sowie der Art und des Ausmaßes der hieran entstandenen Schäden eine Beilackierung konkreter Fahrzeugteile von vornherein zwingend erforderlich sei. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen, kann der Vortrag weiterer Einzelheiten nicht verlangt werden. Vielmehr muss der Tatrichter in die Beweisaufnahme eintreten, um dort eventuell weitere Einzelheiten zu ermitteln (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteil vom 24. Juni 2014 – VI ZR 560/13, WM 2014, 1470 Rn. 45 mwN).

cc) Daran ändert es nichts, dass § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Bindung des Richters an Beweisanträge lockert und die Durchführung einer beantragten Beweisaufnahme grundsätzlich in sein pflichtgemäßes Ermessen stellt. Es würde Sinn und Zweck des § 287 ZPO, der dem von einer rechtswidrigen Handlung Betroffenen die Darlegung und den Nachweis seines Schadens erleichtern soll, zuwiderlaufen, wenn die Vorschrift dazu dienen könnte, dem Betroffenen einen Nachweis seines Schadens von vornherein abzuschneiden, der ihm nach allgemeinen Regeln offen stünde (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 19. März 2002 – XI ZR 183/01, NJW-RR 2002, 1072, 1073, juris Rn. 22; BVerfG, NJW 2010, 1870, 1871).

III.

Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidungan das Berufungsgericht zurückzuverweisen(§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), damit es die Schadensermittlung unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats erneut vornehmen kann.

Seiters                                        von Pentz                                Oehler

.                             Roloff                                         Klein

Vorinstanzen:
AG Aachen, Entscheidung vom 18.01.2018 – 102 C 108/17
LG Aachen, Entscheidung vom 06.09.2018 – 2 S 25/18

Urteilsliste “Fiktive Abrechnung u. § 287 ZPO” zum Download >>>>>

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4 Antworten zu BGH bestätigt die Kosten der Beilackierung als fiktive Schadensposition (VI ZR 396/18 vom 17.09.2019).

  1. Willi Wacker sagt:

    Kann es sein, dass mit dem Ausscheiden des BGH-Richters Wellner der Gedanke des korrekten Schadensausgleichs nach § 249 Abs. 1 BGB bei konkreter Schadensabrechnung und nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB bei fiktiver Schadensabrechnung wieder in den Vordergrund gestellt wird? Zu Recht hat der VI. Zivilsenat des BGH nunmehr in anderer Besetzung auf die verschiedenen Schadensbehebungswege nach § 249 I BGB und § 249 II 1 BGB im Absatz II 1. hingewiesen. Bei konsequenter Umsetzung sind daher die Sachverständigenkosten, die konkret berechnet und belegt sind, und auf die regelmäßig Bezug genommen und für die Höhe des Unfallschadens in Bezug auf die Gutachterkosten Beweis angetreten wird durch Vorlage der Rechnung, wohl nun auch über § 249 I BGB zu berücksichtigen, wie dies bereits in VI ZR 67/06 unter Rd-Nr. 11 ausgeführt ist.

    Weiterhin ist bemerkenswert, dass der VI. Zivilsenat des BGH nunmehr nicht mehr den besonders freigestellten Tatrichter in den Vordergrund stellt, sondern § 287 ZPO konsequent anwendet und dem Geschädigten Beeiserleichterungen zubilligt, wie sie es das Gesetz auch vorsieht.

    Ich danke, Herrn Hans Dampf, dass er die Zeit gefunden hat, diese Berichte über die Urteile des BGH und der vorgehenden Instanzen zu veröffentlichen.

  2. Harald Rasche sagt:

    Sehr geehrter Herr Kollege, lieber Hans Dampf,
    lieber Willi Wacker,

    danke für das eingestellte BGH-Urteil und die Kommentierung hierzu. Dass Willi Wacker dazu auch noch eine erhellende Anmerkung geliefert hat, ist alles in allem ein guter Start in das Jahr 2020. Die Entscheidungsgründe dieses BGH-Urteils zeigen zweifelsohne das Bemühen um die gewünschte Solidität und die Unabhängigkeit des VI. Zivilsenats in einer teilweise neuen Besetzung. Auch gute Urteile des BGH respektieren verständlich nicht nur das Gesetz, sondern auch das qualifizierte Betrachten der Wirklichkeit. Dazu passt die bisher unverständlicherweise kaum beachtete Rechtsprechung des OLG Hamm, die mir auszugsweise ein von mir sehr geschätzter Kollege im schönen Münsterland auf den Schreibtisch gezaubert hat und die ich deshalb gern an dieser Stelle, wie folgt wiedergebe:

    OLG Hamm (27 U 278/98 – 13 U 185/96 – 6 U 77/95)
    Wendet der Geschädigte zur Schadensfeststellung Kosten für einen Sachverständigen auf, sind diese Kosten grundsätzlich selbst dann vom Schädiger zu erstatten, wenn sich das eingeholte Gutachten als falsch erweist. Auch in diesem Fall ist die mit der Auftragserteilung entstehende Kostenbelastung durch den Werklohn des Gutachters vom Schädiger adäquat kausal verursacht und zu erstatten. Die sachverständige Schadensfeststellung ist prinzipiell Teil der vom Schädiger gem. § 249 S. 1 BGB geschuldeten Herstellung des Zustandes, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Das Risiko einer ungeeigneten Schadensermittlung ist billigerweise dem Schädiger aufzubürden, denn der Schadensgutachter ist nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten. Eine Auseinandersetzung mit dem das Honorar fordernden Gutachter ist dem Geschädigten nicht zuzumuten. (Urteil OLG Hamm vom 13.04. 1999 – Az.: 27 U 278/98: NZV 1999. Heft 9, S. 377).

