Auch der IV. Zivilsenat des BGH sieht eine Beweiserleichterung des Klägers, ohne den § 287 ZPO zu benennen (BGH-Urteil vom 24.4.1991 – IV ZR 172/90 -).

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,

wie bereits angekündigt, stellen wir Euch für das Wochende ein weiteres BGH-Urteil zur Beweiserleichterung für den Kläger vor. Es handelt sich um die Revisionsentscheidung des IV. Zivilsenats des BGH vom 24.4.1991 – IV ZR 172/90 – . In diesem Fall hatte das Revisionsgericht einmal nicht Bezug genommen auf § 287 ZPO. Die Beweiserleichterung für den Kläger ist halt einfach eine Selbstverständlichkeit, ohne dass auch noch auf § 287 ZPO hingewiesen werden muss. Nur der VI. Zivilsenat des BGH unter Mitwirkung des Bundesrichters Wellner ist da  offensichtlich anderer Meinung und lässt Kürzungen unter Missbrauch des § 287 ZPO zu. Es ist schon merkwürdig, dass sämtliche Zivilsenate den § 287 ZPO als Darlegungs- und Beweiserleichterung zugunsten des Klägers ansehen und nur der VI Zivilsenat des BGH in § 287 ZPO die Möglichkeit der richterlichen Schadensersatzkürzung durch „den besonders freigestellten Tatrichter“ sieht. Die übrigen Zivilsenate können sich doch nicht so irren? Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, dass sich die Rechtsprechung des VI. Zivilsenates im Schadensersatzrecht rechtsmißbräuchlich in eine Richtung entwickeln soll? So ist bisher bewußt der Vorteilsausgleich und die Stellung des Sachverständigen als Erfüllungsgehilfe des Schädigers ignoriert worden. Lest aber selbst die Revisionsentscheidung des IV. Zivilsenats des BGH und gebt bitte Eure sachlichen Kommentare ab.

Viele Grüße und ein schönes Wochenende.
Euer Willi Wacker

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

in dem Rechtsstreit

IV ZR 172/90                                                                                        Verkündet am: 24.April 1991

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger verlangt für die von ihm behauptete Entwendung seines bei der Beklagten kaskoversicherten PKW Audi Quattro eine Entschädigung.

Der Kläger hat das Fahrzeug im Frühjahr 1987 in unfallbeschädigtem Zustand für 13.500 DM gekauft. Laut Gutachten der Ingenieure H, K. und Partner betrug der Schaden einschließlich eines merkantilen Minderwerts 21.638,33 DM, wovon ca. 13.000 DM auf die Kosten des Reparaturmaterials entfielen. Im Juni 1987 hat der Kläger einen Agenturvertrag mit der Firma VAG H. in D. über den Verkauf des Fahrzeugs durch diese Firma im September/Oktober 1987 abgeschlossen. Gleichzeitig hat er bei derselben Firma einen PKW Volkswagen Golf Diesel für 19.466 DM gekauft, der im September/Oktober 1987 geliefert werden sollte. Bis dahin war der Kläger nach dem Vertrag berechtigt, den PKW Audi zu benutzen.

Der Kläger hat am 6. September 1987 bei der Polizei in E. und am 12. September 1987 bei der Beklagten angezeigt, daß sein Fahrzeug gestohlen worden sei. In der Schadensanzeige an die Beklagte hat er die Frage nach Vorschäden des Fahrzeugs nicht beantwortet. In einem Zusatzfragebogen, der am 28. September 1987 bei der Beklagten einging, hat er einen Richtbankschaden vorne links angegeben.

Der Kläger hat behauptet:

Er habe den versicherten PKW am 30. August 1987 auf einem öffentlichen Parkplatz in der Nähe des Hauptbahnhofs E. abgestellt, sei mit dem Zug zu seinem Bundeswehrstandort nach H. gefahren und habe nach seiner Rückkehr am 6. September 1987 den PKW an dem Abstellplatz nicht mehr vorgefunden. Der Vorschaden sei zum Zeitpunkt des Diebstahls von dem Kraftfahrzeugmeister M. ordnungsgemäß repariert gewesen. Die Materialkosten hätten etwa 4.500 DM betragen. Anläßlich des Abschlusses des Agenturvertrages sei der Wert des PKW auf 23.000 DM geschätzt worden. Das Fahrzeug habe, nachdem er, der Kläger, es gekauft habe, nicht alle Beschädigungen aufgewiesen, die in dem von der Beklagten vorgelegten Gutachten der Sachverständigen H., K. und Partner aufgeführt seien. Er habe das Fahrzeug nach der Reparatur dem Straßenverkehrsamt M. vorgeführt, das keine Beanstandungen erhoben habe. Er sei auch nach der Reparatur ohne jede Beanstandung mit dem PKW gefahren, der bestens instandgesetzt gewesen sei.

Er begehrt daher von der Beklagten Zahlung von 23.000 DM nebst Zinsen.