    Die Kosten eines Sachverständigen sind als erforderliche Herstellungskosten von der Versicherung des Unfallverursachers unabhängig davon ersatzpflichtig, ob die Rechnung überhöht ist oder nicht. Etwas anderes kommt nur bei einem Auswahlverschulden oder offenkundiger Erkennbarkeit der Unrichtigkeit der Rechnung in Betracht. Der Sachverständige, den der Geschädigte nach dem Unfall mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, ist nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten gegenüber dem Schädiger im Sinne von §§ 254, 278 BGB. (Urteil OLG Hamm mm 05.03.1997 – Az.: 13 U 185/96).
    Die ersatzpflichtige Versicherung des Unfallverursachers schuldet dem Geschädigten auch die vom Gutachter berechneten Kosten. Es handelt sich bei diesen Aufwendungen um einen ersatzfähigen Folgeschaden aus dem Unfall.

    Der Geschädigte muss auch für ein in erheblichem Umfang fehlerhaftes Gutachten nach § 254 Abs. 2 BGB nicht einstehen, denn ein Gutachter ist nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten. (Urteil OLG Hamm vom 23.11.1995 – Az.: 6 U 77/95 – DAR 07/97, S. 276.

    Dip.-Ing. Harald Rasche (VKS)
    Bochum & Toppenstedt

  3. virus sagt:

    Ja, Herr Rasche, und da faselt ein Teilnehmer beim Verkehrsgerichtstag von Kostenvoranschlag und einer Bagatellgrenze im Hinblick auf das SV-Honorar, deren Höhe er nicht kenne, und dass man dazu einen Anwalt beauftragen solle. Wenn die Schädiger verpflichtet sind „erheblich fehlerhafte Gutachten“ zu bezahlen, dann ist die sogenannte Bagatellschadengrenze ein Mittel, den Geschädigten von seiner Pflicht der Beweissicherung abzuhalten. Unwissende Geschädigte lassen sich bekanntlich besser übervorteilen.

  4. J.U. sagt:

    Hallo, Virus,

    das OLG Hamm hat zutreffend zusammengefasst, was sich auch aus der unabhängigen und soliden BGH -Rechtsprechung v o r den Wellnerschen Interpretationen ergibt.
    Damit werden werkvertragliche Einwendungen als schadenersatzrechtlich unerheblich ebenso ad absurdum geführt, wie auch der immer wieder gebetsmühleneartig unbegründete Vorwurf eines Verstoßes gegen die „Schadenminderungspflicht“. Das haben erfreulicherweise die OLG-Richter in Hamm geklärt.

    Nur ist das bei allen Amtsgerichten in NRW offensichtlich immer noch nicht angekommen, weil erstaunlicherweise vielfach noch immer die Meinung vorherrscht, das Gericht habe den Auftrag, ex post die Rechnungshöhe für ein Schadengutachten zu prüfen. So wird dann auf Deubel komm heraus nach ominösen Honorarvorstellungen gerechnet, bis schlussendlich dann ein „gerechter Preis“ „ermittelt“ wird, getragen von der Überzeugung, nur der sei dann die bestehende Schadenersatzverpflichtung, obwohl es bei vorliegender Rechnung überhaupt nicht um eine fiktive Abrechnung, sondern um Berücksichtigung des § 249 S. 1 BGB geht. Auch das hat das OLG Hamm dankenswerterweise verdeutlicht, denn was nach § 249 Abs. 1 BGB zu erstatten ist, ist nicht vom Richter nach § 287 ZPO zum Nachteil des Anspruchstellers zu schätzen, da es nicht um eine fiktive Abrechnung der sachverständigerseits abgerechneten Gutachterkosten bei Vorlage der Rechnung geht.

    Das Gericht kann bestenfalls nach § 287 ZPO schätzen, ob sich die Sachverständigenkosteninsgesamt im Rahmen des Erforderlichen halten; d.h. ob sie sich für den Geschädigten (exante) als erkennbar überhöht darstellen, wie z.B. an der Wuchergrenze.

    Eine Überprüfung von Einzelpositionen und entsprechende Kürzungen auf Grundlage von § 287 ZPO verbietet sich jedoch , sofern man das Schadensersatzrecht und die ZPO verstanden hat.

    Danach greift auch nicht eine Risikoverlagerung auf das Unfallopfer, denn ein Auswahlverschulden aus der Beauftragung eines Sachverständigen wird erfahrungsgemäß nicht behauptet und insoweit hat das OLG Hamm auch deutlich gemacht, dass der beauftragte Sachverständige nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten ist, was leider noch vielfach schlicht ignoriert wird.

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