Die Beklagte hat vorgebracht:

Der Kläger habe die Entwendung des versicherten PKW nicht bewiesen. Er habe nicht einmal unter Berücksichtigung der allgemein anerkannten Beweiserleichterungen für den sogenannten Minimalsachverhalt Beweis angeboten. Das versicherte Fahrzeug könne auch zum Zeitpunkt des angeblichen Diebstahls nicht ordnungsgemäß repariert gewesen sein. Dies ergebe sich schon daraus, daß nach dem Gutachten der Sachverständigen H., K. und Partner Materialien zum Preise von insgesamt etwa 13.000 DM erforderlich gewesen seien, während der Kläger nur solche im Werte von etwa 4.000 DM verwendet habe. Die Beklagte bezweifelt darüber hinaus, daß das versicherte Fahrzeug überhaupt repariert worden sei. Sie bestreitet den vom Kläger behaupteten Wert von 23.000 DM. Der Kläger habe auch Aufklärungsobliegenheiten verletzt, indem er in der Schadensmeldung die Frage nach Vorschäden nicht beantwortet und im Zusatzfragebogen nur geschrieben habe, „Richtbankschaden vorne links“.

Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil des Zinsanspruchs stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat sie in vollem Umfang abgewiesen. Mit seiner zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Da dem Kläger eine Beweiserleichterung zugute komme, hätte es genügt, wenn er Tatsachen dargelegt und bewiesen hätte, die eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Entwendung ergeben hätten. Hieran fehle es jedoch. Der Kläger habe einen Minimalsachverhalt für den von ihm behaupteten Verlust des versicherten PKW durch Entwendung nicht bewiesen. Die Mutter des Klägers habe als Zeugin Rahmentatsachen im engeren Sinne, also insbesondere das Abstellen des angeblich gestohlenen PKW und dessen Fehlen bei der ersten Rückkehr zum Abstellplatz nicht bestätigt. Sie habe aber auch keine Rahmentatsachen im weiteren Sinne bekundet, also etwa die Abfahrt des Klägers zum Hauptbahnhof E., um das versicherte Fahrzeug dort abzustellen und mit dem Zug nach H. weiterzufahren, und die Rückkehr des Klägers in seine Wohnung mit der überraschenden Mitteilung des Verlustes des Fahrzeugs. Die Aussage der Zeugin habe insoweit keine konkreten Angaben enthalten, sondern im Ergebnis nur die Bekundung, daß die Zeugin ihren Sohn, den Kläger, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt im Besitz des versicherten PKW gesehen habe und danach nicht mehr.

Unter diesen Umständen seien auch die Voraussetzungen des § 448 ZPO für eine Vernehmung des Klägers als Partei nicht gegeben. Der Gesetzeswortlaut verlange, daß das Ergebnis der Verhandlung und einer etwaigen Beweisaufnahme nicht ausreiche für eine Überzeugungsbildung des Gerichts im Sinne der beweisbedürftigen Behauptung. Nach herrschender Auffassung heiße das, daß eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Tatsachen, die bewiesen werden sollen, bereits erbracht sein müsse. Für den Beweis einer Kraftfahrzeugentwendung als Versicherungsfall und die hier geltenden Beweiserleichterungen könne das nur bedeuten, daß eine gewisse Wahrscheinlichkeit für diejenigen Rahmentatsachen sprechen müsse, die auch unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung bewiesen sein müßten, also für den Minimalsachverhalt. Diese Wahrscheinlichkeit könne sich insbesondere aus dem Beweis eines noch weiter gezogenen Rahmens von Tatsachen ergeben, die auf die Wahrheit der behaupteten Rahmentatsachen im engeren Sinne hinwiesen. Auf solche Rahmentatsachen im weiteren Sinne habe sich die Vernehmung der Mutter des Klägers bezogen. Die Zeugin habe sie jedoch nicht bestätigt.

Schließlich könne sich nicht nur aus der Aussage der Mutter des Klägers, sondern auch aus dem sonstigen Ergebnis der Verhandlungen, aus dem gesamten Vortrag der Parteien nebst vorgelegten Urkunden und beigezogenen Akten, also aus dem Inbegriff der Verhandlung die gewisse Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 448 ZPO für die Wahrheit der Rahmentatsachen im engeren Sinne ergeben, die ihrerseits die behauptete Fahrzeugentwendung hinreichend wahrscheinlich mache. Das sei im vorliegenden Fall jedoch zu verneinen.

Ob Ungereimtheiten, die gegen wahrheitsgemäßen Vortrag des Klägers sprechen, festzustellen seien oder nicht, könne dahingestellt bleiben. Deshalb sei auch eine Vernehmung des Zeugen M., die eine solche Ungereimtheit hätte klären können, nicht erforderlich und nicht geboten. Konkrete Anhaltspunkte für wahrheitsgemäßen Klagevortrag von Tatsachen, die für die behauptete Fahrzeugentwendung sprechen, ergäben sich aus dem Inbegriff der Verhandlung nicht. Die bloße Behauptung und auch die Anzeige einer Fahrzeugentwendung bei der Polizei reichten nicht aus.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß dem Versicherungsnehmer in Fällen der vorliegenden Art eine Beweiserleichterung zugute kommt. Richtig ist auch die Ansicht, daß der Versicherungsnehmer trotzdem den vollen Beweis für ein Mindestmaß an Tatsachen erbringen muß, aus denen sich das äußere Bild eines Diebstahls erschließen läßt. An dieser Anforderung für die Beweisführung des Versicherungsnehmers hat der Senat stets festgehalten (z.B. Senatsurteil vom 3.4.1985 – IVa ZR 158/83, VersR 1985, 559 unter II).

Bei der Prüfung der Frage, ob dieses Mindestmaß an Tatsachen bewiesen ist, hat das Berufungsgericht jedoch zu strenge Anforderungen gestellt. Indem es dahingestellt sein läßt, ob Ungereimtheiten gegen wahrheitsgemäßen Vortrag des Klägers sprechen, hat es offensichtlich nicht berücksichtigt, daß der Tatrichter im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses (§ 286 ZPO) den Behauptungen und Angaben (vgl. § 141 ZPO) des Versicherungsnehmers unter Umständen auch dann glauben darf, wenn dieser ihre Richtigkeit sonst nicht beweisen kann (Senatsurteil vom 28.11.1979 – IV ZR 34/78 – VersR 1980, 229). Der Tatrichter muß in für das Revisionsgericht nachprüfbarer Weise darlegen, warum er den Angaben des Versicherungsnehmers nicht glaubt, er habe das Fahrzeug an einem bestimmten Ort abgestellt und ohne seinen Willen nicht wiedergefunden. Diesem Erfordernis ist genügt, wenn der Tatrichter Ungereimtheiten im Vortrag des Versicherungsnehmers feststellt, aufgrund deren er zu der Überzeugung gelangt, er könne diesen Angaben des Versicherungsnehmers nicht glauben. Das ist bisher nicht der Fall. Der Behauptung des Klägers, er habe das versicherte Fahrzeug am 30. August 1987 auf einem öffentlichen Parkplatz in der Nähe des Hauptbahnhofs E. abgestellt und es bei seiner Rückkehr am 6. September 1987 nicht mehr vorgefunden, steht bisher nur das Bestreiten dieser Behauptung des Klägers durch die Beklagte gegenüber. Anhaltspunkte dafür, daß Anzeichen für die Unrichtigkeit der Behauptungen des Klägers vorlägen, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Da es entgegen der von dem Berufungsgericht vertretenen Ansicht hierauf ankommt, muß das Berufungsurteil aufgehoben werden.

Für das weitere Verfahren gibt der Senat folgende Hinweise: Da der Kläger nicht auf andere Weise als durch eigene Angaben beweisen kann, daß er das versicherte Fahrzeug an dem angegebenen Ort abgestellt und dort gegen seinen Willen nicht mehr vorgefunden hat, ist zunächst zu prüfen, ob die Beklagte ihr Vorbringen gegen die Glaubwürdigkeit des Klägers beweisen kann. Hierbei geht es nicht um den bedingungsgemäß erleichterten Gegenbeweis des Versicherers für eine Vortäuschung des Versicherungsfalles (vgl. zu den insoweit zu stellenden Beweisanforderungen Senatsurteil vom 18.11.1986 -IVa ZR 100/85 – VersR 1987, 61 und Voit in Symposion „80 Jahre VVG“, S. 186). Es geht vielmehr allein darum, ob dem Kläger als einer redlichen Persönlichkeit die gegebene Sachdarstellung geglaubt werden kann. Letzteres kann auch durch bewiesene Unredlichkeiten in Frage gestellt sein, die in keinem Bezug zu dem umstrittenen Versicherungsfall stehen.

Vermag der Tatrichter eine Fahrzeugentwendung allein aufgrund des Prozeßvortrages oder einer etwa gebotenen ergänzenden Anhörung des Klägers gemäß § 141 ZPO nicht als erwiesen anzusehen, so kann als Beweismittel eine Parteivernehmung des Klägers in Betracht kommen. Das setzt allerdings voraus, daß der Kläger den in § 448 ZPO für eine Vernehmung der beweisbelasteten Partei unerläßlichen Anfangsbeweis geführt hat. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß entgegen der Ansicht der Revision auch in der Diebstahlversicherung für Kraftfahrzeuge kein Anlaß besteht, von dem Grundsatz abzuweichen, daß die beweispflichtige Partei nur dann nach § 448 ZPO förmlich vernommen werden darf, wenn für die Richtigkeit ihrer Darstellung eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, sei es auch ohne Beweisaufnahme nur aufgrund der Lebenserfahrung (Senatsurteil vom 28.11.1979 – IV ZR 34/78 – VersR 1980, 229 unter 3.; Hoegen, Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zum Versicherungsvertragsrecht, 5. Aufl. S. 142; vgl. auch OLG Hamm VersR 1991, 330 [OLG Hamm 14.02.1990 – 20 U 265/89]; Wussow in WI 1991, 41).

Urteilsliste “§ 287 ZPO – Beweiserleichterung” zum Download >>>>>

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